Fluchtpunkt Forrest
Der Wald war nah und unser Lieblingsplatz. Schattenspiele der Zweige, das Rauschen der Wipfel und verborgene Winkel und Ecken waren die Anregungen für unsere Fantasie. Hier lebten wilde und zahme Tiere und auch unsere Märchen fanden ihren Platz.
Die Waldarbeiter setzten wir den Seefahrern gleich, denn sie gingen jeden Tag auf große Fahrt. Hendriks Stiefvater war Förster und so kannten uns die Waldarbeiter.
An einem Sonnabend, denke ich, kam der Plattenwagen die Straße entlang und wir fragten, ob wir mitkommen können. Alsbald baumelten unsere Beine vom Fuhrwerk und hinter der Friedrich Eck Str. schaukelten wir auf der „Langen Viehtreibe“ dem nahen Wald entgegen. Im Wald konnten wir mit den Pferden "rücken" und auf dem Nadelboden standen kleine Dächer aus Rindenstücken.
Plötzlich brach ein Gewitter aus den Wolken und wir verkrochen uns unter den Rindendächern. Ein kleiner, grüner Frosch leistete uns Gesellschaft und so wurde uns die Zeit nicht lang. Es wurde schon dunkel, als wir wieder heimwärts fuhren, keiner von uns dachte an etwas Schlechtes, denn wir hatten ja gearbeitet.
Welch’ ein Donnerwetter ohne Regen zu Hause über uns hereinbrach kann sich nur vorstellen, wer die Sorge der Eltern nachvollziehen kann. Uns traf Manches hart, manche Dinge waren zu dieser Zeit auch schon nicht mehr so schwer. So das „Wurschtmaß holen“, noch mein Vater wurde nach Oehrenstock geschickt, zu den Verwandten und musste einen großen Baumstamm nach Langewiesen ziehen, mit dem er zum Jubel der Versammelten dort ankam. Uns schickte man nur in die Nachbarschaft und man schenkte uns ‘nen Apfel. Schlachtfeste waren Feste.
Regisseur und Hauptdarsteller war die "Vogtsmänne" - der Fleischer, der ins Haus kam. Schon Tage vorher stand ein riesiges, rotes Gerät in der Einfahrt. Es lag was in der Luft. Dinge wurde herangeschafft, die sonst keiner brauchte. Gewürze, Pech, Geräte, und Kunstdärme. Wanne, Tröge und Schüsseln wurden hervorgekramt und der Tag, an dem das Schwein zur Schlachtbank sollte, rückte immer näher. Keiner machte sich damals die Mühe, uns die Notwendigkeit des Schlachtens zu erklären, die Großen wussten warum und das war eben so. Wir hingegen trauerten mit jedem Karnickel, das der Opa meuchelte, aber der Braten schmeckte uns später auch ohne Reue. In meiner Erinnerung ist noch der Run mit der Sau erhalten, die sich von der Leiter losriss und durch den Hof fegte. Mehrere Erwachsene hatten ewig zu tun, doch sie ha’m sie erwischt. Voller Schauder nahmen wir die Kelle in die Hand, denn das Blut musste gerührt werden, damit es nicht gerann. Dann musste alles flink gehen. Dem Schwein wurde sein eigenes Fell über die Ohren gezogen, nachdem es mit Pech und mechanischer Schabekraft von den Borsten befreit wurde. Innereien rausnehmen, trennen und säubern, eigentlich alles wie beim Huhn, nur größer halt. Fleisch in riesigen Mengen kochen, scheiden und durch den Wolf leiern. Mulden mit dem Gemisch, den Zutaten und den Gewürzen füllen und dann kam der Brei in die rote Füllmaschine. In Därme gepresst, gekocht, geräuchert oder nur an der Luft getrocknet gab das nach gewisser Zeit Würste, die sich Hausgeschlacht’ne nennen durften. Sie waren sehr begehrt und guten Freunden sowie Bekannten trug man schon ‘ne Schlachtschüssel zu. Da war Wurstbrühe drin, ‘ne Rot- und eine Leberwurst nebst sogenannten "Schlenkerwürstchen". Die Kinder durften dem Metzger die Finger ablecken, was wir gar nicht gern taten. Welch’ Respekt alle aber vor dem Hausschlachter hatten, zeigt die Episode über die noch heute Alle lachen. Der Vogt sagte zu mir: „ Na Wisslader?“ und ich nicht faul: „ Na Vogtsmänne?“ Eine Umschreibung für den Umgang in jener Zeit, wo noch eherne Regeln aus der Wilhelminische Ära herüberwinkten.