Kurzgeschichte
Der erste Schnee - Eine unvergessliche Weihnacht

0
"Der erste Schnee - Eine unvergessliche Weihnacht"
Veröffentlicht am 31. März 2009, 4 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich bin 23 Jahre alt, studiere an der FU Berlin Japanologie und Kunstgeschichte, mag Bücher, Mangas, Filme, Zeichnen und Videospiele
Der erste Schnee - Eine unvergessliche Weihnacht

Der erste Schnee - Eine unvergessliche Weihnacht

Einleitung

Dies ist eine Sammlung von Kurzgeschichten über die schönste Zeit des Jahres, Weihnachten. Die Protagonisten sind Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts, unterschiedlichen Standes und Ethnie, die in Japan die Weihnachtszeit erleben. Alle Charaktere sind fiktional. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen und Ereignissen sind unbeabsichtigt oder in besonderen Fällen autobiografisch.

Der erste Schnee

A Christmas to remember ~ Eine unvergessliche Weihnacht

1
Der erste Schnee


 Es war früh morgens als ich aufwachte. Ein wolkenverhangener Himmel schien durch das Fenster des Einzimmer - Appartments, welches ich bewohnte. Die Geräusche der langsam aufwachenden Vorstadt waren kaum zu überhören. Überall in den Straßen herrschte rege Betriebsamkeit. Der örtliche Polizeibeamte, der in seinem Büdchen saß und Radio hörte, an den Straßenecken die Hausfrauen, die sich angeregt unterhielten, die ersten Lieferwagen, die auf den verschneiten Straßen leicht quietschend um die Ecke fuhren...
 Der erste Schnee fiel früh dieses Jahr, drei Wochen vor Weihnachten. Als weißer Schleier legte er sich sanft um die Stadt und verlieh ihr den Anschein von etwas Zerbrechlichem, einem Edelstein in der Landschaft, der nur darauf wartet, dass die Sonne aufging und ihn von allen Seiten bewunderte und zum Funkeln brachte.
Das Lachen der Kinder, die spielend versuchten die einzelnen Flocken zu fangen, ehe diese auf der Erde aufkamen, während sie auf ihrem Weg zur Schule an meinem Fenster vorbei kamen, war bis in mein Zimmer hörbar. Es brachte mir Erinnerungen aus vergangenen Tagen zurück, an welchen ich zusammen mit meinen Geschwistern vor dem Haus meiner Eltern spielte.
 Wäre ich nicht damals entschlossen von Zuhause weg in dieses mir so fremde Land gezogen, wäre vieles für mich anders gekommen und ich hätte nicht mit dieser Einsamkeit zu kämpfen, die mir in dieser kleinen Wohnung die Kehle zuschnürrte. Wieder ein Weihnachten außer Haus, wieder eines alleine ohne Familie. Sicher, die Weihnachtsfeier in der Firma und die vorweihnachtlichen Treffen mit Freunden waren unterhaltsam aber hier in dieser  Weltmetropole nicht das gleiche...
 Ich wusste das es mir nicht leicht fallen würde mich hier zurecht zu finden, aber ich hatte mir versprochen nicht aufzugeben egal wie schwer es werden würde. Auf das Paket von Daheim freute ich mich schon jetzt. Einheimisches, Kleidung, Nützliches und immer ein liebes Wort von den Eltern war dabei. Sie waren mir immer eine Stütze auch wenn sie so weit von mir entfernt waren und gerade deshalb war die Sehnsucht nach ihrer Nähe an solchen Tagen immer am stärksten.
 Während ich noch schlaftrunken im Bett lag, drehte ich mich zur Seite und begutachtete mein neues Leben. Auf dem Boden neben meinem Futon stand ein kleiner Tisch, immer noch beladen mit den Lehrbüchern und Zeitschriften, die ich gestern dort hatte liegen lassen. Der Boden des kleinen Raumes war ausgelegt mit Reismatten, die man hier Tatatmis nannte und neben meinem Futon eine kleine Elektroheizung ohne die ich den Winter in diesen Wohnverhältnissen wahrscheinlich nicht überstehen würde. Mein kleiner Fernseher, den ich mir von Zuhause mitgenommen hatte, zwar alt und mit Aufklebern geschmückt aber mir trotzdem sehr ans Herz gewachsen, stand am anderen Ende des Raumes vor meinen Wandschränken; kleine Nischen in die gerade einmal mein Futon und ein Teil meiner Sachen hineinpassten und die von Fusuma Schiebetüren verdeckt waren.
