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Die vier Engel - Zauberhaftes zum SP 108

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"Wie ich es sehe ..."
Veröffentlicht am 28. Februar 2025, 18 Seiten
Kategorie Kinderbücher
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Über den Autor:

Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht: Der Winter ist ein Bösewicht, die Bäume tragen Schneegewicht, die Stämme sind kahl und so schwarz wie ein Pfahl, die Felder sind weiß und auf dem See liegt Eis. In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.
Wie ich es sehe ...

Die vier Engel - Zauberhaftes zum SP 108

Titel


Die vier Engel schlüpften wortlos in ihre Gewänder und schoben die Kapuzen in die Stirn. Sie schlichen durch die nur spärlich beleuchteten Flure zum großen Tor. »Er wartet schon.« Der alte Sekretär mit dem knorrigen, spitz hervorstehenden Kiefer sah kurz vom Pult neben dem Tor auf und übergab dem Ältesten den nächsten Auftrag. Der hob skeptisch die Augenbrauen, als er das Blatt überflog. »Endlich will man nicht sagen.« Statt einer Gegenrede senkte sich der Kopf des Sekretärs. Er war müde von der

langen Wacht und bedrückt, weil er mit seiner Feder, die fast einem Fächerfarn ähnelte, schon wieder einen Haken im großen Buch machen musste. Er brummelte. »Es ist immer der rechte Zeitpunkt, doch nie der richtige.« Der Älteste nickte wissend. Dann griff er das Licht, das an der Wand hing. Sein Gefährte, ein stiller, dünner Glatzkopf, balancierte die purpurne Karaffe mit der lebendigen Träne. Ein Novize mit blond gelockten Haaren und Sommersprossen nahm still das weiße Leintuch, das gefaltet darunter auf einem kleinen Tischchen bereitlag. Der Vierte, ein etwas dicklicher Neuling mit leicht dümmlichem Blick, hängte sich

den kleinen Beutel um, der an dem zweiten Haken an der Wand hing. Sie wussten, was von ihnen erwartet wurde. Draußen bestiegen sie eine Wolke und ließen sich zu ihrem Bestimmungsort bringen. Da segelten sie auf Regentropfen zur Erde. Indem sie mit ihren Füßen den Boden berührten, versiegte der Schauer, als wäre er nie auf die Erde niedergegangen. Im nächsten Moment breiteten die Jungen das Tuch aus und der kahlköpfige Engel fing vorsichtig Steffens lichterfüllte Seele auf. Mit der Träne aus der Karaffe benetzte der Älteste das Halbdunkel des aufkommenden Morgens. Den Beutel

legte er auf dem Fensterbrett ab. Ein letzter Blick auf das Bett, in dem ein kleiner Körper reglos zurückblieb, dann machten sie sich auf den Weg die Regenbogentreppe hinauf. Die Jungen zählten halblaut die unzähligen Stufen mit, während sie die Zipfel des Leintuches fest umklammert hielten. Nur ihre Tritte durchbrachen die in sich gekehrte Stille. »Warum lassen wir immer einen Beutel zurück?«, fragte der Pummelige den Lehrmeister, der fest voranschritt. »Das könnten wir uns sparen. Er ist löchrig wie ein Netz, Da bleibt doch gar nichts drin.« »Ich würde es auch gerne wissen«, warf

sein Kumpel nach Atem ringend ein. Die großen Engel sahen ärgerlich zu ihnen herab. Die Lehrjungen sollen einfach ihren Job machen, brummten sie in sich hinein. »Ihr werdet es wissen, wenn die Zeit gekommen ist«, sagte der Älteste mit sonorer Stimme. »Geht«, murrte der Stille ungehalten, obwohl er sich diese Frage insgeheim selbst gestellt hatte. »Aber wir wollen es wissen!«, schnauften sie. Der Älteste hielt einen Moment inne und leuchte mit der Laterne in die Nacht. Ihm war die Anstrengung des Aufstiegs anzusehen. »Kommt, wir machen eine

Pause. Dann erzähle ich euch, warum in manchen Beuteln scheinbar nichts drin ist. Setzt euch.« Augenblicke später saßen sie auf den Stufen der Regenbogentreppe. Vom Horizont kamen die ersten Sonnenstrahlen zu ihnen. Ein herrlicher Friede umgab sie. »Also, hört gut zu. Die Beutel bewahren die Erinnerung an das Leben. Mancher ist prall gefüllt, einige nur halb und in anderen steckt Wichtiges wie Banales. Ein Beutel wiegt schwer, der andere ist leicht wie eine Feder. Manches geht im Leben verloren, oder wird nicht rechtzeitig wiedergefunden, oder auch bewusst verlegt. Und dann erscheint der Beutel leer. Aber Nichts geht in

