Beschreibung
Empfindsamen Naturen wird von der Lektüre dieses Textes dringend abgeraten.
Ebenfalls wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in diesem Text von einigen als "vulgär" empfundene Wort verwendet werden.
Diese Ausdrücke entstammen aber sämtlich dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm und sind damit eindeutig kulturelles Erbe der deutschen Sprache !
Titel : Rückseite des Merkur (Public Domain)
Herbert Fleischer war seit vier Jahren freier Autor und schlug sich mehr schlecht als recht durch die Widrigkeiten des Alltags.
Eines Tages traf er einen Freund aus Studientagen zufällig wieder. Dieser Freund, nennen wir ihn einfach mal Anton S., lud unseren Herbert spontan in ein teueres Café ein, was Herbert ein wenig verlegen machte.
Anton aber beruhigte ihn.
"Ach was, das geht alles auf mein Spesenkonto. Ich rechne sowas mit meinem Verlag ab."
Herbert wurde hellhörig.
"Du hast einen Verlag ?"
"Oh ja, schon seit einiger Zeit."
"Und was schreibst Du da ?"
"So dies und das, was halt gefragt ist."
So sehr Herbert sich auch bemühte, genaueres war nicht zu erfahren.
Nachdem die beiden eine gute Stunde lang die guten alten Zeiten aufgewärmt hatten, verabschiedete sich Anton, da er noch einen Termin wahrnehmen musste.
"Hier, ich geb Dir mal die Karte von meinem Agenten. Da gehst Du einfach hin und sagst ihm einen schönen Gruß von mir."
"Vielen Dank Anton", rief Herbert dem Endeilenden nach.
Der Agent firmierte in einem herunter gekommenen Ziegelbau in einer abgelegenen Ecke eines ehemaligen Industriegebietes. Nach einigem Suchen fand Herbert das Büro im vierten Stock, am Ende eines,von einer flackernden Neonröhre dürftig beleuchteten, modrig riechenden Flurs.
Schliesslich stand er vor einer schmutzig braunen Holztür, deren oberer Teil verglast war. In ausgeblichenen und teilweise abgeblätterten, schwarzen Klebebuchstaben stand "Literaturagentur Enstein" auf dem altmodischem Milchglas. Herbert zögerte.
Vielleicht sollte er doch erst einen Termin vereinbaren ?
Oder besser noch, er riefe den Agenten zuvor an ?
Er zog die Visitenkarte aus der Tasche und suchte nach der Rufnummer. "Telefonate nach Vereinbarung", stand dort zu lesen. Herbert zuckte unwillkürlich die Schultern, holte tief Luft, klopfte an die Tür und trat ein.
Das Büro war vollgestopft mit uralten Aktenschränken. Vor dem alterstrüben Fenster stand ein staubiger Gummibaum mittlerer Grösse und hinter einem winzigen Schreibtisch saß eine stark blondierte Frau in einem knallroten Kleid, bearbeitete in aller Ruhe ihre Nägel mit einem türkisen Nagellack und kaute einen Kaugummi. Herbert schätzte sie auf Mitte zwanzig.
"Guten Tag", sagte Herbert.
Die Frau schaute auf und musterte Herbert mit einem abschätzigen Blick, blies eine Gummiblase und lies sie platzen. Routiniert leckte sie die Kaugummireste von ihren Lippen und fragte: "Sie wünschen ?"
"Anton hat mich hergeschickt", sagte Herbert.
"Aha". Sie legte den kleinen Pinsel aus der Hand, stand auf und ging zu einer kleinen Tür zwischen zwei verstaubten Aktenschränken, die Herbert zuvor nicht bemerkt hatte.
Mit dem Ellenbogen drückte sie die Klinke herunter, mit dem Fuß schob sie die Tür halb auf.
"Da is wieder sone Type von Anton !", rief sie.
"Soll reinkommen", tönte eine kratzige Männerstimme.
Sie kickte die Tür ganz auf und bedeutete Herbert mit einer knappen Kopfbewegung einzutreten.
Der Agent saß in einem schwarzen Ledersessel hinter einem riesigen dunkelbraunen Holzschreibtisch, auf den er seine Füsse gelegt hatte. Er trug ein beiges, leicht fleckiges Oberhemd, dessen oberer Knopf geöffnet war, bunt geblümte Hosenträger und einen pinken Schlips, auf dem in grellen Farben ein Pin-Up Bild von Mel Ramos prangte.
"Meine Freunde nennen mich Frank", sagte er und zeigte auf einen sehr wackeligen, schmutzig braunen Holzstuhl, "aber ich habe keine Freunde."
Herbert setzte sich.
Einen Moment lang war nur das Klappern der betagten Klimaanlage zu hören. Schliesslich nahm Enstein die Füsse vom Tisch und nickte Herbert aufmunternd zu.
"Anton", begann Herbert zögernd, "Anton hat mir erzählt, sie wären sein Agent und er hätte jetzt einen Verlag ?" Enstein nickte wieder.
"Und er hat mir Ihre Karte gegeben und gesagt ich solle Sie schön grüßen."
