Racam und der Berg der Farben
Es war einmal vor vielen vielen Jahren, da gab es ein Land das so klein war, dass es noch nicht mal einen Namen hatte. Es hieß einfach - Land ohne Namen -! In diesem Land nun lebten die Menschen in sehr armen Verhältnissen, sie hatten wenig zu essen und meistens keine Arbeit, was dazu führte, dass bald nur noch wenige in diesem Land verweilten. Die anderen waren meist weiter gezogen und versuchten ihr Glück in der großen Stadt oder am Hafen, wo es meist kleine Gelegenheitsarbeiten zu verrichten gab. Die einzige Familie die noch im Land ohne Namen wohnte, war die von Racam. Racam war ein kleines Mädchen, die mit Mutter und Vater schon solange hier wohnte, wie sie denken konnte. Die große Stadt war ein faszinierendes Erlebnis für Racam, das sie aber nur selten sah. Ihre Eltern waren eigentlich Bauern, doch weil das Land nicht sehr fruchtbar war, und es schwer war etwas an zu bauen das sich auf dem Markt verkaufen ließ, so war Racam gezwungen, Holz zu sammeln oder seltene Steine, die sie dann mit ihrem Vater all wöchentlich auf dem Marktplatz anbot. Die Erträge aus dem Anbau des kleinen etwas schäbigen Gartens hinter ihrem Haus, reichte meistens nicht mal um alle satt zu bekommen, so dass die Familie auch oft Hungern musste. " Warum leben wir hier wo es nichts gibt, außer trockener Erde und dem großen Felsen", hatte Racam ihren Vater eines Abends gefragt.
" Weißt du Racam", hatte ihr Vater geantwortet. " Hier ist es üblich dass die Familien mehr als ein Kind haben. Es ist kein gutes Omen sagt man, wenn eine Familie nur ein Kind hat. Es ist schlecht und so mussten wir vor langer Zeit die große Stadt verlassen." Er blickte zu seiner Frau, die am Fenster saß und Tränen in den Augen hatte.
" Aber meine Kleine, wir lieben dich sehr und da die Götter wollten dass wir nur ein Kind haben, werden wir wohl für immer hier leben. Aber nun mach dir keine Sorgen und geh hinaus um etwas Holz für Uns zu sammeln, das wir verkaufen können. Wer weiß vielleicht können wir auch beim Fest zu sehen und der Musik lauschen, wenn wir genug verkauft haben. Das würde dir doch bestimmt gefallen oder? Wo du Musik doch so magst!"
Nun leuchteten Racams Augen wieder und sie nahm sich ihr kleines Bündel mit Brot und etwas Wasser, was sie beim Holz sammeln immer dabei hatte und begab sich hinaus in die Nacht.
" Ich mag nicht, dass sie immer des Nachts zum Sammeln geht", flüsterte die Mutter.
" Ja ich weiß, aber du weißt doch was am Tage über für Gestalten durchs Land ziehen. Ich möchte eben nicht, dass Racam denen begegnet. Du weißt wie zutraulich sie ist und wie schnell sie Vertrauen fasst. Da ist es mir lieber sie versucht ihr Glück des Nachts, wenn alles ruhig ist und sie im Schutz des Berges, vom Mondlicht geführt nach Steinen und Holz sucht.
Nachts erkennt man das Glitzern der Steine besser, hat sie mir mal gesagt. Ein tapferes Mädchen, unsere Racam", meinst du nicht auch?
" Oh ja, sie ist mein Sonnenschein. Niemals beschwert sie sich oder ist wütend wenn wir nicht ausreichend zu Essen haben. Mein kleines Mädchen!"