Wirklichkeit verloren«, fügte er mit sanfter Stimme hinzu. »Steffens Beutel ist aber leer. So haben seine Eltern und alle, die ihn kannten, ja nichts, an das sie sich erinnern können. Das ist so traurig.« Der Älteste hob ratlos die Schultern. Er stellte die Fügung nicht infrage, er nahm alles, wie es kam. Der Glatzkopf schmunzelte in sich hinein. »In seinem Beutel fehlt nur ein unbedeutendes Blatt Papier. Es war ein Art Brief, eine kleine Geschichte. Doch sie gibt es nirgends mehr. Allerdings erinnere ich mich an ein paar Details.« »Warum hast du nicht wenigstens die hineingetan? Was soll jetzt werden?« Der

Älteste hob die Augenbrauen. Sein Kollege war schon eine Marke! »Entschuldige, ich habe es vergessen«, meinte der Glatzkopf, ehe er die Novizen mit ernstem Blick ansprach. Seine Augen leuchteten auf einmal. »Ich könnte versuchen, die Erinnerung zusammenzutragen, und ihr schreibt sie sauber auf. Ihr habt doch immer eure Notizblöcke parat. Und dann geben wir sie den Tauben mit, die stets zur Mittagsstunde vorbeikommen.« »Au ja, das machen wir!« Die Sommersprossen des blonden Jungen hüpfen freudig. Der Dicke zog eine Grimasse. »Das ist nicht mein Job.« »Was soll das helfen? Das ist doch nicht

das Gleiche!« Der Älteste war nicht überzeugt. Dann nickte er plötzlich. »Gut, dann lasst uns keine Zeit verlieren.« Er war erleichtert, dass sich eine Lösung für dieses große Problem gefunden hatte. Dass sie dafür wahrscheinlich zu spät zur Versammlung kamen, würde er auf seine Kappe nehmen. »Also, es war einmal vor langer Zeit«, hob der Kahlköpfige an, kaum, dass die Novizen Stift und Papier gezückt hatten, »da trottete ein junger Hund auf seinem Weg ins Leben. Er sah bedrückt aus, fast wie ein zertretener Hundehaufen, dabei war alles so fröhlich um ihn. Bienen summten und Vögel zwitscherten,

während sie um die Wette flogen. Überall sah er in zufriedene Gesichter. Nur in seinem Innern blieb die Schwermut.« »Ist das Steffen?«, unterbrach der blonde Junge. »Wie man es nimmt. Aber lass mich weitererzählen. Also der Hund ging seinen Weg. Da kam er an einer Schar Tauben vorbei, die ihn freundlich grüßten. »Hallo kleiner Hund, was bist du so traurig? Das Leben ist doch schön.« »Das will ich ja glauben.« Er schüttelte den Kopf und sein Fell wirbelte umher. »Aber ich bin nicht schön und lange nicht so bunt wie alle anderen. Mein Fell ist ganz und gar farblos, fast

durchscheinend, als wäre es nicht. Wenn ich nur so schöne, bunte Federn hätte wie ihr, glitzernd und schillernd! Könnt ihr mir nicht ein paar abgeben?« »Wenn es dich glücklich macht.« Sie gaben ihm eine Handvoll, die er sich über die Schultern warf. Der Hund schüttelte sich und staunte. Endlich Farbe! »So ist es schön. Danke, ihr Lieben.« Den Tauben schien der Hund ein Stück gewachsen zu sein. Als er an einer Wiese vorbeikam, wo ein Löwe unter einem Baum im Schatten lag, überkam ihn wieder Verzweiflung. Der Löwe bemerkte das. »Hey, Kleiner, was ist los mit dir?«

»Ach, ich bin Nichts gegen dich! Wenn ich nur so eine tolle Mähne wie deine hätte, wäre ich sicher wer.« »Das bist du doch. Aber wenn es dein Herz freut, schenke ich dir eine Strähne.« Tat es und legte sich wieder nieder. Der Hund steckte das Haarbüschel an den blassen Schopf. »Danke, Löwe, so kann ich gehen.« Der Löwe bemerkte erfreut, dass der Hund ein Stück über sich hinausgewachsen war. Als er an einer Wiese mit abertausenden Schmetterlingen und Insekten vorbeikam, überkamen ihn wieder trübe Gedanken. »Ihr seid alle so schön! Nur ich bin nichts wert. Könnt ihr mir nicht etwas

