Beschreibung
Es war ein Tag der Fehler ? meiner Fehler.
Den ersten Fehler begann ich gleich am frühen Morgen. Ich hätte im Nachtlager bleiben und weiter mit dem Sandmann flirten sollen. Dann wären die weiteren Ereignisse nicht geschehen. Statt dessen erhob ich mich, reckte meine müden Glieder und wollte mich auf den Weg in eine der schönsten Städte Deutschlands machen. In ein Kleinod städtebaulicher Kunst mit ausgefeilter Architektur, netten kleinen Gassen und ausgiebigen Park- und Grünanlagen: Nach Duisburg.
Mein zweiter Fehler war nicht, wie gewohnt mit dem Automobil zu fahren. Ich wollte die deutsche Bahn benutzen. Etwas was ich bereits schon einmal bereute. Dennoch tat ich es. Tief in mir muss wohl ein Bundesbahn-Masochismus verborgen liegen.
Also begab ich mich zum Bahnhof ? dem wohl besten Platz eine Bahnfahrt zu beginnen. Begrüßt wurde ich bereits im Eingangsbereich von netten, jungen Herren ? bewaffnet mit Bierdosen in den Händen ? die Hosen die Kniekehlen umschmeichelnd. Obwohl ich mit der deutschen Sprache aufgewachsen bin war es mir nicht vergönnt die, auch deutsch klingende Verbalakustik zu verstehen. Verschiedene als deutsche Worte erkennbare Vokabulare ließen jedoch auf ein gewisses Gewaltpotential schließen.
Also entschloss ich mich diesen Ausdruck pubertierenden Anarchismus weitläufig zu umgehen und wandte mich dem Inneren des Bahnhofs zu.
Als ordentlicher Bundesbürger wollte ich selbstverständlich nicht ohne gültigen Fahrausweis die Bahn besteigen und wandelte zum entsprechenden Ticketautomat.
Mein zweiter Fehler an diesem Tag war von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen und statt dessen dem Weg zum Reisecenter zu wählen. Ich wollte mein Vermögen schmälern und im Gegenzug mein Wissen über eine Bahnverbindung nach Duisburg entsprechend erhöhen. Ich glaubte eine Beratung würde meine Fahrt verkürzen und Kosten sparen. Statt dessen fand ich Verhältnisse vor, welche der angeblich typischen englischen Vorliebe für Schlange stehen Lügen straft. Kein Engländer würde sich dies antun.
Ich stand in der Schlange und wartete bis die Reisewilligen sich mit ihren Gegenübern hinter dem Infoschalter Einigkeit über die Reisepläne erzielt hatten. Ich harrte einfach aus. Ich harrte sehr lange. Erst auf beiden Beinen, dann abwechselnd von einem Bein zum andern. Als beide unteren Extremitäten drohten ihren Dienst zu verweigern überlegte ich mir vielleicht ein drittes oder sogar noch viertes Bein wachsen zu lassen um die Ursprungsbeine zu entlasten.
Doch plötzlich war nur noch eine Dame vor mir ? dem Aussehen nach eine Hausfrau aus der pfälzischen Provinz. ?Was kostet die schnellste Verbindung nach München?? war ihr Begehr. ?65 ?? die kurze, prägnante Antwort. ?Und was kostet eine langsamer Verbindung?? ?40 ?, jedoch fahren Sie dann 2 Stunden länger?. Jeder normaldenkende Mensch hätte nun seine Wahl getroffen. Nicht jedoch diese pfälzische Hausfrau. Sie wollte für 40 ? die schnelle Verbindung, was ihr jedoch aus betriebswirtschaftlichen Gründen abgelehnt wurde.
Meine Beine wollten nur noch einknicken, als sie sich für die schnelle Verbindung entschloss.
?Was kostet ein Taxi zum Viktualienmarkt?? hörte ich nun voller Verblüffung. Nur ein beherztes ?Weiß ich nicht? der Service-Mitarbeiterin ließ mich von meinem bereits ins Auge gefassten Amoklauf Abstand nehmen. Ich erwarb meinen Fahrausweis und wollte bereits gehen. ?Möchten Sie einen Sitzplatz reservieren?? tönte es noch kurz. Dann, ohne dass ich eine Antwort geben konnte ? im gleichen Atemzug und Tonfall ?Nein, geht nicht, schon zu spät?. Warum hat sie mich eigentlich gefragt?
Nun auf zum Bahnsteig.
