Romane & Erzählungen
Die traurige Geschichte vom gewöhnlichen Günter

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"Die traurige Geschichte vom gewöhnlichen Günter"
Veröffentlicht am 06. April 2009, 8 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man ...
Die traurige Geschichte vom gewöhnlichen Günter

Die traurige Geschichte vom gewöhnlichen Günter

Günter war stocksauer – und wie. Konstant wutschnaubend stand er im Bad und fletschte vor lauter negativer Erregung die blutig rot gefärbten Zähne. War sicher keine allzu gute Idee, direkt nach dem Aufstehen das Zahnfleisch zu kämmen, dachte Günter, aber ach, immerhin war das alles andere als gewöhnlich. Und vom ewigen Fluch des Gewöhnlichseins, den ein jedes Mitglied der Durchschnittskaste durchzumachen verpflichtet zu sein schien (Was ein Satz, dachte Günter bei dem Gedanken immer mal. Was ein Satz!), hatte er die Schnauze gestrichen voll - derzeit zwar eher voll Blut, aber das tat im Grunde nichts zur Sache. Es ging schließlich ums Prinzip.

Dass er und sein Leben allenfalls unterer Durchschnitt, wenn nicht sogar gerade mal der Kaffeesatz waren, musste man Günter nicht erst ins Gesicht sagen. Denn das erkannte er selbst nur zu gut: Halbglatze, gespickt mit unappetitlichen Leberflecken, die sich scheinbar dazu anschickten, möglichst penetrant das Wort Verlierer in geschwungen kursivem Druck abzubilden, ausdauernde Schweißflecken in jeder Lebenslage, ein braves Ja-Sager-Gemüt, das man tagsüber, offensichtlich gewollt unbeachtet, zum Zwecke routinierter Fingerakrobatik im Cubicle inmitten eines Großraumbüros einpferchte und zu alledem intellektuell völlig untragbar. Warum also mussten Frauen ihm bei jedem fruchtlosen Blind Date ausgerechnet aus diesem Grund eine watschen? Konnten die sich nichts anderes einfallen lassen? Und dieser cholerische Boss erst! Gewöhnliche Günters bekommen eben keine Gehaltserhöhung. Dafür bekommen gewöhnliche Günters einen Extratisch in der Firmenkantine. Immerhin.

Je mehr Günter sich seiner Frustration diesbezüglich hingab, desto entschlossener wurde er in seinem am Vorabend ersonnenen Bestreben, einfach alles vollkommen anders zu tun, als andere es eben taten. Klar, anfangs war es etwas schwergängig, zum Frühstück rohe Eier aus dem Glas zu trinken, aber nach dem dritten, so hatte Günter festgestellt, war die Speiseröhre offenbar gut genug geweitet. Gerade war er dabei, das achte Ei herunterzuwürgen, als der Eierkocher ihn darauf hinwies, dass der Orangensaft fertig war. Hastig schlürfte Günter das brodelnd heiße Gesöff direkt aus dem Kocher, dabei vor Gram schmerzresistent ignorierend, dass der kochende Saft jegliches Vorhandensein von Schleimhaut in seinem Mund elegant eliminierte. Es musste eben schnell gehen. Das Büro rief.

Gerade war Günter erfolglos dabei, seinen Anzug mit der Hand vom Mief des Vortages zu befreien, als er sich entschied, dass Anzüge eigentlich überflüssig, da viel zu gewöhnlich, waren. Wozu überhaupt Kleidung tragen? War eigentlich alles nur Gewohnheitskram. Er würde einfach so erscheinen, wie Gott ihn geschaffen hatte (der Arsch, dachte Günter bei Gelegenheit). Okay, die Etikette schrieb eigentlich eine Krawatte vor. Die könnte man ja schon tragen, dachte Günter. Dann aber auf dem Rücken. Ein passendes Exemplar mit rückenhaarbetonendem Muster war schnell gefunden. Noch lag Günter bestens in der Zeit.

Jetzt blieb nur noch zu überlegen, wie er sich die Schrotflinte umhängen sollte, mit der er heute gedachte, seine Arbeit zu verrichten. Ach was, er würde sie einfach in die Hand nehmen und die Aktentasche daheim lassen. Die benötigte er so oder so nicht. In einem Cubicle konnte man schließlich nichts anderes tun, als irgendwie Wissen und Kompetenz vortäuschend, auf der Tastatur herumzuhacken. Alles viel zu gewöhnlich. Stattdessen hatte Günter sich fest vorgenommen, ein paar jener ungewöhnlichen Kollegen abzuballern, die ihn jetzt noch immer gewöhnlich erscheinen lassen könnten. Allein beim Gedanken an diese Gestalten hätte Günter sich das Kopfhaar raufen können, wäre selbiges nicht chronisch auswärtig gewesen. Wenig galant drehte er gerade die Krawatte auf den Rücken, da platzte vor lauter Wut und Erregung eine Ader in seinem Gesicht und hinterließ einen hässlich bläulichen, geschwollenen Fleck. Auch das noch. Jetzt würde er der Welt erst recht zeigen, wie ungewöhnlich er war. Wär doch gelacht!

