Kurzgeschichte
Die zwei Ratten im Spiegelkabinett - Eine Fabel von Macht, Maskerade und morscher Moral

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"Die zwei Ratten im Spiegelkabinett - Eine Fabel von Macht, Maskerade und morscher Moral"
Veröffentlicht am 13. April 2025, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht: Der Winter ist ein Bösewicht, die Bäume tragen Schneegewicht, die Stämme sind kahl und so schwarz wie ein Pfahl, die Felder sind weiß und auf dem See liegt Eis. In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.
Die zwei Ratten im Spiegelkabinett - Eine Fabel von Macht, Maskerade und morscher Moral

Die zwei Ratten im Spiegelkabinett - Eine Fabel von Macht, Maskerade und morscher Moral

"Die zwei Ratten im Spiegelkabinett"

Eine Fabel von Macht, Maskerade und morscher Moral Im fahlen Licht der Dämmerung, unter den gläsernen Kuppeln eines verlassenen Palastes, trafen sich zwei Ratten. Die eine war grau wie ein Schatten vergangener Imperien, die andere glattpoliert wie das Gold amerikanischer Türme. „Gnädiger Zar von Mäusistan,“ schnurrte die goldene Ratte, ihre Schnurrhaare voller Honigworte, „ich bringe dir Kunde aus dem Westen. Ein Angebot, so süß wie reife Kirschen im Sommer.“

Die graue Ratte, die sich selbst „Wladl“ nannte, reckte den Kopf. Seine Augen blitzten wie Frost auf Eisen: „Sprich schnell, Witkowsky. Meine Geduld ist wie ein morscher Damm vor der Flut.“ Die goldene Ratte zog eine Karte hervor – darauf vier Brocken Land, schwer wie Brotlaibe: Saporischschja. Cherson. Donezk. Luhansk. „Diese Felder, mein Herr, möget Ihr halten wie der Drache sein Gold. Im Gegenzug – ein Ende des Krieges, ein Frieden aus Papier.“ Die graue Ratte schnalzte mit der Zunge. „Frieden?“, zischte sie. „Was nützt mir Frieden, wenn ich den Tanz des Krieges liebe? Was nützt mir ein Bissen, wenn

ich den ganzen Käse will?“ Da schlich ein Wispern durch die Ritzen – ein Wind aus Kiew, der von tapferen Mäusen sprach, die nicht gewillt waren, ihr Korn den Zähnen der Besatzer zu überlassen. „Sie beißen zurück, Wladl. Und sie haben Krallen aus Stahl.“ Die goldene Ratte zögerte, doch ihr Lächeln blieb – festgetackert wie ein Plakat an einer bröckelnden Wand. „Aber hört, mein Freund – mein Meister aus Übersee, der orange Kater, will nur Ordnung. Kein Chaos. Gib ihm nur das Bild des Friedens – den Rest verhandeln wir im Schatten.“

Die graue Ratte blinzelte. „Und was, wenn ich dein Bild zerkaue?“ „Dann, mein Lieber,“ säuselte Witkowsky, „wirst du bald allein im Spiegel sitzen.“

So trennten sich die Ratten, jede mit einem anderen Ziel. Die eine wollte Territorien – die andere den Anschein, sie verschenkt zu haben. Und draußen, hinter den Mauern des Palastes, wuchs die Wut der kleinen Tiere. Moral: Wenn Ratten sich treffen, um über fremde Körner zu verhandeln,

sollten die, denen die Felder gehören, sehr wachsam sein – denn manch Frieden stinkt wie ein fauler Käse.

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Hörbuch

Über den Autor

KatharinaK
Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht:
Der Winter ist ein Bösewicht,
die Bäume tragen Schneegewicht,
die Stämme sind kahl
und so schwarz wie ein Pfahl,
die Felder sind weiß
und auf dem See liegt Eis.
In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.

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Apollinaris *hops*
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"Die zwei Ratten im Spiegelkabinett..."
Mein alter Kumpel Gotthold Ephraim Lessing
wäre in der Tat furchtbar...
...stolz auf Dich, liebe Katharina... ...smile*
LG
Louis :-)
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