Biografien & Erinnerungen
Nachruf für eine großartige Katze

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"Nachruf für eine großartige Katze"
Veröffentlicht am 19. April 2009, 14 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Nachruf für eine großartige Katze

Nachruf für eine großartige Katze

Gestern bist du gestorben. Heute ist der erste Tag ohne dich. Ich weiß, dass du nie wieder kommst, und trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, wie ab nun die Tage ohne dich verlaufen werden.
Draußen zwitschern die Vögel, die Sonne wird allmählich kräftiger, es wird bald Frühling. Das alles findet jetzt ohne dich statt. In den vergangenen Monaten ahnte ich, dass du beim nächsten Weihnachtsfest vielleicht nicht mehr unter dem Baum sitzen und mit dem Lametta spielen würdest. Du warst älter, dünner und zerbrechlicher geworden, und Deine ehemals langen Streifzüge nach draußen beschränkten sich immer mehr darauf, vor die Terrassentür zu gehen und das Wasser aus den Pfützen zu lecken. Doch insgeheim hatte ich gehofft, dass es dir besser gehen würde, wenn erst der Frühling da wäre.
In den letzten Tagen warst du so schwach geworden, wenn du aus deiner Wasserschale trinken wolltest, konntest du dich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Und trotzdem bist du selbst bis zum letzten Tag immer brav auf dein Katzenklo gegangen, wenn ich nicht der Nähe war, um dich hinein zu heben. Das muss ungeheuer anstrengend für dich gewesen sein. Allein daran zu denken, tut mir so unendlich leid.
 
 
Ich wusste natürlich, dass du nicht ewig bei mir bleiben würdest; ein Katzenleben währt nun einmal kürzer als ein Menschenleben. 18 Jahre und 4 Monate bist du alt geworden, davon hast du 18 Jahre und 2 Monate bei mir verbracht.
Als ich dich das erste mal gesehen habe, warst du 4 Wochen alt. Im einem Nest aus Stoff lagen drei niedliche kleine Katzenkinder, nur von der Mutter, einer wunderschönen weißen Perserkatze, war nichts zu sehen. Sie tauchte kurze Zeit später auf, zusammen mit dem vierten Katzenkind, das ausgebüxt war und das sie wieder einsammeln musste. Damit war klar: Den frechen kleinen Ausreißer, den nehme ich.
Im Alter von 8 Wochen bist du dann zu mir gekommen. Da warst du 600 Gramm schwer, weiß-rot gemustert und bereits mit all dem Selbstbewusstsein ausgestattet, das du auch später immer wieder an den Tag legen würdest. Und mit dem hast du Deine neue Umgebung sofort in Besitz genommen. Benannt nach einem literarischen Vorbild hast du von da ab mein Leben begleitet. Ich habe mich gefragt, ob ein so kleines Kätzchen nicht seine Mutter und Geschwister vermisst. Doch wer weiß schon, was eine Katze fühlt?

Alle meine Umzüge hast du klaglos mitgemacht, und hast dich jedes mal sofort in Deiner neuen Umgebung zurechtgefunden. "Ein Hund geht mit dem Menschen, eine Katze gehört zum Haus", sagte meine Mutter immer. Eine von diesen Weisheiten, die vielleicht sowieso nie gestimmt haben. Du jedenfalls bist von der Vorstadt mitgekommen in die Großstadt. Daran gewöhnt, nach draußen zu gehen und Deine Freiheit zu haben, konnte und wollte ich dich nicht im dritten Stock einsperren. Und so bist du morgens, wenn ich zur Arbeit ging, drei Treppen mit mir hinuntergegangen, zur Hintertür hinaus spaziert in die zusammenhängenden Hintergärten des Blocks, und konntest Deiner Wege gehen. Kam ich abends zurück, brauchte ich dich nur zu rufen, und du kamst wieder mit hoch in unser gemeinsames zu Hause. Ich glaube, selbst für eine Katze hast du da Bewundernswertes geleistet.  
 
Als wir später aufs Dorf zogen, hattest du zunächst Hausverbot. Mein menschlicher Freund, Besitzer dieses Anwesens, war der Auffassung, dass Tiere nicht ins Haus gehören. Du durftest dich im Garten aufhalten, und - als großzügiges Entgegenkommen - im Flur und im Keller. Doch Deinem Durchsetzungsvermögen hatte er auf Dauer nichts entgegenzusetzen. Mit Beharrlichkeit hast du dir Stück für Stück das Aufenthaltsrecht in allen Räumen errungen, und dich auf leisen Pfoten auch in sein Herz geschlichen. Du selbst hast das geschafft, ich hätte nie so überzeugend sein können wie du.