Fast hätte er die Haustür zugeworfen, um mit nackten Füßen patschend zum Lift zu watscheln, als dem ungewöhnlichen Günter auffiel, dass auch der Lift eigentlich schon wieder zu gewöhnlich war. Er würde einfach die Wand hinab laufen. So wie dieser bunte Comictyp, der sowas wie eine Spinne war, welcher man vier Beine ausgerissen hatte. Niemand hätte den schließlich als gewöhnlich bezeichnet. Ach was, noch besser. Günter würde einfach durch die verdammte Luft zum Büro laufen. Die Luftlinie war immerhin die kürzeste, dachte er mit aller Logik, die sein sparsames Hirn hergab und tat den ersten Schritt aus dem Fenster.

Die Luft selbst war noch nicht so ganz wach und deswegen nicht wirklich auf Günters Idee vorbereitet, sonst wär das Debakel vielleicht anders ausgegangen. Etwas perplex überlegte sie, was zu tun sei, als Günter leider auch schon auf dem Beton aufklatschte. Zwanzig Stockwerke hinterließen eine ziemliche Sauerei auf der Straße, zumal Günter ausgerechnet in dem Moment aufkommen musste, als Sabine, die auf dem Weg war, ihren Ehemann mit einem knackigen Spanier zu betrügen, direkt unter ihm stand. Das gibt doppelt so viel Matsch wegzuwischen, dachte die Luft und stellte im Zusammenhang mit Sabine beruhigt fest, dass Gott kleine Sünden scheinbar doch sofort bestraft. Die Dinge hatten also wieder ihre Richtigkeit. Darauf pfiff die Luft gut gelaunt einen frischen Wind durch die müden Straßen.

Im Großraumbüro wäre derweil ein Arbeitsplatz frei geworden. Doch die Kündigung wartete heute vergebens auf Günter. Und so hatte man direkt im Anschluss an die Nachricht von seinem Tod beschlossen, in seinem Cubicle eine nette Kaffeeecke mit frischen, bunten Blumen einzurichten. Auch in der Kantine stand alles zum Besten, war doch für die gerade neu eingestellten Kollegen unerwartet ein ganzer Tisch freigeworden. Einzig Heinz von der Stadtreinigung fand, dass der Tag ziemlich beschissen begonnen hatte.
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Über den Autor

PhanThomas
Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man trifft mich stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge an. Das scheint auf manche Menschen dermaßen gruselig zu wirken, dass die Plätze in der Bahn neben mir grundsätzlich frei bleiben. Und nein, ich stinke nicht, sondern bin ganz bestimmt sehr wohlriechend. Wer herausfinden will, ob er mich riechen kann, der darf sich gern mit mir anlegen. ich beiße nur sporadisch, bin hin und wieder sogar freundlich, und ganz selten entwischt mir doch mal so etwas ähnliches wie ein Lob. Nun denn, genug zu mir. Oder etwa nicht? Dann wühlt noch etwas in meinen Texten hier. Die sind, äh, toll. Und so.

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PhanThomas Re: Schon wieder genial, -
Zitat: (Original von LadyLy am 06.04.2009 - 19:43 Uhr) ich bin und bleibe begeistert von deinen Geschichten, und von deiner bösen Art. Das ist wieder so genial, vor allem deine Beschreibung der Luft hat es mir angetan.

Absolut gelungen - Wie immer eigentlich :)

Eine faszinierte Ly

Hallo Lychen,

die Luft? Na ja, ich brauchte ja einen Ãœbergang. *g* Und die Geschichte war abstrus genug. Da tat auch die Luft nichts mehr dazu. ;-)

Vielen Dank dir.

Liebe Grüße
PhanThomas
Vor langer Zeit - Antworten
LadyLy Schon wieder genial, - ich bin und bleibe begeistert von deinen Geschichten, und von deiner bösen Art. Das ist wieder so genial, vor allem deine Beschreibung der Luft hat es mir angetan.

