Da ist er wieder. Dieser Drang, fast schon ein Zwang. Es ist mehr als das, es ist fast schon eine Störung. Ich öffne ein leeres Dokument und bin erschlagen von der Unbescholtenheit der Farbe Weiß und kann nicht ertragen das es so bleibt. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass mir der Anfang immer Probleme bereitet, der erste Satz die größte Hürde für mich darstellt. Hans Habe hat „den“ ersten Satz überhaupt geschrieben um einen Roman zu eröffnen. Jedenfalls für mich. Ich habe ihn schon mal interpretiert und kann also diese Karte
nicht noch mal spielen. Der Einfallslosigkeit möchte ich nicht bezichtigt werden. Es bleibt auch bei dem Kampf, welcher Song mich heute auf die nötige Drehzahl bringt, um diesen einen Satz zu schreiben, der nachhaltig ist. Adorno zu lesen ist dabei der falsche Weg. An diese Wichtigkeit kann ich nicht heranreichen, jeder Versuch würde sein Vermächtnis beleidigen. Ich entscheide mich für keinen Song obgleich ich nur zu gern darüber schreiben würde, was sage ich, in Austausch treten würde, welche Musik, die Menschen zu was inspiriert. Gestern Abend hatte ich schon diesen
Gedanken und wollte ihn einweben in meinen Spaziergang durch die Nacht. Wenn meine Gedanken heute keinen Faden zu verfolgen scheinen, kann ich nur zustimmen und bitte erwarten Sie nichts mehr vom Rest. Wenn Sie sich bis jetzt nicht gefesselt fühlen, lesen Sie nicht weiter. Ich kann für keine Steigung garantieren. Letztlich ist es vielleicht ein Tagebucheintrag, den alle lesen können und ich mich dem Verriss oder der bloßen Bedeutungslosigkeit preisgebe. Als Kind kam ich wenig mit Musik in Berührung, weil meine Eltern kein ausgeprägtes Interesse daran hatten.
Durch meine Schwester lernte ich Radio kennen und verbrachte als noch Kleiner irgendwann jede Minute davor. Mit 7 wünschte ich mir meine erste LP und meine Eltern brauchten sich mit der Beschaffung von Spielzeug nur noch wenig auseinandersetzen, Sie waren von nunher gezwungen sich in lange Schlangen zu stellen, wenn Sie mir mit der Musik, die ich mir wünschte, eine Freude machen wollten. Es folgten viele Jahre der Geschmacksbildung und spätestens mit 13 verdrehte mir der Punkrock den Kopf und wurde für mich für viele Jahre alles. Festgelegt habe ich mich aber nie und wollte immer wissen welche Bands sich
hinter diesen Bands verbargen. Schnell kam ich zu The Sound, The Damned, The Jam und für mich öffneten sich Welten. Einmal mehr musikalisch, dann wieder textlich. Mein Ziel, was ich nicht kannte, rückte näher. Mit 21 begegnete ich Joni Mitchell auf einer CD, die ich mir in einer Bibliothek ausgeliehen hatte und ich sie nur wegen dem Albumtitel mitnahm, „Shadows and Lights“. Fast unbeachtet lag das Album die nächsten zwei Wochen bei mir rum und ich fand keine Stimmung die mich dazu brachte, mich einzuhören. Der Tag an dem es passierte ist mir noch genau gewahr und seitdem ist mein Leben, mein Denken, mein Hören ein
Anderes. Alles musste ich von ihr hören, alles musste ich verstehen. Die geliehene CD ist allen Erstausgaben auf Vinyl gewichen, Wikipedia war damals noch das genaue Zuhören der Texte und das studieren der Inlays. Joni Mitchells Geschichte wurde zu meiner Geschichte, in ihren Zerwürfnissen habe ich mitgelitten, bei ihren Roadtrips war ich der Beifahrer. Noch heute lasse ich sie aussingen, kann den Song nicht stoppen und wenn ich noch ein paar Minuten im Auto sitzen bleiben muss. So viele Bands, so viel Musik die für mich um Sie herum passiert ist in den Jahren und dann kamen die Cocteau
Twins. Auch bei Liz Fraser und den Twins hatte ich nicht die Chance, diese Musik zu fühlen in dem zeitlichen Kontext in der sie entstanden ist. Dafür bin ich zu jung. Habe ich diesen Satz grad wirklich geschrieben? Dafür bin ich also zu jung. Um die Cocteau Twins zu verstehen brauchte ich musikalisch nur einen einzigen Ton. Um ihre Bilder zu verstehen, Jahre. Die Anziehungskraft die von Ihnen ausgeht kann ich kaum mit Etwas gleichsetzen und die Jahre haben alle Songs nur noch schöner gemacht. Und glauben Sie mir, hunderte Alben, ohne Übertreibung, eigentlich ein paar Tausend Platten haben den Weg in meine
Regale geschafft. Und wie sagt man bei Autoren so schön:“ In jedem steckt ein Buch, in den Wenigsten ein Zweites.“ In den Twins steckten viele Bücher und ich bin dankbar alle gelesen zu haben. Wenn ich jetzt wieder diesen Baum sehe, der sich direkt an meinem Fenster anlehnt und die Äste in mein Wohnzimmer reinragen, wenn ich es öffne, fallen mir die kleinen grünen Zapfen auf, die anscheinend der Vorbote der Blüten und Blätter sein werden in diesem aufkeimenden Frühling und dieser leichte grüne Schimmer auf der Rinde, den ich nur im Frühjahr beobachten kann und ich dann weiß, das es losgeht. Und dann fällt mir auf, dass
in mir kein großes Buch steckt, sondern nur kleine Bilder oder Songs und ich könnte über diesen Baum nicht auf 30 Seiten berichten was ich sehe und zu oft wünschte ich mir das aber… kann es aber einfach nicht. An Balzacs Büchern wollte ich diese Fähigkeit für mich assimilieren, hat nicht geklappt. Also bleibe ich bei Joni und Liz und all den anderen, die es schaffen mir Bilder zu geben, die ich sehen und verstehen kann, die mich weitermachen lassen und mich auffordern einen neuen Song zu schreiben. R.
Der Mund trocken von meiner Schweigsamkeit. Gezwungen, nicht gewollt. So schnell kam die Dunkelheit zurück, ich habe den Tag verpasst. Cola als ungesunder Ersatz für meine Abstinenz, weil allein trinken was so Professionelles hat. Echte Menthol als Verzweiflungstat, weil große Schachteln immer nach Raucher aussehen. Die Frische meiner Dusche ist verpufft und ich verbinde mein abgenutztes, gebrauchtes Gefühl mit keinem Erfolgserlebnis.
Breite schwere Gläser für dunkle starke Drinks erzählen die Geschichten einer Vergangenheit die von Müßiggang und dem Verlieren geprägt sind. Für die Eckkneipen im Schöneberg der 1980er hatte ich Element of Crime und mein Erzähler der junge Regener. Für meine Geschichten im Schöneberg der 1990er war ich selbst da und versuchte an der bitteren brennenden Versuchung aus Whiskey und Gin schnell erwachsen und tiefgründig zu werden. Das hat wohl damals nicht so gut geklappt und mit der qualmenden Kippe und der Brille in den Haaren am Tresen sitzend, war Regener
für mich die Metapher der Kneipenpoesie. Nicht auf den englischen Alben der 1980er. Da war es noch der Versuch Geschichten in einer Sprache zu sprechen, die nicht seine Sprache war. Nein, die ersten drei Alben auf deutsch. Als ich „weißes Papier“ das erste Mal hörte, war es eine Kassettenkopie meiner Musiklehrerin in der 7. Klasse. Diese Musik hat meine fast gesamte Klasse zum Lachen gebracht, weil es sich für sie wie Zirkusmusik anhörte. Der Lärm meiner Mitschüler ließ nicht zu, den Text zu verstehen aber die Tragik und Tiefe hatten mich gepackt und das bis dahin schlechte Verhältnis zu meiner Lehrerin
verbesserte sich schlagartig mit meinem Wunsch nach einer Kopie von der Kopie. Er schüttelt die Katze aus, will auf andere Planeten und nichts ist so rein wie weißes Papier? Ich habe alle Methaphern nicht verstanden, weil selbst das Wort Metapher noch nicht in meinem Wortschatz vorkam. Doch diese Musik, es war diese Musik und diese Traurigkeit und diese verdammte Stimmung, die nach Heimweh roch aber aus der großen weiten Welt kam. Aus Berlin. Einige Jahre und einen oder „den“ Liebeskummer später, leiert die Kassette immer noch in meinem ersten Auto und
dann ist es passiert, ich musste anhalten und zurückspulen. Es war jetzt passiert. Ich hatte ihn endlich verstanden. Ich verstand jetzt wie er sich selbst auslöschen will und die Erinnerung und wie unmöglich es ist, wieder zu sein, wie weißes Papier. Ich verstand auch den nächsten Song, den nächsten und ich verstand jetzt alle und wie sehnsüchtig erwartete ich jedes neue Album von meinem Poeten Regener. Diese ersten drei Alben sind die Trilogie meines Herzschmerzes und meine Therapie, die nie den Sinn hatte mich zu heilen sondern mich lernen ließ, den Schmerz zu ertragen und aufzugeben
wenn es einfach auch irgendwann mal vorbei ist.
