Wer es nicht hat, der strebt danach. Wer es nicht kennt, der sucht danach. Für alle Glücksritter da draußen, die tagtäglich nach dem wahren Sinn des Lebens streben.
~ Dem wunschlos glücklich zu sein. Schon als Sarah an der Unfallstelle eintrifft, weiß sie, dass das kein Spaziergang werden wird.
“Scheiße!” flucht sie und parkt ihren alten Jeep am Straßenrand, direkt hinter dem heruntergekommenen Viehtransporter des Metzgers. Mit einer flüssigen Bewegung löst sie den Gurt, öffnet die Tür und steigt aus. Ein ergrauter, rundlicher Mann, der mitten auf der Fahrbahn steht, hebt abwehrend die Hände und höhnt, “Du kommst zu spät, Mädel. Wir sind uns schon einig.” Selbstgefällig verschränkt er die Arme vor der Brust. Skeptisch zieht Sarah die Augenbrauen hoch. “Ich will doch nur mal schauen, Herbert.” gibt sie lässig zurück. “Ja, ja, dein anschauen kenn` ick. Aber
hier haste kenn Glück. Der Gaul kommt inne Wurst.” Kopfschüttelnd geht sie an ihm vorbei, zum Anhänger, der gekippt im Straßengraben liegt. Der schwarze Ford Ranger steht, vom Unfall unbehelligt, davor. Qualvolles Wiehern tönt aus dem Innern des umgestürzten Transporters. Das Technische Hilfswerk ist bereits dabei, das Pferd aus seiner misslichen Lage zu befreien. Daneben, mit verschlossenen Gesichtsausdruck, steht Detlef Hohenfels, hiesiger Gestütsbesitzer. Sarah kennt ihn seit Jahren und liegt ebenso lange mit ihm in den Haaren. Ihre unterschiedlichen Auffassungen vom Tierwohl lassen beide
immer wieder aneinandergeraten. Auch heute war Sarah mal wieder gerade noch rechtzeitig gekommen. Nicht zum ersten Mal würde sie eines seiner Pferde vor dem Metzger Herbert Müller retten. “Du hast mir gerade noch gefehlt.” brummt Hohenfels als er ihrer gewahr wird. “Verlässlich wie immer.” kontert sie und sieht zu, wie das verletzte Tier über Kran und Trage aus dem havarierten Anhänger gehoben wird. Hohenfels wendet sich ihr zu. “Mädel …” Nach all den Jahren ist es ihr immer noch schleierhaft, warum sie hier alle älteren Herren Mädel nennen. Mit ihren 34
Jahren zählt Sarah doch wohl kaum noch zum jungen Gemüse. “ … mit diesem Pferd machst du dich nur unglücklich. Glaub mir. Der ist zu nichts mehr zu gebrauchen.” sucht er sie von vornherein zur Umkehr zu bekehren. “Na ja, unsere Ansichten, was ein Leben wert ist, gehen ganz schön auseinander, Herr Hohenfels.” “Der ist verletzt. Und zwar schwer. Ist nicht so, als wäre er 'ne alte Mähre.” Sarah brummt etwas Unverständliches. Detlef Hohenfels gibt nicht nach. “Die Tierarztkosten, bis das Pferd wieder so hergestellt ist, dass man drauf reiten kann, sind utopisch.” “Na, wie gut, dass ich nur die
Materialkosten zahlen muss.” Selbstgefällig grinst sie ihn an. “Pha.” macht der andere. Um das Ganze abzukürzen, fragt sie direkt, “Wie viel zahlt Müller Ihnen?” “350.” “Prima. Ich zahle Ihnen 400.” Lachend kratzt er sich am Bart. “Mädel, das Pferd kommt sicher nie mehr auf die Beine. Mach` dich doch nicht unglücklich.” “Über meinen Zustand müssen Sie sich keine Gedanken machen.” rät sie freundlich. “Ich komm’ schon klar. Also …” Siegessicher hält sie ihm die ausgestreckte Hand hin. “ … schlagen Sie
ein?” Hinter ihnen war Metzger Müller herangetreten. “Nee nee nee, Fräulein. Ick hab hier den Zuschlach bekomm. Diesma musste ohne Gaul abziehn.” Ihn ignorierend sieht Sarah selbstsicher dem Pferdebesitzer in die Augen. “Herr Hohenfels?” Dieser sieht nacheinander zu ihrer Hand, dem Metzger und ihrem Gesicht. “Herr Hohenfels …” mahnt Müller. “Se ham doch jesacht …” “Ja, ja.” Energisch bringt Hohenfels den anderen mit erhobener Hand zum Schweigen. Man sieht ihm den inneren Kampf an, doch schließlich siegt die Aussicht, nach höherem Profit. “Sie zahlt
mir 400.” erklärt er laut und schlägt in den Handschlag ein. “Prima!” ruft Sarah erleichtert. “Damit ist der Kauf besiegelt. Herr Müller, ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.” Der Unterlegende brummt etwas Unverständliches, dreht sich grußlos um und schlurft von dannen. “Gut. Haben Sie das Geld dabei?” fragt Hohenfels. “Selbstverständlich. Ich gehe nie ohne ein paar Scheine aus dem Haus.” erklärt die junge Frau fröhlich. Alle Anspannung ist von ihr abgefallen. “Schließlich weiß ich nie, ob nicht irgendein verletztes Tier vor dem Abdecker gerettet werden
muss.” “Mädel, du kannst doch nicht alle Tiere des Landkreises retten.” mahnt der Gestütsbesitzer kopfschüttelnd. Nimmt aber die vier einhundert Euro Scheine an und steckt sie sich zusammengefaltet in die Brusttasche seiner Weste. “Irgendwann ist doch auch dein Hof voll.” “Noch ist Platz genug.” kontert sie und geht zu ihrem Pferd. “Sagen Sie mir was über ihn!” “`Be nice to me` heißt er. Ist vier Jahre alt und steht ganz am Anfang seiner Ausbildung.” “Na das bleibt dir ja nun erspart.” flüstert sie und klopft dem Wallach sanft
auf den Hals. Sein rotbraunes Fell glänzt vor Schweiß im Sonnenlicht. Laut sagt sie, “Na besonders nett wollten Sie ja nicht gerade mit ihm umspringen.” Hohenfels macht ein abfälliges Geräusch. “Für mich ist er jetzt unbrauchbar. Niemand will ein Fohlen von einem Krüppel.” Ihr Blick fliegt über den Pferdekörper. Aus einer Wunde am Oberschenkel tritt einiges an Blut aus. Ein nicht unerheblich großes Stück Rohr steckt darin. Sarah beschließt, es an Ort und Stelle zu belassen und es erst später, unter steriler Umgebung herauszuziehen. Sorgsam tastet sie seine Beine nach weiteren Verletzungen ab. Das Tier
schnaubt ängstlich, doch zum Wehren oder gar Aufstehen, fehlt ihm die Kraft. “Na, bist du derselben Ansicht. Das Pferd ist hin.” urteilt Hohenfels. “Das ist doch noch gar nicht raus.” widerspricht Sarah. “Vielleicht wird er auch wieder?” Doch ihr Gegenüber ist anderer Meinung. “Nee nee, glaub mir mal. Sicherlich wird der nie wieder jemanden auf seinem Rücken tragen. Vom Springen will ich gar nicht erst anfangen.” Detlef Hohenfels ist im gesamten Landkreis für seine vorzüglichen Spring- und Vielseitigkeitspferde bekannt. Sarah, die Pferde lieber dösend auf der Koppel stehen sieht, ist da ganz anderer
Auffassung. Ihr genügt es, ab und an gemächlich auszureiten. Auf ihrem Gutshaus Greiffenberg betreibt sie bereits seit sieben Jahren einen Gnadenhof für kranke und altersschwache Tiere. Ihr Beruf als Tierärztin kommt ihr da sehr gelegen. Zusammen mit ihrer Tante Dörthe lebt und kümmert sie sich dort um Schweine, Esel, Pferde, Hühner, Hunde und allerlei anderem Getier. “Bei mir muss er keine Erfolge vorweisen. Er darf einfach glücklich sein.” Sarah schließt ihre vorläufige Untersuchung ab, steht auf und klopft sich den Staub von der Hose. “Mit glücklichen Viechern ist kein Geld
zu machen.” lässt Hohenfels sie noch wissen und verabschiedet sich von Sarah. Scheinbar war für ihn die Sache hiermit erledigt. Wie das Pferd auf den Gnadenhof kommt, schien ihn nicht zu interessieren. Mit dem Einsatzleiter bespricht sie die Einzelheiten und verabschiedet sich ebenfalls. Man wollte auf einen benachbarten Landwirt warten, der `Be nice to me` mit seinem offenem Anhänger in sein neues zu Hause bringen wird. Für den Transport in Sarahs Pferdeanhänger war das Tier zu stark verletzt. Zurück auf Greiffenberg will sie
eigentlich ihre zuvor unterbrochene Stallarbeit wieder aufnehmen, als Dörthe aus dem gelben Haupthaus tritt. “Da bist du ja wieder.” ruft sie erleichtert. “Ich dachte schon, du hast es vergessen.”* “Was vergessen?” Schwungvoll schließt sie die Autotür ihres dunkelgrünen Jeeps. Dörthe hat das untere Ende der Freitreppe erreicht und kommt vor ihr zum Stehen. “Na, die Steuerprüfung.” Die hatte Sarah tatsächlich vergessen. Oder eher verdrängt. Zwei Jahre zuvor war schon einmal jemand vom Finanzamt da gewesen. Als hätte er einen Stock in seinem Allerwertesten wühlte sich der alte Mann durch ihre Unterlagen. Hatte hierzu und dazu eine Frage, verlangte
das und jenes zu sehen. Sarah gibt gern zu, dass Büroarbeit nicht gerade zu ihren beliebtesten Tätigkeiten auf dem Hof zählt. “Schitt, die habe ich tatsächlich vergessen.” Genervt fährt sie sich mit der Hand durch das lange blonde Haar. “Ich aber nicht.” verkündet Dörthe mit einem gewissen Stolz in der Stimme. “Habe sogar einen Erdbeerkuchen gebacken.” “Dörthe, der Kerl kommt wegen unserer Unterlagen. Der will sich hier nicht häuslich niederlassen. Und ich will das schon gar nicht.” fügt sie brummelig hinzu. Langsam gehen beide Frauen in Richtung Stallgebäude.
“Wann kommt der nochmal?” Dörthe antwortet, “Heute. Gegen 14 Uhr.” “Prima. Dann zeig du ihm alles! Okay?” “Ist gut.” flötet ihre Tante. “Ich gehe jetzt noch ein paar Blumen schneiden.” Eine Antwort erspart Sarah sich und verschwindet im Stallgebäude. Während sie ihre unterbrochene Arbeit wieder aufnimmt, hört sie es draußen donnern. Ein Sommergewitter. Wie im Radio heute Morgen angekündigt, entlädt sich der Himmel über der Uckermark. Dringend benötigt wird er, der Regen. Die Landwirte und auch Sarah ächzen unter der anhaltenden Hitze und der damit
einhergehenden Trockenheit. Sarahs Futtermais sieht mittlerweile alles andere als gut aus und auch das Heu droht auf den Feldern zu verbrennen, wenn es nicht langsam mal eingeholt wird. Doch allein zu zweit schaffen sie die viele Arbeit nicht. Nach einer weiteren Hilfskraft, wie Tina, im letzten Sommer, sucht Sarah bisher vergebens. Die junge Frau hatte damals ihr freiwilliges ökologisches Jahr auf dem Gnadenhof absolviert. Doch in diesem lies Hilfe auf sich warten. Was eventuell auch an Sarah liegt, die, wenn sie mehr Büroarbeit machen würde, sicherlich den einen oder anderen jungen Menschen finden könnte. Doch Werbung für ihren Gnadenhof zu machen, um
Spendengelder zu bekommen, bedeutet Büroarbeit und diese wiederum, bedeutet unliebsame Arbeit, die Sarah ein Graus ist. Ein Teufelskreis. Der Regen fällt schwer auf das Dach und verursacht ein stetiges, leises Klopfgeräusch. In langen Bahnen läuft das Wasser außen an den schmutzigen Fensterscheiben herunter. Box um Box, mistet sie aus und fährt Fuhre um Fuhre den Mist hinaus auf den Haufen. Den Hühner scheint der Regen nichts auszumachen. Fröhlich gackernd flitzen sie kreuz und quer über den Hof. Schnaubend wischt Sarah sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Warm war es noch immer. Kurzerhand
zieht sie ihr T-Shirt unter der blauen Latzhose aus und wirft es über einen Zaun. Irgendwann wird das Grollen leiser und der Regen versiegt. Bis auf einige größere Pfützen, die gut verteilt über den Innenhof verstreut sind, erinnert bald nichts mehr an den heftigen Regenguss. Die Sonne strahlt, als wäre nichts gewesen von einem beinahe wolkenlos blauen Himmel. Von irgendwo ist Motorengeräusch zu hören. Da sich normalerweise selten Autos hierher verirren, kann es sich bei diesem Fahrzeug nur um das des Steuerprüfers handeln. Und da Dörthe sich diesem Problem annehmen wollte,
macht Sarah keine Anstalten ihre Arbeit erneut zu unterbrechen. Routiniert säubert sie die letzte Pferdebox und geht anschließend durch die Verbindungstür hinüber in ihre Praxis, um dort alles für die Ankunft des verletzten Wallachs vorzubereiten “Fuck!” flucht er ganz entgegen seines sonstigen Gebaren und schlägt mit der flachen Hand auf das Autodach. Nach einem Wegweiser suchend sieht er sich um und entdeckt – Nichts. Nicht mal eine Menschenseele ist unterwegs. “Verdammtes, verlassenes, einsames
Nest. Wie hasse ich das Land.” flucht er lautstark vor sich hin. Noch einmal nimmt er sein Smartphone zur Hilfe. “Wo steckt dieser verdammte Hof?” Sein Navigationsgerät im Audi hatte schon längst aufgegeben. Ihn über einen für Fahrzeuge gesperrten Waldweg mitten in ein Naturschutzgebiet navigiert. Noch immer verärgert über den Anschiss des Forstbeamten, der ihm natürlich ausgerechnet in diesem Moment über den Weg laufen musste, sucht Thomas nun mithilfe von Google Maps nach dem richtigen Weg. “Er ist doch ganz in der Nähe.” murmelt er und sieht sich erneut um. Da hinter dem Waldstück müsste es sein. Wieder
setzt er sich hinter das Steuer, wendet und gibt Gas und rast förmlich die Straße, aus der er gekommen ist zurück. An der Stelle, wo die monotone Stimme des Navigationsgerätes meldet, er müsse rechts einbiegen, fährt er langsamer. Tatsächlich entdeckt er so, die Einfahrt zum Gutshaus. Diese liegt versteckt zwischen tief über die Straße hängenden Zweige dicht belaubter Alleebäume. Vorhin war er geradewegs daran vorbeigerast, doch nun setzt er den Blinker und biegt in die enge Kopfsteinpflasterstraße ein. An Linden und Kastanienbäumen vorbei rumpelt der tiefergelegte Sportwagen förmlich zu der kleinen Anhöhe hinauf, auf der ein
riesiges gelb getünchtes Gutshaus thront. Thomas umrundet halb den wie ein Nadelöhr angelegten Vorplatz. Auch hier liegt ausschließlich Kopfsteinpflaster unter den uralt anmutenden riesigen Bäumen. Als er aussteigt und die Autotür schließt, kommt niemand zu seiner Begrüßung. Nach einer Klingel suchend steigt er, die Aktentasche unter dem Arm, die Freitreppe hinauf. Oben angekommen, schiebt er sich die Brille auf die Nase. “Das Land und dazu noch die Hitze. Ich bin echt am Arsch.” denkt er und pustet aus. So wie Thomas das Wort `Land` ausspricht, merkt man, dass er dem idyllischen Landleben nichts abgewinnen kann. “Hallo?” ruft er laut