 Als mein Blick weiter wanderte blieb er an der kleinen, bescheidenen Einbauküche hängen, in welcher sich das Geschirr des gestrigen Abends stapelte. Einige meiner Bekannten, die ich während des einen Jahres, welches ich schon hier verlebt hatte, kennen gelernt hatte und welche die selben Probleme hatten wie ich, hatten sich wie jede Woche bei mir eingefunden um zusammen mit mir zu lernen. Japanisch fiel ihnen allen noch schwer, besonders die chinesischen Zeichen, Kanji, ohne die im Alltagsleben nichts geht, bereiteten allen noch ziemliches Kopfzerbrechen. Mit Hilfe von Karteikarten und Vokabelheften rückten wir dem Problem jedoch jede Woche näher zu Leibe.
 Doch als ich mir nun das Chaos besah in dem sich meine 20 qm große Wohnung befand und die unliebsame Temperatur verspührte, die Tôkyô zu dieser Jahreszeit besaß, grauste es mir mich von meinem gemütlichen Futon zu erheben.
 Ein Blick auf meinen Wecker verriet mir, dass es sieben Uhr war. Zwar noch etwas früh doch gerade früh genug um dann später auf dem Weg zur Arbeit sicher zustellen einen Sitzplatz in der Chikatetsu, der japanischen Metro zu ergattern, um dann den ganzen Weg von den tôkyôter Vororten in die 40 Minuten entfernte Stadtmitte zu fahren. Nach einem innerlichem Kampf gegen mich selbst blieb mir nichts anderes übrig als endlich aufzustehen.
Die dicken Baumwollsocken sowie die japanische Wärmeunterwäsche, die mir meine Vermieterin mit den Worten gab, ich würde sie sicher noch brauchen, täuschten nur schwach über die Tatsache hinweg, dass mein Zimmer einem Gefrierschrank ähnelte.
Ich ergriff meinen Yukata, einen leichten Baumwollkimono, den ich während der Nacht als zusätzliche Bettdecke missbraucht hatte und schlug ihn schnell um meinen Körper. Ich musste feststellen, dass ich während der Zeit, die ich nun hier lebte erheblich an Körperumfang gelassen hatte. Sicher war das ein Resultat der gesunden Ernährung, die aus Gemüse, Fisch und Reis bestand, doch wie oft wünschte ich mir den Luxus von Käse oder Fleisch, den ich daheim im Überfluss hatte zurück. Doch wusste ich auch, dass wenn ich nur einmal die Chance bekäme, mein altes Leben wieder zu bekommen, mein faules "Ich" würde diese Gelegenheit ohne weiteres ergreifen und meinen Lebenstraum über Bord werfen. Ich wollte schon immer nach Japan und nun hatte ich es geschafft und trotz der ständigen Versuche meiner Eltern mich zu einer Wiederkehr ins traute Europa zu bewegen, mein Entschluss stand fest und an dem wollte ich auch nicht rütteln.
 Mit Yukata und Hausschuhen bewaffnet rückte ich der Unordnung in der Küche zu Leibe und machte mir anschließend ein bescheidenes Frühstück, welches aus Kaffee und den Resten vom Vorabend bestand. Ich war einfach zu faul und zu sparsam geworden, als dass ich die Reste einfach weggeworfen hätte. Das Frühstück selbst nahm ich an meinem kleinen Tisch zu mir, von dem ich die Bücher kurzerhand beseitigt hatte und platzierte mich schön nah an die kleine Heizung. Die Wärme, die sie ausstrahlte hatte gerade so viel Kraft als das sie meine Lebensgeister zusammen mit dem Kaffee reanimierte. Nebenbei ließ ich den Fernseher laufen. Auf dem Großteil der Sender liefen nur Kinderzeichentrickfilme, die ich als Kind selbst sehr gemocht hatte und die einen großen Antrieb für mich lieferten nach Japan zu gehen. Aber inzwischen fühlte ich mich irgendwie zu erwachsen für Sailor Moon & Co. als das ich meine kostbare Zeit mit ihnen verschwenden konnte. Für mich hatten sie seit ich hier wohnte ihr Exotisches und Faszinierendes verloren. Mädchen in "Sei - Fukus" sah ich ja schließlich jeden Tag auf der Straße, genauso wie die Mädchen und Jungen im Yôyôgi Park, die in ihren Gothic Lolita und Punk Aufmachungen dort gemeinsam aus der Rolle fielen. Stattdessen suchte ich die Frühnachrichten. Das Thema Nummer eins war natürlich der Schnee. Nicht das Schnee in Japan etwas besonderes wäre, aber als der Sprecher verlauten ließ, das selbst in der Region um Okinawa,in Südjapan, die Temperaturen stark gefallen seien und es in Osaka ebenfalls geschneit hatte, wurde ich hellhörig. Ein eisiger Winter stand mir bevor, das war sicher. Vielleicht wäre die Anschaffung einer zweiten Heizung dieses Jahr ihr Geld wert. Als ich mir die kommenden Aussichten betrachtete schien mir dies sehr vernünftig.
