Carlos Irrtum
gehört in die Reihe der direkten Konfrontation mit den Behörden. Es war zu Zimmermanns Zeiten, also in den Anfangsjahren. Zu den, mindestens einmal im Monat stattfindenden, Feten, zu denen jeder 7,-- Mark zu entrichten hatte und die Niederlassung der Rosenbrauerei das köstliche Nass zum GAP (Großhandelsabgabepreis/EVP -Einzelhandelsverkaufspreis) anlieferte. Üblich war auch, dass die Stimmung gegen 24 Uhr etwas lautstark wurde und der Hausmeister Zimmermann, der im gleichen haus logierte, fühlte sich verpflichtet die Funkstreife zu alarmieren. Da das Telefon im Nebenraum stand, wussten wir stets Bescheid, d.h. wir stellten uns und die Musik darauf ein. Aber trotzdem hielten es die uneingeweihten Besatzungen der Streifenwagen für erforderlich, die unangemeldete Feier zu kontrollieren. Carlo Scheder, der Heimratsvorsitzende, war allerdings schon empfangsbereit den Herren entgegengegangen und begrüßte sie in höflich besoffener Art. Als sein DPA verlangt wurde, wollte er von den Genossen der VP die Dienstnummer wissen. Einer der Dreiergruppe belehrte ihn : „ . . .Wenn sie weniger Westfernsehen kucken würden, wüssten sie, dass wir schon seit Jahren keine Dienstnummern mehr haben....“, es entlud sich eine allgemeine Heiterkeit und die Sympathie auf beiden Seiten war offensichtlich. Das Treffen ging klar an die Staatsmacht, aber seit dem wurden wir auch von direkten Besuchen und Kontrollen verschont, nur gelegentlich tauchte noch ein PKW auf dem Rollplatz auf ,um die Lautstärke zu kontrollieren, aber wir waren ja vorgewarnt. Rosenmontag, der 19.02.1996; eigentlich ungewöhnlich, aber ich sitze an meinem Schreibtisch in einem Baumarkt in Ilmenau und übertrage vergangene Ereignisse in den PC. Mein Blick fällt auf den Flockenwirbel, es ist doch der Baumarkt mit der besten Aussicht auf die gefälligen Wölbungen des Thüringer Waldes. Blick auf den Kickelhahn, schon der Altmeister Goethe hat hier Muse empfangen. Morgen bin ich wieder on Tour, ein Job der einem nicht gefallen kann, aber die finanzielle Sicherheit. . . Sonntag, den 03.03.1996; da hat mich damals wohl irgendwas unterbrochen, jedenfalls kam ich nicht zum Übertragen. Erneut gewöhn ich mich an das Kleinschreiben, aber es geht alsbald wieder flott von der Hand. Dem Winkler hab ich die ersten zwei Seiten zugefaxt, aber er reagierte nicht. Lutz schickte ich den gesamten Ausdruck, früher hieß das mal Andruck. Am Telefon war er begeistert, er hatte sich so etwas selbst mal vorgenommen und entschuldigte sich, dass er beim letzten Aufräumen, bei Muttern alle alten Dokumente weggeschmissen hat. Also eine positive, erste Resonanz. Vielleicht kann ich ein Buch fortschreiben, mit all seinen Reaktionen. Meinen Eltern offerierte ich gestern einen Auszug und sie wunderten sich über die technische Entwicklung der Schreibtechnik. Vater denkt, dass so viele Sekretärinnen arbeitslos geworden sind und Mutter reflektierte, dass so wohl die Schriftsteller arbeiten. Zu Lutz zurück, er hat seiner Freundin diese Erinnerungen gleich gezeigt, sie war vom „Bierfass“ begeistert. Lutz versprach spontan ein paar Gedanken beizusteuern, wenn er mal Zeit hat. . . Gleichzeitig gab er zu Protokoll, dass er nicht von Anfang an im Zimmer 4 gewohnt hat. Er war nicht zum Vorbereitungskurs, aber der Kurs wohnte auch nur im Clubraum. Er wohnte mit einem der alten Truppe in einem Zimmer und es war noch einer von den Neuen dabei, der Fahrrad fuhr und Gemüse besorgte. Der alte Herr trank immer Milch und war wohl nicht gesund, auf jeden Fall erinnere ich mich an die leeren Milchflaschen auf dem Fensterbrett. Sie standen ewig lang herum und das Zimmer war hinter Ollis Zimmer und ging zum Hof hinaus. Apropos Olli, der war ein Kapitel wert, weil er so überhaupt nicht in das Haus passte, ständig opponierte, aber er zog auch nicht weg. Olli war ordentlich, stets lernbereit, hatte keine Affären und