Es waren inzwischen einige Wochen vergangen.
Wieso eigentlich? dachte ich, als meine Mutter im Krankenhaus anrief und erklärte, dass Marcel zusammengebrochen war.
Es war ihm doch schon besser gegangen!! Nun lag er reglos auf unserem Teppichboden im Wohnzimmer und ich saß bei ihm und hielt seine Hand.
Mein Bruder kam die Treppe herunter gepoltert und schubste mich von Marcel weg.
Er schüttelte ihn heftig.
„Hey, Kumpel! Was ist denn los mit dir??“
Ich fiel nach hinten, auf meinen Po.
Schnell stand ich auf und lief zu Mum in die Küche.
Die legte gerade mit zitternder Hand, den Hörer auf und ging, ohne mich eines Blickes zu würdigen, zurück ins Wohnzimmer zu Marcel.
Ich schaute von der Tür aus zu, wie sie ihn behutsam auf das Sofa legte und Jake sich vor ihm auf den Boden fallen ließ.
„Hey Marci, komm wieder zu dir!“ flüsterte er verzweifelt.
Ich seufzte.
Ich musste mich nun daraus halten. Das wusste ich. Auch wenn ich nicht wusste warum.
Mum warf mir einen finstere Blick zu. „Geh auf dein Zimmer, Amy!“ zischte sie mit besorgten Blick zu Marcel.
Ich ging zur Treppe und warf noch mal einen Blick zurück ins Wohnzimmer. Dann huschte ich die Treppe hoch.
Nun saß ich weinend auf meinem Fensterbrett und schaute in die Regenlandschaft.
Von weitem sah ich, das Blaulicht, das nun immer näher kam.
Die Sirene wurde immer lauter.
Schließlich hielt der Krankenwagen vor unserem Haus und zwei Notärzte stürmten zur Tür.
Unten hörte ich wie Mum die Tür öffnete und beide herein stürmten.
Ich konnte mir bildhaft vorstellen, wie sie Marcel auf eine Trage legten und ihn in den Wagen luden.
Ich legte mein Gesicht auf meine Oberarme und weinte still weiter.
Der Regen draußen passte genau zu meiner Stimmung.
Als ob er es vorausgesehen hätte, dachte ich und schaute mit verweinten Augen wieder aus dem Fenster.
Wie ich erwartet hatte luden die beiden Notärzte Marcel auf einer Trage in den Krankenwagen.
Mum stand zitternd daneben.
Jake schaute von der Tür aus zu. Er schaute zu mir hoch und warf mir den finstersten Blick zu, den ich je von ihm zugeworfen bekommen hatte.
War das etwas meine Schuld, dass ihr unbedingt in Thailand Urlaub machen musstet?? dachte ich wütend und warf ihm einen wütenden Blick zurück.
Er schaute wieder zum Krankenwagen.
Nun warf der eine Notarzt die Türen zu und verriegelte sie, während der andere in den Fahrerraum, sich ans Steuer, setzte.
Der andere redete noch mit meiner Mum, bevor er sich auf den Beifahrersitz, dazu gesellte.
Damit fuhr der Wagen davon.
Ich schaute ihm lange nach.
Der Regen peitschte mir ins Gesicht, als ich die Straße entlang lief.
Ein großes Gewitter suchte unsere kleine Stadt heim.
Ich zog die, sowieso schon durchnässte, Regenjacke fester um mich und legte einen kurzen Sprint zum Wald ab.
Er war nun dunkler, als zuvor, aber immer noch war er der Zufluchtsort den ich jetzt genau brauchte.
Ich lief zwischen den Bäumen hindurch.
Ich wusste den Weg genau.
Der Wind lies die Bäume zu gruseligen Monstern werden und in dem hellen Licht der Blitze, die über den Himmel zuckten, sahen sie noch furchteinflößender aus. Aber das störte mich nicht.
Ich kannte diese Bäume nur zu gut.
Ich lief weiter durch den Wald.
Das Regenwasser vermischte sich mit meinen Tränen und tropfte von meinem Kinn.
Schließlich war ich da.
Das kleine Häuschen stand am selben Ort wie früher.
Hier war mein Zufluchtsort.
Ich öffnete die Tür, des Häuschens und schloss sie wieder hinter mir.
Da es so dunkel war, konnte ich kaum etwas sehen.
Ich rutschte auf allen vieren auf dem Boden herum.
Hier war doch irgendwo eine Kerze gewesen!!