 Nach dem ernüchternden Frühstück räumte ich schnell zusammen und machte mich fertig. Ich hasste mein Badezimmer, wenn man es als solches bezeichnen konnte. Es war eng und ungemütlich, mit einer kleinen Sitzwanne und einem tropfenden Duschkopf. An manchen Tagen hielt ich die Vorstellung in dieser Wanne baden zu müssen für so unerträglich, dass ich mir dann und wann einen Besuch in einem der vielen Badehäuser der Stadt gönnte. Sicherlich wurde ich von vielen angestarrt und als Fremde angesehen aber um einmal wieder die Beine in einer vernünftigen Wanne strecken zu können nahm ich das jedesmal billigend in kauf.
 Ein Blick in meinen Spiegel verriet mir schnell das die Nacht es nicht gut mit mir gemeint hatte; meine circa schulterlangen, dunkelblonde Haare standen in nur jegliche erdenkbare Richtung ab, von dem späten Lernen hatte ich Augenringe und von zu wenig Schlaf einen blassen Teint. Ich hatte zwei Möglichkeiten: Entweder ich nahm es wie es war und versuchte noch einigermaßen Ordnung in das Chaos zu bringen oder ich holte meinen Mundschutz hervor und schob mein äußeres Erscheinungsbild auf eine Erkältung. Ich entschied mich letztendlich doch für die erste Variante und machte das Beste aus dieser Situation. Nach vierzig anstrengenden Minuten im Badezimmer konnte ich mich allmählich unter Menschen trauen.
 Kurz darauf verließ ich meine Wohnung um mich auf den Weg zu meiner Arbeitsstelle zu machen. Als Ausländerin in Japan standen einem nicht viele Chancen offen; entweder man kellnerte für seinen Lebensunterhalt, arbeitete als Hostess in einem einschlägig bekannten Etablissement oder man brachte Japanern in großen Firmen seine Muttersprache bei. Mir selbst blieben diese drei Varianten erspart und das hatte ich wohl oder übel meiner Mutter zu verdanken. Sie predigte mir immer, wie wichtig es sei einen "vernünfitgen Job", wie sie es nannte, zu erlernen. Und so hatte ich neben dem Japanologie Studium noch eine Ausbildung als Fremdsprachensekretärin absolviert, was mir nun zugute kam. Ich hatte mir während meines Studiums ein paar Verbindungen aufgebaut, die sich mir jetzt als nützlich erwiesen. Über einige Dozenten an der hiesigen Universität wurde ich an eine Firma vermittelt, die hauptsächlich Haushalts- und Elektrowaren herstellte und die neben ausländischen Lehrerinnen und Lehrern auch ausländische Sekretäre unterhielt, die für sie die internationalen Korrespondenzen regelten. Meine Fremdsprachenkenntnise waren hierbei sehr förderlich. Im Endeffekt war ich über den Schreibtischjob und die festen Arbeitszeiten sehr angetan und bemitleidete insgeheim die armen Frauen, die hochnäsigen, japanischen Geschäftssleuten Englisch beibringen mussten. Als Frau hatte man in solchen Klassen schon verloren bevor es richtig los ging.
 Nach einem kurzen Fußmarsch kam ich endlich an der nächstliegenden U-Bahn Station an. Wie ich es erwartet hatte, hatte sich mein früher Aufbruch gelohnt, denn der Zug war nur mäßig besetzt. Schnell fand ich einen leeren Sitzplatz der etwas abgelegen lag und von dem aus man den ganzen Zug überblicken konnte.
