Im eisblauen Palast der Schneekönigin ist es mucksmäuschenstill. Alle, außer dem Christkind und Frau Holle, sind der Einladung des Weihnachtsmannes gefolgt. Jeder möchte wissen, was er zu sagen hat.
„Undankbar, gleichgültig und herzlos sind die Menschen“ polterte er los. Habe keine Lust mehr auf Trallala, Brimborium, Tingeltangel und Heuchelei unterm Weihnachtsbaum. Muss mir das nicht mehr antun. Weihnachten fällt dieses Jahr aus“, schimpfte er weiter.
„Was ist denn passiert“ fragte die kleine
Meerjungfrau.
„Stellt euch vor", begann der Weihnachtsmann:„gestern in Mannheim schrie der siebenjährige Jan-Lucas: “na endlich“, riss mir den Sack mit den Geschenken aus der Hand und schlug mit Schwung mir die Tür vor der Nase zu.
Nachmittags in Leipzig, stach mich Lisa Marie wütend mit einer Stricknadel ins Bein, warf die schöne Puppe in die Ecke und stampfte mit den Füßen.
Abends in Berlin am Glühweinstand auf dem Weihnachtsmarkt, rissen mir Ben, Thomas und Renate aus lauter Übermut und Schabernack die Bommel von meiner
roten Mütze, lachten über den unmodernen Mantel und über meinen langen Bart.
Ich war so wütend, dass ich am liebsten die Rute benutzt hätte.
„Das ist ja furchtbar“, rief das Aschenputtel und ihre Taube gurrten nickend dazu.
Rübezahl und die sieben Zwerge diskutierten laut durcheinander, Dornröschen und Schneewittchen fingen an zu weinen und der Räuber Hotzenplotz riss sich vor Aufregung die Knöpfe von der Jacke.
„Ruhe, alle mal herhören“ rief die Schneekönigin und klopfte mit dem Löffel an ihre goldene Tasse.
"Wer ist dafür, dass Weihnachten in diesem Jahr ausfällt?"
Zögernd hoben Schneeweißchen und Rosenrot die Hände.
„Zweimal Ja“, notierte die Königin, schaute streng in die Runde und fragte: “was wollen die Anderen?“. Stille, niemand wagte zu atmen.
Da meldete sich der „Teufel mit den drei
goldenen Haaren“ und rief:„meine Schwester, die Hexe Babajaga und ich, möchten die Menschen kräftig ärgern und
foppen. Wir verkleiden uns als Weihnachtsmann und Christkind, füllen in die Weihnachtspakete Kohlen und Stroh, reißen von den Autos die Scheibenwischer ab, locken sie mit den Smartphons in die Kälte, beißen heimlich in die Weihnachtsgänse, zünden das Lametta am Baum an, bestrafen die Boshaften mit Teufelsspuk und lassen die Dummen in der Hölle schmoren.
„Oh neiiiiiiiinnnnnn“, erschrocken schlugen die Heinzelmännchen die Hände vor den Mund. Was der Weihnachtsmann erlebt hat ist schlimm. Doch das sind doch nur Einzelfälle. Wir kennen die
Menschen besser. Sie sind freundlich,
fleißig, aufopfernd und voller Mitgefühl für Arme und Kranke. Sie spenden Geld, obwohl sie oft wenig besitzen. Manche Kinder verschicken eigenes Spielzeug in Schuhkartons in ärmere Länder.
Viele basteln mit Oma und Opa, backen für Mutti Plätzchen und lernen freiwillig Weihnachtsgedichte. Die Erwachsenen zünden Kerzen an, gehen in die Kirche, singen festliche Lieder, küssen sich untern Weihnachtsbaum und feiern fröhlich in gemütlicher Runde. Jedes Jahr danken sie dem Weihnachtsmann, dem Christkind und auch dem lieben Gott, für das herrliche Fest im Kreise der Lieben. „Wenn das so ist“, räusperte
sich der Weihnachtsmann und wischte sich mit dem Taschentuch verstohlen eine Träne aus den Augen. Bin ja nicht nachtragend. Werde jetzt sofort die Briefe der Kinder beantworten. Alle anderen verladen die Pakete auf den Schlitten und helfen dem Christkind beim Anziehen.
„Dürfen die Hexe und ich auch mit machen ?“ fragte der Teufel den Weihnachtsmann. Der zögerte einen Augenblick, winkte die beiden
heran und flüsterte ganz leise:„Ihr blast den Boshaften und Undankbaren die Kerzen am Weihnachtsbaum aus und bespuckt ihr Holz, damit es schlecht
brennt und im Kamin qualmt. In der heiligen Nacht verdunkelt ihr den Mond und stöpselt, statt Weihnachtslieder, Wolfsgeheul in ihre Ohren“.
„Aye aye sir“, rief laut der Teufel, schlug die Hacken zusammen, salutierte und flüsterte kichernd beim Gehen der Hexe zu:„wirklich cool der alte Zausel, weil er selbst mit dem Teufel seine Späßchen treibt.“
Das Christkind saß wartend in der Küche bei Frau Holle. Im Radio lief die neue Weihnachts- CD der Bremer Stadtmusikanten. „Oh, Tannenbaum, oh, Tannenbaum, wie grün sind deine
Blätter“.
Es summte leise mit und fragte Frau Holle: „Ob Weihnachten in diesem Jahr ausfällt?“ Frau Holle schaute auf die Sanduhr, in der die Zeit vor sich hinrieselte und seufzte traurig: "sicher, wenn nicht doch noch ein „Wunder“ geschieht."
Da klopfte es laut an der Tür. Draußen
hüpfte aufgeregt das Rumpelstilzchen von einem Bein auf das andere, riss sich die Mütze vom Kopf und sagte fordernd;
„bürstet den Mantel des Weihnachtsmannes, lasst ihm ein Bad ein, schüttelt die Betten und füttert Rudi das Rentier. Gleich nach dem Rasieren
will er los, um noch rechtzeitig auf der Erde die Weihnachtsgeschenke zu verteilen. Wir alle helfen mit und selbst der Teufel ist diesmal mit von der Partie."
Das Christkind und Frau Holle klatschten in die Hände und begannen sofort mit den Vorbereitungen. Sie verwandelten alle Regentropfen in glitzernde Schneeflocken, putzten die Sterne blitzblank und schmückten die grauen Wolken mit Silberfäden. Das Christkind zog ihr schönstes Kleid an und half Frau Holle beim Betten aufschütteln.
Auf der Erde läuten die Kirchenglocken. Kinder und Erwachsene schauen in den Himmel, freuen sich über den Schnee, trinken auf dem Weihnachtsmarkt Punsch und zünden zu Hause die Kerzen auf dem Adventskranz an.
(C) Martina Wiemers