Damit war heut nicht zu rechnen. So kreativ hatte der Tag nun wirklich nicht begonnen und was für ein Glück das ich mich heute schon aufgewärmt habe. Für einen Protagonisten, der nicht ich bin, bin ich zu faul. Ich bin doch schon Protagonist genug, mit einem ganzen Leben im Gepäck, mit Geschichten, auch Anekdoten, der Liebe und dem Zweifel. Gutes Essen war mir schon immer egal. Ich bin hungrig nach Leben, nach Gefühl, nach Erkenntnis. Filme haben mich selten angesprochen - zu wenig Sinne im Einsatz. Bücher können das viel
besser, aber sie machen mich auch müde. Ich kann gut und viel lesen aber danach bin ich zu nichts mehr zu gebrauchen. Musik kann alles für mich und noch viel mehr. Seit über 30 Jahren kann ich mich kaum entscheiden weil ich einfach zu viel Musik besitze, konsumiere und genieße. Ich analysiere mein Gefühl dabei, ziehe den Lyrics meinen Mantel an und beobachte mich selbst. Die wilde Jagd hat mich vor cirka einem Jahr richtig eingeholt und die für mich, anfangs, schwerzugängliche Thematik, Kombination aus Musik und Text waren eine ehrliche Herausforderung. Und ich bin einiges gewohnt. In jungen Jahren
habe ich mich lange mit Alien Sex Fiend, Throbbing Gristle und der Plan beschäftigt. Das war nun wirklich keine leichte Kost, die da von mir entdeckt werden wollte und von Harmonien wollten die Mädels und Jungs von den Bands anscheinend nicht bewusst was wissen. Meine aufwachsen in Berlin war sicherlich hilfreich für meine musikalische Entwicklung und Prägung für diese Bands die geklungen haben, wie die Häuser meiner Stadt ausgesehen haben. Und von Sanierung und hübsch machen bin ich noch heute weit entfernt. Das können die alle auf ihren Dörfern
machen Die Musik wurde nicht leichter in den Jahren aber die Art sie zu hören entwickelt sich. Für andere nur Noise komme ich der Struktur und der Message nah und ich versuche nicht, anderen das hören beizubringen. Vielleicht halte ich Ihnen manchmal das Nicht-Hören-Können vor aber welcher Kläger will ich denn sein. Der, der „schlechten Geschmack“ verklagt? Nein nein. Daran habe ich kein Interesse, vielleicht macht ja die wilde Jagd nur Musik für mich. Quatsch. Aber wenn das Ginsterblut erstmal
tropft, ich die 2000 Elefanten dumpf kommen höre und ich den Blick durch dunkle Tannen wage, brauche ich nur daran zu denken und bekomme sie nicht mehr aus meinem Kopf. Ich habe schon seit einiger Zeit vor, Sebastian L. Philipp einen Fanbrief zu schreiben aber sind wir mal ehrlich, ich bin einiges über 40 und klar, ich komme aus so einer Zeit aber damit kann er bestimmt nichts mehr anfangen. Aber ich mit Ihm. R.
Den Akai auf on, Mischpult an. Channel 2 auf Phono nicht vergessen. Durch mein Ipad ist der Line-in besetzt und ohne Vorverstärker....wem erzähl ich das. Stanton oder Technics? Ich nehme den Stanton, den hab ich seit `92. Direktantrieb, ist ja wohl klar. Das Ortofon-System ist natürlich nicht mehr aus der Zeit, Slipmat original. Heute „Pot Valiant“ vom Label Numero mit der Nummer 218. Diese Ausgabe war schon vergriffen als sie angekündigt war. Eine fast vergessene Band mit noch mehr vergessenen Songs aus den späten 1980ern bis zu den frühen 1990ern, die
irgendwo changieren zwischen Punk, Emo-Core und Shoegaze und nie den Anspruch hatten sich in den Vordergrund zu drängen aber die Kraft, die Kreativität der Nachkommenden zu fördern und unbewusst Einfluss zu nehmen. Wir dürfen nicht den Fehler machen und das Cover verletzen. Die hauchdünne äußere Folie öffnet man durch Reiben an einer Jeans. Es ist eine Doppel-LP und wir fangen natürlich mit Side A, erster Song an. First-Touch mit dem Album. Den Direct-Drive starte ich immer vor dem Platte auflegen. Altes Dj-Muster. Sanft die Plattenbürste übers Vinyl laufen lassen und nach außen wegstreichen. Den Concorde-Abnehmer
langsam aufsetzen. „Nugget Killer“ startet langsam und ich ahne was kommt. Ausgangslevel langsam auf 3 fahren und Bässe zuführen. Diese Musik ist groß und braucht auch Höhen und Mitten. Es waren kraftvolle junge Menschen, denen man anhört das sie was zu sagen hatten, nicht die Absicht leise zu sein und alles sind aber nicht aufdringlich. Man könnte jedem Hörer anbieten zu gehen, wenn sich diese unsichtbare Fessel nicht um einen legen würde. Danke Numero. Danke Analog-Recording. Das ist die Faszination von Vinyl. Das ist die Faszination von Musik.
Ich spüre die Fessel, keine Worte mehr.
Augen schließen.
Bleistift "Die Akte R. ..." Nun denn, so hat wohl in der Tat ein jeder seins, was ja auch absolut legitim ist, auch wenn es nicht so eben meins ist... ...smile* Ich (über 70) bevorzuge heutzutage da mehr die Klassiker, wie Mozart, Bach und Tschaikovsky ect.pp., war damals aber auch der NDW nicht ganz abgeneigt... ...smile* So what, interessant geschrieben ist "Die Akte R." dennoch... LG Louis :-) |