Jeder hat alle Chancen man muss nur mutig genug sein, die Gelegenheit beim Schopf zu greifen. ~ In Chipping Norton ticken die Uhren anders. Die Bäume sind grüner, die Häuser gemütlicher und die Nachbarn neugieriger als anderswo. Jeder meint, jeden genau zu kennen. Nichts bleibt verborgen. Doch die Geheimnisse der Bewohner sind genau dieselben wie überall auf der Welt. Und ebenso versuchen sie sie vor den neugierigen Augen der anderen zu
bewahren. ~ Auf einer Schulparty ihrer Tochter lernt Lyanne den attraktiven Alexander kennen. Ausgehungert nach Beachtung und Zärtlichkeiten, verliebt sie sich auf der Stelle in den jungen Mann, der erfreulicherweise ihre Gefühle erwidert. Doch einer Beziehung der beiden legen sich nicht nur Steine in den Weg. Sie sehen sich mit Problemen konfrontiert, die ihnen zwar bewusst waren, die sie jedoch gehofft hatten einfach weglächeln zu können. Lyanne’s Beziehung zu ihrer geliebten Tochter steht auf dem Spiel, als diese sich in Alexanders besten Freund
verliebt. Mira’s sehnlichster Wunsch ist es, endlich von ihrem Schwarm bemerkt zu werden. Hoffnungen, dass dieser Traum wahr wird, darf sie sich machen, als Colin überraschend ihr Partner in einem Nebenjob wird. Doch seine anfängliche Ablehnung macht sie stutzig. Welches Geheimnis hütet der unnahbare Colin? ~ Ich bin hier auf der Suche nach Testlesern, um herauszufinden, wie die Story bei den Lesern ankommt. Wenn dir
gefällt, was du liest, melde dich gern bei mir und ich lasse dich teilhaben an den weiteren Kapiteln.
Lyanne
Es gibt gute und es gibt weniger gute Tage. Ein guter war der Geburtstag meiner Tochter. In weniger guter Erinnerung blieb mir der Tag der Trennung von meinem Mann. Heute jedoch würde ein guter werden, das hatte ich im Gefühl. »Mom, hast du meinen Rock gesehen? Ich muss los und finde das blöde Ding einfach nicht«, tönte es aus dem oberen Stockwerk. »Vielleicht noch im Wäschekorb?», rief ich mutmaßend.
»Was?«, kam ein panischer Schrei zurück. Schmunzelnd fuhr ich fort, mein Pausenbrot und die Thermosflasche mit dem Kaffee in meiner ledernen Aktentasche zu verstauen. Über meinem Kopf hörte ich meine Tochter herumlaufen. Viele, hektische Schritte, die Hin und Her liefen. Offenbar war Mira weit weniger gut auf den ersten Schultag nach den Sommerferien vorbereitet, als ich. Irgendwann jedoch hörte ich ihre Schritte auf der Treppe. Wie immer knarrte die vierte Stufe von unten deutlich vernehmbar. »So, bin fertig, wir können los«, verkündete
meine sechzehnjährige und warf sich den Träger ihrer Schultasche über die Schulter. Ihr langes blondes Haar fiel in Wellen über ihre schmalen Schultern und bildet einen hellen Kontrast zu ihrer dunkelblauen Uniformjacke. Zwischen dem Knielangen beigefarbenen Karorock und den blütenweißen Kniestrümpfen lugten ihre Knie hervor. »Wie ich sehe, hast du ihn doch noch gefunden.« Milde lächelnd, schaute ich sie an. »Logisch.« Sie strahlte. »Wollen wir dann? Ich möchte nicht zu spät kommen.« Was denn, heute mal keine Vorwürfe, ich hätte den Rock
verschlampt? Etwas überrumpelt reagierte ich Konsterniert. »Ähm … ja … ja, klar.« In letzter Sekunde fiel mir an der Haustür ein. »Hast du alles? Pausenbrot, Taschentücher …« »Mom«, unterbrach mich mein Mädchen. »… wie alt bin ich?« »16«, gab ich konsterniert zurück. »Na also.« Gemeinsam verließen wir unser gemütliches, kleines Cottage und gingen zu meinem alten, weißen Vauxhall Corsa. Wie jeden Schultag setzte ich sie, ehe ich zur Arbeit fuhr, an Stuart House ab. Zwar war unser Dorf in der hiesigen Verkehrsinfrastruktur ganz gut eingebaut,
doch Mira genoss die Vorzüge des chauffiert werden. Vielleicht gab ihr das ein Zugehörigkeitsgefühl zu ihren Mitschülern, die allesamt von ihren Chauffeuren gefahren wurden. Durch Fleiß und Ehrgeiz war es ihr im vorletzten Schuljahr gelungen, einen Stipendiatenplatz an dem renommierten Stuart House zu ergattern. Ein Collage, dass seine Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf ihren weiteren Werdegang vorbereitete. Zumindest für die, deren Leben bereits seit ihrer Geburt vorher geplant war. Gute Noten, Wirtschaftsstudium, die Firmenleitung übernehmen, heiraten und im Falle einer Frau, den Thronfolger
gebären. Nicht gerade das, was ich, als normale Mutter für meine Tochter im Sinn habe, doch offenbar genau das, was Mira von ihrem eigenen Leben erwartete. Ich frage mich stets, woher sie den Willen hatte so hoch wie möglich zu kommen? Sicherlich von Domenic. Ihrem Vater. Erfolgreicher Investmentbanker, verlogenes Arschloch, hinterhältiger Schuft und unausstehlicher Egomane. Schon während unserer Beziehung ließ er mich stets spüren, wo mein Platz in unserem gemeinsamen Leben war. Dom war derart überheblich, dass mir bei seinem Anblick regelrecht schlecht wurde. Als ich ihn schließlich bei heftiger und vor allem lautstarker
sportlicher Aktivität mit seiner Sekretärin in unserem Ehebett erwischte, zog ich einen Schlussstrich unter die Farce, die sich unsere Ehe schimpfte. Da war Mira dreizehn Jahre alt. Seit damals rocken wir unser Leben allein. Einmal im Monat besucht Mira ihren Vater in London, wo er mit Denise eine Villa in Mayfair bewohnt. Und jeden Sommer habe ich drei Wochen Kindfrei, wenn unsere Tochter, mit Domenic die Welt bereist. Ich nutze die Ferienzeit für Selbstfindung. Gehe meinen Hobbys nach, mache mich zu längeren Wanderungen auf, bilde mich weiter, erkunde fremde Länder (wobei ich stets darauf achte, nicht dasselbe Land wie er
zu besuchen) oder buche mir einen längeren Aufenthalt in irgendeinem Spa am Meer. Wie auch in den letzten beiden Wochen. Erst vor vier Tagen waren Mira und ich in unser gemütliches Cottage zurückgekehrt. An meiner Seite in den vergangenen Wochen waren meine besten Freunde. Will und Susann. Seit unserer gemeinsamen Studienzeit waren wir befreundet. Auch, wenn Will im Gerichtssaal und Susann im Friseursalon ihre Bestimmung gefunden haben, so schwammen wir doch alle drei auf derselben Wellenlänge. Sooft es ging, unternahmen wir etwas gemeinsam. Mein Leben ist toll. Es ist erfüllt von
Freude, Freundschaft, Glück und Zufriedenheit. Ohne angeben zu wollen, konnte ich behaupten, dass ich nicht nur bei meinen Schülerinnen und Schülern beliebt war. Auch in unserem Dorf schätzte man meine freundliche und hilfsbereite Art. Nur ab und zu, wirklich sehr selten, ging mir alles auf die Nerven. Dann musste ich raus. Brauchte einen Tapetenwechsel. Alles strengte mich dann an und machte mich wütend. Immer, wenn ich eine solche Phase herannahen spürte, zog ich mich zurück. Meinem verstorbenen Vater sei dank war ich im Besitz einer kleinen Hütte in einem Fischerdorf in Bournemouth.
Mein Refugium. Dort rief niemand nach mir. Keiner war da, dem ich etwas hinterher räumen oder suchen musste. Dort war ich einfach nur Lyanne. Nicht Miss Barlow, nicht Mama. Wie immer musste ich am Straßenrand vor der Einfahrt zum Collage halten. Unsere Rostlaube war Mira peinlich. Von hier aus lief sie zu Fuß die lange Auffahrt zum Schulhaus hinauf. Obwohl Haus die falsche Bezeichnung für Stuart House war. Schloss träfe es wohl eher. Stolz und mächtig thronte es auf einem Hügel und hob sich von der sanften grünen Landschaft drumherum ab. Im Umkreis vieler Kilometer war es das
einzige Gebäude. In der nächsten Kleinstadt befand sich die Grundschule, an der ich tätig war. Hier unterrichtete ich, ab dem heutigen Tag sogar in meiner neuen Funktion als Klassenleiterin eine vierte Klasse. Die Arbeit machte mir viel Freude, sie erfüllte und forderte mich. Es war doch viel schöner, Kinder zu unterrichten, die noch vollkommen unvoreingenommen waren. Sie hatten ihr ganzes Leben vor sich und träumten davon Prinzessin, Feuerwehrmann oder Krankenschwester zu werden und nicht, wie die Jugendlichen auf Mira’s Schule, CEO und Gesicht der traditionsreichen Familienfirma oder Vorstand von Daddys Bank.
»Bis heute Nachmittag.« Verabschiedete ich mein Kind. Mira schwang ihren Hintern aus dem Fahrzeug und beugte sich abschließend noch einmal mit dem Oberkörper in den Innenraum. »Hm. Ich komm’ aber später.« »Später?« Sie verdrehte die Augen. »Ach, Mom, hast du vergessen, dass ich heute mit Holly und Clarissa verabredet bin? Wir wollen shoppen gehen. Übernächste Woche ist doch dieser Ball.« Selbstverständlich hießen in ihrer Schule die Feste nicht Feste, sondern Ball. Hatte ich völlig vergessen. »Natürlich weiß ich
das noch«, log ich. »Hast du Geld oder soll …« »Mom …«, unterbrach mein Kind mich. »… Dad hat mir etwas überwiesen.« Natürlich hat er das. Seufzend stieß ich die Luft aus. »Also dann …« Mira richtete sich auf und griff nach der Tür. »… Tschau. Bis heute Abend dann. Warte nicht mit dem Abendbrot auf mich. Sicherlich gehen wir noch in die Pizzeria.« So schnell wurde aus dem Nachmittag ein Abend. »Ist gut. Viel Spaß«, wünschte ich abschließend und verschenkte ein Lächeln an sie, welches Mira schon nicht mehr
sah. »Na, wie war dein Wochenende?« »Meinst du das, was schon wieder drei Tage her ist?«, entgegnete ich schmunzelnd. Mein Kollege nickte zustimmend. Herold gehörte zu den älteren Semestern in unserer Einrichtung. Er hatte in den später Siebzigerjahren seine Erfüllung im Lehrerberuf gefunden und war seitdem hier angestellt. Wir verstanden uns besser als gut. Herold war ein Mensch, auf den man sich immer verlassen konnte. Und er war einer meiner engsten Freunde. Mit einem Gesichtsausdruck, der
aussagte, ist mir doch egal, antwortete er lax, »Für mich beginnt die Woche heute erst.« Er war krank. Wieder einmal seine Nieren. Heute war sein erster Arbeitstag nach einer längeren Pause. »Aber, ja, das letzte Wochenende war gut.« Er musterte mich. »Also war es langweilig.« Das war keine Frage. Er kannte mich zu gut. In seinen Augen führe ich ein absolut langweiliges und ereignisloses Leben. Für Herold galt ein Leben erst dann erfüllt, wenn man einen Partner an der Seite hatte. Er selbst war seit mehr als zwanzig Jahren glücklich verheiratet.
Ich kannte Felix und konnte verstehen, weshalb Herold ein erfülltes Leben erst dann als ein solches anerkannte, wenn man einen Partner wie ihn hatte. Felix ist toll. Lieb, fürsorglich, rege und zuverlässig. Er leitet sein eigenes Umzugsunternehmen. Leider führte ihn seine Arbeit häufig weiter weg, sodass sie sich unter der Woche nicht sehen konnten. Doch das Wiedersehen soll dann umso schöner sein, habe ich mir sagen lassen. »Wann gehst du endlich mal wieder aus?« »Ich geh’ doch aus«, verteidigte ich mich. »Ich gehe tanzen.« »Ja«, entgegnet er mit skeptisch
hochgezogener Augenbraue. »Du tanzt seit Jahren schon mit ein und demselben Mann. Aber flachgelegt hat er dich noch nie.« »Das würde mir seine Frau sicherlich auch übel nehmen«, schmunzelte ich. Harold überging dies und sagte, »Wollen wir am Samstag um die Häuser ziehen? Felix ist mal wieder nicht da.« »Sehr gern. Mira ist bei Domenic.« »Also, dann ist das abgemacht«, freute sich mein Freund. »Ich hol’ dich ab.« »Das musst du nicht. Ich kann doch auch dich abholen.« »Nimm’s mir nicht krumm, Süße, aber dein Auto ist peinlich.« Indigniert klappte mein Mund zu. »Ja …
es ist nicht mehr das neueste Modell, aber …« »Nix da«, unterbrach er mich. »Wir fahren mit meinem Wagen.«
Mira
»Endlich hab’ ich dich wieder.« Schreiend fiel mir meine beste Freundin um den Hals.