und lauscht. Im Haus rührt sich nichts. Sollte er einfach eintreten? Lieber nicht. Sicherlich sind die Bewohner irgendwo draußen unterwegs. Also steigt er die Treppe wieder hinunter und geht links um das Gebäude herum. Nicht, ohne es dabei einer optischen Prüfung zu unterziehen. Solide Bauweise, gut in Schuss gehalten. Nirgends bröckelt Putz ab und ist ein Fenster beschädigt. Das Haus scheint aus einem Hauptteil und zwei Flügeln zu bestehen und somit ein kantiges ein U beschreiben. Es geht direkt in einen parkähnlichen Garten über. Auch hier finden sich alte Bäume und Blumenrabatten. Alles ist gepflegt. Der
Rasen gestutzt. In der Nähe kann er ein weiteres Gebäude ausmachen. Dem Geruch nach, ein Stall. Dieses ist jedoch von einem Zaun umschlossen. Thomas öffnet ein Gatter und will hindurchgehen, als ein lautes Quieken ihn innehalten lässt. Mit der Hand auf der obersten Zaunlatte starrt er in Richtung Stall. Aus diesem stürmt in vollem Galopp gerade ein ausgewachsenes Schwein heraus. Es schlägt förmlich einen Haken, beschreibt eine Kurve und hält direkt auf ihn zu. Sicherlich wittert es die Freiheit. Vielleicht sollte es ja gerade unter das Messer? Wie erstarrt bleibt Thomas stehen und stolpert zurück, als das riesige Tier ihn touchiert. Quiekend läuft
der Eber seiner Freiheit entgegen in den Park. “Karlchen!” ruft eine weibliche Stimme. “Scheiße!” flucht Thomas gleichzeitig und besieht sich das Malheur. Mit seinen handgefertigten italienischen Lederschuhen ist er mitten in eine tiefe Pfütze getreten. “Auch das noch.” denkt er sauer und schüttelt den betroffenen Fuß. “Karlchen!” schreit die Frau, kommt ebenfalls aus dem Stall gelaufen und bleibt ruckartig stehen, als sie ihn, Thomas, statt des Ebers sieht. Einige ihrer blonden Strähnen haben sich aus dem Pferdeschwanz gelöst und kleben ihr an der schweißnassen Stirn. Dass ihre
Augen blau sind, kann er erkennen, als sie näher kommt. Überrascht registriert er erst jetzt, dass die Frau beinahe barbusig vor ihm steht. Allenfalls ein feuerroter BH kleidet ihren schlanken Oberkörper. Ihr Atem geht stoßweise, der Brustkorb hebt und senkt sich heftig. Sprinten scheint nicht zu ihren Stärken zu zählen. “Wer sind Sie?” presst sie hervor. Ihr Blick wandert von seinem Gesicht, über den Körper hinunter zu seinen Schuhen. Irrte er sich, oder umspielt tatsächlich ein spöttisches Lächeln ihre vollen Lippen. Jetzt, wo sie so nahe vor ihm steht, bemerkt er, dass von ihr ein intensiver Geruch ausgeht. Frische Luft, Kacke, Apfelblüte und noch
irgendetwas anderes, was er jedoch nicht fassen kann, steigt ihm in die Nase. Für einen Moment empfindet er Zärtlichkeit für diese Frau, will sie an sich drücken, seine Nase in die Beuge an ihrem Hals vergraben, doch als sie spöttisch fragt, “Oh, haben Sie ihre guten Schuhe ruiniert. Das tut mir aber leid!” ist der Moment auch schon wieder verflogen. Missmutig brummt er, “Mein Name ist Odenberg. Ich komme vom Finanzamt Angermünde. Und meine Schuhe dürften Ihr kleinstes Problem sein.” Wer ihm zickig kommt, dem entgegnet er es ebenso. “Hm, dachte ich mir schon. Sonst verläuft sich kein so feiner Pinkel
hierher zu uns.” entgegnet sie abweisend. In diesem Moment scheint ihr aufzugehen, dass sie halb nackt ist. Ihre Augen weiten sich und sie bedeckt hastig ihre gut proportionierte Oberweite mit dem Latz ihrer Hose. “Ähm.” Giftig entgegnet er, “Keine Sorge. Ich gucke Ihnen schon nichts weg. Da hab` ich schon ganz andere Kaliber gesehen.” Wütend funkelt sie ihn an. “Wie schön für Sie.” Damit dreht sie sich um und geht in Richtung Stall zurück. Das Schwein scheint vergessen zu sein. Grinsend folgt Thomas der Furie. “Dürfte ich auch Ihren Namen erfahren?” “Sarah Mitchell.” “Dann will ich zu Ihnen.” eröffnet er ihr
das Offensichtliche. Offenkundig hatte sie ihn ja bereits erwartet. Oder doch nicht, wenn man ihren Aufzug bedenkt? “Mitchell. Das klingt britisch. Sind Sie Britin?” versucht er Konversation zu machen. “Hm.” Fräulein Mitchell sieht sich suchend um und durchquert dabei das gesamte Stallgebäude. Thomas folgt ihr an sauberen Stallabteilungen vorbei, durch eine zwei flügelige Stalltür und steht plötzlich in einer Arztpraxis. Zumindest hat es den Anschein. In der Mitte des Raumes befindet sich ein Behandlungstisch. Allerdings aus Metall. “Also entweder ist das hier eine Pathologie oder Tierarztpraxis.” denkt er
schmunzelnd. “Was grinsen Sie denn so?” fährt sie ihn an. Sie hatte ihn also auch beobachtet. “Was ist so lustig?” Mit vor der Brust verschränkten Armen bleibt sie direkt vor ihm stehen. Dass sie dabei ihre Brüste zusammendrückt und somit ein äußert ansehnliches Dekolletee präsentiert, das es ihm schwer macht woanders als genau dort hinzusehen, scheint sie nicht zu stören. “Ähm … natürlich habe ich das.” murmelt er abwesend und zwingt sich in ihr Gesicht zu sehen. “Ich … ich bin nur … überrascht.” “Ach so?” “Ja, ich hatte einen Gnadenhof erwartet.”
“Den gibt es hier ja auch.” “Ach … ach so?” verwirrt sieht er sich um. “Nicht hier drin.” erklärt sie dunkel. “Gutshaus Greiffenberg ist der Gnadenhof. Doch ich bin außerdem Tierärztin.” “W-was?” stammelt er. “Moment.” Er öffnet seine Tasche und zieht eine Akte hervor. Eilig überfliegt er den Text. “Davon steht hier aber nichts.” “Kann es ja auch nicht. Ich praktiziere nicht.” “Nicht?” Er sieht sich erneut in der für seinen laienhaften Blick gut ausgestatteten Praxis um. Alles ist
sauber und wie es scheint jederzeit einsatzbereit. “Aber …” beginnt er, doch sie unterbricht ihn resolut, “Hören Sie! Ich habe zu tun. Gehen Sie ins Haupthaus, dort finden Sie meine Tante. Sie wird Ihnen alles zeigen.” “A-aber. Ich bin doch ihretwegen hier.” “Falsch.” entgegnet sie und hüllt sich in einen weißen Kittel, den sie sich von einem Kleiderhaken greift. “Sie sind wegen meiner Unterlagen hier. Wollen herumschnüffeln. Mir einen Fehltritt nachweisen. Wollen mir Geld abpressen.” Entrüstet holt er Luft. Wieder einmal jemand, der einen völlig falschen Blick auf das Finanzamt hat. “Moment mal. Ich bin mit nichten
…” Sarah Mitchell streckt ihm ihre ausgestreckte Hand entgegen. “Ich habe wirklich keine Zeit. Dank Ihnen darf ich nämlich jetzt einen ausgewachsenen Eber mitten in der Natur einfangen. Danke schön.” “Ich … ich konnte doch nicht …” Doch sie lässt ihn einfach stehen und verlässt, nun durch eine andere Tür, die Arztpraxis. Eilig folgt Thomas ihr hinaus in den Sonnenschein. “Warum ist das Tier denn fortgelaufen?” will er dennoch wissen. “Kastration.” faucht sie, sprintet los und verschwindet um die Hausecke. “Also habe ich ihn doch gerettet.” denkt
er und schlendert verwirrt zum Haupthaus hinüber.
Karlchens Freiheitsdrang war zum Glück im Garten aufgehalten worden. Sarah fand ihn am Gatter der weiblichen Schweine. Andächtig starrte er zu seinen Artgenossen ins Gehege. “Du darfst ja auch bald wieder im Matsch planschen.” beruhigt sie ihn und klopft auf seinen Hinterschinken. “Aber zuerst müssen wir dafür sorgen, dass du keine Ferkelchen machen kannst.” Denn mit einem hatte Hohenfels recht, der Platz im Gnadenhof war begrenzt. Weitere Schweine, Pferde oder Rinder
konnte er kaum fassen. Zudem sich noch Hunde, Katzen und an die 20 Hühner samt Hähne auf dem Hof tummeln. Als Dörthe vor einiger Zeit beinahe ein verlassenes Waschbärjunges an der Bundesstraße überfahren hatte, zog auch dieser hier ein. Aus welchen Gründen auch immer, von seinen Eltern verlassen, tat er den beiden Frauen so leid, dass er kurzerhand Kasimir getauft und mitgenommen wurde. Es kostet Sarah einige Mühe den Eber zurück zum Stall zu bugsieren, doch letzten Endes schafft sie es. Besänftigt schmatzt das Tier nun
seine Extraportion Leckerchen, dass ihm sein Frauchen in den Napf warf. “Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.” murmelt sie und klopft dem Tier auf den Rücken. “Für heute hast du Schonfrist. Morgen aber kommst du unters Messer. Ob es dir passt oder nicht.” Mit einem Mal ist Motorenlärm zu vernehmen. Sarah sieht auf ihre Armbanduhr und denkt fröhlich, “Der war aber schnell. Tja, Mister Superwichtig, bei mir gibts eben nix zu holen. Gute Heimfahrt wünsche ich.” Grinsend verabschiedet sie sich von Karlchen und verlässt den Schweinestall.
Endlich war die Luft wieder rein, um gefahrlos im Haus einen Kaffee zu trinken. Doch kaum war sie in den Sonnenschein getreten, sieht sie den Traktor des Nachbarn über den Sandweg auf ihren Hof zu rumpeln. Michael hatten sie also verpflichtet, ihr neues Pferd zu ihr zu bringen. Direkt dahinter fuhr der Jeep ihres Kollegen. Frank Grabowski, seines Zeichens Landveterinär. Von ihr auch gern ihr persönlicher Dorn im Auge genannt. Denn, seinetwegen war sie als frisch hinzugezogene, ausländische, junge Frau unter den hiesigen Tierbesitzern nie als
Tierärztin akzeptiert worden. Grabowski selbst wusste nichts von ihren Plänen und deren Nichterfüllung. Denn für ihn lief alles wie bisher. Kalbt eine Kuh – ruft man Grabowski. Wird ein Hund von einem Auto angefahren – Grabowski kommt. Gilt es, eine Trächtigkeit festzustellen – wer ist zur Stelle? Ja, klar, Frank Grabowski. War ja klar, dass man ihn dazu gerufen hatte. Schließlich war er nunmehr der einzige praktizierende Tierarzt der Gegend. Sarahs blauäugige Vorstellung, es müsse sich erst herumsprechen, dass eine weitere Tierärztin im
Landkreis praktiziert, lies sie eine ganze Weile durchhalten, doch die Praxis blieb leer und mittlerweile war der Wegweiser vorn an der Straße zugewachsen und ihre Praxis verwaist. Wie im Dornröschenschlaf befindet sie sich auf dem Gelände und manchmal fühlt Sarah sich auch mehr als Tierpflegerin als Ärztin. Doch dafür hatte sie nicht fünfeinhalb Jahre die Uni besucht. Doch es ist wie es ist und an Tagen wie diesen wusste sie, wozu es gut war. Heute kann sie endlich mal wieder zeigen, dass sie eine sehr gute Tierärztin ist. Der Traktor erreicht
sie. “Hallo Sarah.” grüßt Michael vom Sitz aus. “Wo magst du das Pferd hin haben?” “Hi Michael. Danke, dass du dich erbarmt hast!” begrüßt sie ihren Nachbarn. Der junge Landwirt tippt sich an die Hutkrempe. Ein verschmitzt Grinsen stiehlt sich, wie bei jedem ihrer zusammentreffen, auf sein Gesicht. “Kannst du ihn direkt zum Stalleingang fahren?” Michael nickt und schlägt das Lenkrad ein. Der Tierarzt parkt seinen Wagen
vor der geschlossenen Praxis und steigt aus. “Guten Tag, Frau Mitchell.” Sarah geht auf ihn zu und gibt ihm die Hand. “Hallo, Herr Grabowski.” “Da haben Sie sich einen ganz schönen Brocken aufgeladen. Der Wallach ist ziemlich mitgenommen.” “Nichts, was ich nicht wieder hinbekommen werde.” entgegnet Sie selbstbewusst. Der ältere Mann lächelt freundlich. “Da bin ich mir sicher. Falls Sie aber doch bei der OP Hilfe benötigen, sagen Sie es nur!” Dieses Angebot nimmt sie nur allzu
gern an. Zwar geht ihr Dörthe dann und wann bei der ärztlichen Versorgung zur Hand, doch eine ausgebildete Tierarzthelferin war sie, als Schneiderin, nicht gerade. Ihre Stärken liegen ganz klar im häuslichen und definitiv im musischen Bereich. Gemeinsam folgten sie dem Traktor. Es war ein gutes Stück Arbeit, das Tier zunächst einmal von dem Anhänger zu bekommen und ihn anschließend in seine neue Box zu führen. Das Rohrstück hatte Frank bereits entfernt und die Wunde verbunden. Scheinbar hatte zudem
das linke Vorderbein des Wallachs etwas abbekommen. Mit Sarahs mobilem Röntgengerät stellten sie eine leichte Fraktur fest. Diese muss gerichtet und fixiert werden. Zu zweit war die Operation ganz gut zu schaffen. Dauerte aber lange und war recht kräftezehrend, sodass Sarah fix und fertig war, als sie Frank Grabowski verabschiedet. Der Einfachheit halber schlurft sie direkt durch den Garteneingang ins Haus. Dörthe zuliebe, die regelmäßig im Dreieck springt, wenn sie mit verschmutzter Kleidung ihr frisch geputztes Wohnzimmer verunreinigt, schlüpft
sie aus ihren Gummistiefeln und lässt sie draußen stehen. Auf Strümpfen huscht sie durch das riesige Zimmer, den Flur entlang bis in die gemütliche Wohnküche. “Da bist du ja, Kind.” grüßt Dörthe, dreht, die Pfanne in der Hand haltend sich zu ihr um und reißt entsetzt die Augen auf. “Wie siehst du denn aus?” Irritiert sieht Sarah an sich herunter. “Ich hab' die Stiefel doch … Ach das. Das ist Blut.” entgegnet sie achselzuckend. “Das sehe ich.” pikiert kräuselt Dörthe die Lippen. “Ich bin fix und fertig, Dörthe. Das
war eine Arbeit, sage ich dir.” Entkräftet lässt sich die Jüngere auf einen Stuhl fallen. “Kind, könntest du bitte …” Doch ohne auf den Einwurf ihrer Nenntante einzugehen, plaudert Sarah weiter, “Der Wallach weißt du. Von heute Morgen. Der war doch schwerer verletzt als zunächst angenommen. Eine Oberschenkelfraktur der rechten Hinterhand. Grabowski und ich haben ihn gerade operiert.” “Sarah, ich möchte …” versucht Dörthe erneut ein Gespräch zu beginnen. Doch Sarah lässt einer ihrer weniger guten Eigenschaften