Schließlich fand ich sie. Eine kleine weiße Kerze auf einem Ständer. Daneben lagen Streichhölzer.
Ich zündete sie an und wärmte mich an ihr.
Seltsamerweise war dies nicht mal nötig!
Es war auf einmal so warm hier.
Ich schlang beide Arme um meine Beine und starrte in die Flamme der Kerze.
Das Donnern des Gewitters, wiederholte sich ein paar mal. Darauf folgten weitere helle Blitze, worauf noch mehr Donnergrollen entstand.
Der Wind drückte gegen das kleine Fenster, dass neben der Tür war.
Ich schloss die Augen und dachte an....nichts.
Wieso konnte ich nicht einfach weg von hier? Fort von diesem schrecklichen Ort?
Ich seufzte und stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich ein schönes Leben hätte.
Ich stellte mir meine Mum vor, wie sie mich freundlich anlächelte.
Meinen Dad, wie er sich um mich sorgte. Meinen Bruder, wie er mir bei allem beistand, wie ein richtiger Bruder und Marcel, mein bester Freund.
Als das Bild bei Marcel angelangt war verwischte es. Ich schlug die Augen auf.
Was war das? Marcel war nur krank! Er würde wieder gesund werden!!
Oder?
Ich starrte in die Flamme der Kerze.
Nein, er darf nicht krank bleiben! Es ist nur eine Krankheit die vorbei geht!! Ich verdrängte diesen schlimmen Gedanken so gut es ging und dachte an die Schule.
Morgen war der Mathetest. Ich stöhnte.
Den hatte ich ganz vergessen gehabt! Und noch dazu hatte ich nicht gelernt!!
Ich seufzte und schaute wieder in die Flamme.
Der Mathetest war doch jetzt egal!!!
Oder?
Um mich herum war es dunkel. Nur ein kleiner Lichtstrahl schien von oben auf mich herab. Ich saß dort, hatte die Arme um meine Beine geschlungen und starrte in die Dunkelheit.
Mit langsamen Schritten trat Marcel aus der Dunkelheit direkt vor mir.
Ich schaute auf, in sein Gesicht.
Es sah fröhlich aus und sein Lächeln galt mir.
Nun streckte er seine Hand nach mir aus.
„Komm mit, ich will dir was zeigen!“
Ich schaute verwundert, nahm aber seine Hand und er führte mich in die Dunkelheit.
Auf einmal waren wir in einem dunklen Gang.
Am Ende des Ganges war ein helles Licht.
Es war.... wunderschön! Ich ging mit ihm auf das Licht zu.
Es zog mich so unwiderstehlich an, dass ich nicht stehen bleiben konnte. Meine Beine bewegten sich wie mechanisch weiter vorwärts, dem Licht entgegen.
Dann trat Marcel direkt vor das Licht und schaute mich an.
Ich blinzelte. Was war denn jetzt?
Marcel lächelte mich an.
„Willst du mitkommen?“ fragte er mit sanfter Stimme.
Ich regte mich nicht.
„W...wohin denn?“ stotterte ich.
„Dahin wo ich hingehe!“ sagte er lächelnd und hielt mir seine Hand hin.
Ich wusste nicht was er meinte.
„Du willst fort?“ fragte ich traurig. Tränen schossen mir in die Augen.
Er nickte und hielt mir immer noch seine Hand hin.
„Willst du mit?“
Ich zögerte. Ich konnte trotz der Tränen alles klar sehen.
Dann nahm ich langsam seine Hand.
Ich spürte wie er mich gerade mitziehen wollte, in dieses herrliche Licht, aber seine Hand begann sich aufzulösen. Ich starrte ihn an.
„Marcel!“ brachte ich mit zitternder Stimme heraus.
Er schaute zu mir und lies meine Hand los.
Er wurde immer durchsichtiger.
„Nein! Marcel!!“ rief ich und wollte ihn festhalten.
Aber es war schon zu spät. Er war verschwunden.
Und mit ihm, das herrlich helle Licht!
Schweißgebadet schreckte ich hoch.
Ich war anscheinend eingeschlafen gewesen und saß immer noch in der alten Jagdhütte im Wald.
Erschrocken schaute ich auf meine Armbanduhr.
Die Ziffern zeigten 6:59 Uhr.
Ich stand auf und nahm die, inzwischen herunter gebrannte, Kerze und stellte sie aufs Fensterbrett.
Dann öffnete ich die Tür und rannte raus in den Wald, zurück nach Hause.