Diese Geschichte ist rein fiktiv.. trotzdem habe ich sie in der Ich-Form geschrieben.
„Größe?“- „Ich bin 1,77 m. groß“.
„Bitte verschwende nicht meine Zeit. Nur die Zahlen. Die Talkshow findet nebenan statt“.
Ich war es gewohnt, auf höfliche Art und Weise Fragen zu beantworten. Bei dieser unhöflichen Zurechtweisung zuckte ich zusammen. Wo war ich denn hier gelandet? Es war eh schon nicht angenehm, vor diesem Fatzke in Unterwäsche herumzustehen und mir zog eine Gänsehaut über die Arme.
Dies war mein erstes Casting für den großen
Laufsteg und ich hatte mich monatelang mit
Sport und Diäten herumgeschlagen, damit es nun endlich klappt. Dieser Modelscout, dem ich damals in einer Disco begegnet war, hatte mir große Hoffnungen gemacht und war den ganzen Abend nicht von meiner Seite gewichen. Schließlich setzte ich mich mit seiner Visitenkarte in der Hand ins Taxi und fuhr heim. Er rief des öfteren an und bestärkte mich, sodass ich mit meinem
strengen Programm begann. Viel Schlaf, keine Partys. Keine Schokolade oder Fast Food. Abgezählte Kalorien und davon am Besten noch die Hälfte..
„Taille?“ – „62 Zentimeter – Entschuldigung.. 62“ Ich bemerkte ein Kichern hinter mir - von
den Mädels, die an der Wand auf Ihren Stühlen hockten.
„Hüfte?“ - „83“
„Brust?“ - „85“
„Gewicht?“ - „55“
„Ja, die hättest Du wohl gerne. Auf die Waage!“
Ich machte mir nicht die Mühe zu erklären, dass jede Waage unterschiedlich misst. Hatte mir doch mein Arzt gestern noch eine leichte Unternährung attestiert, nachdem ich bei ihm 55,5 Kilo auf die Waage brachte. Aber gut! Ich reckte mein Kinn und stieg auf die Digitalwaage an der Wand.
Eine Assistentin schaute auf die Anzeige und sagte
„55,7“.
„Sag ich’s doch. Ihr glaubt wohl alle, Ihr könnt mich verscheißern? Wir sind hier nicht in der
Märchenstunde“ schimpfte er mit erhobener Stimme. Was für ein aufgeblasener Gecko, dachte ich bei mir. Ich hatte mir in den letzten Monaten mein Geld mit kleinen Aktionen verdient. Modeln im Werbebereich.. für Cremes und Dessous.
Begleitung auf Promi-Partys, wobei einige das Wort BEGLEITUNG absichtlich falsch verstanden hatten. Oft hab ich meine Stilettos nutzen müssen, um meinem NEIN Nachdruck zu verleihen. Noch mehr Jobs und viel weniger Schlaf, bis mich mein Scout anrief und mich für heute herbestellte.
„Muss ich Deine anderen Angaben jetzt auch überprüfen?“
Ich setzte meinen kältesten Blick auf und sagte: „Wenn es Ihnen Spaß macht. Aber wärmen Sie sich bitte Ihre Hände auf“.
Ich starrte ihn in Grund und Boden, bis er schließlich sagte: „Zu viele Pickel.
Du bist raus. Geh zu Clerasil, dort hast Du sicher mehr Glück“.
Ich streckte mein Kreuz durch und sagte: „Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit, Dr. Grimm“. Unhöfliche Menschen muss man mit Freundlichkeit bestrafen. Und es hatte gewirkt, denn seine Gesichtsfarbe wechselte nun auf puterrot. Nachdem ich wieder angezogen war, verließ ich das Zimmer und
schloss die Türe mit dem Gedanken: „Pommes, Cola, Currywurst.. ICH KOMME“.
„Junge Frau? Entschuldigen Sie, dass ich Sie einfach so anspreche.. wie war das Casting?“ Ich schaute in ein Gesicht, dass mir aus dem Fernsehen und aus diversen Modejournalen bekannt war und wusste nach ein paar Minuten auch sofort wenn ich vor mir hatte, ließ es mir aber nicht anmerken.
Ich erzählte vom Casting, beschönigte nichts und erklärte, wie hart ich auf dem Boden der
Tatsachen gelandet war. „Jetzt freue ich mich einfach auf jede Menge Fast Food, auf einen Abend mit meinen Freunden und jede Menge Bier“.
„Bitte, geben Sie mir eine Minute..“ er drehte
sich um, zog mich hinter sich her und ging in den Castingraum. „Herr Distelmeyer! Auf ein Wort!“ Dr. Grimm-Fatzke-Gecko stand mit rotem Kopf von seinem Stuhl auf und kam näher. „Maitre Francoise. Was kann ich für Sie tun?“
„Lassen Sie das. Sie wissen genau, dass ich kein Maitre bin und auch nicht Francoise heiße. Geben Sie mir bitte die Unterlagen der jungen Dame hier. Und pronto bitte“.
Nachdem mein Begleiter meine Unterlagen kurz überflogen hatte, sagte er zu mir: „Können Sie sich vorstellen, mich kurzfristig nach Paris zu einer Fashion Show zu begleiten? Mein No.1 Modell hat
sich den Fuß gebrochen und fällt aus. Sie haben das gewisse Etwas, das mir bei vielen
Damen fehlt – und das sage ich nicht nur so. Tun Sie mir den Gefallen“. Er hatte mein Vertrauen und ich brauchte nicht lange zu überlegen.
Zu Distelmeyer gewannt, sagte er: „Überdenken Sie bitte Ihre Umgangsformen. Sie begutachten hier kein Vieh. Von wegen Märchenstunde!“
Das war vor einigen Jahren. Heute ziert mein Gesicht das ein oder andere Modejournal – früher als junges Mädchen und heute mittlerweile als curvy Model. Mein Dank galt nicht zuletzt „Der Distel“, die mir den Weg auf den Laufsteg erst möglich gemacht hat.