Kurzgeschichte
Der Sonderling

Niklaus sass mit gebeugtem Rücken auf seinem Chefsessel, den Kopf auf beide Hände abgestützt, und starrte trübsinnig in das Aquarium vor ihm.

„Wir haben so viel gemeinsames, Fisch!“ Mit dem Handrücken strich sich der korpulente Mann über die breite Nase und schniefte. In der Küche hörte er seine Haushälterin Else das Porzellan Geschirr in die Spülmaschine räumen.

„Du bist in diesem Glas, ob du willst oder nicht! Ein Goldfisch, mit orange glitzernden Schuppen, kein anderer Fisch.“  Er atmete tief ein und langsam wieder aus, bevor er sich wieder seinem Fisch widmete.

„Hast du schon einmal daran gedacht wie es wäre, wenn du als Forelle, Barsch, oder vielleicht als Hai geboren wärst? Nein?“ Der Fisch glotzte teilnahmslos und schwamm erneut eine Runde, mit seinen seidigen Schleierschwanzflossen.

Else hörte das Gemurmel von Herrn Grossbacher und warf einen heimlichen Blick durch die halb geöffnete Türe in sein Büro. Sie wunderte sich, warum er immer die schweren Plüschvorhänge zugezogen hatte, ob es nun drückend schwül war oder regnerisch und kalt.

„Du kannst nicht denken, ich weiss…“ flüsterte Niklaus und strich mit seinen wulstigen Fingern zärtlich über das Glas. „Du bist eben ein Fisch, Fisch!“

Else zupfte sich peinlich berührt die Küchenschürze gerade, blieb aber trotzdem neugierig lauschend im Dunkeln stehen. Wie konnte ein so wohlhabender, intelligenter Mann nur so eigenbrötlerisch sein? fragte sich Else. Er wohnte in einer Gegend die als Goldküste benannt wurde, war pensionierter Bankdirektor mit Doktortitel, und hätte mit dem Geld dass er hatte, die ganze Welt bereisen können. Stattdessen sass er mit seinem Goldfisch und der Haushälterin in seiner Villa fest, Tag aus Tag ein.

Die Nachbarn fanden nichts spannender als über ihn zu munkeln. Sie fanden es komisch, dass er sich so von der Aussenwelt abkapselte. Ging Herr Grossenbacher ausnahmsweise einmal in die Stadt, lief er mit hocherhobenem Haupt, die Fussspitzen leicht nach aussen gedreht, mit blank polierten Lackschuhen und elegantem Hackenstock. Er war eine imposante und jämmerliche Figur zugleich. Wenn man ihn genau beobachtete, sah man, wie er sich oft nach imaginären Personen umdrehte, als würde er verfolgt. Seinen Mitmenschen begegnete er mit Misstrauen, ja fast mit einer feindseligen Haltung.

„Mein Leben lang hab ich geschuftet wie ein Verrückter, hatte einen super Job, eine Menge Geld, aber was mir fehlt…“ in diesem Moment hatte er Elses Anwesenheit bemerkt.

„Ehm, guten Abend Herr Grossenbacher. Möchten sie vielleicht einen Tee?“ Else lächelte freundlich und trat ins Büro, dass mit der kristallhellen Sportlampe beleuchtet wurde. Sie versuchte nicht an sein Selbstgespräch zu denken. Höflich ignorierte sie den Goldfisch auf dem Tisch.

„Er ist tot!“ sagte Niklaus bedauernd. Else senkte den Blick auf die Steuerunterlagen auf dem das orange Fischchen seine Ruhestätte fand. Es glotzte leblos in die Ferne.

„Oh!“ entfuhr es Else.

„Ja.“ sagte Niklaus nur und Else schauderte es. „Hätten sie mir einen Beruhigungstee? Und bitte rufen sie doch die Zoohandlung an und bestellen sie mir einen neuen Fisch!“

„Gern!“ Else verschwand aus dem Zimmer und fragte sich, was Herrn Grossenbacher wohl fehlen mochte? Sie fand tausend Antworten und doch keine. Leider würde er ihr auf eine konkrete Frage nie eine Erläuterung geben, denn sie war nur seine treu ergebene Haushälterin.
 

Conny B.