freien Lauf und plappert munter weiter. “Aber er wird schon wieder. Keine Sorge. Ich habe uns nicht noch einen Pflegefall ins Haus geholt.” Lachend wirft sie ihr langes Haar zurück. “Apropos Pflegefall. Wie lief's denn mit dem Lackaffen?” endet sie und sieht Dörthe abwartend entgegen. “Was?” “Na der Steuerfutzi? War er zufrieden oder hatte er viel herumzumeckern?” “Sarah …” Dörthe's Blick huscht hin und her. Doch ihre Nichte war noch nicht
fertig. “Wie der rumgelaufen ist. Dieser Anzug. Die auffällige blaue Karre. Was denkt er, wer er ist, ein Rennfahrer? Sein affiges Getue.” Lachend schlägt sie sich die Hand vor den Mund. “Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als er mit seinen tollen Designerschuhen in den Matsch getrampelt ist.” “Kind, bitte!” “Was denn? Sicher wurde der schon mit einem Stock im Arsch geboren.” “Sarah!” Dörthe hasste es, wenn Sarah sich vulgär ausdrückte. Ergeben hebt diese beide Hände. “Ich weiß, ich weiß, du magst es nicht, wenn ich fluche. Aber du
musst zugeben, dass er furchtbar war! Obwohl …” Sie verstummt, ihr Blick schweift in die Ferne. “ … irgendwie sah er gar nicht aus wie der typische Steuerprüfer.” “Ach nein?” war da plötzlich eine männliche Stimme hinter ihr zu vernehmen. Erschrocken springt Sarah auf. “Was … was tun Sie denn noch hier?” Ihr Kopf ruckt zu Dörthe herum. “Warum hast du mir nicht gesagt, dass der noch da ist?” Dörthe verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich an den Herd. “Kind, ich habe die ganze Zeit versucht dir zu sagen, dass Herr Odenberg hinter dir
steht.” “W-was?” entsetzt weiten sich Sarahs Augen. “Aber du lässt, wenn du dich erst einmal in Fahrt geredet hast, niemanden zu Wort kommen. Ich habe dir gesagt, das wird dir irgendwann …” Ergeben hebt Dörthe die Schultern. “Ja, ja, ich weiß schon.” unterbricht sie ihre Tante murmelnd. Zerknirscht, wendet sie sich wieder dem Gast zu. “Ähm …” Entsetzt gleitet sein Blick an ihrem Körper herab. “Haben Sie den Eber umgebracht? Eine ziemlich drastische Reaktion, nur weil das
Tier entlaufen war.” meint er dunkel und sieht ihr ins Gesicht. Verwirrt entgegnet sie, “Was?” “Das Blut.” Mit einer Hand deutet er auf ihre Körpermitte. “Ach, das?” Erleichtert folgt ihr Blick dem seinen. “Das ist nicht von Karlchen. Der hat, dank Ihnen, bis morgen Gnadenfrist.” “Dann haben Sie also ein anderes Tier umgebracht?” Thomas Odenberg lehnt sich lässig an den Türrahmen. Was fällt dem Kerl ein? Wie redet der denn mit ihr? “Nein.” entgegnet sie spitz. Alles an diesem Mann brachte sie auf die Palme. “Im Gegenteil.” Kämpferisch
schiebt sie das Kinn vor und funkelt ihn wütend an. “Ich habe eines gerettet.” “So so.” Dieses selbstgefällige Grinsen. Nun war es aber genug. “Was machen Sie eigentlich noch hier?” wiederholt sie ihre Frage. Statt ihm, antwortet Dörthe, “Ich habe Herrn Odenberg zum Abendessen eingeladen.” “Du hast was?” keucht Sarah und starrt sie an. “Na ja, ich dachte …” “Herr Odenberg …” Sarah betont den Namen extra deutlich. “ … wollte doch nur meine Buchhaltung
durchsehen und dann gleich wieder verschwinden. Also?” Sie dreht sich wieder zu ihm um. “Wie weit sind Sie?” “Wie weit ich bin, will sie wissen.” echot er verächtlich lachend. Er macht ein abfälliges Geräusch. “Ihre sogenannte Buchhaltung, ist das mieseste, was mir je untergekommen ist. Praktisch ist sie gar keine. Sie ist weniger als Nichts. Es wird Tage, wenn nicht sogar Wochen dauern, sich da durchzukämpfen.” Perplex klappt ihr Mund auf. So hatte noch nie jemand gewagt, mit ihr zu sprechen. Diese
Dreistigkeit. “Wissen Sie überhaupt, was eine Lohnsteuerbescheinigung ist? Kennen Sie ihre Pflichten? Ich habe so viele Fragen …” stichelt er. Wort für Wort war er näher an Sie herangetreten. Wobei Sarah unwillkürlich zuruckweicht. Dörthe sieht dies als ihr Stichwort an. “Genau deswegen dachte ich, dass es gut wäre, wenn Herr Odenberg noch etwas länger bleibt.” “Länger?” echot Sarah verständnislos. “Ich kann mir auch Schöneres vorstellen.” brummt Thomas und
sieht dunkel auf sie herunter. Damit betritt er eindeutig ihre Komfortzone. “Ja, sicher.” zischt Sarah und macht einen weiteren Schritt rückwärts. “Einkaufen, zur Kosmetik gehen, mit dem Sportwagen herumprotzen, Frauen beeindrucken …” “Ach, Sie sind der Meinung, dass ich Frauen mit meiner Erscheinung beeindrucke?” Irrte sie sich, oder zeigt sich da ein winziges Lächeln auf seinen Lippen? “Ich, ähm … äh …” “So sprachlos habe ich dich ja noch nie gesehen.” lacht Dörthe und wendet sich wieder ihren Töpfen
und Pfannen zu. “Wären Sie dann jetzt bereit …” “Bereit wofür?” fährt Sarah ihn an. Misstrauisch runzelte sie die Stirn. “Um meine Fragen zu beantworten?” antwortet er böse lächelnd. “Ach so. Ähm … ja, gleich. Ich würde nur gern vorher …” Ihre Hand deutet auf ihre Mitte. “Natürlich. Ich warte in der Bibliothek.” “Gut.” Damit lässt sie beide einfach stehen und entflieht der Küche. In der Bibliothek also. Dort hat er sich
breitgemacht. Wenig später betritt Sarah frisch geduscht und noch mit feuchtem Haar die hauseigene Bibliothek. Thomas Odenberg sitzt, Unterlagen studierend, an einem der Tische. Weitere Briefe, Akten, Kassenbons und Rechnungen liegen in rauen Mengen auf der Tischplatte. Sie bläst die Backen auf, als sie das Chaos überblickt. “Ja, so habe ich auch reagiert.” bestätigt er und bedeutet ihr mit der Hand sich zu ihm zu setzen. “Ich bin … Sie haben ja recht, Buchhaltung, gehört nicht gerade
zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.” gibt sie zerknirscht zu uns setzt sich ihm gegenüber. “Das sehe ich. Hm.” Sein Blick wandert über den Papierberg. “Was ich nicht verstehe …” beginnt er leise und sieht ihr direkt in die Augen. “ … Wie können Sie überleben? Wie halten Sie das Ganze hier …” Seine Hand beschreibt eine ausholende Geste. “ … am Laufen? Das Haus ist tipptopp in Schuss. Das Dach ist recht neu eingedeckt, hat mir Ihre Tante verraten. Ebenso, wie sie mir sagte, dass sie keine regelmäßigen
Einkünfte haben. Verstehen Sie mich nicht falsch, Frau Mitchell, ich bin nur neugierig. All diese Tiere. Futterkosten. Und so. Wovon bezahlen Sie das alles?” “Wir kommen klar.” blafft sie ihn an. “Das sehe ich. Aber die Frage ist doch, wie. Wovon bezahlen Sie ihre Fixkosten?” Sie schweigt. “Gut. Wie Sie wollen.” Er zieht eine Akte zurate. “Hier steht, sie hätten hier einmal eine Tierarztpraxis betrieben, den Betrieb jedoch rasch wieder aufgegeben.” Abwartend sieht er sie
an. “Was denn? Das stimmt. Es lief nicht und da habe ich wieder aufgehört. Von relativ rasch kann jedoch keine Rede sein. Beinahe zwei Jahre habe ich durchgehalten.” “Aber die Praxis ist voll eingerichtet. Sie ist sauber und ich hatte den Eindruck, sie könne jederzeit … benutzt werden.” “Kann sie auch.” “Verstehe. Und warum arbeiten Sie dann nicht als Tierärztin?” Ein Achselzucken kommt zur Antwort. “Frau Mitchell, bitte, ich möchte es
doch nur verstehen …” Sarah herrscht ihn über den Tisch hinweg an, “Sie mich verstehen? Von wegen. Sie wollen nur herumschnüffeln und schauen, wo Sie mir Geld abluchsen können.” “Frau Mitchell, ich bitte Sie.” “Sie können bitten, solange Sie wollen. Von mir dürfen Sie keine Kooperationsbereitschaft erwarten. Sie haben doch alles. Machen Sie ihre Arbeit, Herr Odenberg!” “Sie haben ein völlig verschobenes Bild meiner Tätigkeiten.” Sie zuckt die Schultern. Trotzig verschränkt er seinerseits die Arme vor der Brust und sieht
sie herausfordernd an. Schweigen macht sich breit. Schließlich gibt Sarah nach und gestattet ihm einen kleinen Einblick. “Sie haben recht, ich habe keine regelmäßigen Einkünfte. Nur ab und an einmal, wenn doch mal jemand mit seinem kranken Tier herkommt.” “Also ist die Tierarztpraxis doch der Öffentlichkeit zugänglich?” ”Natürlich ist sie das. Nur will keiner zu mir kommen.” Eben sagten Sie noch, dass eben das ab und an doch passiert.” “Sagen Sie mal, hören Sie überhaupt zu?” blafft sie. “Ab und
an mal.” Den letzten Satz betont sie extra für den offensichtlich geistig eingeschränkten Mann. “Nur, wenn Frank Grabowski, ein anderer Tierarzt, im Urlaub ist oder so. Meist werde ich mit Naturalien bezahlt.” Sein Blick wandelt sich von Entsetzen, zu Angewidert sein, bis hin zu Neugier. “Nicht das was Sie denken.” weist sie ihn in die Schranken. “Eier, Schinken, Tankfüllung. Haushaltshilfe. Das meinte ich.” “Haben Sie die Haushaltshilfe angemeldet?” “Was?” kreischt Sarah. “Ich habe
doch gerade gesagt, dass mir solch eine Tätigkeit oft als Gefälligkeit angeboten wird.” “Immer eine Sache der Auslegung. Wenn Sie hier jemanden schwarz beschäftigen, muss ich das melden.” “Oh Gott, Ihnen ist wirklich nicht mehr zu helfen.” stöhnt sie und fährt sich mit den Händen durch das Haar. “Ich mach' nur Spaß.” erklärt er lächelnd und sieht sie an. Für den Bruchteil eines Augenblicks sieht sie ihn in einem anderen Licht. “Seltsamer Humor. Das kann ich nach so einem Tag echt nicht gebrauchen.” seufzt sie und streicht
sich das Haar mit beiden Händen zurück. Er steht auf, schlendert um den Tisch herum und sieht aus dem Fenster. “Sie haben sich hier viel aufgeladen. All die Arbeit und sie sind nur zu zweit.” “Allein.” stellt Sarah richtig. “Wie meinen?” “Ich mache sie allein. Dörthe bestellt das Haus. Sie kauft ein, kocht und … und so.” “Verstehe.” “Das ist ja was ganz Neues” denkt sie für sich. “Um so erstaunlicher, dass Sie das alles
schaffen.” “Ich bin eine Kämpfernatur.” murmelt sie. “Sicher.” Schweigen macht sich breit. “Können Sie es mir nun erklären?” bricht er dieses nach etwa eine Minute. “Was? Dem Weg nach Hause? Immer die Einfahrt runter, dann links und ab der Bundesstraße ist Berlin ausgeschildert.” Thomas tut so als würde er lachen. “Sehr witzig. Nein, ich meinte meine Fragen. Wie können Sie allein, ohne Einkünfte, das alles stemmen? Sind Sie reich oder
sowas?” “Klar, meine Mutter ist die heimliche Schwester von King Charles.” “Ach, ist das so? Interessant.” entgegnet er sarkastisch. “Ja, meine Apanage beläuft sich auf 10.000 Pfund Sterling im Monat. Aber das darf niemand wissen.” entgegnet sie trocken und besiegt sich ihre Fingernägel. Energisch zieht er den Stuhl neben ihr unter dem Tisch hervor und setzt sich. “Können wir jetzt endlich mal ernsthaft miteinander reden?” Nun war es an ihm, sich genervt mit der Hand die Frisur zu
ruinieren. Belustigt registriert sie, wie es ihm nun sexy in die Stirn fällt. An diesem Fensterplatz fällt das Sonnenlicht direkt auf ihn, umfängt ihn wie einen Heiligenschein und lässt sein braunes Haar in schier unendlichen Facetten glänzen. Fasziniert starrt sie ihn an. Erst jetzt bemerkt sie seine jadegrünen Augen, die vollen Lippen, den Bartschatten. Alles an diesem Mann war sexy. Zumindest sagte ihr Herz das und geriet sofort ins stolpern. "Hey Körper, könntest du dich bitte weniger wie eine untervögelte Jungfrau aufführen!" mahnt sie sich in
Gedanken. “Hallo?” holt seine tiefe Stimme sie aus ihren Grübeleien. Oh Gott! Hoffentlich hatte sie nicht gesabbert. Wie peinlich, so beim starren ertappt zu werden. Hoffentlich würde ihn das nicht auf falsche Gedanken kommen lassen. Um keinen Preis möchte sie, dass er länger als nötig in ihrem Haus bleibt. Und genau deswegen wird sie Zugeständnisse machen müssen. Nur so wird sie seine berufliche Neugier stillen und ihn schnell loswerden können. Diesen nervigen, selbstgefälligen, arroganten sexy
Großstädter. Genervt fährt sie ihn an. “Also gut. Ja, ich beziehe keine regelmäßigen Einkünfte. Zumindest keine Löhne oder so etwas.” Thomas horcht auf. Förmlich kann sie seine gespitzten Ohren sehen. “Ich habe geerbt. Dieses Anwesen zum Beispiel. Und ich bekomme Geld. Unter anderem von meinen Eltern.” “Okay. Und das genügt, um Ihre Fixkosten zu bestreiten?” “Offensichtlich.” “Gut. Und um wie viel Geld sprechen wir?” “Mensch, ich frage Sie doch auch
nicht, wie Sie solch ein Auto finanzieren können.” Ihre Hand deutet in Richtung Fenster unter dem, auf dem Vorplatz, noch immer der blaue Audi dieser Nervensäge steht. So langsam verlässt sie die Kraft für diese Art Gespräch. Nicht heute. Nicht mit ihm. “Das tut hier nichts zur Sache.” entgegnet er ruhig. “Aber wenn Sie es unbedingt wissen möchten. Ich würde Ihnen antworten, durch Fleiß.” Was bildet der sich ein? Wütend springt sie auf. “Wollen Sie sagen, ich sei nicht fleißig weswegen ich mir auch nur solch einen
klapprigen Jeep leisten kann?” “Was?” keucht er und springt seinerseits ebenfalls auf. “Was wissen Sie denn schon von mir?” ruft sie wütend. “Ja, das ist es doch gerade. Nichts.” “Ja, genau.” “Dann also bitte. Verdammt nochmal. Ich hab' auch keinen Bock hier zu sein.” schreit er. “Dann geh doch!” “Würde ich auch am liebsten.” “Da ist die Tür.” Ihre Hand deutet auf genanntes. Ein sarkastisches Lachen kommt zur Antwort. “Ich bin nicht dafür bekannt leichtfertig aufzugeben.
