Kurzgeschichte
Der verärgerte Vampir

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"Der verärgerte Vampir"
Veröffentlicht am 05. Januar 2007, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Hermann Bauer, Jahrgang 1951, lebt in seiner Geburtsstadt München. Veröffentlichungen von Kurzgeschichten, Reisereportagen, Märchen und Lyrik in Büchern, Anthologien, Schulbüchern, Zeitschriften, Zeitungen und Kalendern. Sendungen im Rundfunk. Die Kurzgeschichten von Hermann Bauer zeigen großes Detailbewusstsein. Die Themen gehen über die Oberfläche hinaus. Hermann Bauer schreibt sanft und geht dabei liebevoll mit seinen Figuren um. Die ...
Der verärgerte Vampir

Der verärgerte Vampir

Der verärgerte Vampir

Christopher Lee, der König der Blutsauger, kniet, in einen schwarzen Umhang gehüllt, vor einer bildhübschen Blondine. Er öffnet seinen schaurig-charmanten Mund, und mit gierigen Augen stößt er seinem Opfer seine langen Eckzähne in den Hals...
Mir reicht es endgültig! Ich bekomme einen Wutanfall und ich fluche wie ein Rohrspatz. Verärgert schalte ich das Fernsehgerät aus. Mir kommen diese verlogenen Vampirschinken vor wie diese rührseligen Rühmann-, Ganghofer- oder Luis-Trenker-Heimatschnulzen. Die Wirklichkeit sieht eben anders aus! Ich weiß, was ich sage, denn ich bin selbst ein Vampir.
Es ist ein gewaltiger Irrtum, wenn man glaubt, Vampire an den großen Eckzähnen zu erkennen. Jeder Zahnarzt kann heute dieses Problem schnell lösen. Leider zahlen die Krankenkassen die Kosten dafür nicht. Eigentlich ein Skandal.
Mit der Knoblauch-Allergie ist es nicht so schlimm, wie manch einer annimmt. Die Pharmaindustrie hat sich längst auf die Probleme der Vampire eingestellt. Vampire lassen sich auch nicht mehr von einem Kruzifix vertreiben. Mit anderen Worten: Vampire sind gegen Knoblauch und Kreuze immun.
Viele wissen nicht, dass ungefähr acht bis zehn Prozent unserer Bevölkerung Vampire sind. Tagsüber tarnen sie die Tageslichtüberempfindlichkeit ihrer Augen mit einer dunklen Sonnenbrille bzw. einer Brille mit getönten Gläsern – was beweist, dass Vampire auch am Tag durchaus nicht in ihrem Sarg schlafen müssen.
Als Vampir altert man nicht. Das ist die positive Seite, ein Vampir sein zu dürfen. Die negative Seite: Der Freundeskreis stirbt weg wie die Fliegen.
Und nun zum Thema Blut: Von mir und auch von anderen Vampiren wird in der heutigen Zeit kein Mensch mehr gebissen, schon wegen der Angst vor Aids. Bei den ganz wenigen Fällen, die immer noch vorkommen, handelt es sich um Psychopathen. Die Blutbeschaffung geht einfacher. Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass Blutkonserven nur begrenzt haltbar sind. Die Krankenhäuser verkaufen kurz vor Ablauf der Gültigkeitsdauer zu Sonderpreisen ihr konserviertes Blut. Der Preis ist nicht höher als der, den man für einen guten Bio-Apfelsaft ausgibt. Teurer sind lediglich seltene Blutgruppen, die durchaus den Preis eines Champagners haben können. Aber man gönnt sich ja auch mal einen guten Tropfen!
Ich möchte keine Vampire outen, aber es gibt leider einige Wirtschaftsbosse und Politiker, die sind dermaßen widerliche Blutsauger, dass man sich manchmal schämt, ein Vampir zu sein. Gott sei Dank sind das nur Ausnahmen. Aber diese Typen bringen alle Vampire in Verruf.
Es gibt auch Gefahren für Vampire, zum Beispiel, wenn einem ein Holzpfahl in die Brust gestoßen wird, was immer zum Tode führt. Mit Entsetzen stelle ich fest, dass Neonazis seit neuestem auch Holzpfähle mitführen. Das jagt einem schon Angst ein.
Schockiert hat mich, als ich in der Zeitung den Beschluss des Deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVG) las, in dem es heißt: „Die Darstellung von Gewalt gegen menschenähnliche Wesen in einem Horrorfilm verstößt nicht gegen die grundsätzlich geschützte Menschenwürde.“ Das BVG betonte, dass der Gesetzgeber die Darstellung von Gewalt gegen menschenähnliche Wesen wie Vampire nicht unter Strafe stelle. Die Menschenwürde werde erst verletzt, wenn beim Betrachter eine Einstellung erzeugt werde, die den „jedem Menschen zukommenden fundamentalen Wertanspruch“ leugne. (Az: 1 BvR 698/89)
Viele fordern es – ich halte jedoch wenig von einem Coming-Out von Vampiren. Die Zeit ist noch nicht reif genug. Ich biete aber gerne Journalisten und Vampirologen in Zeitung, Rundfunk, Film und Fernsehen meine Mitarbeit an, um das Bild des „Grusel-Grafen aus Transsylvanien“ und des „Beißers und Fürsten der Finsternis“ zu korrigieren. Meine Adresse ist "mySTORYs" bekannt. Ich freue mich auf Ihre Zuschrift!

© by Hermann Bauer
Diese Geschichte ist aus dem Buch „Ein hungriger Bär tanzt nicht",
erschienen im Geest-Verlag. ISBN 3-937844-78-3
Illustration: Franziska Kuo.
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Über den Autor

Hermann
Hermann Bauer, Jahrgang 1951, lebt in seiner Geburtsstadt München. Veröffentlichungen von Kurzgeschichten, Reisereportagen, Märchen und Lyrik in Büchern, Anthologien, Schulbüchern, Zeitschriften, Zeitungen und Kalendern. Sendungen im Rundfunk.

Die Kurzgeschichten von Hermann Bauer zeigen großes Detailbewusstsein. Die Themen gehen über die Oberfläche hinaus. Hermann Bauer schreibt sanft und geht dabei liebevoll mit seinen Figuren um. Die Sinnlichkeit wird oft nur angedeutet, nicht ausgesprochen und liegt zwischen den Zeilen und in Bildern. Die Geschichten regen zum Nachdenken an und zeigen neue Wege. So erreicht der Autor durch seine beobachtende und leise Teilnahme beim Leser eine ruhige Stimmung und eine positive Lebenseinstellung.

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Apollinaris Lesen bei Tageslicht - Macht Spaß den Text zu lesen :)
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