Fantasy & Horror
Die Unterwelt von Gordogardt - Kapitel 2

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"Die Unterwelt von Gordogardt - Kapitel 2"
Veröffentlicht am 08. Juni 2023, 12 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
© Umschlag Bildmaterial: andreiuc88 - Fotolia.com
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Die Unterwelt von Gordogardt - Kapitel 2

Die Unterwelt von Gordogardt - Kapitel 2

Das Oberhaupt

»Wo warst du so lange?« Obwohl Ricard Soldan ruhig und sachlich blieb, war die Drohung in seiner Stimme nicht zu überhören. Er saß hinter dem massiven Teakholzschreibtisch, auf dem die Unterlagen ausgebreitet lagen. Sein eiskalter Blick schien sie zu durchbohren. Die Narbe, die sich über sein rechtes Auge bis zum Kinn zog, machte ihn noch bedrohlicher. Cazianas Herz krampfte sich unangenehm zusammen. Sie massierte ihre Hände, um das Zittern zu unterdrücken. Ihre Zunge war wie gelähmt, so dass sie keine Antwort geben konnte. Was hätte sie auch sagen sollen? Als sie Ricards Büro betreten hatte, hatte sie sich eine Erklärung zurechtgelegt. Jetzt schien ihr die Erklärung nicht gut genug. Nicht glaubwürdig genug. Wenn sie sie so vortragen würde, wie sie es sich vorgestellt hatte, befürchtete sie einen Wutausbruch von

Ricard. »Du hattest nur eine Aufgabe.« Ricard hob demonstrativ den Zeigefinger in die Höhe. »Nur eine ... einzige ... verdammte ... Aufgabe. Du hättest mir die Dokumente vor Sonnenaufgang bringen sollen, ohne von den Wachen erwischt zu werden.« Ricard ließ die Worte auf seine Ziehtochter wirken. Caziana schluckte schwer. Holte tief Luft. Caziana zwang sich, sich aufzurichten, die Brust schwoll an. Hoffentlich würde das ihre Glaubwürdigkeit untermauern. Als sie zu sprechen begann, hoffte sie, dass ihre Stimme nicht versagen würde. »Es hat länger gedauert als geplant. Das Archiv ist fast so groß wie das Anwesen hier. Die Suche hat mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich ursprünglich gedacht hatte.« Dass die Suche nicht so lange dauerte wie angenommen, musste Ricard nicht wissen. Tatsächlich war es die Suche nach dem richtigen

Eingang, die die Zeit in Anspruch genommen hatte. »Das ist inakzeptabel, Caziana. Die Gerüchte über den Diebstahl machen bereits die Runde. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Spur zu uns führt. Weißt du, was das für uns bedeutet?« Caziana schaut beschämt zu Boden. Wenn es dir nicht passt, dann befreie mich aus deiner Familie. Lass mich ein Leben führen, in dem ich mir nicht jeden Tag Sorgen um mein Wohlergehen machen muss, obwohl ich mich in einer eigentlich sicheren Umgebung befinde. Sie wagte nicht, ihre Gedanken auszusprechen. »Das bedeutet, dass die Miliz hier auftauchen wird. Sie werden alles auf den Kopf stellen. Und wenn sie etwas finden, das uns schaden könnte, werden sie das Nächste finden. Das wird unser Untergang sein. Willst du das?« Ja! Ja! Es ist genau das, was ich will! »Nein, natürlich nicht.« Ricard lehnte sich in seinem Sessel zurück und

massierte sich das Kinn. »Was soll ich nur mit dir machen?« Eisiges Schweigen breitete sich im Büro aus. Unsicher, ob die Frage rhetorisch gemeint war oder ob er eine Antwort erwartete, richtete Caziana ihren Blick auf seine Stiefelspitzen. »Du bist eine Enttäuschung. Als ich dich in den Trümmern des Hauses fand, hatte ich großes Potenzial in dir gesehen. Du hast dich mit Händen und Füßen gewehrt, als ich dich von den Leichen deiner Eltern wegzerrte. Die Entschlossenheit und die Leidenschaft, die in dir steckten, hatten mich beeindruckt. Das hatte ich in meiner eigenen Familie schmerzlich vermisst. Ich hoffte, dass sich diese Eigenschaften auf meine Kinder übertragen würden, wenn ich dich integrieren würde. Ich gab dir ein Dach über dem Kopf. Du hattest jeden Tag eine warme Mahlzeit. Und wie hast du es mir gedankt? Du hast mich immer wieder enttäuscht. Macht es dir Spaß, mir weh zu

tun?« Caziana antwortete nicht. Als Ricard wie aus dem Nichts mit der flachen Hand auf den Tisch schlug, zuckte sie zusammen. »Ich habe dich etwas gefragt!«, brüllte er aus voller Kehle. Caziana musste schlucken. »Natürlich nicht.« Sie verfluchte sich dafür, dass sie so kleinlaut war. Sie verfluchte sich auch dafür, dass sie ihm nicht die Stirn bieten konnte, wie er es verdient hätte. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen. Ricard setzte zu einem weiteren Wutausbruch an, als Silvio ins Büro stürmte. Er grinste wie eine Hyäne. Er legte seine blutverschmierten Hände auf die Tischkante und beugte sich zu seinem Vater hinunter. »Wir haben die Informationen.« Stolz hob Ricard die Hände in die Luft. »Siehst du? So muss es in dieser Familie sein. Warum bist du nicht wie mein lieber Sohn hier, Caziana? Er erfüllt seine Aufgaben so, wie man