"Hmm", sagte der Agent, langte über den Tisch und nahm Herbert die Visitenkarte aus der Hand. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Karte, betrachtete auch die Rückseite, zog eine Schreibtischschublade auf und warf die Karte hinein.
"Und weiter ?", knurrte er.
"Ich habe einige Arbeitsproben mitgebracht", sagte Herbert und griff nach seiner Aktentasche.
"Arbeitsproben ?" , fragte Enstein und zog spöttisch eine Augebraue hoch, "die laß mal stecken."
Er zog eine andere Schublade auf und warf ein zerlesenes Taschenbuch in Herberts Schoß. "Kennst Du das ?"
Herbert drehte das Buch um. "Mein feuchtes Tagebuch ? Natürlich kenne ich das. Der Bestseller des Jahres !"
"Und wer hat es geschrieben ?"
"Alana Lutschtman, das weiss doch jeder", sagte Herbert.
"Soso", sagte Enstein. "Das weiss also jeder. Dann sage ich Dir jetzt mal was. Die kann gar nicht richtig schreiben.
Die kann gerade mal das reden, was man ihr vorher eingepaukt hat. Geschrieben hat es Dein Freund Anton."
"Aber", begann Herbert.
"Aber was ? Du hast sie im Fernsehen gesehen und da denkst Du tatsächlich, die Frau wäre in der Lage, ein Buch zu schreiben ?"
"Äh", sagte Herbert.
"Wir haben Alana vor zwei Jahren in Budapest gecastet und sie für fünf Jahre unter Vertrag genommen. Als erstes haben wir ihr die Story für 'Jungsspiele' untergeschoben, Du hast davon gehört ?"
In der Tat, wer in der deutschen Literaturszene hatte nicht von "Warum ich gerne ficke" gehört; schliesslich war das der Skandal des Vorjahres gewesen.
"Dann haben wir einige freizügige Photos von Alana gemacht, die wir gezielt haben durchsickern lassen, um der Sache noch ein wenig Schwung zu geben."
Herbert nickte. Er hatte die Bilder natürlich auch gesehen.
"Und schliesslich", sagte der Agent und legte die Füsse wieder auf den Schreibtisch ,"haben wir das ganze Paket mit allen Rechten an Käschkohz & Prasser verscheuert."
Herbert nickte stumm.
Dann fragte er: "Und wenn der ganze Schwindel auffliegt ?"
"Dann verkaufen wir die Exklusivrechte an der Enttarnung an den 'Starreport' . Anton schreibt schon dran."
Enstein verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und kippelte leicht vor und zurück.
Einen Augenblick lang wusste Herbert nicht, was er sagen sollte.
Dann gab er sich einen Ruck, schaute Enstein tapfer in die Augen und setzte zu seiner Frage an.
"Vierzigtausend.",sagte der Agent,"und 80 cent pro verkauftem Buch."
Herbert saß mit offenem Mund leicht vorn über gebeugt.
"Nach Abzug meiner Prozente natürlich und zuzüglich Spesen."
"Äh", sagte Herbert.
Der Agent drückte auf einen roten Knopf. Einen Moment später öffnete die Frau aus dem Vorzimmer die Tür.
"Wir brauchen einen Standardvertrag für - wie heisst Du ?"
"Herbert Fleischer"
"Für Herrn Fleischer. Das übliche."
Die Blonde nickte und verschwand.
Enstein zog eine weitere Schublade auf und brachte einen zerfledderten Papphefter und einen schwarzen Filzstift zum Vorschein.
Dann schrieb er mit schwungvoller Schrift "HERBES FLEISCH" auf den Deckel und warf den Ordner zu Herbert über den Tisch.
"Das", sagte der Agent, "ist wie gemacht für Dich."
Im Hefter fanden sich einige Bilder einer zarten Frau Anfang zwanzig in verschiedenen Posen. Die meisten Photos zeigten sie kniend oder mit Ketten gefesselt, mit schwarzer Lederwäsche spärlich bekleidet oder in teilweise zerissener Kleidung, mit angsterfülltem Blick.
Herbert musste heftig schlucken, konnte aber den aufkommenden Brechreiz unterdrücken.
Enstein nahm die Füsse vom Tisch und beugte sich vor.
"Das muss so rüberkommen. Sie will es haben und keiner kann Ihr es richtig geben. Das ist Ihr Problem, aber eines Tages , na Du weisst schon. 200 Seiten und vorab eine knappe Story. Wie lange brauchst Du ?"
Während Herbert noch überlegte, was er diesem absolut ekelhaften Pornokraten erwidern sollte, kam die Blondine mit dem Vertrag zurück.
Der Agent unterschrieb beide Exemplare, griff in die Innentasche seines Jackets, das er über seine Rückenlehne gehängt hatte und nahm fünf grüne Scheine aus seiner Brieftasche. Dann schob er die Verträge über den Schreibtisch und legte das Geld und einen protzigen Kugelschreiber daneben.
"Drei Wochen ?", fragte er.
Herbert nickte, unterschrieb und steckte den Vorschuss ein.