Kurzgeschichte
Viktors Marathon

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"Orbans Friedensmission ist eine Erfolgsgeschichte"
Veröffentlicht am 09. Juli 2024, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Sandra Cunningham - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht: Der Winter ist ein Bösewicht, die Bäume tragen Schneegewicht, die Stämme sind kahl und so schwarz wie ein Pfahl, die Felder sind weiß und auf dem See liegt Eis. In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.
Orbans Friedensmission ist eine Erfolgsgeschichte

Viktors Marathon

Viktors Marathon

Viktor Orbán stand in dem schwach beleuchteten Raum, der Duft alter Bücher und Ledereinbände erfüllte die Luft. Der ungarische Ministerpräsident warf einen Blick auf seine Armbanduhr, deren Zeiger sich unendlich langsam bewegten. »Friedensmission 3.0«, murmelte er kaum hörbar. Er hätte es fraglos lieber laut ausgerufen, doch es hörte ihm eh niemand zu. Deshalb hatte er auch niemanden in seine Reisepläne eingeweiht, nicht einmal seine engsten Vertrauten. Freunde? Sie hätten ihm das Ganze sicher ausgeredet. Dabei war er

fest davon überzeugt, das Richtige zu tun. Die Zweifel anderer hätten nur seinen Entschluss gestärkt. Er hätte es besser wissen können. Ein schweres Trommeln hallte plötzlich durch die Hallen des Kremls, sodass Viktor vor Schreck den Blick hob und gleichzeitig den Rücken über seinen dicken Bauch schob. Rechtzeitig beruhigten sich seine Sinne. Die Tür knarrte auf und gab die Sicht auf die hoch aufragende Gestalt von Wladimir Putin frei. Seine kalten, berechnenden Augen suchten den Raum ab, bevor sie sich fest auf Orbáns Blick richteten. »Tritt näher. Und entspann dich. Wenn du

diese Schwelle überschreitest, gibt es kein Zurück mehr – Hauptsache, du hast, was ich brauche?« Seine Stimme hallte wie ein leises Knurren von den alten Mauern wider. Mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken forderte er ihn zum Sprechen auf. Orbán nickte verschüchtert. Er hielt sich aber aufrecht, auch wenn seine Knie zu versagen drohten. Äußerlich war er gefasst, doch in seinem Innern rumorte es. Verräter? Mitnichten! »Wir fühlen uns nicht sicher. Wir sehen Bilder von Zerstörung und Leid. Dieser Krieg zerstört nicht nur Leben, sondern auch unsere wirtschaftliche Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit. Frieden wird

nicht von selbst kommen; er muss aktiv geschaffen werden, und wir müssen dafür arbeiten. Europa braucht Frieden, Ungarn braucht Frieden. Und ich brauche …« »Was willst du?« Putins Stimme unterbrach Viktor. In seinem Blick standen Langeweile und Verachtung. »Schweig! Ich habe keine Lust auf deine langatmigen Reden. Mit anderen Worten, Viktor, jede Einigung hier wird zu meinen Bedingungen erfolgen, und es spielt keine Rolle, was du denkst oder womit du aus Kiew kommst.« Putin trat einen Schritt zurück, drehte sich pirouettenhaft, nur um sich im nächsten Moment auf seinen Sessel zu setzen. Dann wies er auf den daneben

stehenden Sessel: »Setz dich, mein Freund. Wenn du schon mal da bist, darfst du drei Fragen stellen.« »Danke, Herr Präsident.« Viktor war erleichtert, dass Putin ihn überhaupt empfangen hatte. Dass er mit ihm reden durfte. Zudem schmerzten ihn seine Knie immer mehr. Er brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen. Er sank angestrengt auf die vordere Sitzkante nieder, dann blickte er zu dem Mann, der für ihn wie ein großer Bruder war. Dabei duzte nur Putin ihn, wenn niemand sonst dabei war. Aber ihm hatte er es nie angeboten. So blieb Viktor nicht mehr als Höflichkeit. »Ich will gleich zur Sache kommen,