Es war eine wundervolle sternenklare Nacht und Racam hatte die Sorgen schon wieder vergessen. Sie hoffte nur genügend Steine oder Holz zu finden, um beim Fest in der Stadt etwas zu schauen zu können oder ein wenig zu tanzen. Nach ein paar Stunden des Suchens kam Racam wieder an ihren Lieblingsplatz. Ein großer runder Stein auf dem sie immer Platz nahm um sich ein wenig auszuruhen und einen Happen zu essen. Es war für Racam der schönste Platz den sie kannte. Im Schatten des großen Berges der hier noch viel größer und mächtiger erschien, als wenn sie ihn vom Haus aus betrachtete. Sie setzte sich, trank einen Schluck und dann nahm Racam die kleine Holzflöte zur Hand, die ihr einmal ihr Vater aus einem besonders schönen Ast geschnitzt hatte. Jetzt spielte sie wieder ihr kleines Lied und fühlte sich völlig frei und glücklich. Nach einer Weile die Racam so verträumt auf dem großen Stein saß, sah sie auf einmal eine Gestalt aus dem Schatten des Berges kriechen. Sie rutschte trotz ihrer Angst vom Stein und ging der Gestalt entgegen. Im Schimmer des Mondes sah Racam dass es die Gestalt eines alten Mannes war. Er konnte wohl nicht mehr laufen und er sah sehr erschöpft und durstig aus. Der alte Mann kroch zu einer kleinen Pfütze, im fast ausgetrockneten Boden. " Wasser", schluchzte er leise, doch Racam hielt ihn zurück. " Nein, nein, sie dürfen dieses Wasser nicht trinken. Es macht krank und sie werden daran sterben. Nehmen sie doch etwas von meinem Wasser. Sie hob seinen Kopf an und gab dem Mann aus ihrer Flasche zu trinken. Da die Flasche schnell gelehrt war, ging Racam schnell zu einer kleinen Quelle die sie kannte und die im Schatten des großen Berges frisches Quellwasser sprudelte. " Die habe ich entdeckt, als ich eines Nachts hier Holz sammelte", sagte sie lächelnd und gab dem alten zu trinken. Als dieser sich nach einer Weile erholt hatte, bedankte er sich für die liebenswerte Hilfe und fragte das kleine Mädchen, was sie denn alleine um diese späte Stunde hier draußen zu suchen hatte. Racam erzählte ihm von ihrer Familie und ihrer Armut. Sie erzählte dem alten Mann davon wie sie Steine und Holz sammeln müsse, damit alle etwas zu Essen hätten, da das selbst angebaute Gemüse nicht reichen würde. Die beiden unterhielten sich die halbe Nacht und da der alte Mann Mitleid mit der Kleinen hatte, die ihm so nett geholfen hatte, verriet er ihr ein uraltes Geheimnis!
" Ein uraltes Geheimnis"?, fragte die kleine ungläubig. " Oh ja, es ist so alt wie die Welt weißt du. Die Menschen haben Geheimnisse seit jeher, gute und schlechte! Das Geheimnis von dem ich dir heute erzähle, ist entweder gut oder schlecht für dich und deine Familie. Man wird sehen was ihr daraus macht. Doch bei dir", und er sah Racam in ihre kleinen schwarz leuchtenden Augen, die glänzten wie Perlen. " Bei dir mach ich mir keine Sorgen. Morgen Nacht Racam - wenn der Mond sein Antlitz preis gibt, so gehe hin zum großen Berg. Und wenn der Mond seinen silbernen Glanz über die Quelle schweifen lässt, so folge dem Glitzern des Wassers. Er führt dich zu einer Stelle des Berges, in dem du eine kleine vertiefte Öffnung sehen kannst. Nimm diesen Stein", der Alte reichte Racam einen kleinen grünen Stein der gar so wundervoll geschliffen schien. " Diesen Stein setze in die Öffnung ein und du wirst ein wahres Wunder erleben. Doch bedenke - nur mit diesem Stein und nur beim Schein des Mondes wirst du es sehen können. Also bewache ihn gut." Der Alte setzte sich zu Racam auf den Felsen und schaute in die Sterne.
