Dunkelheit
Eigentlich müsste sie etwas Schönes oder Bewahrendes an sich haben, weil - sie ist ja weiblich.
Genauso schwer, ‘was über Nichts zu schreiben, denn außer Nichts hat sie nicht viel.
Doch sie war mein Begleiter, sie hat mich erfreut und geängstigt, mein Verhältnis zur Dunkelheit war ambivalent. Erwachsene hatten an der Verteufelung ihren Anteil, alle sagten ihr Bedrohliches nach. Der böse, schwarze Mann, der Teufel und andere Fantasiegestalten kamen mit ihr - kamen nachts. Ich war allein, wenn es Nacht wurde.
Keiner war da. Die Räume wurden groß und unergründlich. Das Nichts füllte ich mit schaurig Unbekanntem, wenn mal wer wen erschrecken wollte, führte er ihn auch in eine dunkle Stelle, wo irgendetwas Unerwartetes auf ihn wartete. Sicher, gedacht hat sich Keiner etwas dabei - Kinder sind grausam und wer, außer den Großen, wusste schon ‘was von der Furcht.
Außerdem, Jungen waren tapfer und furchtlos. Meine Furcht wurde in der eigenen Fantasie geboren und immerwährend gespeist. Noch heute verfolgt mich das Etwas im Nichts. Die Wände der Zimmer, in denen ich schlief, wichen auseinander und mein Bett schwebte in der Leere. Mit den Märchen und Geschichten vermischte sich ein beginnender Traum und in Gedanken quirlte ich Gestalten hinein, die möglicherweise auftauchen könnten. Wie ist so etwas Realität geworden, aber da ich sehr intensiv in Filmen und Gelesenem fühlte, transponierte ich potentielle Gefahren dazu - der Schauder war sicher so, wie ein überstarkes, emotionales Moment. Solchen Umgang müsste man lernen, wie Schreiben und Lesen.
Psychologische Dinge und der Umgang damit müssten gelehrt werden.
Trauer kam mit dem Dunkel und die Sehnsucht nach Nähe wurde unendlich, zugleich unerfüllbar. Nähe war auch so etwas, was unter Top Secret fiel.
Nur hinter geschlossenen Türen lief Nähe ab und Zuneigung zu zeigen war damals noch nicht „in“. Wie stark mein Wunsch nach Nähe war, die ich aber nie vorgelebt bekam und deshalb auch nicht als wichtig wertete, erkenne ich erst in der Rückschau und aus den Texten, die ich als sogenannte Gedichte von 1969 - 1974 schrieb.
Was tut man nicht alles, nur der Zuwendung wegen. Ich wollte immer geliebt sein. Auch Bewunderung lag mir nicht fern und ich hab’ viel getan, selbst Ängste überwunden, um Andere zum Applaus zu bewegen.
Clownerie, Verstellung, Anbiederei - unbewusst tat ich’s, aber heut’ sehe ich es durch den Spiegel der „Rücksicht“ sehr viel klarer. Andere nachahmen, Freunde verspotten - Ideen in jeder Tragweite, nur dafür, dass... Schön waren sowieso nur Mädels, also war ich sauer auf sie, immer waren die Anderen die Sieger, das trieb mich zur Seite, ich hatte weniger und keinen, der mir zu Hilfe kam. In der Dunkelheit kam auch die Stille, da saß ich mit meiner Sehnsucht. Sie war mir Mantel und Gefängnis, in ihr gab es Alles und Nichts. Außerdem - schlecht Sehen war gar nicht so weit vom nicht Sehen entfernt. Dabei ist die Bäckerparabel so einfältig, wie weise: „ Was man nicht sieht, das fühlt man.“
Nacht kam zum Wald, schwarz war tief und sich fallen lassen, das habe ich erst mit 35 gelernt. Verflucht sei die Prädikatisierung und die altväterliche Zuordnung noch vor einer Generation, die in meiner überstarken Gedankenwelt so manchen Unsinn angerichtet hat.
Ein Traum, der, der vergangenen Nacht hat mich unruhig gemacht. Nicht wie sonst immer vergehen die konkreten Bilder am Morgen. Da war ein Unfall. Mein Auto fuhr über ein anderes, das auf meiner Spur aus ungeklärten Gründen mir entgegenkam. Ohne Widerstand rollte ich über das Fahrzeug, fuhr weiter und hielt dann etwas später, um mir meinen Schaden zu besehen. Mit keiner Silbe dachte ich an mögliche Unfallfolgen vor Ort. Erst beim Beschauen des kaputten Frontpartie dachte ich daran, dass ich am Platz des Geschehens noch verbleiben müsste. Zu spät! Gewissensbisse machten sich breit. Angst vor den Folgen der falschen Handlung. Dann wachte ich auf und dachte immer noch an des Erlebte. Noch nie habe ich einen solchen Vorgang erlebt. Woher kommen die Bilder? Vermischt sich Filmisches mit Realem? Unklar. Ein Tag beginnt und der Schatten der Nacht weicht oder wird von Notwendigkeiten verdrängt.
Plötzlich kommt mir ein Einfall. In einer Reportage des Fernsehens am Abend verfolgte ich einen Bericht über das unfreiwillige Wechseln der Spur von Passanten eines Schweizer Tunnels. Eine Wasserader baute ein Magnetfeld auf und alle Autos fuhren auf die linke Spur, ja kamen der Tunnelwand gefährlich nahe. Hier könnte der Ausgangspunkt für meine Traumsequenz zu finden sein. Wochen später, auf der Heimfahrt von Mannheim, erzählte meine Tochter Sandra, dass ihr ein ähnliches Phänomen immer an der gleichen Stelle auf der Autobahn
wiederfährt.