Muttertag
Der Muttertag näherte sich.
Wie konnten Hans und Franz ihrer Mutter eine Freude bereiten?
Brav sein! – Na ja, das würde wohl einen Tag lang gelingen, doch die Buben wollten ihrer Mutter auch ein Geschenk machen. Zum Beispiel Seidenstrümpfe, von denen sie immer träumte, oder eine neue Vase. Denn die, die Mutter besessen hatte, war bei einem Gerangel der Kinder zu Bruch gegangen.
Aber wie soll man Strümpfe oder eine Vase kaufen, wenn man kein Geld hat?
Taschengeld für Kinder war in den Kriegsjahren höchstens ein schöner Wunschtraum.
Nun war den Zwillingen und ihren Freunden zu Ohren gekommen, dass man im Lagerhaus für erlegte Ziesel Prämien bezahlte.
Durch eine Überpopulation der kleinen Nager fielen die Feldfrüchte den unzähligen Zieseln großflächig zum Opfer.
Die Bauern fuhren mit Wasserfässern auf ihre Felder, schütteten das Nass in die „Zeiselröhren“ (Ziesellöcher) und erschlugen die herauskletternden Tiere.
Die Buben hatten kein Wasserfuhrwerk. Aber ideenlos waren sie nicht.
Der Graben in der Nussallee führte Wasser genug.
Mit Kübeln und scharf geschliffenen Taschenfeiteln ausgerüstet rückten die Buben zum Zieselfang aus. Erst nach jeweils mehreren Kübeln Wasser kletterten die klatschnassen Tiere endlich aus den Löchern und wurden von den jungen Trappern abgefangen.
Am geschicktesten erwies sich Heinz. Er kniete sich nieder und fasste die Ziesel mit beiden Händen. Dann schleuderte er sie kräftig zu Boden.
Die Beuteanzahl war an manchen Nachmittagen beträchtlich.
Um die Fangprämie gewinnbringender zu gestalten, halbierten die Buben die Schwänze der ausgewachsenen Tiere – und machten so aus einem Ziesel zwei.
Dann teilten sie die Trophäen gewissenhaft auf und lieferten sie im Lagerhaus ab.
Einige der Buben setzten das erhaltene Geld umgehend in Süßigkeiten um.
Hans und Franz aber sparten ihre Fangprämien eisern – wollten sie ihrer Mutter doch etwas Schönes kaufen.
Aufgeregt und stolz zählten sie immer wieder das Geld. Es war schon viel beisammen. Bestimmt reichte es für ein Paar Seidenstrümpfe, die damals sehr teuer waren und einen richtigen Luxus bedeuteten.
Wie würde ihre Mutter staunen!
Schüchtern betraten die Brüder das Kaufhaus.
„Wir hätten gerne ein Paar Seidenstrümpfe.“, sagte Franz, und Hans fügte hinzu:
„Für Mama.“ – Da die Verkäuferin die Mutter kannte, bekamen sie ihr Geschenk auch in der richtigen Größe.
Jetzt schepperten aber immer noch Münzen in den Hosentaschen der Buben. Sie sahen einander an - ging sich die Vase auch noch aus?
Sie ging sich aus, beinahe aus, denn die wenigen Groschen, die fehlten, ließ ihnen die Geschäftsfrau nach – es war ja Muttertag und die alte Frau war gerührt.
Vorsichtig trugen die Zwillinge die gläserne und mit Blumen bemalte Vase nach Hause.
Das Glück blieb ihnen weiterhin hold. Eine Nachbarin erbot sich, für die Mutter einen Gugelhupf zu backen. Für sie selbst gab es keinen Muttertag - ihr Mann war gefallen und ihre Söhne kämpften an der Front.
Am späten Samstagnachmittag „besorgten“ die Zwillinge einen Blumenstrauß für die neue Vase. Das fiel ihnen nicht sonderlich schwer.
Nur zerkratzte sich Hans beim Überklettern der Zäune die Beine, und die Hose von Franz bekam einen langen Riss. Dessen jedoch nicht achtend schnitten sie in den lange vorher erkundeten Gärten halb erblühten Flieder ab und stahlen Tulpen.
Nun waren alle Vorbereitungen getroffen und die Brüder erwarteten ungeduldig den Muttertagmorgen.
Zeitig in der Früh schlichen sie in die Küche. Sie deckten den Tisch und stellten den überzuckerten Gugelhupf und die Vase mit den Blumen in die Mitte.
Die Seidenstrümpfe wickelten sie in Zeitungspapier und legten das Päckchen auf Mutters Platz.
Endlich kam Mama.
Die bisher von ihren Söhnen wenig verwöhnte Mutter war tief beeindruckt. Sie freute sich über den Gugelhupf, den Blumenstrauß und sogar über die kitschige Vase.
Die Seidenstrümpfe jedoch behandelte sie wie eine Kostbarkeit.
„Die Blumen habt ihr gestohlen“, schmunzelte sie, „doch wo habt ihr das Geld für die Geschenke her?“, wollte sie wissen.
Bei Gugelhupf und Tee erzählten die Buben von dem Zieselfang und den erhaltenen Prämien.
An diesem Tag, einem Muttertag in den Kriegsjahren, war die Mutter auf ihre zwei Buben besonders stolz – und die Kinder konnten sich nicht erklären, warum sie heimlich ein paar Tränen wegwischte.
Viele Jahre lang erzählte sie gerne von diesem wunderschönen Tag und ihre Augen leuchteten dabei glücklich auf.
I. H.