Die Diagnose
Kurzgeschichte zum Thema: "Wunder/Überraschendes"
Vorgabewörter:
Zeitraffer, Quasselstrippe, überwältigt, fassungslos, Variante, Sensation
Coverbild: kostenlos by Pixabay
DIE DIAGNOSE
Jutta, die einstige Quasselstrippe ist verstummt. Im Zeitraffer zieht ihr Leben vor ihrem inneren Auge vorbei. Völlig überwältigt von den Gefühlen lässt sie sich immer wieder die Worte durch den Kopf gehen: "Wir können wir nichts mehr für sie tun." Fassungslos über diese schonungslose Art der Mitteilung des Ergebnisses der Untersuchung steuert sie das Auto Richtung Heimat. Sollte sie überhaupt nach Hause fahren, oder...? Jutta denkt an ihre Familie und zieht die zweite Variante
deshalb nicht in Betracht. Die Gedanken hämmern wie wild gegen ihre Schädeldecke. Der Kopf schmerzt. Allein der Familie gilt jetzt ihre Sorge. Was soll nun werden, wo der
Krebs mit aller Macht zurück ist?" Regeln sie ihre Angelegenheiten, klingen ihr die Worte der Ärztin noch im Ohr.
Ausgeträumt und hart auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen, im Grunde aber
wie betäubt, steht sie völlig neben sich. Allein ihr Unterbewusstsein steuert den Wagen zum Glück ohne große Zwischenfälle auf direktem Weg nach Hause. Als sie schließlich ihrem Mann Olaf gegenübersteht und ihm das Ergebnis der Untersuchung mit knappen Worten offenbart, herrscht pures Entsetzen: "Wie kann man einem so etwas sagen und ihn dann einfach allein fortschicken?" Ohnmacht und Verzweiflung machen sich breit.
Dann der Hoffnungsschimmer: "Wir holen eine zweite Meinung ein", sagt Olaf schließlich.
"Gleich morgen fahren wir in die Lungenklinik und lassen dich dort noch einmal richtig gründlich durchchecken. Bitte Schatz, du darfst jetzt nicht aufgeben!" Sie beschließen, den Kindern vorerst nichts zu sagen.
Nach einer langen quälenden Nacht fahren sie gemeinsam in die Spezialklinik, wo Jutta noch einmal sorgfältig untersucht wird. Ihr ist übel vor Angst. Olaf nimmt ihre zitternden Hände in seine und versucht, selbst mit den Nerven am Ende, seine Frau zu beruhigen und zu trösten. "Das war es noch lange nicht, Jutta", flüstert er ihr im Warteraum zu. Müde lächelnd erwid-dert sie: "Glaubst du an Wunder?" Er sieht ihr fest in die Augen und nickt.
Sie wird aufgerufen und beide erheben sich ruckartig von den Stühlen. "Ich begleite dich.
Vier Ohren hören besser als zwei." Schweigend nickt Jutta ihrem Mann zu. Drei Personen erwarten das Ehepaar Michels im Arztzimmer. Einer von ihnen stellt sich als Chefarzt Dr. Hendriks und die anderen beiden Ärzte vor. Jutta kann kaum noch atmen vor Anspannung. Der Chefarzt schaut noch eimal die Bilder der Untersuchung an und schüttelt den Kopf. Oh Gott, was sollen wir nur machen, denkt Olaf.
Dann die Sensation! Dr. Hendriks wendet sich Jutta zu und meint: "Wir haben auf beiden Lungenflügeln keinerlei Anzeichen von Matastasen gefunden. Das Lungengewebe ist vernarbt, wahrscheinlich von einer früheren Entzündung.". Jutta und Olaf schauen erst den Arzt völlig verblüfft und dann sich gegenseitig
an. Sie können es noch gar nicht fassen.
Olaf fragt nach: "Da gibt es keinen Zweifel? Die gestrige Untersuchung ergab also eine Fehldiagnose?" "Ja, so ist es. Wir haben jahrelange Erfahrung und ich kann versichern, dass wir keine Metastasen auf der Lunge ihrer Frau feststellen konnten" Mehr als ein "Danke" bringt die erschöpfte Mittvierzigerin jetzt nicht hervor. Den Tränen nahe schüttelt sie allen drei Ärzten die Hand und Olaf tut es ihr gleich.
Was für eine wunderbare Nachricht? Das Leben hat Jutta zurück. Sie haben wieder
eine Zukunft.