Mein dritter Fehler basiert auf meiner Leidenschaft für Zigarillos. Ich hatte noch 15 Minuten Zeit und wollte mir ein solches Lungenstäbchen gönnen. Mir war bekannt, dass auf Bahnhöfen ein nahezu lückenloses Rauchverbot herrscht und suchte somit den ausgewiesenen Platz für Raucher auf. Dieser erwies sich als ein Quadrat von etwa 10 qm, mit gelber Farbe auf den nassen Asphalt gepinselt. Hier tummelten sich ein Dutzend rauchender Menschen, rundum von militanten Nichtrauchern angefeindet. Diese hätten sich ja auch einige Meter entfernt aufhalten können ? jedoch hätten sie dann keine Grund für ihre Schimpfkanonaden gehabt. Irgendwie erinnerte mich dies gelbe Quadrat an die früheren gelben Judensterne.
Dann lief der ICE nach Duisburg ein.
Mein freundliches Wesen führte zu meinem vierten Fehler. Ich ließ den anderen Reisenden den Vortritt. Dies hatte zur Folge, dass ich mich mit einem Stehplatz begnügen musste.
Während ich neiderfüllt die sitzenden Fahrgäste anstarrte murrten meine Beine wieder und ich beschloss das alte ?von-Bein-zu-Bein-Spiel? wieder zu beginnen.
Vor mir stand im Gang eine junge Dame ? wohl eine Studentin. Hinter mir ein dicker kleiner Herr ? nach seinem Äußeren ein verarmter Versicherungsvertreter, bewaffnet mit einem Koffer und einem Regenschirm. Wohl auf der Flucht vor dem Gerichtsvollzieher; War mein erster Gedanke. Durch den penetranten Geruch, der von dem dicken Flüchtling ausging rutschte ich weiter vor in Richtung Studentin.
Diese sah dies als einen sexuell begründeten Annährungsversuch an und strafte mich daraufhin mit feindseligem Gesichtsausdruck. ?Ich will keinen Sex ? ich will nur in Ruhe nach Duisburg? wollte ich schon sagen, verkniff es mir jedoch. Mein Vorpreschen aus der Geruchsbelästigung, veranlasste den dicken Herrn jedoch zum Nachrücken. Nun sah ich mich zwischen den Herrschaften eingeklemmt. Zumindest wurden die bösen Blicke der Studentin durch ein freundliches Lächeln des Versicherungsvertreters kompensiert.
Dann fiel meine Aktentasche um, welche ich neben meinen geplagten Beinen abgestellt hatte. Sollte ich sie einfach liegen lassen und den großen Füßen des dicken Mannes schutzlos preisgeben. Nein ? das wollte ich nicht. ?Ich bin ein erwachsener Mann und kann mich bücken wann immer ich will? sagte ich zu mir selbst und bückte mich zu meiner Tasche.
Durch diese Bewegung kam ich mit meinem Gesicht automatisch in die Nähe der Sexualorgane der Studentin. Diese war hierüber nicht erfreut und kehrte sich einfach um. Hierdurch sah ich einen wohlgeformten Studentinnenhintern vor meinen Augen. Die Gedanken die nun über mich kamen hätten der jungen Frau sicher auch nicht gefallen.
Jedoch wurde ich unvermittelt wieder aus diesen Gedanken gerissen. Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer bewegte sich ebenfalls. Auf Grund dieser Aktivitäten richtete sich auch der Regenschirm des Herrn auf und zeigte mit seiner Eisenspitze direkt auf mein Hinterteil. Ich bin streng heterosexuell und wollte meine anale Entjungferung nicht durch einen Regenschirm erleben. Nicht in diesem Zug. Dann lieber als Sittenstrolch in die Analen der Deutschen Bahn eingehen.
Instinktiv rückte ich noch weiter vor und berührte dadurch notgedrungen der Studentin Jeans. Auch mein vorsichtig gesäuseltes ?Entschuldigung? bewahrte mich nicht vor dem bösesten Blick, den ich jemals von einer Frau zugeworfen bekam.
Ich richtete mich auf, klemmte meine Aktentasche zwischen meine Füße und rutschte langsam aber sicher zurück Richtung Körpergeruch. Als dieser nahezu unerträglich wurde wusste ich mich zumindest in Sicherheit vor der studentischen Rache.
Der Rest der Fahrt verlief glücklicherweise ohne weitere Ereignisse ? vielleicht stand ich auch kurz vor einer Ohnmacht und habe daher keine Ereignisse wahrgenommen.
Meine Heimfahrt erledigte ich wieder mit meinem Automobil. Hätte ich dies nicht besessen wäre ich wohl eher gelaufen als wieder die Bahn zu nehmen.