es von ihm verlangt. Du könntest dir ein Beispiel an ihm nehmen. Sonst wird es nichts mit dir.« Ein eiserner Draht schnürte ihr das Herz zu. Noch nie war sie den Tränen so nahe gewesen wie in diesem Moment. Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter. Sie spürte, wie ihre Augen rot wurden. Wo Silvio war, konnte seine Zwillingsschwester nicht weit sein. Ihr selbstgefälliges Lächeln verwandelte sich in einen angewiderten Ausdruck, als sie Caziana erblickte. »Was hat dieser Abschaum in Papas Büro zu suchen?«, fragte Silvana verächtlich. »Ich habe einen Auftrag für euren lieben Vater erledigt.« Es missfiel den Zwillingen, dass sie das Wort ergriffen hatte. »Niemand hat dir erlaubt zu sprechen.« Silvio presste ihr den Zeigefinger auf die Brust, um seinen Worten Nachdruck zu

verleihen. »Es ist ein Skandal, dass dieser Abschaum der Straße hier geduldet wird. Ich verstehe dich nicht, Papa, wie konntest du dieses nutzlose Ding überhaupt adoptieren?« »Dieses nutzlose Ding hat schon mehr für diese Familie getan, als du es je tun könntest.« Caziana wusste nur zu gut, wie aussichtslos ihr Widerstand war. Aber was hatte sie zu verlieren? Unvermittelt verpasste Silvana ihr eine Ohrfeige, die Caziana zu Boden warf. »Rede nicht so mit mir. Du hättest längst lernen müssen, wo dein Platz ist.« Bevor die Situation weiter eskalieren konnte, ergriff Ricard das Wort. »Genug jetzt. Caziana, bitte verlasse das Büro. Ich habe Wichtiges mit meinen Kindern zu besprechen.« Caziana richtete sich auf, richtete ihre Bluse und ihre Weste. Erhobenen Hauptes verließ sie das Büro, nicht ohne Silvana einen giftigen

Blick zuzuwerfen. »Nun«, wandte sich Ricard an seinen Sohn. »Was hat uns unser Gast zu sagen?« »Er hat uns gesagt, wo das Gewürz ist. Und du wirst mir nicht glauben, wo es ist.« Silvio machte eine kunstvolle Pause. »Im Lagerraum der Kaserne. Und der Witz ist, dass die Miliz das Zeug selbst unter die Bevölkerung bringt.« Ricard lachte. »Das ist ein schlechter Witz. Die, die das Zeug von der Straße haben wollen, verkaufen es selbst an die Leute. Das passt zu den Heuchlern.« »Aber warum machen die das?«, fragte Silvana. »Damit diese Bastarde die Illusion aufrechterhalten können, dass sie etwas tun. So gewinnen sie das Vertrauen der Bevölkerung, um sie dann abzocken zu können«, erklärte Silvio, leicht genervt von der Naivität seiner Schwester. »Über welche Menge reden

wir?« »Papa, wir reden von vier Kisten. Kannst du dir das vorstellen. Vier ganze Kisten.« Die Augen des Chefs bekamen ein gewisses Leuchten, das immer dann auftrat, wenn sich in seinem Kopf ein Plan zusammensetzte. Er blickte auf die Dokumente, die Caziana ihm gebracht hatte. Ein Name war ihm schon beim Überfliegen aufgefallen. Gilbert von Guile. Einer der ranghöchsten Paladine der Kirche der Heiligen Krieger hatte sich beim Stadtvogt eine Menge Silbermünzen geliehen. Einhundertfünfzigtausend Silbermünzen waren mehr, als ein normaler Sterblicher je sehen, geschweige denn in den Händen halten konnte. Jetzt sah er eine Möglichkeit, es diesen scheinheiligen Spinnern heimzuzahlen. »Silvio, organisiere jemanden, der ein gutes Stück des Gewürzes klaut und einen anderen, der es dem Paladin unterjubelt.« »An wen hast du

gedacht?« Ricard überlegte einen Moment. »Ich glaube, für den Diebstahl wäre der kleine Freund von Caziana ganz gut geeignet. Wie heißt der Mistkerl noch mal? Remic?« »Remic«, bestätigte Silvio. »Remic, genau. Schick ihn los. Bis Ende der Woche will ich das Zeug bei van Guile sehen.« Ungläubig schlug Caziana die Hand vor den Mund. Hatte sie wirklich gehört, was sie zu hören glaubte? Ricard hatte sie zwar aufgefordert, das Büro zu verlassen, aber nicht gesagt, dass sie nicht davor stehen bleiben sollte. Es war also ein Leichtes, ihrer Neugier nachzugeben. So schockierend das Gespräch auch gewesen sein mag, ihre wissbegierige Art erwies sich als äußerst aufschlussreich. Was sie als Nächstes tun würde, stand außer Frage. Und sie wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um die drohende Katastrophe

abzuwenden. Schreib mir was!

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Django

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