Beitrag zur Schreibparty 102
Thema: Damals
Vorgabewörter:
Herz, Erinnerung, kämpfen,
Armaturenbrett, Strand, Urlaub,
lachen, Kartoffel, trampen
Text und Covergestaltung: Enya Kummer
Coverbild: Pixabay
Highway to Heaven
Es war im Sommer 1979. Ein Mittwoch, ich weiß es noch genau. Das würde mein Tag werden, ich fühlte es. El Paso lag hinter uns, wir waren die ganze Nacht gefahren. Duffy und ich hatten uns in den Traum von Love and Peace der Sechzigerjahre hineinkatapultiert. Und säßen wir jetzt auf Motorrädern wie im Film Easy Rider, wären wir auf der Autobahn zur Hölle. Den Song schrie Duffy unentwegt aus dem Fenster des Bullis. Ich versuchte sie zu überzeugen, dass wir auf dem Highway to Heaven waren. Wegen meinem guten Gefühl.
Duffy lachte, nahm das in ihren Gesang auf, trällerte »Highway to Heaven«, wobei sie die Endung von Heaven verschluckte. Wegen der Silben, sagte sie. Musste ja passen.
Irgendwann stieß Blue zu uns, ein Beatnik wie aus den Sechzigern. Tuch um den Kopf, nackter Oberkörper und eine Gitarre über der Schulter. Stand mit erhobenem Daumen am Straßenrand. Wollte trampen. Wir nahmen ihn mit, er war wortkarg, kiffte, lachte die ganze Zeit. Und spielte verdammt gut Gitarre. Ob Blue sein wirklicher Name war, weiß ich nicht. Wir fragten ihn nicht.
»Machst du Urlaub?« Duffy drehte den Kopf nach hinten, der Bus schlingerte.
Blue lehnte sich vor, legte ihr die Hand auf die Schulter. »So ähnlich«, er klopfte einen Rhythmus auf den Corpus seines Instruments. »Ich probiere das Leben.«
Noch war es dunkel. Die Beleuchtung des Armaturenbretts funktionierte nicht. Das war egal, es spielte keine Rolle, wie schnell wir fuhren. Wir begegneten niemandem. In der Ferne leuchteten ab und zu kleine Lichter, Zeugnisse menschlichen Lebens. Duffy lenkte den Bus dem Morgen entgegen. Staubiges Land, Steppengebüsch. Und dann San Francisco, die Silhouetten der Häuser noch im Nebel. Doch war die Stadt schon erwacht. Gerüche, kleine Buden, in
denen man geröstete Kartoffeln und Maiskolben anbot. Mädchen in bunten Röcken mit Stirnbändern im Haar. Ein Hauch von California Dreaming.
Endlich der Ozean, flirrende Lichtpunkte, Wellen. Orangegefärbte Wolkenberge. Mein Herz klopfte, setzte aus, schlug hart gegen die Rippen. Ocean Beach, verlassen um die Zeit. Wir sprangen aus dem Bus, unsere Klamotten verteilten sich über den breiten Strand. Ich rannte, stürzte mich in die Fluten. Unbeschreiblich das Gefühl. Eine Ahnung von Freiheit, Heaven eben.
Später saßen wir im Sand. Ich hatte Mühe, die Erinnerungen niederzukämpfen. Fühlte mich zehn
Jahre zurückversetzt, als ich hier mit Sandy in den Ferien war. Mit Sandy, der sich drei Monate danach den tödlichen Schuss gesetzt hatte. Nein! Leben war jetzt. Mein Tag. Es war Zeit, die Enge der inneren Hölle zu verlassen und dem Himmel eine Chance zu geben.
Blue machte Feuer, woher hatte er bloß das Holz? Er klimperte auf seinem Instrument, nahm die Melodie des Songs auf und Duffy fiel sofort mit ihrer rauen Stimme ein. Dann, plötzlich, sang sie »Highway to Death«.
»Spinnst du«, ich fand ja Hell schon schlimm, und nun Death?
»Im Ernst, vorhin im Wasser mit dem
Himmel über mir, das wäre ein Augenblick zum Sterben gewesen.« Sie streckte die Arme in die Luft, breitete sie wie Flügel auseinander. Blue summte, klimperte, das Lachen schien ihm ins Gesicht gemeißelt.
»Und nun? Wohin wollen wir?« Duffy warf ein Hölzchen ins Feuer.
»Mexiko«, sagte Blue, »das Kreuz des Südens sehen.«
Oja, Highway to Heaven. Ich wusste es. Mein Tag.