Die Winter hast du mit uns im Haus verbracht, im Sommer warst du fast nur draußen. Manchmal, um auf der Wiese vor dem Haus zu dösen, manchmal, um für Stunden zu verschwinden und erst zu deinem Frühstück oder Abendessen heimzukehren. Wenn du überfällig warst, dachte ich mit mulmigem Gefühl an die Gefahren, die auf dich lauern könnten - fahrende Autos, Begegnungen mit Hunden, mit stärkeren Artgenossen, oder womöglich warst du irgendwo versehentlich eingeschlossen und konntest dich nicht selbst befreien? Ab und zu bist du etwas lädiert wieder aufgetaucht, einmal schwarz vor Ruß. Ich weiß nicht, welche Abenteuer du zu bestehen hattest, und wie viele deiner Leben du dabei aufgebraucht hast. Auf jeden Fall waren es weniger als neun, denn du bist doch immer wohlbehalten von deinen Freiluftabenteuern zurückgekommen. Du hattest dein ganz eigenes Leben, von dem ich nur wenig weiß, und du hast es souverän gemeistert.

Du warst eine außergewöhnliche, untypische Katze. Nie bist du mit einer Maus heimgekehrt oder hast einen Vogel gefangen. Insgeheim war ich froh darüber, so konnte ich gegenüber der Tierwelt im Garten ein weniger schlechtes Gewissen haben. Aber du wusstest, wie man eine Straße überquert, ohne von einem Auto überfahren zu werden. Als ich für einige Zeit beruflich in eine fremde Stadt musste und nur an den Wochenenden zu Hause war, hast du das Aufenthaltsproblem selbst gelöst und kurzerhand die 80jährige Nachbarin adoptiert. Sie hat Stein und Bein geschworen, dass du freitags abends in ihrem Wohnzimmer vor der Terrassentür gesessen und zu uns hinüber geschaut hast, darauf wartend, dass ich bald zurückkomme. Ihr Haus war von da an dein zweites zu Hause. Als sie vor einigen Jahren starb, stand dein Name neben unseren mit auf ihrer Grabschleife.

Du wusstest immer genau, wo du im Weg bist, und genau da hast du dich hingelegt. Wenn ich eine Zeitung auf dem Boden ausgebreitet hatte, so besaßest du das Talent, dich genau auf den Artikel zu setzen, den ich gerade lesen wollte. Manchmal fand ich dich morgens schlafend im Waschbecken vor, manchmal hast du dich im Küchenschrank unter der Spüle versteckt. Mit Fantasie hast du immer neue Streiche ausgeheckt. Du hast dich in aller Seelenruhe von meiner kleinen Nichte im Puppenwagen durch die Gegend kutschieren lassen. Blieb eine Freundin über Nacht, dann hast du dich durch den halb-offenen Reißverschluss in ihre Tasche hinein geschmuggelt, gespannt darauf, ob wir dich dort wohl rechtzeitig finden. Es war, als wolltest du uns zum Lachen zu bringen, und oft sah ich auf deinem Gesicht einen Ausdruck, als sei dir gerade eine wirklich gute Pointe gelungen. Wer kennt schon den Humor einer Katze?

Auf Deine leise Art hast du immer durchgesetzt, was du wolltest. Beharrlich und gewitzt bist du an dein Ziel gekommen, und so manches mal auch mit dem für dich so typischen Ich-bin-ein-armer-Waisenknabe-Blick. War dir dein Futter nicht genehm, konnte es passieren, dass du lieber einen Spaziergang nach draußen unternommen hast. Eine Weile später bist du wieder aufgetaucht, hast dir die Lippen geleckt und Vorderpfoten und Mäulchen geputzt. Ich rätsele bis heute darüber, wer dich wohl mit Leckereien versorgt hat. Geradezu genial war es, wie du deinen Gastgeber ausgetrickst hattest, bei dem du - ich musste mal wieder für den Beruf auf Reisen gehen - für eine paar Tage untergebracht warst. Du durftest nicht im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen, aber genau das wolltest du unbedingt. Er hat gestaunt, als er abends nach Hause kam, und du dich gähnend, aber triumphierend von eben jenem Sofa erhoben hast, wo du eigentlich unmöglich hättest sein können. Eine Katze, die weiß, was sie will, darf man nicht unterschätzen.

