Der leise Tod der Konkubine
„Warum?“
Er schaute sie lange an. Seine Hand lag ganz ruhig auf ihrem nackten Oberschenkel, der so weich und von einer Gänsehaut überzogen war. Er hatte diesen Blick, den er wohl oft bei ihr hatte, der sagte, dass er in der Falle saß. So war er, versuchte an allen Klippen des Lebens herumzuschiffen um möglichst keinen Schaden anzurichten und auch keinen zu erleiden. Der Blick, den er zu aller Wahrscheinlichkeit aufsetzte, wenn seine Frau von ihm
verlangte mit ihr Schluss zu machen. Sie versuchte nun das Gleiche von ihm zu bekommen, doch hatte sie diesen gehetzten Ausdruck noch nie persönlich gesehen.
„Die Kinder!“ Seine Stimme klang gebrochen und das Atmen fiel ihm plötzlich schwer. „Ich kann sie nicht ihr überlassen! Aber sie alleine großziehen kann ich auch nicht. Ich bin nicht so...?....Stabil?...“
„Du weißt, ich liebe deine Kinder. Ich liebe sie, weil es deine sind!“ Sie drehte sich zur Seite und entzog ihm ihr langes, wohl geformtes Bein und hielt ihm für einen Augenblick den nackten Hintern hin, bis sie ihn schroff mit der
Decke abschirmte.
Er machte einen kleinen Rutsch von ihr weg, wollte sie nicht mit seinem Körper behelligen. So war er immer, er wollte niemanden verletzen, niemanden belästigen, doch das Leben war eine Ansammlung von Verletzungen und Belästigungen. Es ließ sich gar nicht verhindern, einer war immer verletzt, oder belästigt. Der Mensch war eine Mimose, die sich bei der kleinsten Berührung zurückzog. Für einen Bruchteil einer Sekunde hatte er das Bild dieser witzigen Pflanze vor Augen, dann das Bild seiner Frau.
„Das Problem ist, meine Kinder wurden dich nie lieben! Sie würden dich hassen,
von der Tiefe ihrer unschuldigen Herzen. Sie würden dich hassen, weil du nicht ihre Mutter bist. Und sie würden mich hassen, weil ich sie durch dich ersetze!“
Er ließ immer noch Abstand zwischen sie beide, so als würde eine Berührung sie in Luft auflösen. Und wenn sie nicht mehr da war, würde auch das bisschen Leben, das er noch besaß, verschwinden. Er blickte durch den Schlafraum, den er sich normalerweise mit seiner Ehefrau teilte, doch die war mit den Kindern zu ihren Eltern gefahren - Wie immer, wenn ihr die Argumente ausgingen. - und würde erst in drei Tagen wieder kommen, blieb
auf dem Foto kleben, das den Tag ihrer Eheschließung darstellte. Sie standen auf einer von weißen Marmor bestehenden Treppe, beide eine Hand auf dem vergoldeten Geländer gelegt – Sie hielt seine fest. - und schauten beide in die Kamera des Fotografen. Er war irgendwie... glücklich? Hatte alles in trocken Tüchern und sie konnten sich nun auf die Geburt ihres ersten Kindes freuen. Sein Sohn würde kein Bastard sein! Alle waren beruhigt, niemand musste weinen. Und sie? Seine Frau? Er wusste es nicht. Doch ihr Gesicht spiegelte eine Emotion wieder, die er damals als Erleichterung missverstand. Heute wusste er was das
Gesicht seiner Frau aussagte: Sieg auf der ganzen Linie! Ich habe ihn und ich lasse ihn nie wieder los, er gehört mir! Mein Schatz!
Die Stimme Gollums echote in den Wänden seines Hirns nach und für einen kurzen Augenblick hätte er lachen müssen, wenn die Situation nicht so tot traurig gewesen wäre. Mit einem Gefühl der Beklemmung schaute er wieder auf das Tattoo auf dem Rücken der Frau, mit der er nun im Bett lag. Iin dem Bett seiner Frau. Sie schwieg atmete fast nicht. Dachte über sich und seine Worte nach, fragte sich vielleicht wie mies sie doch war, denn sie wusste, er würde weder die Laken, noch die
Decken wechseln und auch nichts leugnen. Seine Frau wusste schon seit Jahren was da lief. Die Anrufe, zuerst heimlich, dann offen, denn die beiden wussten an welcher Stelle in ihrer Ehe sie angekommen waren.
Das Eheweib wollte ihre Stellung behalten. In den Augen der Gesellschaft, aber vor allen vor ihren Kindern. Die Kinder waren ihr Druckmittel. Er würde sie nicht mit den Balgern ziehen lassen, auch nicht nachdem sie das Gerücht in die Welt setzte, der älteste Knabe sein nicht sein leiblicher Sohn. Eine simple Blutgruppenanalyse brachte ihm schließlich die Gewissheit. Sein Sohn
hatte Blutgruppe 0 Er hatte A – negativ. Und das wusste er noch von der Schule A plus Null ergaben niemals 0! Er hatte auch im Gegensatz zu seiner Tochter gar keine Ähnlichkeit mit ihm. Doch und dies versuchte er tief in seinem Herzen zu vergraben, liebte er vor allen seinen Sohn, der gar nicht sein Sohn war, er hatte nur als erster HIER! gerufen. Und das Eheweib kochte diese Gefühle für ihre Zwecke eiskalt ab.
Er ihr Mann konnte mit ihr, der Konkubine, durch die Straßen flanieren, Eis essen gehen, Kinobesuche unternehmen und sogar ihren Hurengeruch auf den Kissen hinterlassen, doch er würde sie nie verlassen.
Weil sie die Macht über die Kinder hatte. Sie wusste, dass er sie abgöttig liebte.
Sie, die Frau mit dem Tattoo, die neben ihm im Ehebett lag würde nie die Oberhand bekommen, die hatte das Eheweib – und nicht nur auf dem Foto. Sie wurde sich damit abfinden müssen Besitzerin seines Herzens zu sein, aber nie seine. Ihr Herz schnürte sich zu. Oft hatte sie geflagst, dass sie in zehn Jahren mit ihm zusammen sein würde, er hatte nie gelacht. Denn sie waren ja zusammen. Sie hatte von ihm so viel mehr und doch so viel weniger. Er würde nie mit ihr gehen. Sie musste sich entscheiden. Es lag wie bei seiner Frau,
in ihrer Hand! Sie konnte die Konkubine bleiben, oder aber sich emanzipieren und den Weg für sich finden von diesem verlorenen Mann los zukommen. Sie wusste, es würde nicht von Heute auf Morgen passieren. Doch jeden Tag ein wenig mehr, bis die Konkubine gestorben war.
„Soll ich gehen?“ Die Entscheidung lag bei ihm.
„Wenn du musst!“ gab er unter Anstrengungen von sich.
Leise weinte ihr Herz. Sie sah diese japanische Frau, vielleicht auch eine Chinesin, oder eine vermummte Marokkanerin, mit ihrem Gesicht, die sich die Arme mit einer Art Dolch auf
ritzte und blutend zu Boden sank.
Sie stand auf, verließ sein Bett und zog sich an. Er blieb im Bett zurück, hatte sein Gesicht ins Kissen gedrückt, vielleicht um ihren Geruch einzufangen, vielleicht aber auch nur, um sie nicht sehen zu müssen?
„Bis morgen!“ sagte sie an der Türe.
Sie wusste, die Konkubine war noch nicht tot, doch der Tod hatte bereits seine Klauen nach ihr ausgestreckt.