Schreibparty 106
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Thema: Novemberbilder
Unheimlich, still und gespenstisch am späten Nachmittag dieser parkähnliche Garten. Nebel zieht wabernd durch die Luft. Alles nass und rutschig. Blätter fallen lautlos von den Bäumen.
Eigentlich möchte Irene diesen Weg heute nicht gehen, doch sie muss. Ihre Mutter wartet. Sitzt sicher schon am Fenster der Wohnung in der Seniorenresidenz, schaut nach draußen, macht sich Sorgen.
Irene zuckt zusammen, als es neben ihr raschelt. Sicher eines dieser vielfältigen kleinen Tierchen versucht sie ihre Nerven zu beruhigen und beschleunigt den Schritt.
Sie biegt um die Ecke und bleibt abrupt stehen. Auf dem Weg neben der Blumenrabatte steht im Dunkeln ein Mann mit einem länglichen Gegenstand in der Hand. „Ein Gewehr, eine Machete“, fragt sie sich ängstlich und versucht ruhiger zu atmen.
„Hallo Irene“, sagt plötzlich eine Stimme hinter ihr, greift nach ihrer Hand und fragt lachend: „Du hast doch nicht etwa Angst bei solchem Wetter. Bist doch sonst eine taffe Frau, die so schnell nichts umhaut? Habe dich aus dem Auto steigen sehen, doch wie schon so oft, hast du mein Rufen nicht gehört, warst wieder einmal schneller als ich." Irene
erholt sich nur langsam von dem Schreck und sagt dann mit fester Stimme: „Angst, ich“, tut erstaunt, hakt sich bei ihrem Mann ein und geht mit ihm vorsichtig Richtung spärlich beleuchteten Eingang der Seniorenresidenz.
Der Mann auf dem Weg kommt ihnen langsam entgegen, bleibt stehen, umarmt Irene und sagt vorwurfsvoll: "Spät dran heute. Mama schwelgt, wie immer an diesem Tag, in Erinnerungen. Sie ist noch aufgeregter als sonst. Musste mit ihr am offenen Fenster in den Nebel starren, bis wir endlich das Knirschen deiner Autobremsen, danach das wuchtige Knallen der Tür und deine
Schritte im Garten hörten. Warte hier in der Kälte mit den Blumen auf dich und friere mir fast die Ohren ab."
Beim Sprechen wickelt er vorsichtig langstielige Rosen aus dem Papier und reicht Irene und ihrem Mann jeweils
3 Stück.
"Ich habe schon geahnt, dass ihr nicht an ihren Namenstag gedacht habt.Wollen doch solch Drama wie damals, als Papa noch lebte und sie vergessen hatte, lieber vermeiden. Kommt lasst uns endlich reingehen. Mama hat reichhaltig Kuchen gebacken, den Tisch nett eingedeckt und die chinesische Vase mit Wasser gefüllt" sagt er leicht ungehalten und öffnet die Tür.
„Du bist ein Schatz, mein lieber Robert, wenn ich dich nicht hätte“, lobt Irene dankbar ihren Bruder und hakt sich ebenfalls bei ihm unter. Als sie zu dritt durch den hellerleuchten und herbstlich geschmückten Flur die Treppe nach oben gehen, ist sie doch sehr froh dem Nebel draußen und den unwirklichen, gespenstischen Bildern entronnen zu sein.
Wortvorgaben: Dankbarkeit, dunkel,
Erinnerung, Vielfalt,
reichhaltig, ziehen
Text: Martina Wiemers
Buchcover und Bilder im Buch kostenlos,
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