DIE SACHE MIT DEM EISBECHER
Ort des Geschehens: ein Einkaufszentrum an der östlichen Berliner Peripherie. Wir zwei wollen wegen der Hitze mittags auf warmes Essen verzichten, lassen uns stattdessen in einem großen Eissalon nieder. Der freundliche Kellner spricht mehr Italienisch als Deutsch, auch mit uns. Er gibt die Bestellungen in seinen kleinen Apparat ein: für meinen Begleiter einen Kiwi-Becher, für mich einen mit Eierlikör.
Zweiter Auftritt: Lieferung der Ware durch eine hurtige Serviererin, die noch weniger Deutsch kann: „Der Ki …?“ Der
Rest nicht zu verstehen, vielleicht Sizilianisch? Ich habe es eilig mit meinem Becher, beantworte rasch die Kiwi-Frage, indem ich auf den Platz gegenüber deute. Die Portionen werden abgestellt, die junge Frau ist schon außer Rufweite.
Mein Löffel ist noch in der Luft, da höre ich: „Jetzt hat sie mir den Kindereisbecher gebracht!“ Das kann kaum als Kompliment verbucht werden à la Man-sieht-Ihnen-Ihr-Alter-gar-nicht-an. Mein Freund wurde neulich siebzig, es ist ihm anzusehen. Er fügt sich in sein Schicksal und macht sich über den Kinderbecher
her.
Meine Eierlikör-Kreation hat zwei kleine Eiskugeln, die ich erst mühsam ergraben muss in den Tiefen des mit viel Sahne und Schokoladensauce aufgefüllten Bechers. Das Wenige an gelber Farbe obendrauf spricht zwar für Eierlikör, kann sich nur geschmacklich nicht durchsetzen.
Fasziniert beobachte ich, was ein alter Mann mit einem Kinderbecher anfängt. Zuerst angelt er mit dem Löffel nach den quietschbunten Kugeln, groß wie Murmeln, die er verächtlich auf dem Servierteller ablegt: „Reiner Zucker.
Schlecht für Kinderzähne - und für mich viel zu hart.“ Dann kommt die Sahne dran, die keine Probleme macht. Auf der Suche nach dem Eis stößt er einmal gegen die aus dem Becher hoch aufragende Waffeltüte. Womit er nicht rechnen konnte: Sie ist gefüllt nur mit Luft und fliegt jetzt in hohem Bogen auf den Tisch. Dabei macht sich die der Tüte aufliegende Kugel selbständig und landet als Geschoss unter meinem Stuhl. Ich bücke mich nach diesem Überraschungsei und lege es verformt neben dem Raketentreibsatz ab. Schweigend schlürfen wir weiter bis zum bittersüßen Ende.
Die Rechnung, bitte …! Der Kellner weist anhand seines Displays nach, dass er die Bestellung korrekt aufgenommen hat: Fehler in der Lieferkette dahinter. Einig sind wir uns, dass der erfasste Zahlbetrag reduziert werden muss – ein Kinderbecher kostet zwei Euro weniger. Also muss der Kellner noch mal zum Tresen, um die kalkulatorische Operation von dazu Befugten vornehmen zu lassen. Dann können wir endlich gehen.
Nachtrag: Das Überraschungsei – Schokolade in Einwickelpapier - wurde als Beweisstück mitgenommen. Es
enthielt im Innern eine gelbe Plastikkapsel mit drei montierbaren Teilen einer Tierfigur. Bisher gelang es mir nicht, sie zusammenzusetzen. Es könnte sich um ein Hybridwesen handeln, vielleicht ein Känguruh-Reh?