Biografien & Erinnerungen
Tante Trudel - SP 106

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"Tante Trudel - SP 106"
Veröffentlicht am 23. November 2024, 6 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
© Umschlag Bildmaterial: nuchylee@FreeDigitalPhotos.net
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Über den Autor:

Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und ...
Tante Trudel - SP 106

Tante Trudel - SP 106

Schreibparty 106: Novemberbilder

So zwiespältig oder traurig viele unserer reichhaltigen Erinnerungen auch seien, eines Tages werden sie unerwartet nütz-lich. Vaters Tante Trudel war ein Muster-exemplar ihres Sternbilds. Gutmütig und großzügig zu allen Anwesenden, mür-risch herziehend über alle Abwesenden. Uns Kinder verwöhnte sie regelmäßig mit Unmengen Süßigkeiten, die nicht nur wegen der Masse keine Dankbarkeit auslösten, sondern auch, weil sie sich draußen über unsere angebliche Gier

beklagte, wegen der sie noch immer ein wenig arbeiten müsse. Sie und andere Leute lehrten uns schnell, eine menschliche Vielfalt zu akzeptieren, notfalls distanziert zu ertragen. Tante Trudel verbrachte ihr Leben „un-bemannt", abgesehen von kürzeren Be-kanntschaften mit den Erzeugern ihrer beiden Kinder: in einer Zeit lange vor DNA-Tests und lange vor Frauenrechten; in einer Kleinstadt mit schnellen bös-willigen Vorurteilen. Unser Vater mußte oft ihr Türschloß auswechseln, weil der Hauswirt „ganz sicher" in ihrer kleinen schmuddligen Wohnung herumspionierte:

Als sie nämlich heimkam, stand ihr Glas plötzlich woanders. Doch auch neue Schlösser halfen freilich nicht lange. Tante erzählte einmal von ihrer Schwe-ster, die von deren Mann geprügelt wur-de, wenn das Essen nicht pünktlich auf dem Tisch stand. Ich sagte „Du hast es da alleine besser!" Sie stutzte und lä-chelte dann: „Da hast du eigentlich recht." * * * * * Draußen herrschten der übliche kalte dunkle November sowie ein kaum er-forschtes tückisches Virus. Zum großen

Glück hatten die Kollegen uns allen rasend schnell den Rechnerzugriff aus der Ferne eingerichtet, die Corona-Quarantäne traf uns also nicht ganz so hart. Die menschlichen Kontakte fehlten aber doch. Einmal stand ich nachts kurz auf und zuckte zusammen: Wie kommt die Suppentasse in den Flur? Hier war einer drin und signalisiert damit grin-send, „Hej, wir haben dich!" ─ Es war nur ein kurzer Blitz, dann griff ich mir an die Stirn und lachte: „Huhu, Tante Trudel …" © 2024 Brubeckfan

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Über den Autor

Brubeckfan
Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und das ist allermeistens.

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sorrynocoffee 
Tja, das waren noch die alten Haudegen. Der Tag begann vor dem Hahnenschrei und der Feierabend war die Nacht.

Grüßle,
sonoco
Vor einem Monat - Antworten
Brubeckfan ,,, sie hielten sich irgendwie über Wasser, überlebten Zeiten von Not und Krieg und Ideologiewechseln von Wilhelm zu Hitler zu Honi zu Birne. Wobei, wenn Kaiser Wilhelm auf dem Bildschirm erschien, strahlte sie immer, sicher in Jugenderinnerung.
Gruß und Dank!
Gerd
Vor ein paar Wochen - Antworten
Tetris Lieber Gerd!
Irgendwann ist jeder dran ... und eine kleine Tante Trudel steckt in jedem von uns.
Amüsierte Grüße
Mara
Vor einem Monat - Antworten
Brubeckfan Erst nach meinem "Gedankenblitz" damals dachte ich über sie nach, über Prof. Freuds Deutungen und über Ihr Murren nun da oben, wegen des ständigen Harfenkonzerts ...
Dank und Gruß, liebe Mara,
Gerd
Vor einem Monat - Antworten
FranckSezelli Hallo Gerd,
vielen dank für deine Erinnerungsgeschichte, die mich zum Schmunzeln brachte. Ich glaube, so hat fast jeder eine "Tante trudel" in seiner Familie.
Liebe Grüße
Franck
Vor einem Monat - Antworten
Brubeckfan Hallo Franck, eigentlich war Tantchen eine ganz bedauerliche Ausgeschlossene, doch ihre Natur bewahrte sie vor Depression, sie war im Gegenteil sehr vital. Hatte natürlich Notzeiten erlebt und aß schimmligen Joghurt, bückte sich nach Gummibändern auf dem Gehweg ... Was bleibt, ist dennoch ein wenig Schmunzeln über sie.

Danke Dir, und schönen Abend,
Gerd
Vor einem Monat - Antworten
schnief Eine sehr schön Geschichte, die mir ein Schnunzeln ins Gesicht zauberte. Toll verfasst.
Liebe Grüße Manuela
Vor einem Monat - Antworten
Brubeckfan Tjaja, spotte nie zu sehr, denn es steckt auch in Dir ...
Herzlichen Dank, und schreckfreie Woche!
Viele Grüße,
Gerd
Vor einem Monat - Antworten
Kornblume Hallo Gerd,
beim Lesen Deiner netten Geschichte kamen Erinnerungen an unsere "West"Tante Else, der Besucherschreck in der ganzen Verwandtschaft, hoch. Sie hat spät geheiratet, (Beamter in hoher Stellung in Berlin), galt deshalb später bei allen als reiche Witwe. Eigentlich hatte sie ein gutes Herz. Hat Pakete noch und nöcher an alle geschickt. Nie wurde jemand vergessen. Aber zu den Feiertagen "schwebte "sie ein, blieb einige Wochen und war Königin. Ich könnte ein 1000seitiges Buch darüber schreiben.
Aber in jeder Familie gibt es eine Tante Trudel oder Else, manchmal ist es auch der Onkel Max oder Erwin.
Ich freue mich, über Deinen Beitrag zur Schreibparty, denn diese lebt vom Mitschreiben ,vom Lesen und Kommentieren
Sonntagsgrüße an Dich, schickt die KOrnblume.
Vor einem Monat - Antworten
Brubeckfan Liebe Martina,
nun ging es Deiner Figur im "Novembernebel" ganz ähnlich wie mir bei Nacht. "Hinterher kann man über sich selbst nur lachen."
Den ersten Düstermonat haben wir schon hinter uns!
Gerd
Vor ein paar Wochen - Antworten
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