Deine kleinen Streiche waren immer witzig und nie boshaft. Du schienst viel mehr zu verstehen, als man gemeinhin einer Katze zutraut. Einmal warst du über Nacht versehentlich im Arbeitszimmer eingesperrt. Als ich dich am nächsten morgen dort fand, bis du eilig zwei Stockwerke tiefer zu deinem Katzenklo gerannt. Du Ärmster musst es dir die ganze Nacht über verkniffen haben. Wenn ich in Urlaub fuhr, so konnte ich dich problemlos für eine Weile bei Freunden unterbringen. Auch dort bist du draußen durch die Umgebung spaziert, und warst pfiffig genug, immer zu wissen, welches gerade dein aktuelles zu Hause ist, wohin du zurückkehren musstest. Obwohl du so frech und selbstbewusst warst, warst du auch unkompliziert und genügsam. Es war, als würdest du dir geradezu Mühe geben, deinen Menschen das Zusammenleben mit dir leicht zu machen.

Allein weil du da warst, war die Welt in Ordnung. Sie war es auch dann, wenn du gerade nicht bei mir warst, denn ich wusste, du bist in der Nähe und kommst bald zurück. Warst du im Haus, dann hast du dich immer in dem Zimmer aufgehalten, in dem sich einer von uns Menschen befand. Wenn du dich in meinem Arbeitszimmer zum Schlafen zusammengerollt hast, war es unmöglich, in Hektik auszubrechen oder so etwas wie Stress zu empfinden. Wenn du auf meinen Schreibtisch gesprungen bist, um dort mit den Radiergummis Pfotenfussball zu spielen, dann war das einfach komisch. Hatte ich erst einmal angefangen, deine Ohren zu kraulen, konntest du nie genug davon bekommen. Wenn du dich auf meinem Schoß ausgebreitet hattest, um dort für eine Weile zu schnurren, dann war das besser als zehn Yoga-Workshops.    

Deine Selbständigkeit, deinen Gelassenheit, deine Unabhängigkeit habe ich heimlich bewundert und mir zum Vorbild genommen. Ich sehe dich in Gedanken vor mir, du schaust mir direkt in die Augen, alle vier Pfoten fest auf der Erde, den Schwanz hoch aufgerichtet, die Spitze ganz leicht abgeknickt, und mit Maunzen und Gesten redest du mit mir. Und ich wusste immer genau, was du mir sagen willst. Wenigstens glaubte ich das - aber vielleicht war das nur eine Täuschung, und in deinen Augen war ich der begriffsstutzige Zweibeiner. Wer weiß schon, was eine Katze denkt? Doch du musst mich auf deine Weise gemocht haben. Du bist immer wieder zu mir gekommen, warst bereit, dein Leben mit mir zu teilen. Vielleicht hast du ebenso an mir gehangen, wie ich an dir. Du hast auf deine Art so unglaublich viel für mich getan, dass ich dir diese Zeilen einfach schuldig bin.  

Deine Anwesenheit ist für mich so selbstverständlich geworden. Ich kann gar nicht anders, als ständig an dich denken. Es gibt keinen Winkel in Haus oder Umgebung, den du nicht irgendwann einmal zu deiner Schlafstelle erkoren hast, keinen Gegenstand, der nicht irgendwie an dich erinnert. Wenn ich morgens aufwache, erwarte ich jeden Moment ein energisches "Mau", mit dem du mich an dein Frühstück erinnern möchtest. Stehe ich hinter der Haustür, dann schaue ich unwillkürlich nach, ob vor der Scheibe dein Katzenkopf auftaucht und du hereingelassen werden möchtest. Weil du nicht da bist, verspüre ich den Impuls, hinauszugehen und dich laut zu rufen - doch rechtzeitig fällt mir ein, dass du nicht kommen wirst, nie wieder. Wenn ich an dem Laden vorbeikomme, in dem ich immer das Futter für dich besorgt habe, kriege ich Beklemmungen. Warum nur habe ich dir nicht viel häufiger das teure Futter gekauft, das du doch lieber mochtest? Wenn ich im Keller Deine Futterschalen und Deinen Transportkorb sehe, dann erscheinen sie mir wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit. Dabei war es erst gestern, dass du fortgegangen bist.  

Das ist nun mal das Leben, irgendwann geht es zu Ende - sagt mein menschlicher Freund. Ja, doch, ich sage es mir auch selbst, das ist nun mal der Lauf der Dinge. Und trotzdem ...   Ich kann mich nicht mehr darauf freuen, abends nach Hause zu kommen, denn du stehst nicht mehr an der untersten Treppenstufe, um mich zu begrüßen. Das Haus ist leer und still ohne dich.

Kleiner Freund Francis, ich hoffe so sehr, dass du ein glückliches, interessantes, schönes Katzenleben hattest. Mit dir ist eine Ära zu Ende gegangen.

Ohne dich fehlt einfach etwas.  
 
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