Sie haben mich an der Backe, bis ich mich da durch gearbeitet habe.” Seine große Hand deutet auf den Papier er auf dem Tisch. “Dann will ich Sie nicht aufhalten. Um so schneller bin ich Sie los. Guten Tag!” Als sie sich an ihm vorbeischieben will, hält er sie am Oberarm fest. “Sarah, bitte.” flüstert er mit einem Mal vollkommen ruhig. Ihrer beiden Blicke liegen auf seiner Hand. Rasch windet sie sich aus seinem Griff und läuft zur Tür. “Sorry, aber ich hab' keinen Bock mehr.” “Sarah.” hört sie ihn noch rufen,
ehe sie die Tür hinter sich zuschlägt. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Was war nur mit dieser Frau los? So eine Furie war ihm noch nie untergekommen. Auch solch eine Schlamperei hatte er in seiner bisherigen Laufbahn noch nie gesehen. Wie sie es schaffte, da den Durchblick zu behalten, war ihm
schleierhaft. Kopfschüttelnd widmet er sich erneut den Unterlagen. Doch nach wenigen Minuten gibt er auf. “Das ist unmöglich.” schimpft er leise vor sich hin. Ohne ihre Mitarbeit würde er Wochen benötigen. Erst recht, wenn ihre Einkünfte von privaten Geldgebern kommen. Diese Frau trägt ein Geheimnis mit sich herum und er würde nicht eher Ruhe geben, ehe er es gelüftet hat. Vorhin hatte er von dieser Tante einen echt guten Kaffee bekommen. Genau so einen brauchte er jetzt noch einmal. Vielleicht hatte sie
sogar noch ein weiteres Stück Kuchen übrig? Denn, auch wenn man es ihm nicht ansieht, für Süßigkeiten schlägt sein Herz. Langsam schlendert Thomas die obere Galerie entlang. Ein riesiges dunkles Gemälde im Goldrahmen bedeckt beinahe die gesamte Fläche der Wand. Um zu erfassen, was er dort betrachtet, fehlt ihm der künstlerische Blick. Doch der dunkle Parkettboden, die hellen Sandsteinsäulen, die uralten hölzernen Flügeltüren dagegen sprechen ihn sehr wohl an. Das ganze Gutshaus strahlt eine urige Gemütlichkeit aus. Klar, hier
und dort blättert mal die blaue Farbe von den Türen oder eine Säule hat einen kleinen Schmiss, doch alles hat seinen Charme. Kaum hatte er vorhin das Haus zum ersten Mal betreten, umfing ihn sogleich ein heimeliges zu Hause Gefühl. Diese Dörthe, als Hausherrin, macht das Bild rund. Eine gemütliche, freundliche, ältere Dame. Doch ihre Nichte … Ein seltsames Geräusch dringt an sein Ohr. Sind das Pfoten auf Steinboden? Neugierig beugt er sich leicht über das hölzerne Geländer und späht in die Tiefe. Am Fuß der Treppe humpelt ein mittelgroßer
Hund über den Fliesenboden und sieht zu ihm auf. Kaum treffen sich ihre Blicke, beginnt sein Schwanz wie verrückt hin und her zu wedeln. “Na, wer bist du denn?” murmelt er freundlich und beginnt den Abstieg. Aus den Augenwinkeln sieht er erneut die zahlreichen gerahmten Kinderzeichnungen an der Wand. Kinder hat er hier keine Entdecken können. Auch keine Anzeichen, die auf einen gelegentlichen Aufenthalt solcher hinweisen. Unten umrundet das Tier seine Beine wieder und wieder. Sein freudiges Bellen hallt in dem
gemütlichen Eingangsbereich mit der hohen Decke wieder. Doch niemand kommt, um nachzusehen, weshalb das Tier sich so aufführt. “Ja, ich freue mich auch dich kennenzulernen.” flüstert Thomas und geht in die Hocke, um ihn zu streicheln. Ganz entgegen seiner sonstigen Abneigung gegen Tiere aller Art regt dieses in ihm etwas an. Vielleicht ist das dem Umstand geschuldet, dass er auf drei, statt vier Beinen durchs Leben humpelt. “Was ist denn mit dir geschehen?” “Wuff.” antwortet der kleine Kerl. “Hast es wohl nicht leicht, was?” Wieder antwortet der
Hund. “Hier hast du es gut, oder? Zu euch Tieren ist sie sicherlich netter.” Der Hund legt den Kopf schief und sieht ihn an. Wuff. Das klang ganz so, als würde er fragen, “Wovon redest du? Sarah ist doch die liebste Frau auf Erden.” “Ja, zu euch Tieren vielleicht. Mich scheint sie nicht zu mögen.” Der Rüde leckt ihm die Hand. Grinsend wischt er den Speichel an seiner Hose ab. “Du meinst, das wird schon? Da bin ich nicht sicher.” Langsam kommt er auf die Füße. Der Hund humpelt voran. Mit einem
Lächeln auf den Lippen folgt Thomas ihm. In der Küche können sie beide etwas erschnorren. Nachdem Dörthe dem Tier ein getrocknetes Schweineohr und Thomas einen Kaffee eingeschenkt hat, setzt sie sich zu ihm an den Tisch. “Komisch, so habe ich Rudi noch nie gesehen.” “Wie?” Er nimmt einen Schluck. “Na ja, der lässt nicht einmal Sarah so nah an sich ran.” “Nicht?” Die ältere Dame schüttelt den Kopf. “Seit über drei Jahren ist er jetzt schon bei uns und noch nie haben wir ihn so … fröhlich
gesehen.” “Ach, das ist doch quatsch. Er scheint doch ein lustiges Kerlchen zu sein.” “Vielleicht war er das mal? Früher. Vor seinem Unfall.” “Unfall? Sie meinen bei dem er sein Bein …” “Stimmt. Er wurde wohl ausgesetzt. Auf einer Autobahnraststätte.” Wut flammt in ihm auf. Warum tun Menschen so etwas? Er selbst war nie der große Tierfreund, doch so etwas tut man keinem anderen Lebewesen an. “Wie furchtbar!” “Es kommt noch
dicker.” “Wie?” “Er konnte sich aus dem Halsband befreien, lief auf die Fahrbahn und …” “Oh Gott! Sagen Sie nicht, er wurde …” “Doch. Überfahren. Er war so schwer verletzt, dass das eine hintere Bein nicht mehr gerettet werden konnte.” “Sarah hat ihn gefunden?” Dörthe Lehmann nickt. “So ist es. Die Leute, vor deren Auto der Hund gerannt war, sind mit ihr bekannt und haben sie
angerufen.” “Verstehe.” “Sie hat alles gegeben, doch das Bein konnte niemand mehr retten.” “Wie traurig für ihn.” “Das dachte ich bisher auch. Rudi hat es uns spüren lassen.” “Was meinen Sie?” “Die Wut um den Verlust seines Beines.” “Aber Sarah hat doch alles getan …” “Jetzt haben Sie sie schon zwei Mal beim Vornamen genannt.” “Was? Wen?” Statt einer Antwort lächelt die ältere geheimnisvoll. Verwirrt fährt er fort. ”Er ist zu mir
gekommen.” “Offensichtlich. Sonst verkriecht er sich irgendwo draußen. Kommt nur zum Fressen mal mit den anderen Hunden zusammen.” “Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Gerade wirkt er eher als sei der freundlich und verspielt. Der kleine Kerl. " “Tja, Herr Odenberg, Sie scheinen ein gutes Händchen für Hunde zu haben.” Lachend winkt er ab. “Sicher nicht. Ich kann nicht gut mit Tieren. Das konnte ich noch nie.” “Sie hatten wohl nie einen eigenen
Hund?” Er schüttelt den Kopf. “Auch keine Katze, Kaninchen oder Wellensittich?” Erneutes Kopfschütteln. “Meine Eltern hatten eine Landwirtschaft. Oder haben sie noch immer.” “Ist nicht wahr.” staunt sein Gegenüber. “Doch. Leider.” Betreten sieht er auf seine gefalteten Hände auf der Tischplatte. “Ich konnte damit nie etwas anfangen. Bin so bald es ging von da weg.” “Wirklich? Erzählen Sie!” Erwartungsvoll stützt sie das Kinn in die Hände und sieht ihn
an. Und Thomas erzählt von seiner Kindheit auf dem Gut seiner Eltern im tiefsten Erzgebirge. Seine Abneigung gegen alles Bäuerliche, Dörfliche und seine Flucht, kaum 18 geworden in die Stadt. Seines Jura Studiums und der Arbeit. Wie sehr sie ihn erfüllte und sich auch finanziell auszahlt. Auf ihre Frage, ob ihn das alles glücklich machte, antwortete er wie aus der Pistole geschossen 'ja'. “Wirklich? Ich habe noch nie jemanden getroffen, den ein solch oberflächliches Leben glücklich macht.” murmelt sie
gedankenverloren. “Oberflächlich?” staunt er. “Nun ja, Sie sind allein. Haben nicht einmal ein Haustier. Niemand ist am Abend zu Hause, wenn Sie heimkommen. Niemand da, der auf Sie wartet. Mit dem Sie reden können.” “Wer sagt, dass da niemand sei?” echauffiert er sich halbherzig. “Sie haben niemanden erwähnt. Nur, wofür Sie ihr Geld ausgeben. Ich habe den Eindruck, dass Ihr Auto an erster Stelle steht.” Ihr durchdringender Blick geht ihm durch Mark und Bein. “Ist das nicht traurig?” Damit
erhebt sie sich und wendet sich ab. Getroffen bleibt er zurück. War das wirklich so traurig? Bisher ging es ihm gut damit. Natürlich ergriff ihn ab und an eine gewisse Melancholie, wenn Kollegen von ihren Familien erzählten. Wenn sie berichteten, wie ihre Kinder die ersten Worte gesprochen, wenn sie den ersten Schultag hatten. Auch bei Gesprächen über Partnerinnen konnte er kaum mitreden. Frauen, die bisher sein Leben gekreuzt haben, hatten jedes Mal andere Vorstellungen von einer Beziehung. Sie wünschten sich, eine Familie zu gründen. Erwarteten einen Antrag.
Von einem Mann in seinem Alter setzt man einfach voraus, ebensolche Wünsche zu haben. Im Nachhinein weiß er gar nicht, warum er einer Fremden das alles erzählt hat, aber irgendetwas hat Dörthe Lehmann an sich, dass ihn alle Hemmungen fallen lässt. Sie hat Ähnlichkeit mit seiner Großmutter, die er als Junge stets vergöttert hatte. Vielleicht ist es das? “Ich bräuchte für das Abendessen noch ein paar Kräuter.” unterbricht Dörthe seine Gedanken. “Ist gut.” Eilfertig springt er auf. Rudi ebenso. Wie ein übereifriger
Soldat steht er seinem Leutnant beiseite. “Wo ist Ihr Vorratsschrank?” Lachend erwidert Dörthe. “Mein Vorratsschrank heißt Garten.” Sie reicht ihm eine Schere. “Draußen.” Ihr Kopf nickt in Richtung Fenster. “Oh … okay.” stammelt Thomas. “Was brauchen Sie denn?” “Petersilie, Schnittlauch, etwas Maggikraut. Für einen Laien wie Sie, ist das, denke ich, zu schaffen.” Damit schiebt sie ihn aus der Küche. Überrumpelt verlässt er das Haus. Dicht gefolgt von Rüde Rudi. Draußen sieht Thomas sich um. Zielsicher geht er hinüber zum
umzäunten Garten. Sicherlich verstecken sich hier irgendwo die gewünschten Kräuter.
“Kannst du mir sagen, ob wir richtig sind?” fragt er den Hund und dieser antwortet, wie nicht anders zu erwarten war, mit “Wuff.”
“Okay. Wir schaffen das.” lacht Thomas.
Tatsächlich fand er die richtigen Kräuter. Nicht ohne einen gewissen Eigenstolz bringt er diese in die Küche. Rudi im Schlepptau. Der Hund wich ihm tatsächlich keinen Augenblick mehr von der Seite. Frau Lehmann schien es für eines der neuen Weltwunder zu halten, so begeistert wie sie ihre Nichte die Neuigkeit entgegen schmettert als diese zum Abendessen das Speisezimmer betritt. Argwöhnisch fliegt Sarahs Blick von ihrer Tante, zu Thomas und anschließend zu Rudi, der schwanzwedelnd und
hechelnd direkt neben seinem Stuhl sitzt und hechelnd zu ihm aufschaut. “Eigentlich mag ich es ja nicht, wenn Hunde bei Tisch sitzen.” Man sieht es ihr an, dass ihr das komplett gegen den Strich geht. Ehe er etwas Schlagfertiges antworten kann, fährt Dörthe dazwischen, “Na dann ist es ja gut, dass Rudi nicht am Tisch sitzt, sondern nur darunter.” “Ha ha.” macht ihre Nichte und nimmt Thomas gegenüber platz. “Und Sie. Immer noch da?” “Wie gesagt, ich habe Thomas eingeladen.” antwortet ein weiteres
Mal Dörthe. Thomas schaut breit lächelnd zu ihr herüber. “Wie nett.” ätzt Sarah und macht ein Gesicht, als wäre es ihr angenehmer in einer Badewanne mit Säure zu steigen. “Finde ich auch.” gibt er frech grinsend zurück. “Seit wann ist das …” Ihr aufgestellter Daumen deutet hinüber zum einzigen Mann in der Runde. “ … da, Thomas?” “Seit dem wir uns unterhalten haben. Gut, wie ich finde. Oder, was meinen Sie, Thomas?” Dieser zuckt die
Achseln. “Siehst du.” lacht die alte Dame. “Wir haben uns angefreundet.” Ihr Lachen ist ansteckend und Sarah kommt nicht umhin, milde zu lächeln. Das Essen, ein wunderbares Gulasch mit Klößen und Rotkraut, wurde dann doch ganz entspannt. Sarah unterließ es Thomas anzufeinden und Rudis Bemühungen, die Aufmerksamkeit und das eine oder andere Leckerchen zu ergattern, lockerte die Stimmung auf. “Ich darf mich dann verabschieden.” verkündet Thomas
nach dem Essen und steht auf. Höflich nimmt er sich seinen Teller, samt Besteck und Wasserglas auf, um das Geschirr in die Küche zu tragen. “Schau mal einer an.” lobt Dörthe. “Ein Gentleman wie aus dem Bilderbuch.” “Oder ein Schleimscheißer wie aus eben jenem.” war Sarah abfälliges Kommentar. “Der will doch nur lieb Kind machen, damit wir nicht meckern, wenn er morgen gleich wieder auf der Matte steht.” Thomas Magen zieht sich zusammen. Er hatte gehofft, während des Essens Fortschritte
gemacht zu haben. Doch der Waffenstillstand wahr scheinbar vorüber. Giftig kontert er, “So wichtig sind Sie auch nicht, Frau Mitchell. Am Wochenende habe ich besseres vor.” Sarah macht ein abfälliges Geräusch und sieht demonstrativ in eine andere Richtung. Wie sie will. Dann würde er sich eben nur von Frau Lehmann verabschieden. Und von Rudi. Selbstverständlich humpelt er ihnen ebenfalls hinterher. Beide begleiten ihn zur Haustür. Dörthe reicht ihm freundlich die Hand. “Sie müssen bitte
entschuldigen, Thomas, Sarah ist … sie ist etwas schwierig.” Was sie nicht sagt. “Ist schon gut.” beschwichtigt er sie freundlich und zieht die Autoschlüssel aus der Hosentasche. “Sie hatte es nicht so leicht … hier in Deutschland. Ihre Pläne haben sich nicht erfüllt.” “Das muss ich gar nicht wissen, Frau Lehmann. Es geht mich ja auch gar nichts an.” Langsam geht er in die Hocke, um sich auch von seinem neuen Hundefreund zu verabschieden. Dieser winselt, als würde er wissen, dass sich ihre Wege gleich trennen werden,
herzzerreißend. “Ich komme ja wieder.” murmelt er an das Hundeohr. “Mir ist es aber wichtig, dass Sie wissen, warum sie sich so verhält.” erklärt Dörthe. Er schweigt abwartend. “Sie wurde herb enttäuscht und musste zudem mit einem … einer Familiensache fertig werden.” Nun war er zwar auch nicht schlauer als zuvor, aber seis drum. “Ist schon gut.” Thomas kommt wieder auf die Füße. Rudi umrundet in einem fort ihre Beine. Sie atmet tief durch. “Jedenfalls finde ich es schön, dass wir uns
wiedersehen!” Er kann sich zwar besseres vorstellen, als ein weiteres Mal seinem Wagen und sich selbst den Strapazen des Landes zuzumuten, doch er schenkt ihr ein strahlendes Lächeln. “Einen schönen Abend Ihnen noch, Frau Lehmann. Ich komme Dienstag wieder.” “Ist gut. Fahren Sie vorsichtig!” “Tue ich immer.” verspricht er und wendet sich zum Gehen. Rudi bellt sehnsüchtig. “Mach's gut, Rudi. Ich komme ja wieder.” verspricht er lachend. Dörthe zieht ihn am Halsband zurück und schließt die
Tür. Kaum im Auto atmet Thomas ein paar Mal tief ein und aus. War das ein Tag. Sowas braucht er wirklich nicht täglich. Diese Frau … Er startet den Motor und sofort erfüllt ihn eine Ruhe, die ihn nur erfüllt, wenn er ganz für sich sein kann. Mittlerweile war es stockfinster. Nur schemenhaft war die Ausfahrt noch zu erkennen. Warum gab es eigentlich auf dem Land nirgends eine Straßenlaterne? Fuhren die Bauerntrampel nie nachts mit dem Wagen herum? Ohne in der Dunkelheit ein Tier angefahren oder in den
Straßengraben gerutscht zu sein, erreicht er die Landstraße, biegt nach links in Richtung Greiffenberg und fährt, die leere Straße ausnutzend, mit 80 km/h auf die Ortschaft zu. Wenn er sich beeilte, schaffte er es noch rechtzeitig zurück nach Berlin, ehe sein Lieblingspub schließt. Den durchgestandenen Ärger des heutigen Tages musste er irgendwie loswerden. Zunächst einmal reichte es, seinen Sportwagen auf Touren zu bringen. Den bulligen Motor zu hören. Wie im Rausch drückte er das Gaspedal beinahe bis zum Anschlag durch. Diese Frau brachte
ihn zur Weißglut. Was hatte er ihr getan, dass sie dermaßen aufmüpfig, wild und wütend ihm gegenüber ist? Dieses Verhalten war ein so vollkommen anderes als er es von Frauen gewohnt war. Diese Sarah Mitchell gibt ihm Rätsel auf. Sie stellt mit ihrer Art ein Problem dar. Man kann viel über ihn sagen, aber nicht, dass er vor Problemen davonläuft. Mit einer wie Sarah Mitchell würde er auch noch fertigwerden. Doch seltsamerweise leidet In ihrer Nähe seine Konzentration. Konzentrationsverlust führt zu Verzögerungen, Verzögerungen
bringen Ärger und er ist kein Mann, der Ärger hat. Wie eine Raubkatze gleitet sein Audi V10 über den Asphalt. Er liebt dieses Auto. Es verkörpert alles für ihn, was er in seinem bisherigen Leben erreicht hat. Er, der einstige Junge vom Land, hat nicht nur ein glänzendes Abitur abgelegt, das Jurastudium mit magna cum laude abgeschlossen und eine beachtliche Kariere im Finanzamt hingelegt. Nein, auch seine Kompetenz, mit Geld umzugehen, trägt zu seinem erhabenen Zufriedenheitsgefühl bei. Diese Eigenschaft hat ihm nicht nur eine kleine, aber schöne
Eigentumswohnung in Charlottenburg beschert, sondern auch ermöglicht, einen Audi Sportwagen für knappe 150.000 Euro sein Eigen zu nennen. Zu alledem ist er ungebunden. Was will ein Mann mehr? Thomas erreicht das Ortseingangsschild. Rasch sieht er sich um. Keine Menschenseele zu sehen. Die Geschwindigkeit nur leicht vermindert hat er das Dorf bereits zur Hälfte durchquert, als es plötzlich einen höllischen Schlag gibt. Dann geschieht vieles auf einmal. Das Lenkrad wird ihm entrissen und alle Airbags im
Innern explodieren. Thomas Kopf ruckt heftig zur Seite und kollediert mit dem Seitenairbag. Der Wagen kippt etwas nach rechts. Funken sprühen außen am Wagen. Es kracht und quietscht. Hektisch tritt er auf die Bremse. Mit Unterstützung des ABS kommt der Wagen schlingernd zum Stehen. Was war das? Heftig atmend umklammert er krampfhaft das Lenkrad und starrt hinaus in die Dunkelheit. Mit zitternden Beinen entsteigt Thomas dem Wagen und entfernt sich ein paar Schritte. Sollte er es wagen? Langsam, wie in Zeitlupe, dreht er sich um und
besieht sich das Inferno. Der Audi, sein geliebtes Baby, liegt zerschrammt und irgendwie schräg auf der Fahrbahn. Das rechte Vorderrad fehlt gänzlich, ebenso wie die halbe Schürze. Thomas schreit, “Scheiße! So ein verdammter Mist!” Seine Stimme hallt laut von den Häuserfassaden wider. Wenn der Lärm niemanden auf den Plan gerufen hat, dann wird es sein Getobe jetzt ganz sicher tun. Wütend rauft Thomas sich die Haare. Tritt näher, legt die Hand tröstend auf das lauwarme Blech der Motorhaube. Er könnte heulen. In einiger Entfernung sieht
er Trümmerteile auf der Straße liegen. Ausgerechnet vor der wohl einzigen Straßenlaterne des Ortes musste er einen Unfall bauen. Aber was war geschehen? “Da hat sich wohl ein neues Opfer unseres Schlaglochs gefunden.” bringt eine männliche Stimme die Antwort aufs Tapet. “Was?” keuchend dreht er sich zu dem Sprecher um. Ein rundlicher Mann im altmodischen Jogginganzug tritt näher. Mithilfe einer Taschenlampe besiegt er sich den Schaden. “Ja, ja, schöne Scheiße.” murmelt er und klopft auf das
Blech. “Schöne Scheiße nennen Sie das?” echauffiert Thomas sich. “Ich nenne das eine Katastrophe.” Der Andere zuckt die Achseln. “Jibt schlimmeres. Bei der Geschwindigkeit hätte es Sie auch aufs Dach legen können. Dann wär'n se sicherlich nich so glimpflich wegjekomm.” Da hatte er recht, doch einsehen wollte Thomas das jetzt nicht. “Dann hätte ich es wenigstens hinter mir.” Der Fremde legt ihm seine Pranke auf die Schulter. “Komm schon, Junge. So schlimm is es
nich.” Für Thomas war es ein Totalschaden. Irreparabel. Eine Katastrophe. “Wie … wie soll ich denn jetzt nach Hause kommen?” stammelte er leise und legt, als würde er beim Verstecke spielen mit zählen dran sein, Arme und Kopf auf das Wagendach. Tränen rollen ihm über die Wangen. “Und wie soll ich ihn mitnehmen?” Seine Hand streichelt das Wagendach des Schrotthaufens, der bis vor wenigen Minuten noch sein ganzer Stolz gewesen war. “Komm schon Junge. Dat wird schon
wieder. Heute Nacht kannst ja bei mir schlafen.” “Danke.” schnieft Thomas. “Und mein Wagen?” “Der bleibt, wo er is. Um den kümmert sich morjen Dirk.” Thomas wendet sich um, wischt sich verlegen mit dem Handrücken über die Augen. “Dirk?” “Na unser Automechaniker.” erklärt der andere als wäre das doch selbstverständlich. “Und ick bin der Hermann.” Thomas nickt, obwohl er keine große Hoffnung hat, dass da noch was zu retten ist. “Thomas Odenberg.” stellt er sich selbst
vor. “Komm Junge!” Folgsam begleitet er den Fremden zum nächst besten Haus. “Haste dat Schild nich jesehn?” Er schüttelt den Kopf. “Schild?” “Nu ja, dit, was uf dat Schlachloch hinweist.” Mist! “Nee, hab' ich nicht. Scheiße!” “Dat kannste laut sajen.” lacht der andere. “Wenn's dir nen Trost is, du bist nich der Erste, der da drin seine Karre schrottet.” “Sch-schrottet?” stammelt Thomas fassungslos. Sie betreten das Haus durch eine schmale Seitentür. Der
laufende Fernseher ist die einzige Lichtquelle, als sie gemeinsam das Wohnzimmer betreten. “Jep. Setz dich!” Der Jüngere folgt und versinkt in eine alte DDR Garnitur. Bei eingeschaltetem Deckenlicht hantiert Herrmann etwas an seiner Anbauwand herum. Öffnet eine Tür, schließt sie wieder. “Was hast de denn hier jewollt?” Der alte Mann reicht ihm ein kleines, gefülltes Schnapsglas. “Danke.” Artig trinkt Thomas es in einem Zug. “Arbeit. Ich bin Finanzbeamter und war bei Sarah … ähm … beim
Gnadenhof.” “Ah klar, de kleene Sarah.” Lächelnd setzt sich Herrmann ihm gegenüber in den Sessel. “Klein?” “Na ja, sie ist doch nen junger Hüpfer, die Kleene.” Thomas ist verwirrt. Warum wird eine gestandene Frau wie Sarah Mitchell als grünes Gemüse angesehen? Kein Wunder, dass sie mit ihrer Praxis keinen Fuß in die Türen der Leute bekam. “Sie ist sehr … nett.” Aufmerksam mustert ihn der Ältere. “Hm. Sehr nett. Jans schön
dickköpfig.” “Wem sagen Sie das.” murmelt Thomas. “Hattest wohl och keen Glück bei der?” lacht er. “Nee.” “Ja, ja, die kleene ist ein harter Brocken. Aber wenn man hinter die Fassade kiekt, dann is se ne jans liebe.” “Ach wirklich?” Der andere nickt. “Mir macht se och viel ärger. Aber sie is eben ene von uns.” “Hm.” “Ick bin der hießige Metzger, musste wissen. Mir hat se schon det
ein oder andre Vieh unterm Messer weggekooft.” “Wirklich?” Der Andere nickt ernsthaft. “Sie liebt die Viecher. Rettet ens nach dem andren. Dat macht se sicher, bis ihr die Bude aus allen Nähten platzt.” “Sicher.” grinst Thomas. “Und?” “Was und?” “Hatten se Erfolg?” will Hermann grinsend wissen. “Erfolg?” echot er verständnislos. “Womit?” “Ach, is schon jut.” lacht sein Helfer. “Und, wo willste die Nacht
verbring?” “W-wie? Was meinen Sie?” “Na, wo willste pennen? Bei mir oder bei der Kleenen?” So langsam wird ihm der Mann unheimlich. Thomas dünkt, dass er irgendetwas nicht mitbekommt. Wer war das kleinere Übel? Die Aussicht auf mehr Platz, um sich aus dem Weg zu gehen, gibt schlussendlich den Ausschlag, sich für das Gutshaus zu entscheiden. “Ich werde zurück nach Gut Greiffenberg gehen.” verkündet er tapfer. “Jut. Aber, wennste dahin laufen willst, biste ne Weile unterwegs. Ik
fahr dir kurz.” “Danke.” murmelt Thomas. Keine halbe Stunde später sucht er erneut an diesem Tag nach einer Klingel an der Haustür des Gutshauses. In der oberen Etage, wo sich die Privaträume der Frauen befinden, brennt noch Licht. “Hallo.” ruft er laut in die Dunkelheit hinein. Warten. Irgendwo im Haus bellt ein Hund. Ein paar andere draußen tun es ihm nach. Erneut, “Hallo. Frau Lehmann. Frau Mitchell.” Wieder warten. Da öffnet sich ein Fenster im ersten
Stock. “Wer ist da?” Sarah Mitchell's blonder Haarschopf beugt sich aus dem Fensterrahmen. “Ich bin's, Thomas Odenberg.” “Och nee, was wollen Sie denn hier? Wissen Sie nicht, wie spät es ist?” “So gegen Mitternacht?” mutmaßt er. “Aber keine Sorge, ich bin kein Gespenst.” sucht er mit einem Scherz die Stimmung aufzulockern. “Die wären mir lieber gewesen.” kontert sie trocken. Vielleicht hoffte sie, dass er es nicht hat hören können. “Was wollen Sie?” “Ich … ich hatte einen Unfall.” Beim Gedanken an seinen Wagen, der
einsam und verlassen im Dorf steht, zieht sich sein Magen unangenehm zusammen. Schweigend wartet sie auf weitere Ausführungen. “Ich bin in ein Schlagloch gefahren und habe mir meinen Wagen …” “Jetzt sagen Sie bloß, ihr geliebter Schlitten ist kaputt?” Freute sie sein Unfall etwa? “Ja, leider. Ich komme hier nicht weg.” “Und was wollen Sie da bei uns?” “Na ja, ich … ich dachte …” druckst er herum. “Wer ist denn da?” ist eine weitere Stimme zu vernehmen. Dörthe war
aufgewacht und schaute nun ebenfalls aus einem der Fenster. “Thomas, sind Sie das?” “Ja, ich bin es. Ich …” “Er hatte einen Unfall und sucht jetzt Obdach.” vollendet Sarah für ihn den Satz. “Oje, wie furchtbar!” Wenigstens tat er einer von ihnen leid. “Selbstverständlich können Sie bei uns bleiben. Sarah …” Sie wendet sich an ihre Nichte. “Geh hinunter und lass ihn herein! Das Herrenzimmer dürfte doch das richtige für ihn sein, nicht wahr?” “Och nee.” protestiert die Nichte. “Muss ich
wirklich?” “Ja.” “Ja, bitte.” rufen Dörthe und Thomas unisono. Sarahs Fenster schließt sich ohne ein weiteres Wort. Kurz darauf flammt Licht im Treppenhaus auf und gleich danach wird die Haustür von innen aufgerissen. In neckischer, süßer Shorty Nachtwäsche steht die Blondine vor ihm. Das lange Haar fällt ihr offen über die schmalen Schultern. Das Oberteil ist nur bis zur Brust hin zugeknöpft. Sofort wird sein Blick von ihrer nackten Haut magnetisch angezogen. Unangenehm berührt
fasst sie den Stoff am Hals zusammen und bedeutet ihn mit der freien Hand einzutreten. “Vielen Dank.” murmelt er betreten. Schweigend folgt er ihr ins Innere. Das charakteristische Geräusch von drei Hundepfoten nähert sich und schon wird er von Rudi umrundet. “Dass wir uns so schnell wiedersehen, hättest du wohl nicht gedacht, was Rudi?” lacht er und sieht zu Sarah auf. Die steht mit vor der Brust verschränkten Armen neben ihnen und sieht düster auf ihn herunter. “Wenigstens ist einer über mein
Auftauchen erfreut.” murmelt er kess während er auf die Füße kommt und sie herausfordernd ansieht. “Dörthe freut sich ebenso.” kontert sie trocken. “Falls Sie sie auch zum Dank kraulen wollen, ihr Zimmer befindet sich oben.” Mit dem aufgestellten Daumen deutet sie in Richtung Zimmerdecke. “Danke.” entgegnet er belustigt. “Aber ich ziehe es vor, die Nacht allein zu verbringen.” “Gut zu wissen.” Damit dreht sie auf den nackten Ballen um und geht voran. Grinsend folgt Thomas ihr die Treppe hinauf. Rudi bleibt
traurig winselnd am unteren Treppenende stehen und sieht ihnen sehnsüchtig hinterher. “Gute Nacht, Rudi.” ruft Thomas. “Wuff.” “Hier.” blafft Sarah und stupst in der Mitte eines Ganges eine Tür auf. Neugierig, wie das Zimmer aussieht, welches man zu ihm passend befunden hat, schiebt er sich an ihr vorbei ins Innere. Dabei streift sein Oberarm ihre Brust. Scharf zieht sie die Luft ein. Er tut, als hätte er es nicht bemerkt und sieht sich um. Der dunkelrot getünchte Raum ist mit dunklen Echtholzmöbeln gemütlich
eingerichtet. Ein riesiges Baldachin loses Himmelbett dominiert den Raum. “Sehr hübsch.” lobt Thomas ehrlich. “Hier lässt es sich aushalten.” Zwar steht der Biedermeierstil dem modernen zu Hause bei sich im krassen Gegensatz, doch es gefällt ihm hier. “Da bin ich aber froh. Gute Nacht dem Herrn.” Damit lässt sie ihn einfach stehen und knallt die Tür zu. Kopfschüttelnd geht er zum Fenster hinüber. Durch den zarten Spitzenstoff kann er auf den Vorplatz blicken. Eben gerade noch
hat er selbst dort gestanden. Das bedeutet, dass die Zimmer der Frauen sich auf demselben Flur befinden. Vielleicht wohnt er ja Wand an Wand mit Sarah? Durch eine schmale Verbindungstür gelangt man in ein schmales Badezimmer. Auch dieses ist äußerst geschmackvoll eingerichtet. Zudem ist alles in einem Tipptopp sauberen Zustand. Also entweder erwarten die beiden Frauen jederzeit Gäste oder sie leben nur extrem vorausschauend. Er würde das beim Frühstück am nächsten Morgen einmal zur Sprache bringen. Falls es im Gutshaus noch
weitere derart geschmackvoll eingerichtete Zimmer gibt, wundert es Thomas, dass sie noch nie auf den Gedanken gekommen sind, eine Pension zu eröffnen. Platz genug gäbe es ja. Aus Mangel an Kosmetikartikeln beschließt er sich nur etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen und den Mund einmal kräftig auszuspülen. Das würde reichen müssen. Seine Verwunderung steigerte sich noch, als er jetzt neben der Tür im Badezimmer in einem Regal fein säuberlich aufgestellt alles findet, was er benötigt. In einem glänzenden Wasserglas steht eine
folierte Zahnbürste, nebst Zahncreme. Außerdem verschiedene Seifenstücke in beschrifteten Holzschalen. Dusche, Shampoo, Conditioner liest er. “Unfassbar!” staunt Thomas und nimmt das Duschstück in die Hand. Vorsichtig schnuppert er daran. Ein herber Zitrusduft steigt ihm in die Nase. Nachdem er geduscht und Zähne geputzt hat liegt er wach im Bett und starrt die Decke an. Was würde nun werden? Ob dieser Dirk überhaupt am Samstag arbeitet? Ob er seinen Wagen überhaupt würde reparieren können? Für ihn als
Laien sah es ganz schön nach Totalschaden aus. Wie sollte er das seiner Mutter verklickern? Scheiße, seine Mutter. Wie vom Blitz getroffen fährt er aus dem Bett, greift sich sein Smartphone vom Nachttisch und sieht auf das Display. 2 Uhr 21 Minuten. Zu dieser unchristlichen Zeit brauchte er nicht bei seinen Eltern anzurufen. Das würde bis zum Morgen warten müssen. Er wusste schon, was seine Mutter sagen wird, “Das ist nur passiert, weil du immer so rasen musst. Wärst du doch bloß bei uns
geblieben.” Nach der obligatorischen Standpauke, in der sie ihm versichert, wie schlecht das Großstadtleben für einen alleinstehenden Mann ist, wird sie ihm erklären, wie enttäuscht sie ist. Weil er, aufgrund seiner Rücksichtslosigkeit, nun die Geburtstagsfeier von Opa Friedrich verpasst. Genervt fährt er sich mit der Hand durch das Haar. Jedes Jahr dieselbe Leier. Nur mit dem Unterschied, dass er sich diesmal, getrieben von Schuldgefühlen, doch hinter das Steuer klemmt, um nach Schwarzbach zu
fahren. Müde legt er sich wieder ins Bett, doch einschlafen konnte er noch immer nicht. Gerade als er sich sein Handy erneut nehmen will, um Musik zu hören, erklingt leise von nebenan eine Melodie. Konzentriert lauscht Thomas und erkennt 'Take on me'. Genau sein Musikgeschmack. So etwas Ähnliches hätte er sich ebenfalls angemacht. Hört dort Sarah ebenfalls gern Musik zum Einschlafen? Lächelnd legt er sich wieder hin, verschränkt die Arme unter dem Kopf und lauscht mit geschlossenen Augen der Musik. Mit
dem Bild von einer aufgrund der tropischen Hitze halbnackten Sarah vor seinem inneren Auge schläft er schließlich doch ein.
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“Guten Morgen.” ruft er fröhlich, als er zu ihnen in die Küche stolziert kommt. “Guten Morgen, Thomas.” erwidert Dörthe fröhlich. “Wir hoffen, Sie haben gut geschlafen!” “Du hoffst das vielleicht.” denkt Sarah. “Und ob. Vielen Dank.” antwortet der Typ grinsend und nimmt ungefragt Platz an ihrem Tisch. “Das Zimmer ist sehr schön und das Bett erst.” “Ja, nicht wahr?” freut Dörthe sich. “Meine Schwester hat hier wirklich
ein Kleinod geschaffen.” “Ihre Schwester?” Dörthe wirkt ertappt, nickt aber. “Ähm … ja, Hedda. Sie hat hier mit ihrem Mann gelebt und auch gearbeitet.” “Ich denke nicht, dass Herr Odenberg unsere Familiengeschichte etwas angeht.” fährt Sarah dazwischen und sieht ihre Tante scharf an. Diese schluckt und nickt. “Ja, da könntest du recht haben.” Irritiert runzelt Thomas die Stirn. “Ich möchte Sie auf keinen Fall zur Indiskretion verleiten.” “Ach, ist schon gut. Haben Sie
Hunger?” Den hatte er tatsächlich. Dörthe schaufelt seinen Teller voll mit Rührei und Speck. Dazu reicht sie ihm eine Schale mit frisch geernteten Gemüse aus ihrem Garten. “Sie bewirtet ihn, als wär' er hier Gast.” denkt Sarah wütend. “Herr Odenberg.” fügt sie laut hinzu. Er blick sie kauend an. “Kann ich Sie nachher ins Dorf fahren? Sie wollen doch sicher Ihr Auto reparieren lassen und nach Hause fahren?” Auf 'nach Hause' legt sie besondere Betonung. Er nickt und verzieht den Mund zu
einem Lächeln. Eine Stunde später sitzen sie gemeinsam in Sarah altem Jeep. Auf den zerschlissenen Sitzpolstern wirkt Thomas Odenberg mit seinem schnieken Anzug vollkommen fehlplatziert. Das anfängliche Schweigen bricht nach wenigen Minuten er. “Sie haben ein sehr schönes Haus!” “Hm. Ich weiß. Danke.” Konzentriert starrt sie vor sich auf die Straße. “Was ich mich gestern Abend gefragt habe
…” “Hm.” “ … ihre Zimmer sind so geschmackvoll eingerichtet, alles ist sauber und auf Gäste vorbereitet, warum eröffnen Sie nicht eine Pension?” Überrascht starrt sie ihn nun doch an. “Was? Noch mehr Arbeit? Sie spinnen wohl?” Fassungslos über so viel Naivität schüttelt sie den Kopf. “Seien Sie doch nicht gleich böse. Ich meine ja nur. Sie haben die Möglichkeiten. Personal zur Hilfe ließe sich doch sicher finden. Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen genau nach so etwas
suchen.” “Nach der romantisch stilisierten Landidylle?” “Nach Ruhe, Entspannung, Entschleunigung.” stellt er klar. Sie macht ein abfälliges Geräusch. Nicht zum ersten Mal in seiner Gegenwart. “Im Ernst. Sie könnten richtig was daraus machen. Geld verdienen.” “Damit ich mir auch solch ein überteuerten Luxusschlitten wie den Ihren leisten kann.” “Ihre Prioritäten liegen sicher woanders.” meint er nüchtern. “Aber ganz sicher tun sie das.” brummt sie und sieht
weg. “Nein, ich meine, damit Sie genügend Futter für ihre Tiere, den Strom und anderes haben.” “Meine Tiere müssen nicht hungern.” blafft sie ihn an. “Das wollte ich auch gar nicht sagen.” “Dann halten Sie doch einfach die Klappe!” Ihre Stimme wird mit jedem Wort lauter. Doch er kann auch laut werden. “Was hab' ich Ihnen eigentlich getan?” Überrascht, dass dieser straighte Typ so ausrasten kann, dreht sie den Kopf und sieht ihm direkt in
die Augen. “Mensch, sehen Sie doch auf die Straße.” ruft er wütend und will ihr schon ins Lenkrad greifen. “Stopp! Niemand tatscht meinen Wagen an.” schreit sie. Ergeben hebt er beide Hände und entgegnet, “Entschuldigung. Ich wollte nur nicht auch noch Bekanntschaft mit dem Traktor da schließen.” Sein Kinn deutet auf die große Landmaschine auf der Gegenfahrbahn. “Schon gut.” faucht sie. “Aber merken Sie sich das, niemand fasst mein Auto an.” Provokant legt er die linke Hand
auf die Ablage vor ihnen. “Vorsicht!” wart sie dunkel. Er zieht die Hand weg, um sie gleich darauf auf dem Schaltknüppel zwischen ihnen abzulegen. Mit dem Ellbogen boxt sie ihm in die Seite. Mit schmerzhaft verzogenen Gesicht reibt er sich die Hüfte. “Autsch. Was sollte das?” “Ich hatte Sie gewarnt.” Mit einem rasanten Schlenker lenkt sie den Wagen an den Straßenrand. “So, wir sind da.” Gemeinsam steigen sie aus. Sarah hat direkt hinter dem mittlerweile mit einem Warndreieck
abgesperrten Audi geparkt. Ihr Mund klappt auf. “Oh, sieht übel aus.” urteilt sie und sieht zu ihm. “Da können Sie ja froh sein, nicht verletzt worden zu sein.” “Das hat mir schonmal jemand gesagt.” murmelt Thomas und umrundet seinen Wagen. “Hm …” Fachmännisch folgt sie ihm. “Ob Dirk das wieder hinbekommt? Ich hab' da so meine Zweifel.” “Sind Sie eigentlich immer so optimistisch?” “Realist nennt man Menschen wie mich.” klärt sie ihn auf und schenkt ihm ein Lächeln. “Gut, ich habe Sie
zu ihrem Auto gebracht. Einen schönen Tag dann noch.” Damit wendet sie sich zum Gehen. “Moment!” hält er sie auf. “Wo wollen Sie denn jetzt hin?” Ihr Daumen deutet hinter sich. “Ich muss einkaufen und dann warten noch meine Tiere auf mich. Die sollen ja, entgegen der lang läufigen Meinung, auf keinen Fall verhungern.” “Ha ha.” macht er trocken. “Sie können mich doch jetzt nicht so einfach stehen lassen.” “Ich halte Sie für einen großen Jungen.” ätzt sie und grinst frech. “Sie schaffen es schon zurück nach
Hause.” Damit steigt sie in den Jeep und fährt davon. Fassungslos steht Thomas da und sieht ihr nach. Im Rückspiegel beobachtet Sarah den schlanken, großgewachsenen Mann, bis sie um eine Kurve verschwindet. Wie hilflos er wirkte. Ob er wirklich nicht weiterweiß? Sicher hatte ihm niemand gesagt, dass Dirk seine KFZ Werkstatt zwei Dörfer weiter hat. Und ein Abschleppdienst hier draußen auch nicht verfügbar ist. Doch es hatte ihr solch ein Vergnügen gemacht, mal über ihm zu stehen. Mehr zu
wissen, als er. Zur Abwechslung mal ihn erniedrigen. Er, der arrogante Großstädter, der keinen Hehl daraus macht, andere wissen zu lassen, dass er finanziell und bedeutend über ihnen steht. Bis nach Günterberg kommt sie, dann lässt das schlechte Gewissen sie den Wagen wenden und zurückfahren. Als Sarah beim Autowrack ankommt, kann sie Thomas nirgends erblicken. Hat er sich zu Fuß aufgemacht, um Hilfe zu suchen? Doch schließlich sieht sie ihn in seinem Auto sitzen. Den Kopf auf
den Unterarm abgelegt, wirkt es, als würde er weinen. Sie hält den Wagen an und hupt. Erschrocken reißt er den Kopf hoch. Erst jetzt sieht sie, dass er telefoniert hat. Er lässt das Smartphone in die Innentasche seines Sakkos verschwinden und öffnet die Tür. “Sie schon wieder?” “Ja, ich schon wieder.” entgegnet sie lax. “Springen Sie rein! Ich fahre Sie zu Dirk.” Erstaunt reißt er die Augen auf, folgt aber und sitzt gleich darauf erneut neben ihr. “Dirk hat seine Werkstatt ein paar Dörfer weiter.” erklärt sie ruhig
und fährt an. “Ach so?” “Hm. Ein wenig weit, um hinzulaufen. Und einen Abschleppdienst gibts hier übrigens auch nicht.” Seine Reaktion abwartend sieht sie ihn an. “Na toll.” speit er verächtlich aus. “Ich weiß schon, warum ich das Stadt,- dem Dorfleben vorziehe.” “So schlimm ist es gar nicht. Angermünde ist ja nicht weit.” “Pha. Angermünde.” brummt er und sieht aus dem Seitenfenster. Schweigend fahren sie bis nach Schönermark. Dort steuert Sarah den Jeep direkt zu Dirks
Werkstatt. Dankbar lächelt Thomas ihr entgegen, als er aussteigt. “Ich warte hier auf Sie.” verkündet Sarah. Verwirrt runzelt er die Stirn. “O-okay. … Danke.” entgegnet er langsam und schlägt die Autotür zu. Während sie wartet, erledigt Sarah einige Anrufe und beantwortet E-Mails. Was sie Thomas nicht verraten hat, sie ist involviert in ein gut funktionierendes Netz aus Tierrettern, anderen Gnadenhöfen, Spendengebern und Adoptionsinteressenten.
Regelmäßig kommen Anfragen, ob sie ein Tier aufnehmen oder abgeben würde. Sarah steht in regen Austausch und bekommt von potenten Spendengebern Zuwendungen. Wenn Thomas das noch nicht herausgefunden hat, wird er das wohl noch. Sie würde jedenfalls ein Teufel tun, ihm das direkt auf die Nase zu binden. Peinlich genug, dass sie auf diese Gelder angewiesen ist. Zu gern würde sie ihr eigenes Geld verdienen. Doch die Praxis wiedereröffnen traut sie sich nicht. Ein zweites Mal steht sie solch eine Schlappe kaum durch. Ihr
Selbstvertrauen hatte damals, vor sechs Jahren, einen mächtigen Dämpfer abbekommen, als all ihre Ersparnisse zusammen mit dem Bastard von Mann abhandengekommen waren. Sarah war blauäugig genug anzunehmen, dass ihr damaliger Lebenspartner, ebenfalls ein Tierarzt, dieselben Ziele verfolgte wie sie. Gemeinsam zogen sie in das Gutshaus, eröffneten die Praxis und teilten Bett und Gut. Bis er irgendwann meinte, einen Kongress in Kanada besuchen zu wollen und nie wieder gesehen ward. Ebenso wie ihr Anteil des Kapitals aus der
Auflösung der Liegenschaften ihres Großvaters. Ihr Erbe. In Luft aufgelöst. Weg. Fern der Heimat ohne familiären Beistand fühlte Sarah sich hilflos und verletzlich. Zum Glück lebte schon damals Dörthe auf dem Gut. Mit ihrem optimistischen Naturell, ihrer hilfsbereiten, freundlichen Art, fing sie Sarah auf. Obwohl nicht wirklich verwandt, fand die junge Britin in der Ferne eine Tante. Die Tür wird aufgerissen und mit einer flüssigen Bewegung besteigt die große Gestalt von Thomas ihren Wagen. “Es wird einige Zeit dauern.” eröffnet er ihr
niedergeschlagen. “O-k-a-y. Und das heißt?” “Ich komme hier nicht weg.” “Ich … ähm … ja, so sieht's wohl aus.” stammelt sie. Beinahe hätte sie ihm angeboten, ihn hinzufahren, wohin er möchte. So weit kommts noch. “Ich bin recht ratlos.” gesteht er und fährt sich mit der Hand durch das Haar. “Ich … ich könnte Sie zu einer Bahnstation fahren.” “Und was bringt mir das?” Er sieht sie herausfordernd an. “Dass Sie nach Hause kommen.” “Und was soll ich in Berlin ohne
Auto machen?” “U-Bahn fahren?” versucht sie vorsichtig einen Vorstoß. “Oder Bus.” Abfällig schnaubt er aus. “Als würde ich in so ein enges Gefährt steigen. Zusammen mit hundert verschwitzten Menschen.” Sie dreht den Zündschlüssel im Schloss. “Nee, stimmt, dafür sind Sie nicht der Typ.” “Wo fahren wir jetzt hin? Setzen Sie mich jetzt in irgendeinem Waldstück aus?” Zur Antwort erntet er ein höhnisches Lachen. “Da wären Sie wirklich am Arsch,
oder?” “Ich bin nicht so blöd, wie ich vielleicht in Ihren Augen aussehe.” “Das haben Sie jetzt gesagt.” Schweigend fahren sie an gelb blühenden Rapsfeldern und saftig grünen Wiesen vorbei. “Was hat Dirk denn genau gesagt?” “Dass es das gesamte Fahrwerk abgerissen hat.” “Schitt!” “Das können Sie laut sagen.” stimmt er ihr zu. “Die Schürze ist ab und der vordere Unterboden aufgerissen. Dazu müssen alle Airbags ausgetauscht werden.” “Und wie lang wird es
dauern?” Mit schief gelegten Kopf wirft er ihr einen skeptischen Blick zu. “Was glauben Sie denn, wie lange es bei diesen Schäden dauert? Dazu kommt, dass er für meinen Wagen so schnell keine Ersatzteile heran bekommt.” “Tja, da lob' ich mir meinen alten Jeep.” liebevoll klopft sie auf das Armaturenbrett. “Er ist zwar nen Ami, aber den fahren sehr viele hier.” “Schön für Sie.” brummt er, verschränkt die Arme und starrt aus dem Fenster. “Hey, Sie müssen nicht gleich
wieder eingeschnappt sein. Ich hab' ja nur gemeint …” “Ich weiß schon. Danke sehr.” erwidert er, ohne den Kopf zu drehen. Dann eben nicht. Die restliche Fahrt hängen beide ihren Gedanken nach und erreichen schweigend den Hof. “Rudi wird sich freuen, dass Sie so schnell wieder da sind.” meint Sarah freundlich, um die Stimmung aufzulockern und steigt aus dem Auto. “Hm.” Er folgt ihr. “Dörthe sicher auch. Irgendwie scheinen Sie bei ihr einen Stein im
Brett zu haben.” “Ich bin halt freundlich.” “Ach so.” Unschlüssig stehen sie sich gegenüber und sehen sich an. “Tja, also … “ “Ich … also, was machen wir denn jetzt?” “Ich muss die Tiere versorgen.” Ein Hauch von einem Lächeln erhellt sein Gesicht. “Ich meinte, mit mir. Kennen Sie eine Pension, wo ich so lange bleiben kann? Zumindest die nächsten Tage.” “Ja.” Abwartend sieht er ihr in die Augen. “Und, verraten Sie mir auch,
wo diese Pension ist?” “Ja.” Es macht Spaß, ihn so zappeln zu lassen. “Ich sage es Ihnen, wenn Sie mir helfen.” “Wobei helfen? Ich sage es Ihnen lieber gleich, ich bin nicht besonders gut im Heimwerken.” “Wer spricht denn vom Heimwerken?” lacht Sarah. “Ich dachte an Stall ausmisten.” Schockiert klappt ihm die Kinnlade herunter. Lachend boxt sie ihm gegen die Schulter. “Sie müssten ihr Gesicht mal sehen. Zum
Schießen.” “Schön, dass ich Sie erheitern konnte.” Sie erstarrt. “Sagen Sie mal, können Sie nicht mal den Stock aus ihrem Arsch ziehen, Herr Odenberg? Seien Sie doch mal locker.” “Ich bin locker.” “Ja, klar.” Sie wendet sich ab. “Kommen Sie!” Sicher war er noch immer skeptisch, ob sie es wirklich ernst meint, folgt ihr aber dennoch in den Stall. Dort angekommen öffnet Sarah einen mit Spinnweben verdreckten Schrank und mustert deren Inhalt. “Die müssten Ihnen
eigentlich passen.” Fröhlich hält sie ein paar olivgrüne Gummistiefel in die Höhe. Fassungslos stammelt er. “Die soll ich anziehen?” “Klar. Ihre hübschen italienischen Schuhe überleben den Stallmist sicher nicht.” “Ach, mein Anson's Anzug aber schon?” “Anson's? Noch nie gehört.” entgegnet sie fröhlich. “Ich hätte angenommen, Sie tragen Hugo Boss oder so etwas.” “Tatsächlich habe ich auch ältere Boss Anzüge, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Sie erwarten doch
nicht ernsthaft, dass ich …” “Dass Sie sich in meinem Stall dreckig machen? Doch, genau das. Denn das erwarte ich als Gegenleistung.” “Gegenleistung?” echot er verständnislos. “Für Kost und Logis.” “Wie jetzt?” Seine Verachtung scheint sich in Erstaunen zu wandeln. “Sie meinen, ich kann hier bleiben?” “Jup. Und jetzt kommen Sie mit ins Haus!” Thomas trabt Sarah hinterher ins Haus. Sie gehen in ebenjenes Zimmer, in dem er die letzte Nacht
verbracht hat. Zielstrebig öffnet sie den Bauernschrank neben der Tür. Suchend überfliegt sie die darin enthaltende Kleidung. Fein säuberlich zusammengefaltet liegen hier Jeans, Hemden, Shirts und Pullover. Thomas, der über ihre Schulter ebenfalls in das Schrankinnere blickt, staunt, “Waren die vorhin auch schon darin? Also, Sie überraschen mich immer wieder. Nicht nur, dass Sie fix und fertige Gästezimmer haben, nein, Sie sind zudem noch mit Gästekleidung ausgestattet.” “Die gehören meinem Bruder. Der hat in etwa Ihre Statur.” murmelt
sie und zieht Hose, Langarmshirt heraus. Socken entnimmt sie einer Schublade. Die Kleidung in den Händen haltend mustert sie ihn abschätzend. “Ihre Unterwäsche müssen Sie leider weitertragen. Aber vielleicht stehen Sie ja auch auf 'unten ohne'. Dann könnten Sie die Sachen auch in den Wäscheschacht werfen und Dörthe wäscht sie für Sie.” “Wie bitte? Ähm … danke nein, das wird wohl nicht nötig sein.” murmelt er verlegen. “Wie Sie meinen.” Damit drückt sie ihm die Sachen in die Arme und sieht ihn an. Unschlüssig bleibt er
vor ihr stehen. “Worauf warten Sie?” fragt Sarah frech. Wollen wir doch mal sehen, wie stark verklemmt er ist. “Worauf ich warte?” stammelt er. “Na, umziehen! Zack zack. Die Tiere warten.” “Ich … ich bin nicht sicher, ob …” “Keine Sorge, die Sachen passen sicher.” grinst sie. Ihr Bruder Paul und Thomas Odenberg haben in etwa dieselbe Größe und auch sonst ähneln sie sich. Paul ist ebenso ehrgeizig wie verklemmt. “Na gut.” gibt er nach. “Ich helfe Ihnen. Aber wir wissen doch gar nicht, wie lange ich bleiben
werde.” “Na ich nehme doch an, bis Ihr Chef Sie zurückbeordert.” “Ich habe Urlaub.” “Wie jetzt? Sie haben doch gedroht, am Dienstag wiederzukommen?” “Gedroht?” Er runzelt die Stirn. Ergeben zuckt sie die Schultern. “Ich sagte ja nicht, an welchem Dienstag.” “Sie Arsch!” flucht sie. Muss dann aber doch lachen. “Ich wollte Ihre Tante nicht vor den Kopf stoßen. Und Rudi.” “Ja, Rudi. Ihn zu enttäuschen, wäre unverzeihlich.” “Genau.” stimmt er grinsend zu.
“Wo er doch mich allein in sein Herz geschlossen hat.” “Hm. Da können Sie sich was drauf einbilden.” “Liebe Frau Mitchell, das tue ich auch.” lacht er fröhlich. “Sarah.” “Was?” “Na, mein Name. Lassen Sie das blöde Frau Mitchell weg. Ich bin Sarah.” Lächelnd mustert er sie. “In Ordnung. In dem Fall bin ich für Sie auch Thomas.” Sie reichen sich die Hand. “So, und nun, umziehen!” Abwartend bleibt er
stehen. “Was ist denn noch?” fragt sie hinterlistig. “Ich warte, bis Sie gegangen sind, Sarah.” “Meinen Sie, ich könnte Ihnen was weggucken?” Unauffällig tritt sie näher. “Da gibt es nichts, was ich nicht schon gesehen habe.” Er lässt die Arme sinken, neigt den Kopf und sieht sie durchdringend aus seinen Jadeaugen an. “Meinen Sie?” Sarah schluckt “Ähm … ja, sicher.” haucht sie zu ihm auf. “Wollen Sie es herausfinden?” Was geschieht hier? Das geht Sarah
dann doch etwas zu weit. Sie hat sich wohl in ihm getäuscht, oder er ist ein guter Schauspieler. Von ihrem eben noch vorherrschenden Selbstvertrauen war nichts mehr vorhanden. Rasch macht sie zwei Schritte rückwärts, stößt gegen den geöffneten Kleiderschrank und landet beinahe mit dem Hintern darin. Grinsend sieht er auf sie herunter. “Falls Sie jetzt doch an keiner weiteren Begutachtung interessiert sind, ist es wohl besser, Sie warten draußen.” “J-ja. Genau. Ich warte draußen. Ich meine unten. Im Stall.” stammelt
sie, dreht sich weg und flüchtet beinahe aus dem Raum.
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“Schaffen Sie das?” “Selbstverständlich.” gibt er zurück. Als würde er es nicht schaffen, eine voll beladene Schubkarre zu schieben. Für welch ein Weichei hält sie ihn? “Okay.” Abwartend bleibt sie stehen und sieht ihm auf die Mistgabel gestützt zu. Für ihn als Laien, schien die Karre völlig überladen, dennoch bemüht er sich gewissenhaft die Waage zu halten und schiebt das schwere Gefährt die Stallgasse entlang. Die dämliche schwarz weiße Hofkatze sitzt noch
immer mitten im Weg und hat die Frechheit ihn anzufauchen, als er ihr beinahe über den Schwanz fährt. “Dann hau doch ab!” knurrt er leise und geht weiter. Unbeeindruckt widmet das Tier sich wieder seiner Körperpflege. Draußen schiebt Thomas die Schubkarre mit Schwung über ein Brett den stattlichen Misthaufen hinauf. “Das hat doch gut geklappt.” lobt Sarah, die ihm gefolgt war. “Gern dürfen Sie mir immer helfen, Thomas.” “Vielen Dank auch.” murmelt er und steigt rückwärts den Haufen
hinab. “Im Ernst. Ich bin sehr froh, dass Sie mir helfen!” bedankt Sarah sich ernsthaft. Thomas spürt, wie sein Gesicht warm wird. “Sehr gern.” Lächelnd sieht er auf sie hinunter. Ein Moment peinlicher Stille entsteht. “Ähm … die Klamotten stehen Ihnen gut.” “Danke. Sie sind überraschend bequem.” gibt er zu und zupft an dem Saum des Shirts. “So etwas Legeres tragen Sie sicher nicht jeden Tag.” “Nein.” lacht er. Sarah hebt den Arm. “Sie haben da
…” Er versteht und beugt sich etwas zu ihr herunter. Vorsichtig zieht sie ihm einen Strohhalm aus dem Haar. Stolz zeigt sie ihm den Fund. “Sie passen sich mehr und mehr uns Dörflern an.” scherzt sie und sieht ihm in die Augen. “Ich geb' mir Mühe.” Schweigend sehen sie sich in die Augen. Irgendetwas hatte sich zwischen ihnen verändert. Wo diese Frau ihn gestern noch vor Wut die Wände hochgehen ließ, so anziehend fand er sie heute. Er hatte das Bedürfnis, ihr näherzukommen. Langsam, wie in
Zeitlupe, nähern sich ihre Gesichter. Plötzlich kommt im rasanten Schweinsgalopp Eber Karlchen angerannt. Wie eine Dampframme rauscht er zwischen ihren Beinen hindurch und bringt beide damit zu fall. Sie fallen wie zwei Kegel. Sarah auf den lockeren Kies und Thomas in den stinkenden Mist. Lachend hält Sarah sich den Bauch. “Ich … muss vergessen … haben … den Stall zuzumachen.” presst sie atemlos hervor. Thomas rappelt sich auf, klopft den Dreck etwas von Knie und Hosenboden und reicht ihr galant eine Hand. “Haben Sie sich
wehgetan?” “Und Sie? Sind Sie stark … verschmutzt?” lacht sie neckisch. Er sieht an sich herunter. “Hält sich in Grenzen.” Sie schnuppert demonstrativ. “Eine Wäsche können Sie jetzt schon vertragen.” Er winkt ab. “Das hat Zeit. Ich denke, wir haben noch genug zu tun.” “Stimmt auch wieder. Na gut, dann wollen wir mal. Aber …” Sie hält ihn am Handgelenk zurück. “ … nachher begleiten Sie mich an den See!” “Ein See? Hier in der
Nähe?” “Ja.” Ehe er ihr seine Antwort mitteilen kann, ist sie davon gejagt. Dem Schwein hinterher. “Warten Sie! Ich helfe Ihnen.” ruft Thomas und folgt ihr. Gemeinsam jagen sie den Eber um und unter den alten Bäumen im Gutspark. “Der haut öfter ab, oder?” keucht Thomas. “Eigentlich nicht.” gibt sie atemlos zurück und springt mit einem Satz auf das Tier zu. Daneben. Er versucht sein Glück aus der anderen Richtung. Kalkuliert
nähert er sich dem Eber Stück für Stück, hebt beide Arme, macht sich zum Sprung bereit … Karlchen dreht den Kopf, sieht ihn an, schnaubt und … sprintet los. “Scheiße!” schreit Thomas, der sich schon auf den Fangzähnen des Ebers sitzen sieht, dreht sich um und rennt so schnell er kann vorneweg. Lachend folgt Sarah den beiden. Karlchen jagt nun seinerseits Thomas über die Wiese. Dieser läuft, so schnell es in geliehenen Gummistiefeln möglich ist, zu einer Baumgruppe. “Stopp! Nicht dort hin.” hört er
Sarahs warnende Rufe. Falls sich dort ihre geliebten Blumenrabatten oder ähnliches befinden, konnte er in diesem Moment darauf keine Rücksicht nehmen. Er erreicht die Bäume, passiert diese, rennt weiter. Das Schwein laut grunzend hinterher. Wie war das gleich noch? Schweine sind Allesfresser. Was würde das Tier mit ihm anstellen? Wieder ruft Sarah, “Stopp!” Thomas erreicht einen Schilfgürtel. Stacheliges mannshohes Gras peitscht ihn ins Gesicht und an die Unterarme. “Scheiße!” flucht er erneut. Und schon geschieht es. Die
Ernüchterung kommt, in Form von Wasser, dass ihm in die Stiefel läuft. Ihn in die Tiefe zieht und gleich darauf schwimmt er bäuchlings im Wasser. “Was zur … ?” Karlchen umrundet den Teich bis zu einer von Schilf befreiten Stelle. War ja klar, dass er der einzige Depp ist, der sich vom Schilf die Haut zerkratzen lässt. Aufgeregt läuft der Eber einige Momente noch im Gras auf und ab und sieht ihn aus dunklen Knopfaugen mürrisch an, ehe er sich umdreht und verschwindet. “Sie sagten doch, sie wollen mir
erst noch bei der Arbeit helfen, ehe Sie schwimmen gehen?” scherzt Sarah, die das offene Ufer ebenfalls erreicht hat. “Sehr witzig.” ruft Thomas und wischt sich mit der rechten Hand das Wasser aus dem Gesicht. “Sie dürften stehen können. Der Teich ist nicht sehr tief.” Er probiert es gleich einmal aus und tastet mit mittlerweile nackten Füßen nach dem Grund. Tatsächlich kann er glitschiges Geäst und so etwas wie Sand fühlen. “Stimmt. Ich kann stehen. Oder zumindest …“ Er macht eins zwei Armbewegungen, um sich nach vorn zu schieben. “ …
beinahe.” “Fein!” lobt sie. “Dann nehmen Sie mal ihre Beine in die Hand und machen, dass Sie da rauskommen!” “Was? Wieso?” “Deswegen.” Ihre ausgestreckte Hand deutet auf einen ziemlich schnell herannahenden Schwan. “Mit denen ist nicht gut Kirschen essen. Besonders, wenn sie ihre Brut beschützen.” erklärt die Fachfrau. “Achtung! Da kommt noch einer.” Gehetzt dreht er den Kopf in alle Richtungen. Tatsächlich nähert sich ein weiteres von diesen weißen
Biestern. “Oh, bitte nicht.” jammert er. Was war nur geschehen, dass er seit er hier ist ein Unglück nach dem nächsten durchlebt? Die Tiere scheinen sich abgesprochen zu haben. Umkreisen ihn und ziehen dabei die Kreise immer enger. Panisch reißt Thomas die Augen auf. Er macht ein paar hektische Vorwärtsbewegungen, verheddert sich dabei jedoch mit dem Fuß in einer Art Schlinge und fällt, mit dem Gesicht voran, ins Wasser. Prustend taucht er wieder auf. Wedelt mit den Armen. Irgendetwas hält seinen Fuß fest. Der Schwan
kommt näher und näher. Drohend breitet er die weißen Flügel aus. Den Schnabel bereits weit geöffnet hat er Thomas fast erreicht. Dieser flucht, zieht mit einem kräftigen Ruck seinen Fuß aus der Schlinge und sprintet förmlich an das Ufer. Sarah empfängt ihn mit offenen Armen. Tröstend schlingt sie ihre Arme um seine Mitte. “Sie sind ja völlig nass.” Hinter ihnen schreien ihn die Schwäne wütend zum Teufel. “Was nicht anders zu erwarten ist nach einem Vollbad.” Lachend reibt sie ihm den Rücken. “Stimmt. Geht es Ihnen
gut?” “Geht schon. Aber ich muss schon sagen …” Sein Blick wandert über die Wasseroberfläche. “ … äußerst kampflustige Tiere haben Sie hier, Sarah.” “Tja, wie der Herr so das Gescherr.” Entschuldigend zuckt sie die Schultern. Da sie wirklich nichts für sein neuerliches Missgeschick kann, schenkt er ihr ein Lächeln. Auch, dass sie ihn noch immer in ihren Armen hält, besänftigt ihn. Auch Sarah scheint nun aufzufallen, wie intim sie sich gerade gekommen sind, und tritt einen Schritt
zurück. Kaum, dass ihre Hände seinen Körper verlassen haben vermisst er sie schon. “Kommen Sie, Thomas. Drinnen finden wir sicher trockene Kleidung.” murmelt sie leise. “Gern.” Brav folgt er ihr zum Haus zurück. Karlchen sehen sie in der Ferne am Gatter des Schweinepferchs. “Sehen Sie, den treibt's immer zu seinen Damen zurück.” erklärt Sarah mit Blick auf das Tier. “Eigentlich muss ich mir gar keine Gedanken machen. Und sind's nicht die Mädels, die ihn umkehren lassen, so doch
irgendwann der Hunger. “Das Schweineleben ist so einfach gestrickt.” war das Einzige, was Thomas dazu zu sagen hat. “Ist doch wie bei uns Menschen.” urteilt sie nüchtern. “Wirklich?” “Ja.” Sarah bleibt so abrupt stehen, dass er beinahe in sie hineinläuft. “Es ist doch schön, jemanden an seiner Seite zu wissen, der zu Hause auf einen wartet. Sei's nun mit einer warmen Mahlzeit auf dem Tisch oder einfach nur zum Reden.” “Beides ist wohl schön.” murmelt er zustimmend. “Warum sagen Sie das so, als wäre
ihnen das völlig unbekannt? Sind Sie Single?” “Was? Ich … “ Ertappt starrt er sie an. “ … ja, ich bin frei.” Überrascht runzelt sie die Stirn. “Ich meine ungebunden.” beeilt er sich richtigzustellen. Sie mustert ihn eindringlich. “Verstehe.” “Und Sie? Keiner, der mit Ihnen das Bett teilt?” Mit einem Mal verdunkelt sich ihr Blick. “Nein.” Damit dreht sie sich um und rennt davon. Irritiert bleibt er zurück. Was hatte er denn nun schon wieder falsch gemacht? Das war
doch eine ganz normale Frage. 'Sind Sie Single?' Entweder hat Sarah ein echtes Problem mit ihm oder sie leidet unter Schizophrenie. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Hatte sie zu heftig reagiert? Bauschte sie ein harmloses Thema übertrieben auf? War sie verklemmt? Reflektiert Sarah ihren
soeben hingelegten Abgang. Was er jetzt wohl von ihr denkt? Sicherlich hält er sie für eine überarbeitete, plumpe, alte Jungfer die nichts in ihrem Leben auf die Reihe kriegt. Nicht mal die simple Buchhaltung. Wütend läuft sie ins Haus und knallt, kaum dass sie es erreicht hat, die Tür ihres Schlafzimmers hinter sich zu. Sollen alle sie doch mal gerne haben. “Kind?” klopft es bald darauf zaghaft an ihre Tür. Dörthe hatte ihren Auftritt durchs Fenster beobachtet und sorgte sich jetzt. “Ist alles in Ordnung? Habt ihr euch
gestritten?” Warum fragt sie so etwas? Warum sollten Thomas und sie sich streiten? Sie waren ja nicht einmal befreundet. Mit Fremden streitet man doch nicht. Man hat höchstens eine Meinungsverschiedenheit oder führt eine Diskussion. “Alles okay.” ruft sie zurück. “Darf ich reinkommen?” Nein. “Ja.” Vorsichtig betritt ihre Nenntante den Raum und setzt sich neben Sarah auf die Bettkante. “Ach Kind. Was ist denn geschehen?” “Ach, ich … ich bin eine blöde Kuh,
Dörthe.” Diese lächelt. “Ganz sicher bist du das nicht.” Sarah nickt. “Oh doch. Ich führe mich auf wie eine Furie. Mache aus einer Mücke einen Elefanten und bin unfreundlich.” Liebevoll legt die Ältere ihre runzelige Hand auf die ihre. “So bin ich doch gar nicht. Unfreundlich meine ich. Ich … ich mag niemanden verärgern.” “Das weiß ich doch. Und derjenige, mit dem du dich gezankt hast, weiß das sicher auch.” Sarah schüttelt den Kopf. “Er kennt mich doch gar nicht. Für ihn bin
ich die Zimtziege. Und das von Anfang an.” “Du sprichst von Thomas?” “Ja.” “Nun ja, du warst nicht gerade freundlich. Aber, wenn man bedenkt, was ihn zu uns geführt hat …” “Eben. Er kann doch nichts dafür, dass er so ein verklemmter Finanzheini ist. So ist er eben. Und ich … ich bin von Anfang an … unfreundlich und abweisend.” “Ich nehme an, du bist nicht die erste Person, die ihm kritisch gegenübersteht. Ihm, den
Steuerfahnder.” “Hm.” “Aber da ist noch mehr, oder? Ich frage, weil du damals, als schon einmal einer hier war, nicht so eine … ähm, dich nicht so benommen hast.” Da hatte sie auch schon wieder recht. Thomas Kollege war sie distanziert, aber freundlich gegenüber getreten. “Er ist es.” “Er?” “Ja, Thomas Odenberg.” presst Sarah hervor. “Es ist etwas an ihm, das mich … das mich wahnsinnig werden
lässt.” “Ach wirklich?” erwidert Dörthe mit wissendem Lächeln. Sarah fällt der Unterton nicht auf. “Wie er sich gibt. Wie er aussieht. Immer diese Anzüge.” “Nun ja, er hat keine Wechselkleidung bei sich.” gibt Dörthe zu bedenken. Sarah überhört es und zählt weiter auf. “Überall steckt er seine Nase rein. Und dann das Getue um seinen Wagen. Totalschaden, oje. Kostenexplosion, auweia.” Theatralisch wedeln ihre Hände durch die Luft. “Findest du nicht, dass du etwas zu
hart mit ihm ins Gericht gehst?” Überrascht hält Sarah inne. “Wieso? So ist es doch. Thomas Odenberg ist ein arroganter Wichtigtuer.” “Ich weiß schon. Er ist unerträglich neugierig, wichtigtuerisch, ordnungsliebend, wohlhabend, freundlich, ist dem Landleben gegenüber kritisch und doch so interessiert und bei all dem so charmant.” “Ja, genau. Du sagst es.” stimmt Sarah ihr zu. Moment.
Was? --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Schreib mir was!
FLEURdelaCOEUR Habe jetzt von Thomas' Besuch mit Shirley im Gutshof gelesen. Gefällt mir sehr gut ;-) LG fleur |
FLEURdelaCOEUR Tut mir Leid, Anni, der Gast war ich. Mein WLAN hatte sich zwischendurch verabschiedet. Bitte lösche die überzähligen Kommis, sie waren nicht gewollt. LG fleur |
AnniAusBerlin Hallo Fleur. Alles gut. Ja, ich schreibe noch an dem Buch. Es ist noch nicht beendet. :-) Ein paar Seiten werden es noch. Und leider wird das Buch hier auf diesem Portal immer so ewig lang angezeigt. In echt hat das Manuskript gerade einmal 206 Seiten. :-) Viele Grüße Andrea |
FLEURdelaCOEUR Hallo Anni, obwohl die immens hohe Seitenzahl mich zunächst abgeschreckt hat, habe ich dann dein flott geschriebenes Sommerbuch aus der Uckermark aber doch sehr gern gelesen. Würde mich über eine Fortsetzung der Romanze freuen, zumal ich die Gegend um Angermünde sogar ein wenig kenne ... LG fleur |