 Schon als ich aus dem Haus ging hatte es die ganze Zeit über geschneit, sodass ich um nicht nass zu werden auf meinen Regenschirm zurückgreifen musste. Es war ein, für Japan ziemlich unauffälliger Regenschirm. Hätte ich ihn jedoch daheim benutzt wären mir einige Blicke sicher gewesen. Er bestand aus durchsichtigem, farblosen Kunststoff, der ein rundliches Gestell bezog. An den Enden befanden sich weiße Rüschen und Spitzen, ganz fein gearbeitet und in der Mitte des Schirms befand sich anstatt der Spitze eine kleine, hubbelähnliche Kugel, die von einem Krönchen gesäumt wurde und unter der wieder die weiße Spitze hervorragte. Der Griff selbst strotze ebenfalls von kleinen Details; er war schneeweiß, an dessen Ende wieder Rüschen und Spitzen verarbeitet wurden und leichte goldfarbene Applikationen verrieten den Namen der Firma. Am Ende des Griffs hing ebenfalls, an einer Kordel aus goldfarbenen Fasern befestigt, das Emblem des Herstellers. Für andere Leute würde dieser Schirm kitschig oder kindisch erscheinen, doch für mich hatte er etwas nostalgisches und würde mir meine "Klein-Mädchen Zeit" zurückbringen und ließ mich in dieser großen Stadt trotz allem wie eine Prinzessin fühlen. Wohlbehütet und adrett würde ich so durch die Straßen gehen und mir wären die Blicke und das Getatsche an meinen Haaren egal, denn dieser Platz unter dem Regenschirm gehörte mir allein.
 Als ich nun wieder durch das Fenster schaute, bemerkte ich, dass der Schneefall keineswegs nachgegeben hatte. Wie ich so weiter fuhr und die U-Bahn an einigen stellen oberhalb der Erde fahren musste, stellte ich fest, dass die Flocken immer pummeliger wurden und das es doch kein Wunder sei, dass sie aus allen Wolken fallen, scherzte ich in Gedanken. Während der Fahrt stiegen immer mehr Leute zu und allmählich wurde es ziemlich voll; nicht zu vergleichen mit der Rush Hour aber trotzdem voll. Nach rund 35 Minuten war ich endlich von Hikarigaoka im Nord -Westen Tôkyôs in Roppongi angekommen. Roppongi war einer der berühmtesten und vorallem teuersten Stadtteile Tôkyôs. Die Wohnungen die hier lagen, überstiegen bei weitem mein Budget und so blieb mir nichts anderes übrig, als jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit die Architektur der Häuser zu bewundern. Mein Arbeitsplatz befand sich in der Nähe der Roppongi Hills, einem modernem Geschäfts- und Einkaufskomplex, dessen Kinos und Bars in ganz Tôkyô berühmt waren. In einem der großen Bürogebäude, bei denen man nicht mehr die Spitze sieht, so bald man vor dem Gebäude steht, arbeitete ich. Mein Weg zu meinem Schreibtisch führte mich jedesmal durch einen Aufzug, ohne den man in solchen Gebäuden aufgeschmissen wäre, der voll bepackt war mit japanischen Geschäftsmännern, so genannten Salarymen, die sich für die Größten hielten und ungeniert alle Frauen begafften, die ihnen vor die Augen kamen.
 Zu meiner Überraschung war der Aufzug angenehm leer. Im achtundzwanzigsten Stock angekommen kam ich endlich an meinem Schreibtisch an. Ein Stapel von Briefen lag oben auf und wartete darauf von mir beantwortet zu werden. Als ich ihn durch sah war nichts interessantes dabei. Oft hatte ich mir überlegt, ob es nicht besser wäre, mir auch meine private Post hierher senden zu lassen. Es hätte eigentlich nur Vorteile. Doch wenn ich es recht bedachte, war ein eigener Anschluss und eine eigene Adresse, egal wieviel die Gebühren auch betrugen doch etwas ganz besonderes. Als ich mich setzte und meinen Tisch genauer beäugte merkte ich, dass neben dem Foto meiner Familie, welches mich immer ermunterte weiter zu machen, eine Karte stand, mit meinem Namen darauf. Auf der Umschlagsseite war mit kleinen, verniedlichten Figuren einer neuen Mangaserie, die ich nicht kannte, die Weihnachtsszene nachgestellt. Über dem Stern stand in goldenen Lettern und schlechtem Romaji geschrieben "Merii Kurisumasu" was so viel heißen sollte wie "Fröhliche Weihnachten" und zwischen dem Stern und der heiligen Familie stand in schöner Handschrift "An Judith". Ich erkannte die Schrift sofort; sie war von Samantha, einer der Englishlehrerinnen der Firma und einer guten Freundin von mir. Sie war eine gebührtige Londonerin, die mir wenn wir uns trafen jedes mal von den Vorzügen von London vorschwärmte. Ich half ihr oft mit Japanisch und sie mir dafür in allen möglichen anderen Dingen. Oft wenn wir uns trafen zeigte ich ihr Orte wo man billig einkaufen konnte und die kulturellen Seiten der Stadt, sie mir dafür das Night-Live. Mit ihr wurde es mir nie langweilig und wenn ich Probleme hatte, war sie immer die Erste, die mir ihre Hilfe anbot. Wie schon gesagt: eine gute Freundin eben.
