Geteiltes Leid
(Hintergrundinformation: Ich schrieb einst diese Geschichte für eine frühere Exfreundin und veröffentlichte diese sogar online, aber nach der Trennung löschte ich es komplett, da ich Sie nicht verewigen wollte. Nun habe ich mich aber dennoch dazu entschlossen, diese wieder publik zu machen. Da mir die Originalgeschichte allerdings fehlt, werde ich diese komplett neu umschreiben. Die Handlung an sich habe ich noch im Kopf, nur leider natürlich nicht mehr genauere Details. Damals kam diese Kurzgeschichte gut an und
hoffentlich diesmal ebenfalls. Ich habe viel zu viele düstere Themen veröffentlicht, von daher wäre solch eine Abwechslung bestimmt willkommen.)
In einer früheren Epoche, in der Sagen und Mythen noch keine Hirngespinste waren, streifte einst ein buckliger Mann umher. Sein Antlitz war verhüllt von einer dunklen Robe und dessen Kapuze. Er wurde nur selten von anderen Menschen gesichtet, aber falls dieser Fall dennoch eintraf, erwiderte er meist von ihnen skeptische oder mit Furcht gezeichnete Blicke. Manche Leute hielten ihn jedoch für einen wandernden Mönch und erklärten sich seine stille Art
mit einem Schweigegelübde, aber alle von diesen ungewollten Beobachtern hatten dieses Gefühl gemeinsam: Sie waren sich sicher, dass dieser Wandersmann etwas zu verbergen hatte.
Doch eines Tages erkundeten seine rastlosen Beine ein Fleckchen Wildnis mitten im Wald, in welcher er eine ungewöhnliche Begegnung machte. Eine junge, zierliche und eher kleinwüchsige Dame weinte herzerweichend ihre Seele aus dem Leib. Für einen Moment hielt er inne und beobachtete sein Umfeld genaust. Zu lange wanderte er umher um nicht gelernt zu haben, dass manche Situationen potentielle Fallen und Hinterhälte darstellen könnten, jedoch
konnte er niemand anderes erblicken, als dieses Geschöpf vor sich. Selbst als er eine Weile vor ihr stand, schien sie seine Präsenz nicht bemerkt zu haben, was ihm ebenfalls seine Skepsis nahm, da bei einem geplantem Akt diese Frau vor ihm zumindest heimlich zu ihrem Opfer geblickt hätte. Folglich keine Lockvogeltaktik und allem Anschein nach auch keine anderen möglichen Räuber um diese herum. Doch dann erspähte er plötzlich doch etwas seltsames: Auf ihrem Rücken waren ungewöhnliche Fetzen zu erkennen, welche keinem Stoff ähnlich zu sein schienen, die für Kleidungen herkömmlich wären. Diese zerfetzten
Überreste wiesen sogar Rückstände von Blut auf. Vorsichtig näherte er sich ihr, wobei sie ihr tränenverschmiertes Gesicht zu ihm wandte und dann stotternd fragte: "Ei-ein Mensch?"
Verneinend schüttelte er seinen Kopf um ihr zu antworten. Sie schlug ihre Hände vors Gesicht und gab sich ihrem Selbstmitleid erneut hin. "Ach, was schert es mich, was oder wer du sein magst! Ich bin ein Nichts, nur noch ein Nichts."
Während sie von ihrer Trauer sichtlich gepeinigt wurde, saß er sich zu ihr auf den Boden hin und schwieg weiterhin. Er beobachtete sie, leistete ihr auf diese Weise Gesellschaft ohne zu wissen, ob
sie diese wünschte oder nicht und gab ihr geduldigst Zeit, sich wieder zu beruhigen. Sie hingegen reagierte genervt auf seine dreiste Annäherung und fauchte ihn an: "Amüsiere ich dich, Fremder?!"
Erneut schüttelte er abstreitend den Kopf und deutete mit seinem Zeigefinger auf die seltsamen, wundübersähten Überbleibsel auf ihrem Rücken hin. Für einen Moment erstarrte sie vor Schmerzen und wisperte dann: "Ein Luchs überfiel mich. Reisste mir meine Flügel aus, aber ich konnte entkommen. Doch eine Fee ohne Flügel ist nicht willkommen bei Ihresgleichen, weshalb ich von nun an einsam und alleine
dahinvegetieren muss."
Sie schluckte dann heftig und brach erneut in Tränen aus. "Ach, hätte das Biest mich doch gefressen!", schluchzte sie und kauerte zusammen. Sie konnte nicht erahnen, dass dieser Fremde mehr als gut ihr Leid verstand. Von daher stand er nun auf und entledigte sich seiner Robe. Es benötigte einen kurzen Moment bevor sie ihr trauerndes Gesicht vom Boden abwandte und ihn erblickte. Vor sich sah sie nun sein Gefieder, welches er unter der Tracht versuchte versteckt zu halten und die Illusion eines Buckels vermittelte. Sie war dazu in der Lage zu sehen, was er optisch verborgen hielt, jedoch konnte sie nicht sehen,
wieviel mehr er damit offenbahrte: Auch er war ein Ausgestoßener, auch er verbrachte sein Dasein damit, alleine zu trauern und war bei Seinesgleichen nicht mehr willkommen. Doch worüber sie sich noch nicht im Klaren war, war die versteckte Absicht seiner Enthüllung: Er begann sich seine eigenen Flügel rauszureissen und schrie dabei lauthals und schmerzgeplagt, die kleine Fee erschauderte bei dieser selbstzerstörerischer Handlung mit weitgerissenen Augen. "Was zum Teufel ist in dich gefahren?!", schrie sie ihn an doch er ließ sich nicht davon beirren. Aus seiner Robe holte er eine Nähnadel und Zwirn hervor und nähte seine Flügel
an den verkümmerten Flügelansätzen der Fee an. Die Stiche schmerzten sie selbstverständlich, jedoch hatten der Schock und die Überraschung sie wehrlos gemacht und auch dieses ungewöhnlich, starke Vertrauen, welches sie für den gefallenen Engel empfand beraubte ihr jeglichen Wunsch nach einem Widerstand. Sobald er mit seiner Näharbeit fertig war, probierte sie sofort ihre neuen Flügel aus und voller Freude schwirrte sie um ihn dankbarst umher, wie ein verspielter, kleiner Schmetterling.
Dank seines großen Opfers war sie nun nicht nur wieder willkommen bei den anderen Feen, sie stoch sogar mit ihren
ungewöhnlichen Flügeln hervor und würde seine Güte nie wieder vergessen. Er hingegen gab mit diesem Geschenk die Möglichkeit komplett auf, wieder eines Tages zu den anderen Engeln zurückkehren zu können und nur die Narben auf seinem Rücken würden ihn an seine wahre Herkunft erinnern können, doch wer weiß? Vielleicht könnten eines Tages nun die Menschen ihn akzeptieren lernen? Doch bis dahin würde er noch weiter einsam umherstreifen.