war auch niemals blau. Jedenfalls hab ich es vergessen, weil es ein Bild von Ordnung und Akkuratesse verzerrt hätte. Er war Genosse und ihn konnte jeder ansprechen bei WiKo oder GeWi - Problemen. Er kam auch immer und beschwerte sich, wenn der Rollplatz infolge starker Stimmungsschwankungen ins wackeln kam. Er hat dem Zimmermann die wunden verbunden, die der bezog bei einer Prügelei anlässlich der Vernagelung seiner Wohnungstür. Er trug stets einen sauberen Haarschnitt und in seinem Gesichtsausdruck war ein dauerndes verlegenes Lächeln, im Grunde war er gut zu leiden. Klingt wie eine Grabrede, es war aber Onkel John, der als Erster starb. Kumpel Lutz denkt ich führte damals Tagebuch, aber es ist so, dass all diese Erinnerungen wieder auferstehen, indem ich schreibe. Die Personen treten aus dem Nebel der Vergangenheit und es ist wirklich so, als ob Olli grade vor mir stand und wie damals das Lächeln auf seinem schmalen Gesicht erschien. Noch zu Lutz, nicht zu verwechseln mit Lupo, er erinnerte sich spontan am Telefon an eine Klausur am Montag, die als Vorlesung in den ersten Stunden stets schlecht besucht war. Der Lektor brachte aufgrund seiner Erfahrungen etwa 30 vorgedruckte Blätter mit, die im sogenannten Ormigverfahren abgezogen wurden. Diese wertvollen Apparaturen wurden sicher aufbewahrt und jede Kopie musste registriert werden, denn es hätte ja einer Flugblätter für den Klassenfeind fertigen können. Zurück zum Klausur, der Mann trat an und im Hörsaal saßen 50 Studenten in Erwartung ihrer Klausur. Diese fiel aus und irgendwer beschwerte sich über den Lektor. Lutz erinnerte sich noch lebhaft, wie hart die Wiederholungsklausur ausfiel und da diese nur von den Betonköpfen(damals noch nicht im Sprachgebrauch, ihn brachte die Wende) geschrieben wurde, geht hier eine Erinnerung ein, die nie auf meinem Mist gewachsen wäre. Mein nächster Vorsatz kann also nur sein einen weiteren Kommilitonen in diesen Bausatz einzubeziehen, so dass eine mehrfach verwobene Geschichte entsteht. nach mehr als einem halben Jahrhundert ,am Ende eines Jahrtausends regestiere ich gleichzeitig, was aus den Träumen einer jungen Garde geworden ist und wir hatten Träume, egal in welcher Richtung. Politische Träumer waren darunter, bierseelige Träumer und philosophische, die ja manchmal Beieinanderliegen und an poetischen oder schlechthin Liebesträumern hat es kaum gemangelt.
Freitag, der 15.03.96; da geb’ ich mir ‚nen Schub und will wieder mal. Wird ja auch Zeit, aber so schnell geht die Zeit rum. Dem Walter hab ich den ersten, weiteren Ausdruck geschickt, aber er hält es nicht einmal für nötig zu reagieren. Also ich versuche ihn anzurufen, aber die Nummer hat sich geändert. So versuchte ich noch bei Winni zu fragen, aber der ist verzogen -- nach Lauchhammer. Dazu keinen Kommentar. . . Winkler hörte auch nicht und schon war ich mit meinem Latein am Ende. Früher haben die Verbindungen länger gehalten, selbst wenn es nur die telefonischen waren. Zwischendurch war ich ein Weekend in der Schweiz und über die Tage im Lötschental kann ich eine eigene Erzählung schreiben. Doch, das ist wie mit jungen und mit alten Wein, erst wenn er ein paar Jahre abgelagert ist, gewinnt er an Reife. Da hab ich auch ne Distanz zu dem Gewesenen und mit dem Zeitabstand die erforderliche Übersicht gewonnen. Eigentlich sind nicht nur Tage vergangen, sondern auch Nächte, doch wer reflektiert schon über Nächte und gar über vergangene. Ich habe registriert, wie ungewohnt zu manchen Zeiten Träume werden und wie reizvoll es wär’ diese niederzuschreiben. Es tauchen längst vergessene Gestalten wieder auf und leider ist es so, dass nach etwa einer Stunde (nach dem Erwachen) diese teilweise farbigen Bilder verblassen und im Unterbewussten verschwinden. Sie werden schlicht und ergreifend von den laufenden Tagesereignissen, die unsere ganze Aufmerksamkeit erfordern überlagert.