Doc Superarzt
Vorab: Ich hasse Arztbesuche!
Deshalb gehe ich möglichst nur einmal im Jahr zu meiner türkischen Ärztin. Sie ist locker drauf und hält keine medizinischen Vorträge.
„Du musst endlich zu einem vernünftigen Arzt“, quengelt meine beste Freundin. „Deine komische Ärztin, die macht doch nichts.“
„Eben“, kontere ich. „Ich habe ja auch nichts.“
Sie schaut mich kritisch mitleidig an. „Du siehst schlecht aus, ganz blass! Wer weiß, was du hast! Anämie … oder so
…Du lässt dir sofort einen Termin bei meinem Doc geben, ehe es noch schlimmer wird! Er ist super!“
Plötzlich fühle ich mich schlecht. „Meinst du?“
„Oh ja!“
Ich bin guter Dinge. Habe mich vor dem Arztbesuch gründlich im Spiegel betrachtet und finde, dass ich schon viel besser aussehe. Aber sicher ist sicher.
So sitze ich dem Superdoc gegenüber. Er fragt nach der Krankengeschichte meiner Familie. Das dauert …
Ich brauche eine Augensalbe, aber die verschreibt er mir nicht, ich soll zum Augenarzt
gehen.
Der Drucker rattert …
„Drei Überweisungen?“, frage ich verwirrt.
„Wir müssen auf Nummer sicher gehen“, ist die Antwort.
„Augenheilkunde, okay. Angiologe? Kenne ich nicht.“
„Ihr Großvater ist an einer Arteriosklerose gestorben, das haben sie eben selbst erzählt.“
„Aber er ist 85 geworden“, sage ich und schaue mir die nächste Überweisung an.
Spontane Schnappatmung.
„Gastroenterologe … Darmspiegelung???“
„Nur prophylaktisch. Sie müssen wissen
– ich hatte Darmkrebs.“
„Echt … und weil Sie … soll ich …“, stammele ich.
„Es ist zu deinem Besten, Mädchen.“
Mädchen???
„Never ever!“ Ich schüttele bockig den Kopf.
Er mustert mich kalt. „Noch etwas, Sie sind extrem dünn! Zu dünn.“
„Wie jetzt? Wieso zu dünn? Für meine Größe bin ich genau richtig. Übrigens ernähre ich mich vegetarisch“, kontere ich.
„Da haben wir es. Sie ernähren sich nicht vernünftig.“ Der Arzt runzelt seine buschigen Augenbrauen. “ Reichhaltig, nachhaltig, gesund, ausgewogen und
zuckerfrei, das ist meine Devise. Zum Thema empfehle ich dieses Buch!“ Er hält mir ein Taschenbuch unter die Nase. „ich habe im letzten Jahr 10 kg abgenommen. Das Buch enthält Tipps zum zu- und abnehmen. Sozusagen für jede Lebenslage.“
„Ich möchte lieber nicht zunehmen … und ich ernähre mich genau richtig.“
Keine Reaktion.
„Hier, das Buch. Es kostet für meine Patienten nur 18,90 Euro. In acht Wochen sehen wir uns wieder.“
Genervt, entmutigt, und mit dem Buch „Reichhaltig, nachhaltig, gesund, ausgewogen und zuckerfrei“ bewaffnet, verlasse ich die
Praxis.
Gegenüber ist ein Café. Ich bestelle einen Kakao mit Sahne und habe direkt ein schlechtes Gewissen wegen des Zuckers. „So fangen Essstörungen an“, denke ich und trinke noch einen zweiten.
Acht Wochen später habe ich wieder einen Termin bei Doc Superarzt. Das passt. Nach meiner Corona Infektion habe ich komische Kopfschmerzen.
„Waren Sie bei allen Ärzten, wie ich es empfohlen habe“, fragt er sofort.
„Kein Termin, nicht in den nächsten sechs Monaten“, antworte ich und grinse. „Nur beim Augenarzt hatte ich Glück. Aber der hat mir die Augensalbe nicht
verschrieben. Er hat gesagt, ich soll Tropfen in der Apotheke kaufen. Die wirken aber nicht. Daraufhin habe ich die Salbe ausprobiert, die meine Katze vom Tierarzt bekommen hat. Die hilft gut.“
Der Arzt sieht mich irgendwie blicklos an.
„Da ist noch was …“ Ich beschreibe meine Kopfschmerzen. Er meint, dass irgendwelche Wirbel verschoben sind. Einrenken macht er nicht. Schmerzmittel?
„Bei mir wirkt alles nicht so gut“, gebe ich zu bedenken.
„Nehmen Sie Drogen, trinken Sie?“
„Nein, natürlich
nicht.“
„Ich glaube aber schon.“
„Ehrlich nicht. Mein Neffe hat das auch!“
„Nimmt er Drogen, trinkt er viel Alkohol?“
„MEIN NEFFE IST SECHS JAHRE ALT!“
Ein räuspern. „Die Kopfschmerzen, Sie sollten keinen Zucker essen und keinen Alkohol trinken. Ich habe hier ein Buch …“
Ich mustere ihn mit meinem superkalten Superblick.
„Schwierige Patientin“, murmelt er.
Der Drucker rattert. Wieder drei Überweisungen. Wieder Darmspiegelung
dabei. Der Mann ist wie ein Terrier.
Ich packe den Krempel, rausche aus der Praxis und weiß, dass ich mit gesenktem Haupt zu meiner türkischen Ärztin zurückkehren werde.
Im Café gegenüber bestelle ich mir einen fetten Kakao mit extra Sahne und Schokostreuseln oben drauf und einen Cognac, dazu kaue ich einen Zuckerwürfel.
Das Leben ist schön.