»Ist ja nicht so, als hätten wir uns den ganzen Sommer nicht gesehen.« »In den letzten drei Wochen aber nicht.« »Kann ich ja nix für, wenn du mal wieder auf den Seychellen warst«, konterte ich und zwinkerte ihr zu. »Das sagt die Richtige.« Freundschaftlich knuffte Holly mich in die Seite und warf sich ihren langen
brünetten Pferdeschwanz über die Schulter. »Warst selbst doch auf Hawaii.« »Stimmt auch wieder.« Fröhlich stimmte ich in ihr Lachen ein. »Wie war’s denn? Irgendwelche erwähnenswerten Liebschaften?« »Eine Lady genießt und schweigt.« »Also kein Urlaubsflit?« Ich verdrehte die Augen. »Wie sollte das auch gehen, mit meinem Daddy im Schlepptau?« Holly machte ein undefinierbares Geräusch. »Außerdem …«, fuhr ich fort. »… wartet hier mein Traumprinz auf mich.« Wie aufs Stichwort rollte in diesem
Moment eine schwarze Limousine vor dem Haupteingang der Schule vor. Sofort öffnete sich die Fahrertür und ein dunkelblau livrierter Chauffeur mit allem Drum und Dran entstieg dem Rolls-Royce. Eilig umrundete er das Fahrzeug und öffnete für seinen Fahrgast die hintere Wagentür. Das Erste, was man von Alexander Stuart sah, waren seine langen Beine, die in teuer aussehenden Wildlederschuhen endeten. Sie steckten in der charakteristischen beigefarbenen Hose der Schuluniform für die männlichen Schüler. Schließlich schob sich auch sein Oberkörper aus dem Inneren des Rolls. Das blütenweiße Hemd steckte in der Hose. Es lag so eng
an seinem Oberkörper an, dass man seine Muskeln darunter nicht nur erahnen brauchte. Die vorgeschriebene blaue Krawatte war wie stets auch perfekt gebunden. Nonchalant ließ er den Blick schweifen. Wie immer wirkte er, als würde er denken, ihr seid sowieso alle unter meiner Würde. Mit einer Hand seine Lederne Aktentasche festhaltend, fuhr er sich mit der anderen lässig durch das blonde Haar und schob die dunkle Sonnenbrille auf seine Nase. Natürlich war er blond. Was auch sonst? Dazu die eisblauen Augen. Ich sag’s ja, was auch sonst? Neben mir höre ich ein paar der anwesenden Schülerinnen leise seufzen. Unwillkürlich hob sich meine Hand zu
meinem eigenen Hals. Mit einem Mal war das Halstuch unglaublich eng. Warum reagierte mein Körper nur so auf den Schnösel Alexander? Ich mochte ihn nicht einmal. Viel mehr sagte mir da einer seiner Kumpel zu. Colin. Der Traumprinz schlechthin. Und so absolut das Gegenteil von seinem Freund Alexander. Ich freute mich schon darauf, ihn nachher in der Mensa zu sehen. Seinem Chauffeur stumm zunickend schlenderte Alexander auf das riesige Eingangsportal zu, wobei ihn die Blicke sämtlicher Augenpaare verfolgten. Auch Holly und ich strafften unsere Schultern und nahmen denselben Weg. Kaum im Innern des Kathedralähnlichen Gebäudes,
umfing uns die hier stets vorherrschende Kühle. Mom hatte am ersten Elternabend damals treffend festgestellt, dass die Kälte des Gebäudes sich nichts gegenüber den Lehrkräften nahm. All jene, denen sie an diesem Abend begegnet war, musterten sie aus kalten, abschätzigen Augen. Ich selbst konnte diese Annahme inzwischen nicht mehr bestätigen. An Stuart House unterrichten auch freundliche Lehrer. Besonders Mister Smith und Mistress Mac Allister. Letztere war meine Biologielehrerin und hatte nicht nur aufgrund ihrer Freundlichkeit und ihrem überaus ansprechend gestalteten Unterricht ein Stein bei mir im Brett. Sie unterrichtete
auch mein absolutes Lieblingsfach. Biologie. Es gibt nichts Schöneres. Später möchte ich Meeresbiologie studieren und dann in und mit den Meeren der Welt arbeiten. Die Flora und Fauna der weltweiten Unterwasserwelt zu erforschen, stellte ich mir überaus reizvoll vor. Holly hingegen strebte eine Journalismuskarriere an. Ihre Zukunft sah sie als ewig gut gelaunte Moderatorin in einem Fernsehstudio. Und wenn daraus nichts würde, dann wollte sie ihre Reiselust weiterhin ausleben und Auslandskorrespondentin werden. Mir wäre das ja zu anstrengend, andauernd unter Beobachtung zu stehen, doch so hat jeder eben seins. Hauptsache, wir
verlieren uns nicht aus den Augen. Sie ist meine beste Freundin. Früher, in meiner alten Schule, ehe ich an die Stuart wechselte, hatte ich schon einmal eine beste Freundin. Doch als diese erfuhr, an welch elitäre Schule ich nach den großen Ferien gehen würde, wollte sie plötzlich nichts mehr mit mir zu tun haben. Mit mir, der überheblichen Verräterin. In meinen ersten Tagen hier kam ich mit Holly ins Gespräch. Wir merkten schnell, dass wir auf derselben Wellenlänge schwammen. Seitdem waren wir praktisch unzertrennlich und bis auf die drei Wochen im Sommer verbrachten wir beinahe jeden Tag zusammen. Doch nun trennte uns der Stundenplan.
Auf meinem stand im ersten Block Tennis, wohingegen in Holly’s Philosophie. Meine zweite Leidenschaft galt dem Tennisspiel. Glücklicherweise gehörte mindestens eine sportliche Extraaktivität zum Lehrplan meiner neuen Schule. Logisch, dass ich das wählte, was meine Mutter, mit ihrem durchschnittlichen Einkommen nicht in der lange war zu finanzieren. Wir waren nicht unbedingt arm oder so, und wir waren glücklich, so wie es ist, doch hob sich meine Familie deutlich von denen meiner Mitschüler ab. Allein mein Dad der erfolgreiche Banker hielt die Achtung meiner Mitschüler für mich hoch. Ihm war es zu verdanken, dass,
man mich hier nicht als Schmeißfliege betrachtete. Doch dass er uns finanziell aushalf, ließ meine Mom nicht zu. Das verbot wiederum ihr Stolz. Und die Abneigung der beiden zueinander. Meine Eltern pflegen ein distanziert, oberflächlich freundliches Verhältnis. Kaum zu glauben, dass es mal eine Zeit gegeben hatte, wo sie einander zugetan waren. Zumindest stritten sie sich nicht offen vor mir. Mit einer Umarmung verabschiedete ich mich von meiner besten Freundin und schlug den Weg zu den Tennisplätzen ein. Durch das Foyer, die Treppe hinauf und am Ende des Ganges wieder herunter. Durch das nur geringfügig
kleinere Portal wieder ins Freie und schließlich noch über den Kiesplatz die hundert Meter zu der Sportanlage der Schule. Jeder Schüler von Stuart House musste ein Sportfach belegen. Die Auswahl war riesig, sodass für jeden etwas dabei war. Die Sporthalle teilten sich die Karatekämpfer, Ringer, Leichtathleten und im Winter die Rugby und Tennisspieler. Nebenan befand sich die große Schwimmhalle in der nicht nur für das Wettkampfschwimmen, sondern auch für Wasserball trainiert wurde. Etwas abseits, sicherlich um die empfindlichen Nasen der hochwohlgeborenen Schüler nicht überzustrapazieren, befanden sich die
Pferdeställe und die dazugehörigen Außenanlagen. Die Schulmannschaft konnte erstaunliche Erfolge im Spring- und Dressurreiten vorweisen. Im Schloss selbst gab es einen Saal, in dem sich die Fechter austoben konnten. Dazu bot die Schule ein gutes Kunstprogramm, sodass auch die künstlerisch begabten Schüler auf ihre Kosten kamen. In der geräumigen Umkleidekabine zog ich mir meinen Tennisdress an und griff mir meinen Schläger aus dem Spind. Später beim Mittagessen saßen Holly und ich mit ein paar anderen Mädchen aus unserer Klasse zusammen und genossen
das vorzügliche Essen der hauseigenen Küche, als eine Gruppe Jungen den Saal betrat. Alexander Stuart und Gefolge. Erhaben und stolz durchpflügten sie die Menschenmasse. Es schien geradezu, als würden sie schweben. Als sei es ein physikalisches Gesetz, stoben die Schülerinnen und Schüler beiseite, um ihnen den Weg freizugeben. Sogar einige Lehrer machten Platz. Jeden Tag aufs Neue konnte man dieses Phänomen beobachten. Wie mich das anwiderte. Wäre Colin nicht einer von ihnen, würde ich mich sicherlich abwenden. Doch so … »Sieht er nicht gut aus?«, hauchte Nancy träumerisch und legte sich vor Entzücken
die Hand auf die Brust. »Und wie. Diese Haare.« »Bullshit … die Haare … seine Augen sind der Hit«, stellte Valerie klar. »Die sind der Hammer«, bestätigte ich sehnsuchtsvoll. Allerdings war es nicht Alexander, den ich anhimmelte. Colin schien bei den anderen Mädchen weit weniger gut wegzukommen, obwohl er ebenso gut gebaut war wie Alex und im Aussehen seinem Freund in nichts nachstand. Das braune Haar hat genau die richtige Länge, um ihm sexy in die Stirn zu fallen. Dazu die blauen Augen … Hm, da möchte man am liebsten drin versinken. Mit einer Stimme wie Samt und Seide hatte er schon so manches
Mädchen rumgekriegt. Sein Ruf, ja, auch der von Stuart selbst, war legendär. Etwas abstoßend zwar, aber doch auch sexy. Was diese Jungs allein mit ihren Händen und Mündern anzustellen wussten – wow. Jedes Mal, wenn ich Colin mit einer anderen am Arm sehe, dreht es sich mir den Magen um. Wenn Colin Saunders doch endlich mal mich sehen, mir seine Künste zeigen würde. Zurück im Hier und Jetzt starrte ich ihm hinterher. Beobachtete, wie die Gruppe zu ihrem angestammten Tisch an der Fensterfront schlenderte. Von dort aus hatten sie nicht nur den besten Ausblick auf das Geschehen im Saal, sondern konnten außerdem von allen gut gesehen
werden. Ich ertappte mich dabei, wie ich immer mal wieder zu Colin hinübersah. Sie unterhielten sich und dann und wann lachten sie, als hätte einer von ihnen den Witz des Jahrhunderts erzählt. Dabei bemerkte ich, dass Alexander zwar mitlachte, doch sein Lachen nicht seine Augen erreichte. Er schien in einem Moment gedanklich vollkommen abwesend zu sein. Doch Sekunden später war der Moment auch schon verflogen und er war wieder der überhebliche Arsch wie immer. »Wie gern ich mich mal zu ihnen setzen würde«, raunte Holly mir zu. Nancy, die ihre Worte verstanden hatte, erklärte, »Was denn? Nur dazu setzen? Ich will
mich auf seinen Schoß setzen, meine Arme um seinen Nacken schlingen und ihm meine Zunge in de…« »Ja, danke«, unterbrach ich meine Freundin schnell. »Ich denke, wir wissen alle, was du am liebsten mit Alexander Stuart anstellen möchtest.« Alles kicherte, während Nancy zart rosa anlief. Jede von uns wusste um ihre Schwärmerei von Mister Supercool. Mein Blick flog wieder zu Colin, der gerade dabei war, seine Energiedrinkdose in einem Zug zu leeren. Fasziniert betrachtete ich seinen angespannten Bizeps. Dass er gut gebaut war, wusste jeder, der bei einem ihrer Spiele war. Irgendwann kam immer der Moment, an
dem sich die Spieler die Trikots vom Leib rissen. Meist war dieser Augenblick nach dem triumphalen Ende einer Partie. Als Sportlerin, wenn auch von keiner Vollkontaktsportart, musste ich zugeben, dass das schulinterne Rugbyteam spitze war. Sie holten einen Sieg nach dem anderen für Stuart House und avancierten so zu Rektor Lawrence Lieblingen. Praktisch konnten sich Alexander Stuart und sein Team alles erlauben, ohne ernsthafte Konsequenzen befürchten zu müssen. Was für die Schule Prestige war, etwas womit man in Form von goldenen Pokalen in den Vitrinen am Eingang angeben konnte, war für die Spieler nur Spaß. Auf dem Court oder dem Golfplatz
traf man sich, um gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen. Da wurden Verträge geschlossen, beste Konditionen ausgehandelt, Kontakte geknüpft und die ein oder andere Ehe arrangiert. Wie die Kinder der Reichen und Schönen das aushielten, war mir schleierhaft. Da lobte ich mir doch mein stinknormales Leben als Einzelkind. Holly hingegen war nicht allein. Sie hatte drei jüngere Geschwister. Die Zwillinge John und James und die kleine Grace. Auch Colin hatte Geschwister. Sein älterer Bruder Christopher hatte Stuart House längst hinter sich gelassen, lebte und arbeitete heutzutage im Londoner Finanzzentrum Canary Wharf.
