Biografien & Erinnerungen
Markus von Bühlow - Blick auf eine Tragödie - Kapitel 8

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"Die Lebensgeschichte eines Mannes mit Parallelen zu realen Ereignissen des 18./19. Jhd. "
Veröffentlicht am 25. Juni 2023, 14 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Die Lebensgeschichte eines Mannes mit Parallelen zu realen Ereignissen des 18./19. Jhd.

Markus von Bühlow - Blick auf eine Tragödie - Kapitel 8

Kapitel 8

Meine Anstellung beim Gesandten war mit einer eigenen Kammer in einem der besseren Häuser im Zentrum verbunden. Daher packte ich meine wenigen Habseligkeiten, vornehmlich waren dies Bücher, zusammen und nahm Abschied von meiner Gastfamilie. Während der Vater mir alles erdenklich Gute wünschte, bemerkte ich eine gewisse Erleichterung der Mutter, dass ich nun auszog, wahrscheinlich, weil sie es unschicklich fand, wenn ein Junggeselle im gleichen Alter wie ihre eigene Tochter unter einem Dach wohnten, obwohl Sophie mit ihrem Gatten inzwischen schon verlobt war und man Anstalten für die Planung der Hochzeit machte. Sophie kam am Abend vor meiner Abreise ein letztes Mal in meine Kammer hinauf. „Ich weiß, dass wir beide in politischen Dingen keine gemeinsame Sprache sprechen, aber auch, wenn

ich dich hierbei nicht verstehen kann, so muss ich zugestehen, dass deine Partei mit dir einen klugen Kopf auf ihrer Seite hat und das respektiere ich. Ich wünsche dir Viel Glück. Hier, dies ist meine zukünftige Adresse.“ Sie übergab mir ein kleines Stück Papier. „Schreib mir bei Gelegenheit – vor allem über deine Arbeit beim französischen Gesandten.“ Obwohl mir Sophie keine so herzliche Freundin mehr war, seitdem ich über ihre Meinung in der sogenannten Judenfrage Bescheid wusste, so tat mir der Abschied von ihr doch weh. Sie war in meiner Gastfamilie der einzige Grund gewesen, weshalb ich nicht nach kurzer Zeit Reißaus genommen hatte. Außerdem hatte ihr Unterricht mich erst in die Position gebracht, für die von mir eingenommene Stelle in Frage zu kommen. Ich bezog also erneut eine Kammer. Der Leser wird aber wissen, dass der gleiche Begriff ganz

andere Dinge beschreiben kann. Während es zuvor eine Kammer gewesen war, wie sie verarmte Schriftsteller und Künstler als etwas bessere Zuflucht nutzten, war die Kammer in den Räumen, die der Gesandte einnahm, etwas vollkommen anderes. Nicht nur war die Ausstattung erheblich exquisiter, mir wurde auch etwas Garderobe gestellt und eine Hauswirtschafterin kümmerte sich um die Ordnung in unseren Zimmern. Eine Reglementierung von Öl für die Lampen oder für das Holz für den Ofen gab es nicht mehr. Ein großer Schreibtisch mit vielen Fächern wurde mir, ebenso wie literweise Tinte und ein Arsenal von Schreibfedern, zur Verfügung gestellt. Meine Tage folgten von nun an einem bestimmten Rhythmus. Morgens konnte ich das Frühstück in meine Kammer hinauf nehmen, es wurde mir bereits auf einem Tablett zurecht

gelegt. Dann musste ich die eingegangene Post durchsehen. Vornehmlich musste ich die wichtigsten Informationen entnehmen, die sie enthielten und ein paar Schreiben hatte der Gesandte Francois de Toulon mit kleinen Notizen versehen. Meist enthielten diese knapp den Inhalt, den ein Antwortschreiben bedurfte. Zu Anfang hatte der Gesandte mir einen Briefsteller gegeben, sodass ich die notwendige äußere Form der Schreiben einhielt. Da diese aber wenig Variationen bot, hatte ich die notwendigen Floskeln schon bald verinnerlicht. Meist arbeitete ich die Post bis Mittag durch, konnte mich dann mit einer kleinen Mahlzeit stärken, die ich in einem der Cafés in der Nähe zu mir nahm. Danach konnte ich mich meist der eigenen Korrespondenz widmen oder bearbeitete die wenigen Sendschreiben, die man mir noch hereinreichte. Gegen 18:00 Uhr hatte ich dann im Esszimmer zu erscheinen, um mit dem