Wladimir. In letzter Zeit habe ich kaum noch jemanden gefunden, mit dem ich darüber sprechen konnte. Dies ist auch der Grund, warum ich diese Woche Kiew besucht habe. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Positionen weit auseinander liegen, die Anzahl der Schritte, die erforderlich sind, um den Krieg zu beenden und Frieden zu schaffen, hoch ist, aber wir haben den ersten wichtigen Schritt zur Wiederherstellung des Dialogs getan. Und ich werde diese Arbeit fortsetzen. Es gibt nur sehr wenige Menschen auf der Welt, die mehr über Russland wissen als die Ungarn – ich kenne die Russen. Sie sind anders als wir. Sie haben eine

andere Geschichte, eine andere Kultur, einen anderen Instinkt und eine andere Einstellung. Sie haben unterschiedliche Interpretationen von Freiheit und unterschiedliche Interpretationen der nationalen Souveränität. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Europa hat auch eine Kriegspolitik. Es wird alles schlimmer an der russisch-ukrainischen Front. In Bezug auf Soldaten, Ausrüstung und Technologie. Was kommt, ist völlig unvorhersehbar. Ich streite nicht darüber, wer Recht hat und wer nicht. Mein Ziel ist Frieden und ein Waffenstillstand. Meiner Meinung nach gibt es keine Lösung für diesen Konflikt an der Front. Menschen, wir, die Welt, wollen Frieden,

hört auf, euch gegenseitig zu töten! Beginnen wir mit den Verhandlungen. Oder zumindest verstehen, dass es an der Front keine Lösung gibt! Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Europa hat auch eine Kriegspolitik. Meiner Meinung nach sind die Hauptopfer der beiden Kriegsparteien die europäische Wirtschaft und die europäische Bevölkerung. Es gibt nur sehr wenige Menschen auf der Welt, die mehr über Russland wissen als die Ungarn. Sie haben eine andere Geschichte, eine andere Kultur, einen anderen Instinkt und eine andere Einstellung. Sie haben unterschiedliche Interpretationen von Freiheit und unterschiedliche

Interpretationen der nationalen Souveränität. Was haltet Ihr von den Friedensplänen und dem Format der Friedensgespräche? Zweitens: Was denkt Ihr über die Möglichkeiten zu einem Waffenstillstand und folgenden Friedensverhandlungen? Ist es möglich, einen Waffenstillstand früher zu haben als Friedensgespräche? Wie ist Eure Meinung zum europäischen Sicherheitssystem der Nachkriegszeit? Menschen, wir, die Welt, wollen Frieden, hört auf, euch gegenseitig zu töten! Beginnen wir mit den Verhandlungen. Oder zumindest zu verstehen, dass es an der Front keine Lösung gibt!« Putin wischte die letzten Worte innerlich

verärgert beiseite. »Es besteht keine Notwendigkeit, einen Waffenstillstand im Krieg in der Ukraine zu erreichen. Ich will ein vollständiges und endgültiges Ende … des Konflikts.« Putins Stimme wurde mit jeder Silbe ungeduldiger. »Was hast Du in Kiew erreicht, Viktor?« »Ich habe einen einseitigen Waffenstillstand vorgeschlagen, der die Bedingungen für längerfristige Gespräche über die Ukraine schaffen könnte. Kiew hofft immer noch auf einen Sieg und glaubt, dass die Unterstützer es weiterhin versuchen würden. Sie benutzen dieses Land und seine Menschen als Rammböcke in der Konfrontation mit Russland. Meiner

Ansicht nach ist die ukrainische Führung auch nicht an einer Einigung interessiert, weil sie nach der Aufhebung des Kriegsrechts fast keine Chance hätte, ihre verlorene Legitimität in freien Wahlen wiederzuerlangen. Es sollte nicht einfach ein Waffenstillstand oder ein vorübergehender Waffenstillstand sein, nicht eine Art Pause, die das Kiewer Regime nutzen könnte, um seine Verluste auszugleichen, sich neu zu gruppieren und aufzurüsten. Ungarn ist für ein vollständiges und endgültiges Ende des Konflikts.« »Das hätten glatt meine Worte sein können, mein Freund.« Putin erhob sich. Sein Blick verlor sich. »Ich erwarte, dass

die ukrainischen Streitkräfte vollständig aus den Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson abgezogen werden. Aber es gibt noch andere Bedingungen – die Arbeiten am Erweiterungsprojekt des Kernkraftwerks Paks. Immerhin würde sich mit der Inbetriebnahme der Blöcke fünf und sechs die Kapazität der Anlage mehr als verdoppeln.« Putin grinste und trat mit der Zuversicht eines Mannes vor, der schon lange jede Vorstellung von Angst aufgegeben hatte. Für ihn hatten die Schatten der Nacht gerade erst zu tanzen begonnen. »Du kannst nur gewinnen, Viktor. Was gibt es noch zu befürchten?«

Die Luft wurde kälter, die Schatten tiefer, als ob der Raum selbst vor der Dunkelheit zurückschreckte. Viktor lief ein Schauer über den Rücken. Er war durch einen Pakt verbunden, und sein Schicksal war mit den finsteren Mächten verflochten, die er selbst beschworen hatte. Er fühlte sich wie eine Marionette, eine Marionette, deren Führungsfäden zu Fesseln geworden waren. »Ich werde nach Peking und New York fliegen, man erwartet mich dort.« »Sie werden erfreut sein.« Putin trat an die Tür, ein Wink, sie öffnete sich und schlug hinter ihm ins Schloss. Ein ein eisiger Wind fegte Viktor wie

lästigen Staub auf die steinige Gosse. In seinem Kopf schwirrten die drei Fragen haltlos umher, für die er hergekommen war. Ein Blick auf seine Hände – leer wie die hohlen Phrasen, die er seinen Freunden und Feinden präsentieren würde. Das war nix, Viktor, schalt ihn seine eigene Stimme.

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Über den Autor

KatharinaK
Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht:
Der Winter ist ein Bösewicht,
die Bäume tragen Schneegewicht,
die Stämme sind kahl
und so schwarz wie ein Pfahl,
die Felder sind weiß
und auf dem See liegt Eis.
In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.

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"Viktors Marathon..."
Nun, dieser 'Friedensheld' aus der Pannonischen Tiefebene ist eigentlich mit seinen 61 Jahren tatsächlich noch viel zu jung, um wissen zu können, was die Russen meinen, wenn sie das Wort 'Frieden' in den Mund nehmen...
War er, dieser neuernannte Friedensbringer doch 1956 noch gar nicht auf der Welt, als die Russen seinen ungarischen Landsleuten kräftig in den Arsch traten, als diese sich im November 1956 gegen die kommunistische Diktatur im eigenen Land erhoben und sich gegen das Regime zur Wehr setzten, was die Russen natürlich umgehend mit ihren Panzern blutig beendeten...
Nun, es ist eben ausgesprochen dämlich, wenn man im schulischen Geschichtsunterrricht die eigene Geschichte verpennt hat und selber nur von einem Groß-Ungarn von vor über 100 Jahren träumt und dabei die Realität völlig aus den Augen verloren hat, wie andere politische "Groß-Helden" unserer Zeit leider auch...
Es beweist nur die Richtigkeit der Einsteinschen Worte, worüber er sich allerdings noch nicht ganz sicher war, was denn unendlich wäre, das Weltall, oder die menschliche Dummheit. Nun, wie wir heute wissen, tendierte er zu Letzterem...
LG
Louis :-)
Vor ein paar Monaten - Antworten
Brubeckfan Alle mal weghören: Gegen Putin gibts doch einen internationalen Haftbefehl. Orban und seine Begleiter haben nun vor Ort ausspioniert, wie die Polizei an Putin rankäme.
Vorsorglich ist er nun auch in Peking.
Ja wir alle unterschätzen Ungarns Möchtegroß!

Viele Grüße, liebe Katharina.
Gerd
Vor ein paar Monaten - Antworten
FLEURdelaCOEUR Liebe Katharina, ich wünsche mir so sehr, dass seine Bemühungen zum Erfolg führen., aber es wird nicht von heute auf morgen gelingen! Ich habe heute zufällig ein Online-Interview mit Orban gefunden und ihn plötzlich in ganz anderem Licht gesehen. Eigentlich hatte ich bisher nicht viel von ihm gehalten, schon weil er in der EU immer so widerspenstig war ... Aber seine Ausführungen, die du hier, zumindest teilweise, wörtlich wiedergegeben hast (teils sogar mit längerer Wiederholung), ließen ihn plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Ich kann mir inzwischen längst nicht mehr vorstellen, dass die Ukraine Russland militärisch besiegen kann und stimme ihm zu, dass dieser Konflikt nicht durch Weiterführung des Krieges gelöst werden kann. Und das gilt auch für andere Konflikte wie dem mit Israel.
Wie du Putin mit hoch aufragender Gestalt beschreibst, soll vielleicht ein ängstliches Gefühl Orbans andeuten, denn Putin ist ganz sicher kleiner als er.
Liebe Grüße
fleur
Vor ein paar Monaten - Antworten
Gast Ist das ernst gemeint?
Vor ein paar Monaten - Antworten
FLEURdelaCOEUR Von Orbans Seite schon. Noch gestern habe ich ihn auch ganz anders gesehen...
Vor ein paar Monaten - Antworten
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