Ich öffnete die Karte und fand dort eine Notiz, ich sollte sie nach der Arbeit vorm Gebäude treffen. Überrascht und aufgeregt verstaute ich die Karte samt Notiz und konnte den Feierabend kaum noch erwarten.
 Um kurz nach halb sieben abends verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg zum verabredeten Treffpunkt. Als ich vor die Tür trat, schneite es weiter und es blieb mir nichts anderes übrig als meinen Schirm zu zücken. Wie ich es erwartet hatte stand Sam dort schon mit zwei weiteren Mädchen aus dem Büro und unterhielt sich angeregt. Als ich näher kam, erkannte ich zwei mir bekannte Gesichter. Unter ihnen meine Feundinnen Rei, eine japanischstämmige Amerikanerin und Valerie aus Frankreich. Wir alle kannten uns seit ungefähr einem Jahr und halfen uns gegenseitig. Als mich Samantha endlich bemerkte, drehte sie sich geschwind zu mir um und ihr breites Lächeln und ihre warmen Augen hießen mich in der Gruppe willkommen. Auf meine Frage, was denn diese Geheimniskrämerei zu bedeuten hätte, antwortete sie nur, ich würde es ja schon sehen und mit den Worten zogen mich die drei Mädchen ins Ungewisse.
aus der Ferne, was mir bevorstand. Wir näherten uns gewaltigen Schrittes immer mehr einer Karaoke Box. Ich hatte nichts gegen Karaoke, aber gegen Leute, die nicht singen konnten wie ich und sich auf solchen Bühnen dann lächerlich machten. Doch da half alles zerren und betteln nicht; ich saß ehe ich mich versah mit meinen Freundinnen in einem Extra gemieteten Raum mit samt ganzer Karaoke - Anlage. Wir bekamen ein Zimmer in einer etwas höheren Etage, so das wenn man nicht gerade dabei war das Gehör seiner Mitmenschen zu schädigen, so konnte man doch die wunderschöne Skyline von Tôkyô bewundern.
 Ich seufzte leise bei dem Gedanken, was die drei als nächstes aushecken würden.
Beim Ausknobeln der Reihenfolge wurde ich von den drei ziemlich hinters Licht geführt, denn ich als totaler Karaoke Hasser durfte als erste mein Debüt am Mikrophon machen. Natürlich konnte ich ihnen nicht lange böse bleiben. Sie hatten es ja lieb mit mir gemeint und nach zwei Stunden in der Karaoke Bar war meine Einsamkeit wie weg geblasen. Wir alberten herum und seit langer Zeit fühlte ich wieder ein Gefühl von Geborgenheit. Es schien mir, als hätte ich hier in der Ferne eine zweite Familie gefunden die mir Halt und Unterstützung gab. Als Sam etwas von den Weather Girls zum Besten gab, nahm ich mir eine kleine Auszeit um die Aussicht zu genießen. Im Hintergrund hörte ich immer noch "It's raining men" in Samanthas Interpretation, doch hatte es endlich aufgehört zu schneien. Von weitem sah ich die Einkaufmeilen der Ginza, die Verwaltungsgebäude in Shinjuku und weit über allen herausragend den Tôkyô Tower. In dieser schönen Winterlandschaft erinnerte er mich an die Weihnachten, die ich zusammen mit meinen Eltern in Paris verbracht hatte. Der schön erleuchtete Eiffelturm blieb mir dabei besonders in Erinnerung...
 Da war es schon wieder; anstatt mich über mein neues Leben hier zu freuen schwelgte ich in Erinnerungen an Europa, dem ich den Rücken gekehrt habe. Schnell versuchte ich diese Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Sie hatten hier nichts verloren und ich wollte mir von ihnen nicht den Spaß verderben lassen. Als Ablenkung griff ich mir schnell das Mikrophon. Die kleine Gesangseinlage hatte wirklich meine Laune gehoben doch mit einem immer noch flauen Gefühl trennten wir uns dann schließlich um halb zehn und jede von uns ging ihres Weges. Ich wohnte alleine in Hikarigaoka, einem Vorort im Nord-Westen von Tôkyô und so musst ich alleine los.