Gesandten die Entwicklung des Tages auszutauschen. Gegen 19:30 Uhr musste ich mich entweder ausgehfertig machen oder hatte Zeit zur freien Verfügung. Hierzu muss man wissen, dass de Toulon ein Mann war, der schon seit mehr als 10 Jahren in der Hauptstadt für sein Land diplomatische Beziehungen unterhielt. Insofern hatte er auch das Leben in deutschen Landen kennen gelernt und nutzte die Gelegenheit gerne, um das Theater oder die Oper zu besuchen. Er wusste sich das Leben angenehm zu gestalten und diese Lebensweise teilte er mit mir bereits nach wenigen Wochen. Neben den Kulturbetrieben der Stadt besuchten wir auch ein paar offene Häuser, wobei mein Vorgesetzter sich nur dahin begab, wo häufig musiziert wurde, da er kein Interesse an einer abendlichen Konversation über Politisches hatte.

Die Briefe von Madam Levi habe ich natürlich aufbewahrt. Sie war mir in dieser Zeit eine wichtige Wegbegleiterin. De Toulon war ein kunstsinniger Mann, der selbst dilettantisch Gedichte verfasste und das Flötenspiel recht passabel beherrschte. Seine Liebe für das französische sowie das deutsche Theater war in jeder Vorstellung spürbar. Manchmal besprachen wir das Gesehene noch bis in die frühen Morgenstunden. Ich hatte hierbei allerdings die Schwierigkeit, dass ich viele Stücke, die er kannte, weder nach ihrem Namen noch ihrem Autoren nach kannte. Moliére, Voltaire, Lully und Rameau warf er gerne beiläufig in unsere Gespräche, bei denen ich versuchte mehr passiv zu lauschen, statt selbst aktiv teilzunehmen, um nicht als kulturell ungebildet vor dem Gesandten zu erscheinen. Unumwunden muss ich eingestehen, dass ich seinerzeit wirklich

blind war, was diese Themen anbelangte. Ja, mit meiner Gastfamilie war ich manches Mal in der Oper oder dem Theater gewesen, aber dies folgte keinem System. Die strenge Mutter schwärmte nur für christliche Musik und hielt die Fahne Johann Sebastian Bachs empor, der durch das offene Haus von Sara Levy und durch den Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy wieder in Mode kommen sollte. Sophies Wissen auf diesem Gebiet war, bedingt durch die Familie, ebenfalls wenig ausgeprägt. Voltaire, das hatte ich ja bereits klargestellt, war ihr verhasst. Der Briefwechsel drehte sich in dieser Zeit hauptsächlich um die aktuellen Theaterstücke und Empfehlungen für die von Eva Levi benannten Klassiker, die ich mir unbedingt ansehen sollte. Jetzt suchte ich vermehrt auch die Leihbibliotheken auf, damit ich nachholen konnte, was mir meine Freundin auftrug. Ich

staunte über das profunde Wissen von Madam Levi, was sich aber darüber erklären ließ, dass ihr Vater den Leiter der Singakademie kannte und die Mutter Sopransängerin an einer Provinzoper war, obwohl ihr Können, jedenfalls betonte Eva dies oft, erheblich im Niveau darüber lag. Natürlich blieb mir der Grund nicht lang verborgen, denn eine jüdische Opernsängerin musste schon das Können einer Wilhelmine Schröder-Devrient haben, um bei einem großen Haus eine Abstellung zu erheischen. Tatsächlich wurden die Konversationen mit dem Gesandten endlich mehr und mehr zu Gesprächen, statt zu großen Monologen meines Vorgesetzten. An den Abenden, die mir zur freien Verfügung blieben, besuchte ich die offenen Häuser, die ich mit dem Gesandten nicht aufsuchte. In diesen politisch interessierten Kreisen war es freilich nicht verborgen geblieben, dass ich