Ich habe gelesen, dass er so erfolgreich ist, indem, was er tut, dass er sich ein Luxusloft nahe seiner Arbeit leisten konnte. Dies war nur eine der Informationen, die ich in einem meiner Stalking Momente über die Familie Saunders herausgefunden hatte. Christopher war Rechtsanwalt und arbeitet bei Clifford Chance. Eine Sozietät, die weltweit agierende und den Ruf hatte, die Besten der Besten zu beschäftigen. »Hat Mistress Williams dich auch schon kontaktiert?«, riss mich Holly’s Stimme aus den Gedanken. Irritiert starrte ich sie an. »Mistress
Williams?« Meine beste Freundin lachte. »Na, die Studienberaterin.« »Ach so.« Ich atmete aus. »Ja … ja, ich glaub’ schon.« »Du glaubst?«, staunte sie. Ich zwang mich von Colin’s Anblick abzuwenden, drehte ich mich ihr zu und erklärte mit fester Stimme, »Natürlich weiß ich, wer das ist. Und, ja, hat sie. Vorhin bekam ich eine Mail. Morgen schon soll ich zu ihr kommen.« »Echt? Ich auch.« Einen Termin bei der Studienberatung war Pflicht für alle Schüler der Elften. Auf diesen Termin freute ich mich schon lange. Endlich würde ich von einer
Fachfrau erklärt bekommen, was genau in Cambridge verlangt wird. Welche Kurse ich belegen, wie mich am sinnvollsten vorbereiten kann auf meine Bewerbung für die Eliteuni. »Ich bin ja so aufgeregt.« »Ich auch«, bestätigte ich. »Endlich kommen wir unserem Ziel ein Stückchen näher.« Als Holly sich den anderen am Tisch zuwandte, um auch sie über ihre Termine und Studiengänge auszufragen, gab ich mich wieder meinen Tagträumen hin. Mein Blick durchquerte die Mensa, flog zum Tisch der selbst ernannten Elite, doch dieser war inzwischen verwaist. Alex und Gefolge hatten den Saal
verlassen.
Mira
Seit geschlagenen fünf Minuten sah ich meiner Studienberaterin dabei zu, wie sie schweigend meine Akte inspizierte. Als sie plötzlich zu sprechen anfing zuckte ich erschrocken zusammen. Um Aufmerksamkeit bemüht, richtete ich meinen Blick auf Mistress Williams Gesicht. »Es steht ohne Frage, dass Sie eine sehr gute Schülerin sind, Miss Barlow.« Anerkennend nickte sie mir zu. »Das ist ja auch alles schön und gut, doch für eine Eliteuniversität wie die Cambrigde University reicht das jedoch
nicht. Sie müssen denen vorweisen, dass Sie auch anpacken, gut im Team zusammenarbeiten und mitdenken können.« »Aber … zeigen das nicht meine Noten in den Sportarten oder Arbeitsgemeinschaften?« Mein Gegenüber schüttelte bedauernd den Kopf. »Leider nein. Ich spreche von außerschulischen Aktivitäten, Miss Barlow.» Ich nickte schweigend und wartete, dass sie fortfuhr. »Vielleicht wäre ein Wohltätigkeitsprojekt etwas für Sie?« »Wohltätigkeitsprojekt?«, wiederholte ich tonlos. Denn, dass derartiges von
Cambridge gefordert würde, war mir neu. Lauter antwortete ich zögernd, »Okay. Und was bedeutet das genau?« Im Geist sah ich mich schon Suppe an Obdachlose austeilen oder alten Leuten den Po abputzen. Williams suchte meinen Blick und erklärte, »Nun ja, Sie leisten in Ihrer Freizeit Arbeit in einer gemeinnützigen Einrichtung.« »Gemeinnützig? Etwa im Altenheim?« Statt einer Antwort fragte sie, »Mögen Sie Kinder? Jüngere Geschwister haben Sie ja nicht, aber vielleicht …?« »Na ja, ich … habe mal ein Praktikum im Kindergarten gemacht
…« »Prima.« Rasch warf ich ein, »Aber das war in der Grundschule. Da war ich in der sechsten Klasse.« »Aber das macht doch nichts.« »Und ich soll jetzt also …« Die Studienberaterin nickte zustimmend. »Ich denke, das hiesige Kinderheim würde sich über Ihre Mitarbeit freuen.« »Und … inwiefern hilft mir das, in der Uni einen Fuß in die Tür zu kriegen?« »Sie zeigen, dass Sie sich sozial engagieren.« »Das habe ich verstanden. Nur … ich möchte Biologie studieren. Die Tier- und Pflanzenwelt unsrer Ozeane sind meine
Passion. Könnte ich nicht vielmehr im Bereich Biologie arbeiten?« Sie schaute mich mit skeptisch hochgezogener Augenbraue an. »In einem Sea life zu arbeiten, ist wenig gemeinnützig.« Da musste ich ihr wohl recht geben. »Na dann eben in einem Tierheim?« »Miss Barlow, zum Ersten gibt es hier im Ort keines und ich nehme mal an, Sie möchten nicht zusätzlichen mehrmals in der Woche mehrere Stunden im Bus verbringen? So leid es mir um die Flora und Fauna tut, die Arbeit mit Menschen wird doch etwas höher angerechnet. Glauben Sie mir.« Mütterlich beugte sie sich etwas in meine Richtung. »Nehmen
Sie sich die Zeit. Denken Sie darüber nach. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, mit dem Kinderheim Helping Hands haben wir bisher gute Erfahrungen gemacht. Und …« ein wissendes Lächeln umspielte ihre runzligen Lippen. »… bisher wurden alle Schülerinnen und Schüler, die dort ein ehrenamtliches Praktikum absolviert hatten, in Cambridge, Oxford oder einer anderen Eliteuniversität angenommen.« Damit hatte sie mich. Was schadete es schon ein bisschen soziales Engagement zu zeigen? Das würde ich auch noch hinbekommen, neben all den Hausaufgaben, Lernen, Prüfungsstress und dem Anschmachten Colin’s natürlich.
Betrübt schlich ich in Richtung Mensa, wo ich auf Holly traf, die bereits von Weitem sah, dass mit mir etwas nicht stimmte. »Oje, war es so schlimm?« »Schlimmer.« Bestätigte ich und ließ mich kraftlos auf einen freien Stuhl neben ihr fallen. Meine Schultasche landete mit einem dumpfen Klong auf dem Parkett. »Erzähl!« Und das tat ich. Holly’s Augen wurden immer größer. »Und das Ende vom Lied ist, dass ich wohl oder übel demnächst keinen Kindern ihre Rotznasen putzen muss.« »Na ja, so schlimm wird es schon nicht
werden.« »Ich hab’ aber keinen Bock auf so etwas und ich sehe den Sinn dahinter nicht.« Holly hob tadelnd den Zeigefinger und sagte in verstellter Stimme, »Etwas gemeinnütziges Engagement hat noch niemanden geschadet.« Lachend warf ich den Kopf in den Nacken. Ernster fügte meine Freundin hinzu, »Du packst das schon.« »Ja klar …« Stieg ich ein. »… von morgens bis nachmittags Schule, danach dann Kinder hüten. Die Abende verbringe ich dann mit lernen, Hausaufgaben und lesen.« Theatralisch schlug ich mir eine Hand vor die Stirn. »Ach Mensch,
schlafen und essen muss ich ja auch noch. Nur wann? Vielleicht kann ich auf dem Weg vom Kinderheim nach Hause ein paar Minuten die Augen schließen?« »Ja, oder du machst ein Powernapping während der Unterrichtspausen. Ich hab’ mir sagen lassen die Matten in der Turnhalle sind bequem.« »Ha ha ha.« Ich verdrehte die Augen. »Holly, ich weiß wirklich nicht, wie ich das alles hinbekommen soll?« »Aber ist es nicht eine gute Übung für später?« »Für die Universität meinst du?« Sie nickte. »Oder meinst du dann wird dir alles leicht fallen? Es wird hart werden und das weißt
du.« »Schon, ja.« »Na dann, nimmt es als Übung.« »Aber …« Ich seufzte. »… ich habe das Gefühl, künftig gar nicht mehr atmen zu können. Wo bleibt bei einem solch vollgepacktem Terminkalender noch Zeit für die Freizeit?« »Ja, wann sollst du noch Zeit finden, Colin anzuschmachten?« »Hey, sei nicht gemein.« Doch ich lachte, denn sie hatte ja recht. Meine Schwärmerei für Colin Saunders war unübersehbar. Kaum betrat er denselben Raum wie ich, sabberte ich beinahe vor Verlangen und brachte keinen geraden Satz mehr heraus.
»Hey …« Holly legte freundschaftlich einen Arm um mich. »… ich weiß, wenn das eine packt, dann bist du das.« Damit verabschiedete sie sich von mir. Ihr Termin bei Mistress Williams stand an und ich musste in meinen Kunstkurs. Am Abend rief ich sie an, um nach dem Ergebnis ihres Gesprächs zu fragen. »Ach, das lief super«, entgegnete sie fröhlich. Irgendetwas knisterte und anschließend hörte ich Holly krachend kauen. »Und welche außerschulische, Uni taugliche Aktivität wurde dir ans Herz
gelegt?« »Keine.« »Wie, keine?«, echote ich verständnislos und versteifte mich. »Na, keine eben. Williams meinte, da ich bereits aktiv bei der Schülerzeitung mitarbeite und außerdem im Festtagskomitee der Schule bin, zeige ich bereits genug Einsatz.« Na toll. »Wie schön für dich«, murmelte ich wenig begeistert. »Bist du sauer?« Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ich doch nicht.«
Lyanne
»Mom, hast du am Samstag schon was vor?« Überrascht sah ich meine Tochter über den Tisch hinweg an. »Ähm … ich glaube nicht. Wieso? Willst du shoppen gehen?« Mira schüttelte den Kopf. »Nein.« Mein Blick fiel auf den rot umkreisten Tag im Kalender am Kühlschrank und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. »Nein … da ist doch dieses Fest … in deiner Schule?« »Ja, richtig. Die Back-To-School-Party.« »Hm, okay. Und was habe ich damit zu
tun?« »Na ja, das will ich dir ja gerade sagen«, begann sie zögerlich. »Da ist … ähm … also Holly ist im Komitee …« »Was für ein Komitee?«, hakte ich nach und nahm einen weiteren Schluck meines Morgenkaffees. »Das, welches die Feste ausrichtet«, erklärte sie. »Verstehe.« Nachdem sie einmal tief Luft geholt hatte, fuhr Mira fort, »Ja, also, die brauchen da etwas Hilfe.« »Was für Hilfe denn? Wenn ich da mitmachen soll …« Mira wiegelte mit erhobenen Händen ab. »Nein, du sollst nicht mitmachen. Das
ginge auch gar nicht.« »Gut«, seufzte ich erleichtert. »Was für Hilfe brauchen sie dann?« »Na ja, die brauchen jemand Erwachsenen, der ein Auge auf alles hat. Der das Buffet bewacht, damit niemand verbotene Substanzen … einschmuggelt.« Entsetzt fragte ich, »Meinst du etwa Drogen?« In derselben Weise entsetzt echauffierte meine Tochter sich, »Doch keine Drogen. Mom. Was stimmt nicht mit dir? Nein, ich meinte Alkohol.« »Na, das geht ja noch.« »Unser Direktor sieht das anders«, meinte sie. »Jedenfalls soll dieser jemand auch achtgeben, dass niemand
rumknutscht und so.« »Rumknutscht? Ich dachte dafür wären solche Feste da?« Mit verstellter Stimme fuhr Mira fort, »Diese Feier ist das Aushängeschild für unsere Institution. Die Eltern künftiger Schüler sollen den bestmöglichen Eindruck bekommen. Störungen jedweder Art sind tunlichst zu unterlassen oder zu unterbinden.« Lächelnd erwiderte ich, »Ich verstehe. Gute Imitation übrigens. Klang fast wie der echte Mister Lawrence.« Sie griff sich an die Brust. »Danke vielmals. Aber weiter im Text. Was sagst
du?« »Wozu?« »Na, ob du hilfst? Die anderen Eltern sind so … beschäftigt.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Soll heißen, sie sind zu reich und zu abgehoben, um euch dabei helfen zu können? Nicht wahr. Da ist eine hart arbeitende Lehrerin natürlich viel besser geeignet.« »Mom.« Mira verdrehte die Augen. »Entschuldigung, aber, du bist ja nicht einmal in diesem Komitee. Kann denn wirklich kein anderes Elternteil einspringen?« Mit skeptisch erhobener Augenbraue stellte mein Gegenüber die Gegenfrage,
»Kannst du dir Mister Walker, den Großindustriellen da vorstellen? Oder seine Frau, diese blondierte, grunderneuerte Tussi?« Lächelnd schüttelte ich den Kopf. »Oder Samanthas Mutter. Mit all ihrem Schmuck und den High Heels.« »Und der Turmfrisur«, stimmte ich in ihr Lachen ein. Mira kam jetzt richtig in Fahrt. »Und Phil’s Mom mit ihrem Sauberkeitstick. Die würde glatt jedes Glas abwaschen und polieren ehe sie es austeilt.« »Und den Vater von diesen Zwillingen … wie hieß der noch gleich?« »Bosworth.« »Ja, genau der. Ist der nicht irgendein
Fußballheini? Trainer oder so?« »Er ist der Manager.« Ich erinnerte mich an das überlebensgroße Plakat in der hiesigen Fußgängerzone. Darauf war Maxwell Stuart abgelichtet, wie er stolz das Prunkstück seiner neuesten Porzellanlinie in die Kamera hielt. Ein breites Lächeln auf dem attraktiven Gesicht, wenn er nur nicht ein solches Arschloch wäre. Bei genau solch einer Back-To-School-Party vor zwei Jahren war ich ihm einmal begegnet. Sein Sohn besuchte die Schule zwei Stufen über Mira. Damals trug ich meine neuen, extra zu diesem Anlass gekauften cremefarbenen Pumps und ein helles
Etuikleid. Man musste schließlich etwas hermachen unter all den Hoch-Wohl-Geborenen und Möchtegerne. Doch was es mich gekostet hatte … Während einer Führung über das Schulgelände, im Gedränge auf der Wiese, war er mir auf den Fuß getreten. Natürlich hielt Mister-Ich-Bin-Etwas-Viel-Besseres-Als-Du es nicht für nötig, sich zu entschuldigen oder gar den ruinierten Schuhe zu ersetzen. Tatsächlich starrte er mich nur verständnislos an, warum ich solch ein Theater wegen ein paar billiger Schuhe machte. Nachdem er sich mit seiner Frau leise, aber laut genug, dass alle umstehenden Leute es hören konnten,
über meine gewöhnliche Art ausgetauscht hatte, schlenderte er nonchalant lächelnd davon. Seine aufgetakelte Gattin lächelte herablassend und stöckelte geziert, die Champagnerflöte vorsichtig in den rot manikürten Händen haltend hinter ihm her. Von diesem Tag an hatte ich die Eltern an Mira’s Schule gefressen. Ich wusste, ich war um einiges echter und vielleicht auch ein besserer Mensch als sie alle zusammen. »Mom?«, holte mich die Stimme meiner Tochter aus meinen Gedanken. »Träumst du?« »Quatsch«, erwiderte ich und strich mir mit der Hand durch das Haar. Dabei fiel mir auf, wie widerspenstig meine Spitzen
schon wieder waren. Da würde wohl Susann bald Hand anlegen müssen. »Und, machst du’s?« Ich wusste, Mira würde weiter nerven, bis ich endlich Ja sagte. Dazu würde sich wohl kaum jemand anderes finden lassen. Da konnte ich das Ganze auch abkürzen. »Ja, ich mach’s.« Erfreut sprang sie von ihrem Stuhl auf, um mich zu umarmen. »Ich wusste es, du bist die beste Mom der Welt.« »Du meinst wohl, die nachgiebigste.« »Vielleicht auch das«, fügte sie grinsend hinzu. »Aber nur ein ganz kleines bisschen.« Nun hatte ich also ein Date für den kommenden Samstag.
Juhu. Dabei hatte ich mich auf einen gemütlichen Abend allein auf der Couch gefreut. Gestern hatte ich bei meinem monatlichen Besuch im hiesigen Buchladen einen Liebesroman erstanden. Der und eine Flasche des herrlichen Pfirsich-Aprikosen-Weins waren mein Plan. Aber, was tut man nicht alles für sein Kind? Der Samstagnachmittag kam schneller als gedacht. Mira war vollkommen aus dem Häuschen und lief wie ein aufgescheuchtes Huhn durch das Haus. »Mom, weißt du, wo das silberne Kleid ist?«, hörte ich dumpf ihre Stimme aus
dem Obergeschoss. »Ja«, brüllte ich zurück. »Ich habe es an, dachte, das passt zu einem solchen Abend.« Kichernd hielt ich mir eine Hand vor den Mund, als meine Tochter genau die Reaktion zeigte, die ich erwartet hatte. »WAS? Spinnst du? Das hatte ich für mich rausgelegt.« Als sie, abgehetzt und mit wirrem Haar in der Küche erschien und sah, dass ich geflunkert hatte, stemmte sie wütend beide Hände in die Hüften. »Du hast mich reingelegt.« »Was bist du doch für ein intelligentes Kind«, lobte ich scherzhaft. Freundlich fügte ich hinzu, »Das Kleid hängt auf einem Bügel im Badezimmer. Ich habe es
gestern Abend noch kurz aufgebügelt.« Mira kam auf mich zu und schlang ihre schlanken Arme um meinen Hals. »Du bist die Beste.« »Gern geschehen. Aber, jetzt mal langsam hopp hopp. Wir müssen in 45 Minuten in der Schule sein.« Sie nickte schweigend und verschwand. Lächelnd folgte ich ihr hinauf in das obere Stockwerk, um mir für die späteren Stunden und die Heimfahrt etwas zum Überwerfen aus meinem eigenen Kleiderschrank holen wollte. Das schwarze, Pailletten besetzte Kurzjäckchen passte hervorragend zu meinem eng anliegenden schwarzen Midikleid. Im großen Spiegel an der
Schranktür betrachtete ich mich eingehend. Trotz meines dunklen Haares wirkte meine Haut im schwarzen Kleid nicht blass. Nun machte sich der häufige Aufenthalt an der frischen Luft bemerkbar. Der kleine Garten an unserem Haus war ein wahrer Segen. Zwar ging ich nicht wie unsere Nachbarn in der Gartenarbeit auf, unser Garten zeugte davon, aber ein wenig Sonnenbaden auf der Terrasse oder Hausaufgaben kontrollieren auf eben jener taugte auch zum Braun werden. Obwohl ich mein Haar sonst oft offen trug, hatte ich mich für die Feier für eine Hochsteckfrisur entschieden. Allenfalls zwei Strähnen ließ ich locker in mein
Gesicht fallen. Dazu ein dezentes Make-up. Im Gegensatz zu manch anderer Frau in meinem Alter kleisterte ich mein Gesicht nicht mit allerlei Zeugs zu. Natürlich schön, wie meine Mutter immer sagte, war nicht nur für die Haut besser, sondern auch für das Mutter-Tochter-Zusammenleben. Morgens brauchte ich deutlich weniger Zeit im Badezimmer als meine Teenagertochter. Leider gab unser kleines Cottage nur ein Badezimmer her und einen Anbau konnte ich mir schlichtweg nicht leisten. »Du siehst hübsch aus«, hörte ich Mira’s Stimme hinter mir. Sie stand ausgehfertig an den Türrahmen gelehnt. Lächelnd sah ich zu ihr herüber. »Danke.
Du aber auch.« »Ich weiß«, entgegnete sie und zwinkerte mir frech zu. »Wollen wir dann?« Das Schulhaus glich einem Bienenstock. Überall liefen Leute herum. Trugen etwas von A nach B. Geblaffte Befehle flogen wie Vögel durch die Luft und abschätzige Blicke trafen jeden Neuankömmling. Auch das Gelände wirkte wie ein Ameisenhaufen. Kaum durch das Portal getreten, rannte Mira auch schon mit ausgebreiteten Armen auf eine Gruppe Mädchen zu. Alle trugen, wie meine Tochter auch, festliche Kleider und waren wie Schönheitsköniginnen
herausgeputzt. »Sind Sie eine Helferin?«, wurde ich hinterrücks angesprochen. Erschrocken fuhr ich herum und erwiderte, »J-ja, so ist es. Mein Name ist …« »Egal«, unterbrach mich der grimmig dreinblickende Junge. »Kommen Sie, ich bringe Sie in den Festsaal, wo Sie gebraucht werden.« »Oh … okay«, murmelte ich verwirrt. »Ich folge dir.« Und das tat ich. Staunend sah ich mich in dem riesigen, einstigen Rittersaal um, der für den heutigen Anlass feierlich geschmückt war. Überall hingen violette oder alt rosafarbene Girlanden und
Lampions. Ein paar, mit violettfarbenen Tischtüchern belegte Tische standen an der Fensterseite des Saals. Auf jedem standen Blumenvasen und dicke LED Kerzenleuchter. Der DJ hatte sein Reich auf der Bühne aufgebaut. Sonst saßen hier während der Mahlzeiten die Lehrkräfte. Und wieder einmal erinnerte mich der Speisesaal der Schule an den aus den Harry Potter Filmen. Von der hohen Decke, zwischen den Leuchtern, waren Lichterketten und Girlanden gespannt und rundeten das perfekte Bild ab. Wenn dies die Arbeit dieses Komitees war, dann waren diese Schülerinnen und Schüler äußerst begabt. »Hier«, meinte der Junge und deutete auf
das aufgebaute Buffet neben uns. »Wenn Sie bitte aufpassen, dass niemand etwas in die Bowle kippt oder irgendwelche Kekse oder so was dazugestellt werden.« »Ist gut.« Er nickte und verschwand. Oh, das war schon an Anweisungen? Ratlos blieb ich zurück und drehte Däumchen, während die Minuten verstrichen. Ich hätte erwartet, dass jemand Erwachsenes, autoritäres mich begrüßen und einweisen würde. Der DJ testete seine Anlage und auch der Lichtmensch ließ das Licht abwechselnd an- und ausgehen. Machte mal buntes, mal Schwarzlicht oder einfach nur Spots. Gerade als ich mir einen Stuhl vom
äußersten Rand des Raumes herangeholt und mich darauf niedergelassen hatte, kam eine autoritär aussehende Frau auf mich zu. »Sie müssen Mistress Barlow sein?«, rief sie erfreut und streckte mir die Hand hin. »Miss, bitte. Ich bin geschieden«, erwiderte ich und schüttelte sie. »Oh, Verzeihung. Natürlich. Ich bin Mathilda Mac Allister. Ich unterrichte an dieser Schule unter anderem den Biologieunterricht.« »Aber natürlich kenne ich Sie«, log ich freundlich. »Mira spricht beinahe pausenlos von Ihrem tollen Unterricht.« »Tut sie das?« Sie lächelte. »Mira ist ein tolles Mädchen. Und eine meiner
fleißigsten Schülerinnen.« »Freut mich zu hören.« Mistress Mac Allister nickte wohlwollend und erklärte weiter, »Ich wollte Ihnen nur unseren Dank aussprechen. Es ist immer wieder schön zu sehen, dass unsere Eltern zwischen all ihrer Arbeit noch Zeit finden, sich in der Schule einzubringen.« Wovon ich wahrscheinlich die beschäftigste bin. »Kein Problem«, versprach ich. »Ich mache das gern.« »Man hat Ihnen erklärt, was zu tun ist?« Ich nickte zustimmend. »Gut. Wenn Sie Fragen haben oder Hilfe benötigen, wenden Sie sich bitte an mich. Sie finden mich immer hier im
Saal. Ich bin eine der Aufsichtspersonen.« Die Lehrerin ließ ihren Blick schweifen. »Hat unser Komitee hier nicht hervorragende Arbeit geleistet?« »Das hat es. Es sieht fantastisch aus.« »Mira selbst ist nicht im Komitee?« »Nein. Sie bringt sich seit Neuestem im … sozialen Bereich ein.« Im Grunde würde sie erst nächste Woche ihren Dienst im Kinderheim antreten, aber so genau musste man das ja nicht sehen. »Wie wunderbar. Ja, sie ist sehr engagiert und für ihre Unibewerbung wird das nur hilfreich sein.« Wir plauderten noch ein paar Minuten, bis Mac Allister zwei raufende Jungen
entdeckte und sich entschuldigte. So langsam füllte sich der Saal. Ich entdeckte meine Tochter in einer Menschentraube neben der Treppe, die zur rund umlaufenden Empore führte. Als ein paar Schüler heimlich vom Buffet naschten, tat ich so, als ob ich es nicht bemerkt hätte. Verdenken konnte ich es ihnen nicht. Auch mein Magen hing mittlerweile in den Kniekehlen. Ob es mir erlaubt war, mich ebenfalls daran zu bedienen? Sicherlich, wie bei allen anderen auch, nach der Eröffnung des Buffets. Lange musste ich auf diesen Moment nicht mehr warten. Kaum hatte Rektor Lawrence das Fest offiziell eröffnet, ging es auch gleich voll los.
Die Tanzfläche füllte sich in Rekordgeschwindigkeit. Früher, in meiner Jugend, hatten wir uns nicht so schnell auf die Tanzfläche getraut. Allerdings konnte man das Herumgezappel, was heutzutage veranstaltet wurde, kaum noch als Tanz bezeichnen. Still in mich hinein kichernd stellte ich mir vor, wie Mark und ich zu Salsa klängen über das Parkett wirbelten und der Jugend mal zeigten, wie man das richtig machte. Am Buffet bildete sich eine lange Schlange. Während meiner gedanklichen Abwesenheit war offenbar ein Schwarm Heuschrecken über das Büfett hergefallen. Missmutig betrachtete ich das Trauerspiel. Die
ganze Zeit schon hatte ich ein Auge auf die gefüllten Blätterteigteilchen geworfen. Von denen waren bis auf ein zerdrücktes Exemplar nur noch Krümel übrig. Angesäuert steckte ich mir ein paar Weintrauben und Käsewürfel in den Mund und ließ gelangweilt den Blick schweifen. Bisher hatte niemand Anstalten gemacht, das Buffet zu manipulieren, sodass ich sicherlich kurz eine Runde drehen könnte, um meine vom Stehen halb taub gewordenen Beine wiederzubeleben. Wie zu meiner Zeit bildeten sich Schülergrüppchen, die plaudernd und kichernd zusammenstanden. Mira und ihre Gruppe war verschwunden. Einige jüngere
Schüler machten sich einen Spaß daraus, mit gekochten Nudeln und Spaghetti vom Buffet, den Gesichtern in den Gemälden Bärte und Augenbrauen anzukleben. Schmunzelnd ging ich weiter. Es war nicht meine Aufgabe, sie zu ermahnen. Langsam stieg ich die hölzerne Treppe zur Galerie hinauf. Von oben hatte man sicherlich einen tollen Ausblick über das Geschehen. Doch oben erwartete mich zunächst ein knutschendes Pärchen. Eng umschlungen saßen sie auf einem Zweisitzer und waren so beschäftigt, dass sie mich gar nicht bemerkten. Im Grunde sollte ich achtgeben, dass nicht geknutscht wurde, doch ich hielt es noch immer mit dem Leitsatz, dass derartige
Feiern prädestiniert dazu waren. Was ist schon eine Party ohne Küsse? Der blonde Junge streckte seiner Partnerin derart tief die Zunge in den Hals, dass ich zu dem Entschluss kam, dass sein Lebensziel nur das des Hals-Nasen-Ohren-Arzt sein konnte. Unbemerkt huschte ich ein paar Meter weiter und ging an die hölzerne Brüstung. Unter mir zappelten die Tänzer und Tänzerinnen mit dem Beat der neumodischen, für mich vollkommen unverständlichen Musik auf die, die jungen Leute so abfuhren. Lächelnd ließ ich den Blick schweifen. Da entdeckte ich einen hochgewachsenen Jungen, der direkt auf das Buffet zuhielt. Dunkel
gekleidet, hob er sich kaum im schummrigen Licht der Umgebung ab. Das jedoch war es nicht, was mich stutzig machte, sondern vielmehr die schwarze, große Box, die er mit beiden Händen trug. Eilig lief ich die Treppe wieder hinunter und auf ihn zu. »Stopp«, rief ich bereits von Weitem. »Was tun Sie da?« Überrascht wandte er sich um. In der Hand einen Teller mit Garnelen. Dieser war plötzlich wieder voll. Entgeistert starrte ich ihn an. »Wer sind Sie?« »Ich bin vom Caterer. Ich fülle nur die Speisen auf«, erklärte er gegen die laute Musik anschreiend. Womit auch erklärt
wäre, wie die Teller sich wieder hatten füllen können. Auch die Blätterteighäppchen waren erfreulicherweise wieder vorhanden. »Ach so«, entgegnete ich peinlich berührt. »Weiter machen!« Amüsiert schüttelte der Caterer den Kopf und widmete sich wieder seiner Aufgabe. Kaum dass er verschwunden war, ergriff ich meine Chance selbst etwas von den Leckereien abzubekommen und schaufelte mir einen der Porzellanteller voll. Porzellan. Selbstverständlich wurde in einer Schule wie dieser kein Pappgeschirr benutzt. Sicherlich war es außerdem von Stuart. Neugierig hob ich einen weiteren Teller vom Stapel und
lugte hinunter. »Tatsächlich«, sagte ich zu mir selbst. »War ja klar.« »Was war klar?« Erschrocken fuhr ich herum. Trotz der vorherrschenden Lautstärke war deutlich zu hören, wie der sicherlich sauteure Teller auf dem Parkettboden zersprang. Entsetzt starrte ich von den Scherben auf zu dem Gesicht meines Gegenübers. Irgendwie kam er mir bekannt vor, irgendwie aber auch nicht. »Ent-entschuldigung«, stammelte ich, obwohl meine Entschuldigung bestimmt bei ihm an der falschen Adresse war. Mit einem Mal kam ich mir wieder, wie ein Kind vor. Der Fremde zuckte die Achseln. »Nicht
schlimm. Wir haben genug davon.« Ich runzelte die Stirn. Es ärgerte ihn nicht, dass ich teures Schuleigentum kaputt gemacht hatte? »Ich ersetze den Teller natürlich.« Er winkte ab. »Das ist wirklich nicht nötig. Ich bitte Sie.« So wie er sich ausdrückte und sich gab, musste er ein Angestellter sein. Nur wer? Für einen Lehrer wirkte er zu jung. Andernfalls könnte er Lehramtsstudent sein und hier sein Referendariat absolvieren. Vielleicht war er aber auch der Hausmeister, Gärtner oder Tennislehrer. Den Körper dafür hätte er. Groß, schlank und offensichtlich durchtrainiert. Er trug enge schwarze
Jeans und ein helles Hemd dessen obersten Knopf er offen hatte stehen lassen. Darunter blitzte helle Haut hervor. Überhaupt lag das Hemd eng an seinem Oberkörper an und betonte seine breiten Schultern. »Hallo, ich bin Alex«, stellte er sich vor und zerstreute so meine Überlegungen. »Lyanne. Hallo.« Er strahlte. »Was tun Sie hier Lyanne? Ich habe Sie hier noch nie gesehen.« Meine Hand beschrieb eine ausholende Geste. »Ich … ähm … gebe auf das Buffet acht.« Alexander lachte. »Ich wusste gar nicht, dass man auf derartiges achtgeben muss. Wovor haben Sie Angst, Lyanne, dass es
von Unbefugten geleert wird?« Sein Lächeln war ansteckend. »Nein, ich passe nur auf, dass niemand Alkohol in die Bowle schüttet und … so was.« Mit einem Mal kam mir meine Aufgabe vollkommen sinnlos vor. »Ach so.« »Und … und Sie? Was tun Sie hier?« Auf seiner Stirn bildete sich eine kleine Falte. »Ich feiere«, gab er zögernd zurück. Mensch, bin ich blöd. Natürlich tat er das. Sicherlich nahm nicht jeder Erwachsene seine heutige Aufgabe derart ernst, wie ich es tat. »Natürlich.« Spielerisch schlug ich mir die flache Hand vor die Stirn. »Wie dumm von
mir.« »Nein, überhaupt nicht«, beschwichtigte er mich. »Sonst gehe ich nicht auf solche Feste. Aber heute … heute dachte ich mir, versuch es doch mal.« Unsere Blicke verhakten sich. »Zum Glück … wie sich herausstellt.« Sein Blick ging mir durch Mark und Bein und machte, dass meine Beine sich in Wackelpudding verwandelten. Plötzlich war meine Kehle staubtrocken. Hektisch befeuchtete ich mir die Lippen. Alex grinste. Fahrig wollte ich mir mit der Hand durch das Haar fahren, blieb jedoch an der Spange hängen und riss diese beinahe heraus. Nun war meine Frisur ruiniert.
Warum musste mir das ausgerechnet vor dem einzig attraktiven Mann passieren der mir seit Langem begegnete? Missmutig nahm ich die Haarspange heraus und wuschelte mit der anderen Hand mein Haar etwas auf. Sicherlich sehe ich nun wie eine Vogelscheuche aus? Doch Alex bestätigte, »Sieht besser aus.« Überrascht hob ich wieder den Blick. Er war groß. Um einiges größer als ich. »Wirklich?« Er nickte und verbreiterte sein Lächeln. Warum war es mir so wichtig, was ein fremder Mann von meinem Aussehen hielt? Wir standen uns gegenüber und es schien, als würde es in dem riesigen Saal
nur noch uns beide geben. »Was machst du so, Lyanne?«, fragte er. »Ich unterrichte.« »Klar«, schmunzelte Alex. »Was auch sonst?« »Deutsch u-und … Kunst.« Er nickte. »U-und … du?« Irritiert runzelte er die Stirn. Erschrocken, ruderte ich zurück. »Bitte entschuldige. Ich frage dich hier aus …« »Nein, nein, schon gut. Sagen wir, ich … ich verbringe meine Tage hauptsächlich mit zuhören.« Zuhören? Sonderbar. Aber gut, wenn er es mir nicht verraten möchte. »Warum habe ich dich hier noch nicht
gesehen? Bist du neu?« Verwirrt runzelte ich die Stirn und antwortete, »Eigentlich nicht.« Alex zuckte die Schultern. »Dann sind wir uns eben nur noch nicht begegnet. Ist ja auch ein riesen Kasten.« Seine Hand machte eine allumfassende Geste. »Ein riesiger Kasten«, bestätigte ich nickend. Schweigend sahen wir uns an und lächelten. Sicherlich wirken wir auf Außenstehende wie zwei Statuen. In meinem Kopf schwirren die Gedanken. So lange war ich schon allein. So viele Versuche, einen netten, zu mir – zu uns passenden Mann zu finden, liefen ins Leere. Und plötzlich, als ich gar nicht
mehr damit rechnete, jemals einen geeigneten Kandidaten zu finden, stand er plötzlich vor mir. Ob er vergeben war? Sicher war er das. Derart attraktive Männer blieben nie lange allein. Doch Gewissheit würde ich erst haben, wenn ich über meinen Schatten sprang und ihn um ein Date bitten würde. Doch ich war zu schüchtern. Ich konnte doch nicht einfach so einen wildfremden Mann um ein Date bitten? Aber ich würde auch so gern seine Lippen auf meinen, seine Hände auf meinen Brüsten, seine Zunge an meiner … Mein Gott, Lyanne, du benimmst dich wie eine untervögelte Jungfrau. Verstohlen warf ich ihm einen Blick zu. Regungslos stand Alex mir
gegenüber und musterte mich seinerseits. Irgendwie wirkte es, als würde auch er innerlich einen Kampf ausfechten. »Gib dir einen Ruck!«, spornte ich mich in Gedanken an. »Wenn du es nicht tust, wirst du dir ewig Vorwürfe machen.« Konzentriert atmete ich tief durch, setzte an und fragte, unisono mit ihm, »Hast du Lust, mit mir mal etwas Trinken zu gehen?« Kichernd sahen wir uns an. »Du zuerst«, bat er und deutete mit seiner großen Hand auf mich. »Okay … Würdest du gerne etwas trinken?« Er erwiderte, »Gleich hier heute oder wollen wir lieber in den nächsten Tagen
ganz in Ruhe …?« »Definitiv in Ruhe«, kam es wie aus der Pistole geschossen von mir zurück. »In Ordnung.« Alex schmunzelte. »Dann habe ich etwas Schönes, was mich den morgigen Tag überstehen lässt.« Irritiert furchte ich die Stirn. »Was ist denn morgen?«, hakte ich neugierig nach. Statt einer Erklärung winkte er ab. »Ich möchte dir nicht den Abend verderben.« »Oh okay.« Bestimmt stand er kurz vor einer Prüfung und möchte mich nicht an meine eigene Studienzeit erinnern? »Gibst du mir deine Nummer?« »Na klar … Moment.« Hektisch kramte ich nach dem Smartphone in meiner
Clutch. Bevor ich den Mund öffnen und ihn nach seiner Nummer fragen konnte, hatte er mir auch schon das Gerät aus der Hand genommen und begann auf dem Display herumtippen. Anschließend reichte er es mir mit den Worten, »Jetzt hast du meine« zurück. Das war unglaublich sexy. Ohne nachzusehen steckte ich es in meine Tasche zurück und stammelte dabei, »Oh okay. Und … und meine?« »Ruf mich an, Lyanne, dann habe ich sie.« Wo er recht hat … »Gut … mache ich«, flüsterte ich benommen. Woher nahm dieser Kerl nur sein Selbstvertrauen? Aber sicherlich
brauchte man man das, wenn man vor den eingebildeten Zöglingen der Oberschicht lehren und anerkannt werden wollte? Mit einem Mal wurde Alex Aufmerksamkeit von etwas hinter mir abgelenkt. Grüßend hob er die Hand und rief, »Ich komme sofort.« »Sorry, Lyanne, ich muss los.« »Ich verstehe.« Betrübt sah ich auf die Spitzen meiner schwarzen Heels hinunter. Und mit einem Mal tat er etwas vollkommen Unerwartetes. Alex legte seine Hand unter mein Kinn und hob es an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. »Ich freue mich und erwarte deinen Anruf.«
Ich nickte stumm. Sein Gesicht näherte sich dem meinen und im nächsten Augenblick legten sich seine warmen Lippen hauchzart auf meine Wange. So nah umfing mich förmlich sein betörender Duft. Tief sog ich den Geruch nach Moschus und Zitrone ein. Hmm. Dann war der Moment vorüber und Alex richtete sich wieder auf. »Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Lyanne.« »Mich ebenso«, versprach ich vollkommen hingerissen. Lächelnd wandte er sich ab und entfernte sich ein paar Schritte. »Einen schönen Abend dir noch. Und gib gut acht, dass
das Essen keine Beine bekommt!«, rief er lachend über die Schulter. Weg war er. Meine zum Abschied erhobene Hand sah er schon nicht mehr. Teils fasziniert, teils verwirrt blieb ich zurück und versuchte zu begreifen, warum ein Mann wie er, dem in der Frauenwelt alle Türen offen standen, ausgerechnet mich ausgewählt hat? Erst in der Nacht, als ich allein in meinem Bett lag, fiel mir auf, dass wir während unseres Gesprächs unbemerkt zum vertrauten du übergegangen waren. Wie bereits viele Male zuvor griff ich nach meinem Handy und rief seine Nummer auf. Er hatte sie unter Alex
abgespeichert und war nun der erste und einzige Alex in meiner Kontaktliste. Ob ich ihm so etwas wie, ›Es war noch ein schöner Abend. Schade, dass du früh gegangen bist‹
oder ›Ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen‹ schreiben sollte? Doch schlussendlich ließ ich es bleiben, um nicht allzu sehr verzweifelt zu klingen. Stattdessen träumte ich in dieser Nacht von ihm.