 Auf meinem Weg nach Hause machte ich einige größere Umwege. Ich hatte nicht recht Lust in mein kleines Appartement zurück zukehren und so schlenderte ich nach Akihabara, das Elektrowaren Viertel Tôkyôs. Wie ich am Morgen festgestellt hatte, würde ich eine weitere Elektroheizung brauchen. In einem kleinen Gebrauchtwarenladen fand ich dann eine, die mein Budget nicht allzu sehr sprengte. Ich bezahlte und nahm sie gleich mit; ich hätte sie mir auch liefern lassen können aber da ich sie noch für die selbe Nacht brauchte, wäre das nicht sehr schlau gewesen.
 Mit meiner Heizung im Gepäck ging ich wieder auf den Weg in Richtung einer Haltestelle, die mich nach Roppongi Station bringen würde. Auf meinem Weg zurück kamen mir Leute entgegen die glücklich waren, Pärchen schlenderten zusammen durch die Einkaufspassagen und die letzten Mütter mit ihren Kindern waren auch noch unterwegs auf dem Weg nach Hause. Ich blieb stehen und sah mich um. Überall aus Lautsprechern tönten irgendwelche Weihnachtslieder, auf der großen Plasmaleinwand am gegenüberliegendem Gebäude sangen japanische Superstars wie Gackt oder Ayumi Hamasaki zusammen Weihnachtsduette und ich blieb in der ganzen vorweihnachtlichen Stimmung allein. Das war das Gefühl, dass ich versuchte krampfhaft zu ignorieren aber es gelang mir einfach nicht. Ich merkte nur wie mir, als ich weiter auf die Leinwand sah und mich fragte was ich hier eigentlich machte, eini Träne über die Wange lief. Dann wurde es noch eine und dann folgte eine der nächsten und benetzten mein Gesicht. Der Schnee fing wieder an zu schneien, doch ich bemerkte nichts um mich herum; Nicht die Leute, die langsam auf mich aufmerksam wurden, da ich ohne Schutz im Schnee stand noch die Tatsache, dass ich mit jeder verstrichenen Minute immer nasser wurde.
 Ich schaute in den tiefblauen Nachthimmel über Tôkyô und versuchte eine Antwort auf meine Frage zu bekommen. Doch natürlich bekamm ich keine. Die Schneeflocken, die langsam gen Erde schwebten und an meinem Gesicht hängen blieben, kitzelten mich, als wollten sie mich ermutigen weiter zu machen und insgeheim wusste ich selbst, dass das schreckliche Gefühl der Einsamkeit nur temporär war, sowie ich auch wusste, dass ich es überstehen würde.
Nach dieser Erkenntnis bemerkte ich meinen kleinen, adretten Regenschirm und spannte ihn wieder auf und im Schutze meiner kleinen, heilen Welt stampfte ich weiter durch den Schnee in Richtung Roppongi Station; in Richtung zu Hause.

Ende Geschichte " Der erste Schnee" von Ewelina Danielczyk

0

Hörbuch

Über den Autor

Hisoka
Ich bin 23 Jahre alt, studiere an der FU Berlin Japanologie und Kunstgeschichte, mag Bücher, Mangas, Filme, Zeichnen und Videospiele

Leser-Statistik
145

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Boris Kommentar vom Buch-Autor gelöscht.
Vor langer Zeit - Antworten
Gast Der erste Schnee - Ich mag deine erzählweise sehr, wie du die geschichte erzählst. Die worte die du benutzt passen zu der gesichte und es kommt nicht gekünstelt rüber. Du hast Tokyo ganz toll beschrieben , wenn auch nicht übermäßig konnte ich es mir vor meinem innerlichen auge wieder vorstellen und sehen. Da krieg ich glatt fernweh.
Das einzigste was mri aufgefallen ist ist ...das sie von Akihaba es sehr weit hat nach Roppongi *G*
Ich konnte mich gut hinein versetzen in die Gefühle deiner Figur, so ähnlich hab ich mich auch dort gefühlt dabei war ich nicht wie sie 1 jahr da. Ich freu mich auf noch mehr.
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
2
0
Senden

18649
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung