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Farben

Farben

Ich schließe meine Augen und lege ein Handtuch auf die Lider. Meine Netzhaut empfängt keine Lichtimpulse mehr. Der Sehsinn ist ausgeschaltet, mein Hirn zeigt mir die Farbe Schwarz.

Kann ich trotz der völligen Dunkelheit Farben sehen? Irgendwie muss das doch möglich sein, denn wenn ich träume, sehe ich sie ja auch. Wie fühlt sich ein Blinder, der jemanden von Farben erzählen hört? Mir sind sie vertraut, deshalb wähne ich mich ihm gegenüber im Vorteil. Bin ich das aber wirklich? Auf Anhieb jedenfalls gelingt es mir nicht, im Dunkeln Farben hervorzurufen.

Vielleicht ginge das doch einfacher, wenn ich blind wäre. Dann würde ich es über die anderen Sinne tun. Ich würde über den Hörsinn erfahren, dass die Farbe Rot für Wärme und Liebe steht. Diese Information genügte mir, mein Rot hervorzurufen. Und genau das versuche ich jetzt auch. Ich bin ein Prisma, das für einmal nicht Weiß, sondern Schwarz mit Hilfe meiner Sinne in die Spektralfarben verwandeln wird. Dann will ich sie mischen und zum Leuchten bringen.

Ich lass meinen Geist tasten, hören, riechen, schmecken – und tatsächlich gelingt es mir, Farben herbeizuführen. Es sind Erfahrungen, Geschichten, Gefühle, die mich in eine bunte Welt bringen. Gezielt beginne ich, sie zu verbinden, umzurühren, lass immer wieder neue Nuancen entstehen. Erkenne Farben, die sich liebend anziehen und solche, die einander nicht mögen. Ein Blau trägt mich nach oben, mitten in die Wattewölkchen, aus deren Weiß wiederum neue fantastische Farben hervorgehen… In meinem Traum werden sie zur Wirklichkeit.

Um Farben zu sehen braucht es Licht. Dazu bedarf es aber nicht unbedingt einer externen Lichtquelle. Ich selbst bin Licht genug, aus Schwarz Farben hervorzurufen. – Auch im Dunkeln kann ich mir meine Welt farbenfroh gestalten.

War ich denn immer schon sehend und doch blind? Im Zustand meiner Blindheit lerne ich zu sehen…