Lyanne Den Morgen verbrachte ich allein auf meiner Terrasse. In der einen Hand eine Tasse Kaffee, in der anderen mein Handy. Alex’ Nummer gut sichtbar auf dem Display. Nur noch ein Tippen davon entfernt, seine Stimme zu hören. Doch ich wagte es nicht, den Daumen zu senken. Wollte er mich wirklich kennenlernen oder gab er mir seine Nummer allein aus einer angeheiterten Laune heraus? Und was würde Mira dazu sagen, wenn ich einen ihrer Lehrer datete? Allerdings war meine letzte Beziehung schon eine Ewigkeit her. Von
Sex wollte ich gar nicht erst anfangen.
Mein Blick flog auf die kleine Uhrzeitanzeige auf dem Bildschirm. Sicherlich zu früh, um anzurufen? Und hatte Alex nicht auch etwas von einem anstrengenden Tag erzählt? Er hatte die Party zwar früh verlassen, doch ich wollte nicht schuld sein, wenn er unausgeschlafen war. Doch es war nicht zu früh, um meine beste Freundin aus dem Bett zu klingeln. Susann würde es verstehen. »Ja?«, meldete sich ihre verschlafene Stimme, nach dreimaligem Klingeln. »Ich bin’s. Hast du Zeit?« »Nur, wenn es frische Croissants und Café ’o lait
gibt.« »Gibt es«, bestätigte ich erleichtert. »In einer Stunde?« »Geht klar.« Damit beendete Susann das Gespräch. Pünktlich zur verabredeten Zeit saß ich in unserem Lieblingscafé an unserem angestammten Tisch meiner besten Freundin gegenüber. Vor mir duftete verführerisch eine Tasse Kaffee. Das leckere französische Frühstück musste jedoch noch etwas warten, denn ich platzte fast vor Ungeduld. »Na dann, mal raus mit der Sprache!«, eröffnete sie das Gespräch, kaum, dass die Bedienung wieder verschwunden war.
»Wie war die Party?« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und auch wenn Will heute nicht dabei war, konnte ich die gute Neuigkeit nicht länger für mich behalten. »Überraschend«, gab ich geheimnisvoll zurück. Susann hob die Augenbrauen. »Inwiefern? Überraschend langweilig, oder, so wie du ausschaust, überraschend ereignisreich.« Neugierig beugte sie sich zu mir und forderte, »Erzähl!« Und das tat ich. Während ich sprach, wurde sie immer aufgeregter. Sie, als meine längste Freundin, wusste genau, dass ich seit der Trennung von Domenic keine nennenswerte Beziehung mehr
gehabt hatte und vertat strikt die Auffassung, dass ich mal dringend wieder flachgelegt werden sollte. »Dass in Mira’s Schule derart leckere Typen herumlaufen, hätte ich nicht gedacht. Ich hatte den alten Kasten immer für angestaubt gehalten?« »Das ist es vielleicht ja auch. Aber nicht die Lehrkräfte, die dort arbeiten«, bestätigte ich mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. »Ich versteh’ schon.« »Du hättest ihn sehen müssen. Sexy, groß, durchtrainiert – einfach himmlisch.« »Und was hast du jetzt vor?« »Was meinst
du?« »Na, rufst du ihn an oder drückst du dich mal wieder?« Sie lachte. Ich zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Mira hält sicher nicht viel davon, wenn ich mit einem ihrer Lehrer zusammen bin?« »Zusammen bin«, echote sie. »Davon ist doch noch gar keine Rede. Ihr könntet doch auch einfach nur ein wenig Spaß zusammen haben.« »Nur Sex und …« »Dann schießt du ihn wieder ab. Klar«, vollendete meine Freundin den Satz. »Das kann ich nicht.« Susann verdrehte die Augen. »Du immer mit deiner
Romantik.« Schweigend beschmierte ich die eine Croissanthälfte und biss hinein. »Lyanne, ruf ihn einfach an und sieh, was passiert!« »Was soll schon passieren?«, fragte ich kauend. »Wir treffen uns und haben sicherlich irgendwann Sex.« »Na also.« Ich schluckte und spülte mit einem Schluck Kaffee nach. »Ja, wenn man Susann Lewis heißt, aber ich bin nicht so. Ich will nicht nur nur Sex. Ich wünsche mir eine feste Beziehung.« »Süße, die Zeiten in denen Mira einen Vaterersatz braucht, sind vorbei.« »Ach, Vaterersatz«, echauffierte ich
mich. »Wer sagt denn so etwas? Nein, ich …« Meine Finger tippen gegen meine Brust. »… möchte jemanden haben. Ich vermisse die Gewissheit, dass da jemand ist, wenn ich abends nach Hause komme. Mit dem ich alles teilen, zusammen in den Urlaub fliegen oder einfach nur gute Gespräche führen kann.« »Für die beiden letzten Dinge hast du uns.« Meine Hand legte sich auf die ihre. »Ja, natürlich, aber … du weißt doch wie ich das meine.« Sie grinste frech. »Na klar.« »Es wäre außerdem schön, jemanden zu haben, mit dem man seine Hobbys teilen
kann.« »Sorry, aber tanzen und malen sind so gar nicht meins.« »Das weiß ich.« Milde lächelte ich sie an. »Vielleicht ist es aber etwas für Alex?« »Die Antwort auf diese Frage erhältst du jedoch erst, wenn du dich endlich dazu durchringst und ihn anrufst.« Susann musterte mich mit einem wissenden Lächeln. »Du hättest mich heute Morgen nicht angerufen, wenn du das bereits erledigt hättest.« »Du kennst mich einfach zu gut«, bestätigte ich schmunzelnd. »Dann tue es jetzt!« Entsetzt riss ich die Augen auf. »Was?
Jetzt?« Mein Gegenüber nickte dreckig grinsend und deutete mit dem Messer auf mein Smartphone, welches zwischen uns auf der Tischplatte lag. »Ich kann doch nicht …«, begann ich fassungslos. »Außerdem hat er etwas von wegen anstrengender Tag gesagt.« »Ausreden«, behauptete meine Freundin. »Du trägst hier eine Ausrede nach der nächsten vor, nur um dich davor zu drücken, deinen heißen Traummann anzurufen. Ich versteh’ nicht, wo dein Problem ist?« »Ich habe kein Problem«, entgegnete ich schnippisch. »Gut.« Susann griff sich mein Handy,
entsperrte es, sie kannte schon lange meinen Code und tippte auf dem Display herum. Schließlich reichte sie es mir zurück. Entsetzt stellte ich fest, dass bereits Alex Nummer gewählt wurde. Jetzt einfach so aufzulegen, sähe wirklich seltsam aus. Ich bring’ dich um sagte mein Blick, den ich meiner angeblichen besten Freundin zuwarf. Die antwortete mit einem frechen Grinsen und streckte mir die Zunge raus, ehe sie einen weiteren Bissen ihres Croissants nahm. Mit zitternder Hand presste ich mir das kleine Gerät an das Ohr und lauschte, ob und wann er das Gespräch annehmen würde. »Ja?« Seine Stimme klang verschlafen
oder genervt. So genau konnte ich das nicht ausmachen. Überrumpelt stammelte ich, »Ähm … h-hallo, hier ist … ich bin Lyanne. V-von der Party.« Sofort hörte er sich freundlicher an, als er antwortete, »Ja, ja na klar. … Hallo. Wie geht’s dir?« »Gut … mir geht’s gut.« »Schön, dass du anrufst!« Die Hintergrundgeräusche waren ziemlich laut, sodass ich mich anstrengen musste ihn zu verstehen. Doch ich meinte Schritte zu hören. »Ja … ähm … störe ich dich? Ich … du hast gestern gemeint, dass du einen anstrengenden Tag hast?« »Nicht der Rede wert. Tatsächlich
bewahrst du mich gerade davor.« Irritiert runzelte ich die Stirn. »Wie das?« Alex lachte. »Na, weil ich jetzt Wichtigeres zu tun habe.« Ich stand auf dem Schlauch. »Und das wäre?« »Na, ich telefoniere doch gerade mit dir. Da hat alles andere zu warten.« Erleichtert atmete ich aus. »Ach so.« Susann mir gegenüber starrte mich neugierig an. Versuchte nichts zu verpassen. »Was ist es denn, was du dank mir jetzt schwänzen kannst?« Es dauerte einige Sekunden, bis er antwortete, »Das willst du nicht wissen, glaub
mir.« »O-okay.« Betont erfreut fragte er, »Und, ist gestern alles gut gegangen?« »Was meinst du?« »Auf der Party. Konntest du das Buffet vor einem Angriff von außen bewahren?« »Und ob«, antwortete ich lachend. »Prima.« Ehe ich etwas dagegen tun konnte platzte es aus mir heraus, »Schade, dass du die Feier schon so früh verlassen hast.« »Solche Partys sind nicht mein Ding.« »Nicht?«, staunte ich. »Aber es ist doch deine Schule? Musst du dann nicht sogar daran teilnehmen?« Alex lachte. »Ich denke nicht, dass ich
einen Paragrafen im Vertrag überlesen habe, in dem derartiges vorgeschrieben wurde.« »Aber natürlich. Bitte entschuldige.« »Du musst dich nicht entschuldigen.« Susann machte eine ungeduldige Handbewegung. Ich rollte mit den Augen. »Ja, doch«, formten meine Lippen tonlos. »Alex?«, begann ich. »Ja, Lyanne?« Die Art, wie er meinen Namen aussprach, machte etwas mit mir. So rund, samtig weich, geradezu, als würde er jeden Buchstaben auf der Zunge schmecken. Verwirrt über meine eigene Reaktion allein auf die Nennung meines Namens,
stammelte ich, »Ich … ich wollte dich fragen … ob du und ich … ob wir mal zusammen …« Alex kürzte ab, indem er fröhlich rief, »Sehr gern sogar. Wann?« Überrumpelt schüttelte ich den Kopf. Susann runzelte die Stirn. »W-wann? Ähm … heute?« Meine Freundin klatschte begeistert in die Hände und nickte mir anerkennend zu. Auch er schien überrascht und erfreut zugleich. »Heute?«, wiederholte er und fügte dann begeistert hinzu, »Sehr gern. Ich … ich lade dich zum Essen ein. Natürlich auf meine Rechnung.« Damit hatte ich sowieso gerechnet.