Racam rutschte vom Felsen und verabschiedete sich von dem alten Mann. " Vielen Dank", sagte sie. " Doch jetzt muss ich nach Hause. Meine Eltern werden sich schon sorgen." Dann lächelte sie und verschwand in der Nacht. Die ganze Nacht machte sie kein Auge zu, sondern dachte die ganze Zeit über den merkwürdigen alten Mann nach und was er ihr erzählt hatte. Nachdenklich drehte sie den grünen Stein in ihren kleinen Händen. Traurig war sie, denn ihr Vater hatte sie gescholten, da sie kein Holz gesammelt hatte und die paar Steine die sie mitbrachte würden noch nicht mal reichen um eines der hungrigen Mäuler zu stopfen. Racam hatte kurz daran gedacht ihrem Vater den grünen Stein zu geben, der würde bestimmt was einbringen und sie hätten eine Weile keine Sorgen mehr. Doch irgendetwas hatte sie zurück gehalten. Aus einem merkwürdigen Grund schenkte sie dem alten Glauben und beschloss am nächsten Abend zum großen Berg zu sehen und sich des Geheimnisses zu vergewissern.
Am darauf folgenden Abend war Racam früher unterwegs und ihr Vater machte sich Vorwürfe deswegen. " Ich habe sie zu sehr gescholten," dachte er. "Sonst geht sie doch nie so früh hinaus." Der Mond gab sein Antlitz preis und Racam hatte nun die Quelle erreicht. So wie der Alte versprach, glitzerte das Wasser im Mondlicht und Racam sah wie das Glitzern im Berg verschwand. Sie stand nun direkt vorm großen Berg und wiederum hatte der Alte recht. Da war eine kleine ovale Öffnung, die genauso groß war, wie der Stein den ihr der Alte gab.
Vorsichtig setzte Racam nun den Stein in die Öffnung und wie von Zauberhand gab der Berg nun eine Öffnung frei, die groß genug war dass ein erwachsener Mensch sie betreten konnte.
Racam betrat die Höhle und was ihr Auge erblickte, lies ihr den Atem stocken. Ein riesiger Raum bot sich ihr, tausende von glitzernden Steinen warfen ihr Licht von den Wänden. So viele verschiedene und leuchtende Farben hatte Racam noch nie gesehen. Es war einfach wundervoll. Was war dies für ein merkwürdiger Ort, an dem sie sich befand. Sie schritt durch die Höhle und je weiter sie ging, desto mehr und mehr von den glitzernden Steinen konnte sie erblicken. Rote, grüne, blaue, weiße, es waren so viele Farben dass Racam ganz anders wurde. Ihr war als würde sie träumen. Racam drehte sich voller Glück im Kreis und als sie zur Decke sah - erblickte sie einen riesigen roten Stein, rund war er und hundert mal so groß wie die anderen. Racam musste sich setzen und als sie auf dem Boden saß, bemerkte Racam den fruchtbaren Boden der nach frischer Erde duftete. Sie nahm eine Hand voll Erde und roch daran. Dies war wundervolle Erde dachte Racam. Wenn wir die zu Hause hätten, würde unser Obst und Gemüse besser wachsen. Sie seufzte. In der gleichen Nacht noch erzählte Racam ihren Eltern vom Berg der Farben und wie alles in der Höhle glitzerte. Sie erzählte ihnen wie fruchtbar der Boden da wäre und was man alles damit machen könne. Ihre Eltern allerdings glaubten ihr nicht und ihre Mutter fühlte sogar ihre Stirn, da sie dachte Racam wäre vom Fieber befallen. Doch Racam hatte kein Fieber und versprach sie am darauf folgenden Abend zum Berg zu führen - dann würden sie schon sehen. Der Tag darauf verging wie im Fluge und als der Mond am Himmel stand, führte Racam ihre Eltern zum großen Berg, setzte den Stein ein und wie bei Ihr zuvor fanden auch Mutter und Vater beim diesem Anblick keine Worte. Sie fielen sich in die Arme und tanzten wie von Sinnen in der Höhle herum. Racam wollte sie auf die Erde aufmerksam machen, doch ihre Eltern hatten nur