Farbe abgeben«, fragte er in Richtung einer stolz aufragender Kornblume, die von Insekten umzingelt war. Die Schmetterlinge sahen ihn erstaunt an. »Du bist, wie du bist, und das ist gut so. Aber wenn es dich glücklich macht, bitte.« Jeder Schmetterling übergab ihm eine Farbe, ein paar Tupfen hier, ein paar bunte Punkte dort. Auch die Kornblume schüttelte sich, dass ihr Pollen sein Fell glitzern ließ. Der Hund war überglücklich. Er lief zu dem See, der am Waldrand in der Sonne glitzerte. Vor Aufregung hatte er eine ganz trockene Kehle bekommen. Er trank hastig ein paar Schlucke. Als sich die Wellen legten, sah ihm ein

fremdes Gesicht entgegen. Er erschrak leicht. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Er flüchtete unter den erstbesten Baum. »Was ist denn mit dir passiert? Du siehst ja lustig aus! – Bist du ein Hund, ein Vogel oder ein Insekt? Oder gar ein wildes Tier? – Bist du etwa in einen Farbtopf gefallen?« Eine Schar Entenkinder watschelte um ihn herum. Eines stolperte über eine Fischgräte und schlug unsanft auf. Seine Geschwister kugelten sich vor Lachen, beruhigten sich aber ebenso schnell wieder. »Nein, natürlich nicht. Aber ich war so traurig, weil ich ohne Farbe geboren bin. Da habe ich mir überall Farbe, bunte

Federn und prächtiges Fell geliehen.« Er ließ bekümmert den Kopf hängen. »Doch jetzt erkenne ich mich nicht. Was soll ich nur tun?« »Das Richtige«, tönten die grauen Federbälle wie aus einem Schnabel. Der bunte Hund dachte kurz nach. Er verstand. Mit einer heftigen Bewegung riss er die Federn und das Büschel Löwenmähne aus. Dann rieb er auch die Farbtupfen weg. Wenig später schüttelte er sich auf der Wiese und lachte laut. »Das wäre geschafft!« »Wie fühlst du dich jetzt?« Die Entenmama sah ihn freundlich an. Eine Träne kullerte über seine Wange.

»Aber jetzt bin ich farblos wie zuvor.« Da suchte die Sonne ihren Weg durch die Wolken. Ihr Strahlen traf ihn. Plötzlich sahen die Enten und Schmetterlinge, die herbeieilten, den farblosen Hund in allen Farben der Welt leuchten. Sie konnten nur staunen. »Was für ein Zauber! – Welch großes Glück, dass wir das sehen dürfen!! – Ein besonderer Hund!« Der kahlköpfige Engel hielt einen Moment inne, und den Horizont umspannte der größte Regenbogen, den sie je gesehen hatten. In ihrem Herzen breitete sich tiefe Freude aus, und von fern kamen die Tauben auf sie zu geflogen. »Hier endet die Geschichte.« Der

Kahlköpfige schob die Kapuze in die Stirn. Die Novizen falteten ihre Blätter und übergaben sie dem ersten Vogel. Der Älteste erhob sich. »Nein, Freunde, hier fängt eine Neue an. Kommt, wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«




Diese Geschichte ist ein Nachruf aus 2017, die Vorgabewörter sind fett markiert und entsprechen den Wettbewerbsbedingungen.

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Über den Autor

KatharinaK
Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht:
Der Winter ist ein Bösewicht,
die Bäume tragen Schneegewicht,
die Stämme sind kahl
und so schwarz wie ein Pfahl,
die Felder sind weiß
und auf dem See liegt Eis.
In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.

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Kornblume Hallo Katharina,
schön, dass Du Dich an der SP 108 beteiligst. Hast die Vorgabeworte gut in die damalige Geschichte eingearbeitet. (laut Regel erlaubt)
Ich hoffe es geht Dir gesundheitlich gut und auch überhaupt gut.
Grüße schickt die Kornblume an Dich, in Deine wunderschöne Heimat.
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Eichenlaub 
Liebe Katharina,
was für eine "Engelhafte" Geschichte, die Du von 2017 für unsere Schreibparty 108 genommen hast. Sehr ergreifend, mitfühlend und die Vorgabewörter hast Du auch perfekt eingearbeitet.
Wir freuen uns, dass Du dabei bist.

Lieben Gruß
Gerlinde
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