Absolut gelungen - Wie immer eigentlich :)

Eine faszinierte Ly
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: :-(((((((( -
Zitat: (Original von Himmelskind am 06.04.2009 - 19:35 Uhr) oh je...

klasse text....

Hallo Birgit,

vielen Dank. :-) Hab nicht zu viel Mitleid mit Günter. Der ist nur ein Hirngespinst von mir. ;-)

Liebe Grüße
PhanThomas
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Der ganz ... -
Zitat: (Original von Gunda am 06.04.2009 - 15:00 Uhr) ... alltägliche Wahnsinn derer, die die Arschkarte gezogen haben (ich nehme an, darauf bezieht sich dein genial zum Text passendes Titelbild).

Wieder mal fantastisch aufgebaut, Thomas. Die ersten vier Absätze verlocken dazu, laut aufzulachen - ein bisschen beschämt, weil man ja eigentlich Mitleid haben müsste mit dem gewöhnlichen Günther, aber man kann gar nicht anders, wenn du solche Sachen raushaust wie die Krawatte mit dem rückenhaarbetonenden Muster ...

Und dann bleibt einem das Lachen im Halse stecken, spätestens bei der Episode mit der Schrotflinte ...

Die ganzen kleinen Spitzen, die du mit deinem feinen Sarkasmus versteckt hast (... beschlossen, in seinem Cubicle eine nette Kaffeeecke ... einzurichten) entdeckt man z.T. erst beim zweiten Durchlesen, was ich hiermit jedem Leser nur wärmstens ans Herz legen kann.

Sagte ich schonmal, dass deine Texte ein GEnuss sind? Ich sagte es schonmal ... aber ich wiederhole mich gerne, auch wenn es wie GEsülze klingt.

Lieben Gruß
Gunda

Hallo Gunda,

ein bisschen Gesülze tut doch immer gut. ;-) Nein, im Ernst, ich freu mich, wenn dir mein Text gefällt. Ich lege wirklich viel Wert auf deine Meinung! Die Sache mit der Flinte, nun, ich weiß, dass die grenzwertig ist. Aber ein bisschen provokativ sollte der Text eben doch sein. Und letztlich sind Leute, die von der Arschkarte betroffen sind, ja schon ziemlich vom Ärger zerfressen. Aber ach, das soll keine Rechtfertigung sein. Ist ja schließlich auch alles gut ausgegangen (außer für Heinz). ;-)

Liebe Grüße
PhanThomas
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Hallo PhanThomas, gekonnt sarkastisch, -
Zitat: (Original von Phantasus am 06.04.2009 - 12:57 Uhr) ich hoffe, es ist in Deinem Sinne, dass ich der traurigen Geschichte vom gewöhnlichen Günter wünsche, dass sie gewöhnungsbedürftig bleibt.
Liebe Grüße von Phantasus

Hallo Phantasus,

freut mich, dass du die Geschichte vom gewöhnlichen Günter gewöhnungsbedürftig findest. Vollste Absicht. ;-) Manchmal überfällt mich einfach das Abstruse in mir, so wohl gestern geschehen.

Liebe Grüße
PhanThomas
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Der ganz ... - ... alltägliche Wahnsinn derer, die die Arschkarte gezogen haben (ich nehme an, darauf bezieht sich dein genial zum Text passendes Titelbild).

Wieder mal fantastisch aufgebaut, Thomas. Die ersten vier Absätze verlocken dazu, laut aufzulachen - ein bisschen beschämt, weil man ja eigentlich Mitleid haben müsste mit dem gewöhnlichen Günther, aber man kann gar nicht anders, wenn du solche Sachen raushaust wie die Krawatte mit dem rückenhaarbetonenden Muster ...

Und dann bleibt einem das Lachen im Halse stecken, spätestens bei der Episode mit der Schrotflinte ...

Die ganzen kleinen Spitzen, die du mit deinem feinen Sarkasmus versteckt hast (... beschlossen, in seinem Cubicle eine nette Kaffeeecke ... einzurichten) entdeckt man z.T. erst beim zweiten Durchlesen, was ich hiermit jedem Leser nur wärmstens ans Herz legen kann.

Sagte ich schonmal, dass deine Texte ein GEnuss sind? Ich sagte es schonmal ... aber ich wiederhole mich gerne, auch wenn es wie GEsülze klingt.

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Phantasus Hallo PhanThomas, gekonnt sarkastisch, - ich hoffe, es ist in Deinem Sinne, dass ich der traurigen Geschichte vom gewöhnlichen Günter wünsche, dass sie gewöhnungsbedürftig bleibt.
Liebe Grüße von Phantasus
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