Augen für die glitzernden, vielfarbigen Steine. Es war als wären sie von Sinnen, hatten weder Augen für die fruchtbare Erde, noch für Racam. Racam wurde sehr traurig bei diesem Anblick und verließ die Höhle unbemerkt. Ohne ein festes Ziel wanderte sie umher, gelangte nach einer Weile wieder zu ihrem Lieblingsplatz und setzte sich wieder auf den großen Felsen. Sie begann zu weinen. " Na Na wer wird den weinen", ein Stimme klang aus der Nacht, und als Racam sich die Augen gewischt hatte, erkannte sie den alten Mann der jetzt neben ihr saß. "Was ist den passiert"?, fragte sie der Alte. " Ach es ist furchtbar. Ich habe meine Eltern zum großen Berg geführt und sie benehmen sich sei dem sehr komisch. Sie laufen wie von Sinnen in der Höhle herum und haben keine Augen mehr für etwas anderes." Der Alte schaute zum Himmel und besah sich die Sterne. " Wie ich dir gesagt habe, kann es zum Guten oder zum Bösen führen, aber mach dir mal keine Sorgen. Deine Eltern sind reinen Herzens und sie lieben dich sehr." Die kleine Racam schaute ungläubig. " Was soll ich den jetzt machen", fragte sie . "Deine Eltern werden schon erkennen was wirklich wichtig ist wenn die Zeit gekommen ist." In der Zwischenzeit versuchte der Vater der Kleinen, einen großen leuchtend blauen Stein aus der Wand zu brechen und als er heraus fiel und den Boden berührte, so erlosch der Glanz der Steine und in der ganzen Höhle wurde es finster. Die Steine hatten ihren ganzen Glanz verloren. Der Vater sackte zu Boden und bemerkte nun den frischen Duft den die Erde verströmte. " Sieh mal Frau, welch ein fruchtbarer Boden. Was habe ich nur getan und wo um Himmels Willen ist meine kleine Racam?"
" Du musst deinen Eltern erklären, dass der wahre Wert der Höhle ein anderer ist, als der der glitzernden Steine. Entfernt man auch nur einen davon, so verlischt der Glanz des Berges und auch die Fruchtbarkeit des Bodens", verstehst du. " So und nun geh zu deinen Eltern und nimm auch noch dies hier mit." Der Alte reichte ihr drei kleine Bäume. "Sie werden euch glücklicher machen, als all die schönen Steine." Der Glanz der Höhle war erloschen, als Racam sie erreichte. " Vater, Mutter", rief sie ihre Eltern. " Racam, wo bist du?"
"Vater du musst den Stein wieder einsetzen, so kehrt der Glanz des Berges zurück", und nachdem er den Stein wieder in Wand eingesetzt hatte, erstrahlte die Höhle wieder in altem Glanz und aufs neue verzückte das Glitzern der vielen Steine die Augen. " Racam meine Kleine", sprach der Vater und schloss seine Tochter in die Arme. " Es tut mir sehr leid!"
" Hier Vater, Mutter - seht nur und Racam zeigte ihren Eltern die Bäume, die ihr der Alte gab. Die und die fruchtbare Erde hier - sie sind der wahre Wert der Höhle." Vater und Mutter schauten sich an und verstanden nun den wahren Wert des Berges. So pflanzten sie alle drei die Bäume und nach nur einem Tag trugen sie schon Früchte. Wohlschmeckende rote Früchte, die Racams Familie nun jede Woche auf dem Marktplatz verkaufte. Die Früchte waren bei jedem beliebt, da sie süß und saftig waren und einen ganz wundervollen Glanz versprühten. Racams Familie konnte nun ihr Haus reparieren, sich einen neuen Garten anlegen und konnte nun endlich in Frieden leben. Das Geheimnis vom Berg der Farben behielten sie für immer für sich und so oft Racam auch zu ihrem Felsen ging, sie sah den Alten Mann nie wieder.
Dann saß Racam in der Nacht auf ihrem Felsen, bedankte sich, schaute zum Mond und weinte vor Freude. Im Schatten des Berges der Farben !
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