nunmehr der Sekretär des Gesandten war. So kam es nunmehr auch zu Gesprächen mit Besuchern, die selbst Teil der Staatsverwaltung waren und sich hierüber wahrscheinlich erhofften, irgendwelchen politischen Einfluss geltend zu machen. Viele interessante Gespräche, fürwahr, allerdings nicht alles war von Belang. Eine besonders prägende Zusammenkunft leitete die kleine Leiterin der Gesellschaft ein, die ich als erstes besucht hatte. Sie trat einen Abend auf mich zu und stellte mich einem Gesandten eines kleinen Fürstentums aus der Mitte Deutschlands vor. Sie sprach mystisch davon, dass hier ein spannendes Projekt im Schwange sei. „Gesandtschaftssekretär von Bühlow? Ich bin Max von Oppenheim, Gesandter von Fürst Johannes. Unsere charmante Gastgeberin

meinte, dass wir beide uns unbedingt unterhalten müssten.“ „Gesandter, das sagte sie mir auch, allerdings ist mir der Grund nicht recht klar.“ Der Gesandte bedeutete mir, dass wir uns in ein Nebenzimmer begeben sollten, in dem wir ungestört waren. Ich folgte. „Seid Ihr glücklich mit Eurer Position?“ Ich war verwirrt. „Ja, denn der französische Gesandte behandelt mich geradezu väterlich.“ Von Oppenheim blickte auf ein Bild, welches an der Wand hing. „Das ist wahr. De Toulon ist in der Tat ein gütiger Mensch und er lobt Euch für Eure Arbeit. Aber wir beide wissen doch, dass hier sicherlich anspruchsvollere, größere Aufgaben schaffbar wären, habe ich recht?“ „Gesandter, ich fühle mich ein wenig unwohl, wenn ich nicht weiß, worauf dieses Gespräch hinaus soll.“ Er wandte sich nun schnell vom Bild ab und blickte mich eindringlich an. „Ihr habt ein wahres Wort gesprochen. Ich werde Euch daher nicht weiter im Dunkeln tappen lassen. Nun,

mein Landesfürst hat ehrgeizige Pläne. Er will den Anspruch auf einen aufgeklärten Absolutismus vollenden, indem er mutige, junge Köpfe in seine Kommissionen beruft. Diese sollen moderne Ideen umsetzen, gerade auch im Hinblick auf die Justiz. Und auch in Sachen der Religionsfreiheit soll ein großer Wurf gelingen. Er glaubt, dass Michelle Gilles hier ein hilfreicher Partner sein könnte.“ Ich war erschrocken. „Aber…woher…“ Er lachte. „Unsere Gastgeberin ist die erstaunlichste Frau, die ich jemals kennengelernt habe. Leider will sie hier bleiben, sonst hätte ich sie auch gerne von hier in unser Fürstentum entführt. Aber, sei es wie es sei. Ihr könntet Teil der Justizkommission werden und so reale Veränderungen schaffen und Teil der Zukunft sein. Was sagt Ihr?“ Er hatte mich in diesem Moment erschlagen. „Verzeiht, natürlich erwarte ich keine direkte Antwort, allerdings werde ich mich noch eine Woche in der Stadt

aufhalten. Wir können kommende Woche ja wieder hier zusammenkommen und dann sagt Ihr mir bei einem Tee, wie Ihr Euch entschieden habt.“ Ich wollte nach Hause gehen. Die Gastgeberin trat dabei neben mich. „Ich gehe davon aus, dass von Oppenheim Ihnen ein interessantes Angebot unterbreitet hat.“ Sie blickte mich wieder mit diesen alles durchdringenden Augen an. „Und Ihr Pseudonym, das war eine echtes Rätsel. Aber Eure Bemerkungen in diesen Dingen, auch wenn sie rar gesät waren, haben Euch schließlich verraten, aber nur, wenn man genau zuhören kann und, keine Sorge, das können die Wenigsten. Ich gebe Euch den Rat auf dem Weg mit, dass uns im Leben wohl viele Chancen gegeben werden, aber manche Chancen kommen nur einmal. Überlegt reiflich und wählt weise, aber ich bin mir sicher, dass Ihr das

werdet.“

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RogerWright
Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.

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