Warum betonte er das extra? »Okay. Ich … freue mich.« »Ich mich auch«, bestätigte Alex. »Ich hole dich um sieben Uhr ab. Passt das?« »Das … ähm … ja.« »Genial.« »Ja, genial.« »Bis später.« »Bis dann.« Damit beendeten wir das Gespräch. Dezent verwirrt ließ ich mein Smartphone in meiner Handtasche verschwinden, ehe Susann noch auf die Idee kam, weitere Anrufe für mich in die Wege zu leiten. »Warum wirkst du verunsichert?«, fragte sie. Konzentriert eine fröhlichere Miene
aufsetzend, schüttelte ich den Kopf. »Es ist nichts. Nur … irgendwie wirkte er auf mich so …« »Ausgelassen und fröhlich?« »Ja, das auch, aber irgendwie auch … ich kann es nicht richtig beschreiben … begeistert. Ganz so als ob er zum ersten Mal ein Date hat.« »Sicher nicht. Du meintest doch er ist heiß? Der hat bestimmt schon viele gedatet. Und hoffentlich auch flachgelegt.« Verschwörerisch zwinkerte sie mir zu. »Ja er ist heiß«, bestätigte ich nachdenklich. »Aber es wirkt so, als wäre mit einer Frau essen zu gehen neu für
ihn.« Sie winkte ab. »Wahrscheinlich ist er ebenso aufgeregt, wie du es warst? Warte heute Abend ab. Das wird schon.« Den restlichen Tag verbrachte ich mit süßem Nichtstun. Das Haus hatte ich für mich, da Mira heute ihren Freundinnen unterwegs war. Ich badete ausgiebig, gönnte mir eine Gesichtsmaske und ließ mich eine Stunde vor dem Date von Susann frisieren. Mein Outfit suchten wir gemeinsam heraus. Das machte ohnehin viel mehr Spaß, wenn man sich mit der besten Freundin auf ein derartiges Ereignis vorbereitete. Nachdem ich einiges anprobiert, wieder verworfen und
neu zusammengestellt hatte, schafften wir es schließlich aber doch mir ein unaufdringliches, sexy Outfit zusammenzustellen. »Ich sehe wie Olivia Newton-John in der Endszene von Grace aus«, murmelte ich bei der Betrachtung meines Spiegelbildes. Su stellte sich neben mich und erklärte, »Erstens, die war blond. Und zweitens, du siehst heiß aus und das ist es, was zählt.« »Sehe ich nicht viel zu sehr nach ›Ich brauch’ dringend mal wieder Sex und du musst es mir besorgen‹ aus?« »Ach, stimmt das etwa nicht?«, lachte meine Freundin und schlug mir spielerisch auf den
Hintern. Lachend trafen sich unsere Blicke im Spiegelbild. »Du meinst also nicht, dass die enge Lederjeggins und das Pailletten Top zu viel sind?« »Auf keinen Fall.« Ich atmete tief durch und nickte meinem Spiegelbild aufmunternd zu. »Also gut.« Mein Blick fiel auf die Wanduhr an der gegenüberliegenden Wand. »Er kommt gleich.« »Hm.« »Kannst du dich um Mira kümmern?« Skeptisch furchte sich ihre Stirn. »Meinst du nicht, dass deine Sechzehnjährige sich ganz gut um sich selbst kümmern
kann?« »Stimmt. Du hast recht.« Susanns Ellbogen stupste mich sanft in die Seite. »Bist wohl aufgeregt, was?« »Und wie«, seufzte ich und wollte mir nervös mit der Hand durch die Haare fahren. Noch im letzten Moment konnte die Friseurin meines Vertrauens mich davon abhalten, meine Frisur zu ruinieren. »Es genügt, wenn er sie dir nachher ruiniert«, murmelte meine Freundin und zupfte ein letztes Mal an mir herum. Im nächsten Moment klingelte es an meiner Haustür. Erschrocken fuhr ich zusammen. »Pünktlich ist er schon mal«, bemerkte Su trocken. »Pluspunkt für
ihn.« »Du bleibst hier oben, ja?«, bat ich flehentlich. Um keinen Preis wollte ich, dass Alex dachte, ich bräuchte moralische Unterstützung bei unserem ersten Zusammentreffen. Verschwörerisch zwinkerte meine Freundin mir zu. »Klar doch.« Meine Beine zitterten wie Espenlaub, als ich in meinen schwarzen High Heels die steile Treppe meines Hauses hinunter stieg. Etwas zu schwungvoll öffnete ich die Haustür. Erschrocken zuckte Alex zurück. Setzte aber im nächsten Augenblick eine strahlende Miene auf, als er mich sah. Anerkennend glitt sein Blick an meinem Körper aufwärts, bis er
ein heiseres, »Hi« ausstieß. »Hi«, antwortete ich verträumt. Er sah umwerfend aus. Der anthrazitfarbene Anzug saß wie maßgeschneidert an seinem Körper. Darunter lugte ein weißes Hemd hervor, dessen obersten Knopf er, dem legeren Anlass geschuldet offen gelassen hatte. Das blonde Haar wirkte ungestylt, strafte einen jedoch lüge, wenn man ihn näher betrachtete. Alex musste sich eingehend mit seinem Äußeren beschäftigt haben. Selbstbewusst trat er einen Schritt auf mich zu. Als würden wir uns bereits seit Jahren kennen, legte sich seine große Hand an meine Taille, zog mich leicht an sich und küsste meine Wange. Dabei sog
ich seinen faszinierenden Duft ein. Diese Mischung aus Seife, Zitrus und Moschus machte mich ganz wirr im Kopf. »Du siehst fantastisch aus«, raunte er an mein Ohr. »D-du aber auch.« Hinter meinem Rücken hörte ich jemanden kichern. Rasch löste ich mich von Alex, trat zurück in den Hausflur, griff mir in der Garderobe meine kurze Jeansjacke und den Hausschlüssel und zog die Tür hinter mir zu. »Wollen wir?« Alex nickte strahlend. Unschlüssig, ob er seinen Arm um meine Mitte legen sollte oder lieber nicht, hob er erst den Arm,
ließ ihn dann aber doch schlaff an seiner Seite hängen, als er leicht versetzt hinter mir den Gartenweg entlang in Richtung Straße lief. Dort traf mich beinahe der Schlag, als ich den am Straßenrand geparkten schwarzen Rolls-Royce erblickte. Unwillkürlich stockte ich. Zielstrebig überholte Alex mich und ging auf das hintere Ende des Wagens zu, wo er mir zuvorkommend die Tür öffnete. Argwöhnisch kniff ich die Augen zusammen. »Kann ich nicht neben dir sitzen?« Er lachte. »Tust du doch.« Seine Hand winkte einladend. Verwirrt ging ich weiter und stieg ein. Staunend sah ich mich um, ehe ich mich
setzte. Noch nie zuvor hatte ich in einem solchen Auto gesessen, geschweige denn bin damit chauffiert worden. Alles strahlte puren Luxus aus. Von den hellen Ledersitzen bis hin zu den in Cremetönen gehaltenen Armaturen. Zwischen den Sitzen vor mir befand sich in einer Vertiefung ein Sektkühler, in dem eine Flasche Champagner darauf wartete geöffnet zu werden. Die Fahrerkabine trennte eine dunkle Trennwand, die, wie ich aus Filmen wusste, heruntergelassen werden konnte. Hinter mir schob sich Alex in den Wagen. »Setz dich doch.« Dass ich noch immer unschlüssig in der Mitte kauerte, war mir gar nicht aufgefallen. Eilig schob ich meinen
Hintern auf den nächst besten Platz. Alex, der abgewartet hatte, zog die Tür hinter sich zu und nahm anschließend neben mir platz. Plötzlich war ich mir der Nähe zu ihm mehr als bewusst, spürte seine Wärme, roch sein teures Parfum. »Alles klar?« Ich nickte stumm. Alex schmunzelte und rief, »Sie können jetzt losfahren, Michael.« »Sehr wohl Mister Stuart«, tönte eine blecherne Stimme aus einem versteckten Lautsprecher. Stuart? Ich erstarrte. Er wird doch nicht … gehörte er etwa zu der Familie Stuart? Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte der vermeidliche Multimillionär stirnrunzelnd. Tonlos stellte ich eine Gegenfrage, »Wie lautet dein Name?« »Das weißt du doch.« Seine Hand legte sich fordernd auf meinen Oberschenkel. Sofort begann meine Haut darunter zu brennen. »Nein«, widersprach ich und legte meine Hand auf die seine. »Wie heißt du?« Seufzend lehnte Alex sich zurück und fuhr sich mit der freien Hand durch das perfekt sitzende Haar. »Ich hatte gehofft, ohne all das auskommen zu können … Ich habe mich darauf gefreut, einfach nur
Alex zu sein.« Misstrauisch verengten sich meine Augen. »Dann hättest du deinem Chauffeur vielleicht sagen sollen, er soll dich auch nur mit Alex ansprechen.« Langsam schob ich seine Hand von meinem Bein. Er registrierte es mit einem Stirnrunzeln. »Du musst dir keine Sorgen machen?«, beschied er seufzend. »Ich wollte nur … bei dir, dachte ich, kann ich mal einfach nur der Mann sein, der ich gern sein würde.« In meinem Hirn ratterte es. Deswegen kam mir sein Gesicht so bekannt vor. Er hatte dasselbe Gesicht wie Maxwell Stuart. Offenbar war er sein Sohn.
Alleinerbe des Stuart Porzellan Imperiums. Überaus erfolgreich, unverschämt wohlhabend, mit absoluter Schönheit gesegnet und dazu jung. Zu jung. Mir brach der Schweiß aus. Hier vor mir sitzt kein Mann. Hier sitzt ein Junge. Ein Schüler. Ein Mitschüler von Mira. Keuchend rief ich, »Ich … ich kann nicht. Ich muss …« Sofort legte sich seine Hand erneut auf meinen Oberschenkel. Leise und von einem flehenden Blick begleitet bat er, »Lyanne, bitte bleib.« Heftig schüttelte ich den Kopf. Ich musste mich zusammen nehmen, um nicht vor Panik direkt aus dem fahrenden Fahrzeug zu springen.
Sein eindringlicher Blick suchte den meinen, hielt ihn fest, als er leise »Bitte« hauchte. Nun war es an mir, zu seufzen. Jeder Muskel meines Körpers war angespannt, als ich mich steif in die Polster zurücksinken ließ. Anhören, was ihn dazu getrieben hatte, einer älteren Frau nachzustellen, konnte ich mir wenigstens. »Danke«, murmelte Alex. Nachdem er tief durchgeatmet hatte, fuhr er fort, »Ich bin dir wohl eine Erklärung schuldig.« »Das meine ich aber auch«, stimmte ich zu. »Ich hatte dich für einen Lehrer
gehalten.« Er lächelte. »Warum hast du mir nicht schon bei der Party gesagt, dass …« »Hättest du dann einem Treffen zugestimmt?«, unterbrach er mich. »Natürlich nicht«, echauffierte ich mich. »Ich mache mich strafbar. Im Grunde habe ich es sogar schon, indem ich mit dir in dieses Auto gestiegen bin.« »Seit wann ist es verboten, gemeinsam in einem Auto zu sitzen? Taxifahrer tun das ständig.« »Dein Chauffeur ist aber kein Taxifahrer und ich bin kein Fahrgast. Wir beide haben ein Date. Ich hab’ mich drauf gefreut, mit dir heute Nacht Sex zu …«
Erschrocken schlug ich mir eine Hand vor den Mund. »Scheiße, kann er uns hören?« Alex schmunzelte. An seiner statt antwortete der Fahrer, »Ja, ich höre Sie. Jedoch geht es mich nichts an, was hinter mir besprochen wird, Miss Barlow.« Entsetzt über die Tatsache, dass dieser Fremde meinen Namen kannte, sah ich verwirrt von der Trennwand, hinter der er saß zu Alex. Nonchalant hob dieser den Arm und drückte einen unauffälligen Knopf in der Decke des Wagens. Daraufhin erlosch das kleine rote Lämpchen, deren Licht mir zuvor nicht aufgefallen war. »Woher? Warum? Alex, wir … das geht nicht. … Ich will
aussteigen!« Schon erhob ich mich von dem Sitz. Blitzschnell, zu schnell für mich, war Alexander vor geschnellt und drückte mich mit seinem eigenen Körpergewicht zurück in den Sitz. Energisch stieß ich ihn von mir und verpasste ihm im nächsten Augenblick eine schallende Ohrfeige. Alexander sah mich amüsiert an, betastete die Stelle mit der Hand und murmelte, »Du bist wehrhaft. Das gefällt mir.« Ehe ich etwas Antworten oder gar protestieren konnte, legten sich seine Lippen auf meinen Mund. Im ersten Moment war ich wie versteinert, doch dann suchten sich mein Verstand und
mein Körper ausgerechnet diesen Moment aus, um die Zusammenarbeit einzustellen. »Es ist unrecht«, schrie eine Stimme in meinem Kopf. Sie befahl mir, ihn von mir zu stoßen und reißauszunehmen, doch mein Körper reagierte gänzlich konträr. Dazu kam, dass er ausgesprochen gut und intensiv küssen konnte. Mein Mund öffnete sich willig für ihn und seine Zunge. Zwischen meinen Beinen pochte ein köstlicher Schmerz. Es war, als freute mein Körper sich darauf, von Alex überall, wirklich überall, berührt zu werden. Und um diesen Zustand so bald als möglich eintreten zu lassen, begannen meinen
Hände sich auf seinem Oberkörper zu verselbstständigen. Ohne dass ich es hätte steuern können, fuhren sie in sein Haar, zogen leicht an seinen blonden Strähnen, bis ihm ein köstlicher kleiner Laut entfuhr. Davon angeturnt intensivierte ich den Kuss. Seine Hand fuhr unter mein Top, umfasste meine Brust und begann die Brustwarze zu kneten. Keuchend holte ich zwischen den Küssen Luft. »Wir … dürfen … das … nicht.« »Ist mir egal«, raunte sein Mund an meinem, während seine Zunge an der empfindlichen Haut unterhalb meines Ohres entlangfuhr. Stöhnend ließ ich mich fallen. Alexander
intensivierte seine Bemühungen. Küsste mich vom Ohr abwärts, über das Schlüsselbein bis zu meinem Gesicht. Hauchzarte Küsse legten sich auf meine Lider, meine Wangen, die Stirn und den Mund. Wie hatte ich das vermisst. Seine Zärtlichkeiten aktivierten mein eigenes Verlangen. Wie eine Ertrinkende klammerte ich mich an ihn und begann förmlich über ihn herzufallen. Vor Ungeduld zitternd, begannen meine Finger die Knöpfe seines Hemdes aufzuknöpfen. Stück für Stück legte ich seine straffe, helle Haut und ein Sixpack, welches seinesgleichen suchte frei. Gierig fuhr ich mir bei diesem Anblick mit der Zunge über die Lippen.
»Komm her!«, knurrte Alex, griff in meinen Nacken und küsste mich besitzergreifend, während ich meine Hand nicht daran hindern konnte, auf Erkundungstour zu gehen. Meine Fingerkuppen glitten über seine harten Bauchmuskeln hinauf zu seiner Brust, wo ich ihm neckisch in die Brustwarzen kniff. Was er konnte und so weiter … Sie strichen über die Tätowierungen, welche ich bei einem Mann wie ihm nicht erwartet hätte. Fuhren die Konturen des Adlers auf seinem Oberarm nach und umkreisten die des Union Jacks auf seiner rechten Brust. Ich löste mich von seinem Mund und ließ stattdessen meine
Zunge an seinem Hals entlang zu seinem Ohrläppchen wandern. Alexander schloss genüsslich die Augen und ließ zu, dass ich seinen Oberkörper mit Küssen bedeckte. Als stünde die Zeit still nahm ich mir die Zeit, jeden Zentimeter seiner warmen Haut zu liebkosen, während seine große Hand schwer auf meinem unteren Rücken ruhte. Irgendwann verlor er jedoch die Geduld, umfasste meine Taille fester und warf mich mit einer geschickten Drehung rücklings auf die Sitzbank. Es gelang mir gerade noch überrascht nach Luft zu schnappen, da war er wieder über mir. Seine Zungenspitze glitt abwärts an meinem Schlüsselbein entlang. Seine Hand schob
mein Top hoch, raffte es unterhalb meines Kinns zusammen, sodass ich allein im BH unter ihm lag. Das zarte Spitzenteil, extra für diesen Anlass ausgewählt, stellte kein großes Hindernis dar. Geschickt öffnete er hinter meinem Rücken die Häkchen und zog mir BH und Top gleichzeitig aus. »Du bist wunderschön«, murmelte er ergriffen, während sein Blick meinen Körper abtastete. »Sei still«, flehte ich leise, griff in seinen Nacken und raunte, »Komm her!« Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Sofort war er wieder über mir. Ausgiebig widmete er sich nun meinen Brüsten. Und er war gut darin. Viel besser als
jeder andere Mann, mit dem ich bisher … Mit einem Mal schaltete sich mein Hirn wieder ein. Ich riss die Augen auf, presste energisch beide Handflächen gegen seine Brust und drückte ihn etwas von mir weg. »Ehrlich, Alex … wir können das nicht machen«, japste ich atemlos. Er ignorierte meine Worte, wollte mich weiter küssen, doch ich unterband dies. »Sorry, aber … das geht nicht.« Unbeholfen versuchte ich mich unter ihm hervor zu schieben, um mich aufzusetzen. Auch das ließ Alex nicht zu. Stattdessen murmelte er an meinem Mund, »Wer kann uns das vorschreiben?« Fassungslos antwortete ich in einem Ton,
als hätte ich einen Minderbemittelten vor mir, »Ähm … das Gesetz.« Alexander zuckte die Schultern. »Wir tun nichts Ungesetzliches. Ich bin über 18.« »Ja, schon, aber …« Endlich gelang es mir mich aufzusetzen. Er ließ es geschehen, wenn auch nicht gern, wie ich seinem Gesicht ablesen konnte. »… du bist noch Schüler.« Interessiert sah ich ihm ins Gesicht. »Bist du doch noch, oder?« Er nickte grimmig. »Na also. Du bist ein Schüler und ich eine Lehrerin.« »Nicht meine.« »Schon, aber …« Resolut legte er mir von einem »Scht«
begleitet einen Zeigefinger auf den Mund. »Ja, ich bin jung. Jedoch nicht zu jung, um mit dir … nun ja, was auch immer das mit uns wird?« »Alex, du bist … und ich … ich bin … also, ich …« Grinsend setzte er sich aufrecht hin, lehnte sich rücklings gegen das Polster und sagte, »Irre ich mich, oder suchst du gerade verzweifelt nach einer Ausrede, um dir selbst nicht deine Gefühle einzugestehen zu müssen?« Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Ich habe keine … das tue ich mitnichten.« Lachend warf er den Kopf zurück. »Schon klar,
Lyanne.« »Hey«, echauffierte ich mich und schlug spielerisch nach seinem Oberkörper. Kaum hatte meine Hand seine Haut berührt, kehrte das Verlangen nach ihm, nach dem, was sein Körper mit meinem anstellte zurück. »Ich sehe es dir an … du willst es auch«, neckte seine lüsterne, dunkle Stimme. Heftig schüttelte ich den Kopf. »Du weißt nicht, was ich will.« »Das ist richtig«, stimmte er mir zu. »Ich kann nur ablesen, welche Signale dein Körper aussendet.« Er kam näher. »Und die sagen eindeutig, dass dir das hier …« Sein Mund senkte sich auf die empfindliche Haut an meinem Hals. »…
gut gefällt.« Leugnen war zwecklos. Viel zu sehr genoss ich die Intimität zwischen uns. Viel zu lange schon musste ich auf derartiges verzichten. Genau in dem Moment, in dem das Für und Wider im Kopf abwog, bat er leise, jedoch nicht minder flehentlich, »Bitte, Lyanne, gib uns eine Chance!« Schweigend schüttelte ich den Kopf. »Bitte.« Kuss. »Bitte.« Kuss. »Bitte, Lyanne.« »Ich kann nicht, Alex. So gern ich auch wollte.« Resigniert seufzend rückte er ein Stück weit von mir ab. »Wovor hast du mehr Angst? Vor dem, was deine Freunde oder
was fremde Leute sagen könnten, wenn sie von uns erfahren?« Ratlos klappte ich den Mund wieder zu. Schließlich gestand ich, »Ähm … ich weiß es nicht.« Liebevoll nahm er meine Hände in seine. »Also ich von meiner Seite aus, kann dir versichern, dass es mir vollkommen egal ist, was andere über mich denken.« »Ja, du hast leicht reden. Du bist noch so jung. Du musst noch keine … keine Verantwortung tragen.« »Das stimmt nur bedingt.« Sein Blick ging ins Leere. Dann flog er wieder zu mir. Er nickte. »Dennoch würde ich es wagen. Lyanne …« Der Blick aus seinen eisblauen Augen bohrte sich in meinen.
»… ich … ich finde dich wirklich äußerst … interessant … Ich denke, ich habe mich in dich … verliebt. Ich will dich näher kennenlernen, sehen, was daraus wird.« Ich schluckte schwer. Warum musste ausgerechnet er sich in mich verlieben? »Das denkst du nur …« »Gib es zu, auch du empfindest etwas für mich!« Dass er damit voll ins Schwarze traf, würde ich nie zugeben. Lieber schwieg ich und starrte aus dem Fenster. »Lyanne.« Sanft nahm er mein Kinn in seine Hand und drehte meinen Kopf zu sich. »Hast du gehört?« Natürlich hatte ich es gehört.
»Hast du nichts dazu zu sagen?« Theatralisch rollte ich mit den Augen und seufzte. »Alex, das mit uns kann nicht funktionieren.« »Warum nicht?« »Weil du du bist und ich bin ich.« Ich stöhnte theatralisch und strich mir das Haar aus der schweißnassen Stirn. »Du lebst ein vollkommen anderes Leben wie ich.« »Weil ich mehr Geld auf dem Konto habe?«, riet er und verdrehte die Augen. »Nein. … Nicht nur. … Es ist vielmehr so, dass du so jung …« Ich brach ab, legte meine Handflächen an seine Wangen, sah ihm tief in die Augen. Ja, es
ist wahr, ich habe mich in ihn verliebt. In den jungen Mann, den ich auf der Feier für einen Referendar hielt. Ich malte mir schon aus, wie schön es wäre, mit dir zusammen zu sein, doch jetzt … »Himmel Herr Gott noch eins. Du bist Alexander Stuart, der Millionen schwere Erbe. Was würden deine Eltern sagen? Was die Gesellschaft?« Ehe er dazu kam etwas zu sagen, hob ich die Hand und bedeutete ihm mich ausreden zu lassen. »Ich weiß schon, was sie davon halten, was sie sagen würden. Das ist abartig, falsch. Sie würden mich für eine Goldgräberin halten. Mich vielleicht sogar anzeigen.« »Das würden sie nicht«, widersprach
er. »Das weißt du nicht. Ich würde es tun, wenn jemand mit meinem Kind zusammen wäre.« »Wirklich?« »Ja, klar.« »Kommt das nicht auf das Alter des Kindes an?« »Schon.« Er grinste überlegen frech. »Dann ist ja alles gut. Ich bin 18. Niemand kann mir vorschreiben, wen ich zu lieben habe.« »Das stimmt schon, aber …« Fragend sah ich ihn an. »… meinst du nicht, dass dich die abschätzigen Blicke, das Getuschel hinter deinem Rücken und die Gerüchte stören würden? Wenn nicht zu Anfang,
dann doch aber sicherlich nach einigen Monaten.« Sein schöner Mund verzog sich zu einem Schmunzeln. »Was ist?«, hakte ich irritiert nach. »Ich freue mich, dass du unserer Beziehung zumindest eine Laufzeit von mehreren Monaten einräumst.« »Das tue ich mitnichten.« Alex zuckte die Achseln. »Wie du meinst.« Verzweifelt legte ich meine Stirn gegen seine. »So gern ich möchte …« »Dann lass es uns versuchen«, bat er leise. »Wenigstens das. Gib uns eine Chance. Bitte, Lyanne. Ich hab’ das Gefühl, ich begegne nicht oft Menschen
wie dir und die meisten Leute denken, sie kennen mich schon. Alexander James Stuart. …« Er seufzte schwer. »Das bin ich nicht. Zumindest nicht nur. Dir schien das nicht wichtig zu sein. Ja, du schienst mich sogar gar nicht zu erkennen.« Auffordernd sah er mir in die Augen und nickte mir zu. »Ich finde, dass wir uns auf eine sehr interessante Weise kennengelernt haben.« »Oh ja«, bestätigte ich lächelnd bei der Erinnerung an den gestrigen Abend. Ohne darauf einzugehen, fuhr er fort, »Du bist klug und du bist … ja, also … ähm … du bist heiß …« »Heiß? Dein Ernst?« Er lachte. »Ja, du bist heiß, wenn das
okay ist?«
Ich war mit seiner Einschätzung einverstanden. Welche fast 40-Jährige wäre das nicht?
Den Blick fest mit meinem verwoben fuhr Alex fort, »Der Grund, weshalb wir hier sind, ist … weil ich dich kennenlernen möchte, Lyanne. Und ich bitte dich nur um die Chance diesem beginnenden, was auch immer, eine Chance zu geben.« Seine blauen Augen, so hell und klar, so ernst, so flehend – ich konnte einfach nicht anders …
FLEURdelaCOEUR Hallo, Anni! Ich hab mal ein bisschen reingelesen in dein Märchenbuch von den Schönen und Reichen ... Mir fiel auf, dass du häufig die Zeit wechselst. Zum Inhalt äußere ich mich nicht, dazu bin ich einfach zu alt. LG fleur |
AnniAusBerlin Zeitwechsel? Eigentlich nicht. Es wurde bereits lektoriert und dabei wäre es aufgefallen. Wieso zu alt? :-) |
FLEURdelaCOEUR Z. B. S. 6, 4. Zeile v. u. "tönt", danach geht's aber im Imperfekt weiter ... So hieß das jedenfalls noch, als ich bis 1962 die Schulbank gedrückt habe ;-)) |
AnniAusBerlin Ach so. :-) Na, das ist dann diese Art von Fehler, wo einfach nur ein e vergessen wurde. Das kann leicht überlesen werden. Und noch mal zum Alter: Ich habe die Geschichte für Frauen ab 40 geschrieben. ;-) |
FLEURdelaCOEUR PS. Dann kann ja noch eine zweite Frau mit mir mitlesen ;-)))) |
FLEURdelaCOEUR Ja, nur ein Buchstabe fehlt bei diesem Beispiel. Aber ich habe von diesen Zeitfehlern noch einige mehr gefunden. |
AnniAusBerlin Was meinst du? |