Biografien & Erinnerungen
Markus von Bühlow - Blick auf eine Tragödie - Kapitel 2

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"Die Lebensgeschichte eines Mannes mit Parallelen zu realen Ereignissen des 18./19. Jhd."
Veröffentlicht am 18. April 2023, 12 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Die Lebensgeschichte eines Mannes mit Parallelen zu realen Ereignissen des 18./19. Jhd.

Markus von Bühlow - Blick auf eine Tragödie - Kapitel 2

Kapitel 2

Ende des Sommers, in dem Jahr, als ich das Abitur abgelegt hatte, fuhr ich in einer Kutsche also in die Hauptstadt. Die Federung ließ sehr zu wünschen übrig und auch die Sitze waren schon sehr abgewetzt, weshalb die Reise meinem noch jungen Körper doch erstaunlich stark zusetzte. Und wer glaubte, dass ich in einer prunkvollen Stube lebte, der weiß nicht, wie kostspielig das Leben in großen Städten allerorts ist. Ich bewohnte ein kleines Zimmer im Dachgeschoss bei einer befreundeten Familie meiner Mutter. Ich hatte ein Dach über dem Kopf und einen kleinen Kanonenofen, den ich aber nicht nach Belieben beheizen konnte, da meine Vermieter mir das Kohlekontingent nach eigenem Ermessen zur Verfügung stellten. Das Bett war wohl vor einiger Zeit schon

ausrangiert worden und nun freundlicherweise mit einer nicht neuen, aber auch nicht komplett alten Matratze bestückt worden. Ein alter Küchentisch und zwei Stühle nebst einem sehr alten Kleiderschrank und ein Nachttopf vervollständigten mein Inventar. Ich hege bis heute den Verdacht, dass diese Gegenstände schon die ganze Zeit hier oben gestanden hatten und man diese für meine Ankunft lediglich gereinigt hatte und dass die Dachkammer eigentlich eine Abstellkammer gewesen war. Aber ich beschwerte mich nicht. Zur Universität lief ich jeden Tag 20 Minuten zu Fuß je Wegstrecke. Eine Kutsche hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht leisten können. Über die Details meines Studiums will ich den Leser nicht langweilen. Vielleicht habt Ihr die Rechte ja auch studiert und wisst, was dies bedeutet. Wichtig ist an dieser Stelle bloß, dass ich mich im besonderen Maße für das

Staatsrecht interessierte. Professor von Schüssler war einer der bedeutendsten Männer auf diesem Gebiete. Besonders bemüht war er uns hier beizubringen, dass die wichtigste Zelle des Staates das Volk sei. Hierbei bezog er sich auf Gedanken, die große Philosophen vor ihm schon vor einigen Jahrzehnten entwickelt hatten. Was machte diesen Mann also zu so einem bedeutenden Kopf, wollt ihr sicherlich wissen? Er käute nicht allein den Gedanken von der Volkssouveränität wieder, sondern war besonders populär bei der Bestimmung, wer denn das Volk bilden müsse und wie auch unsere vielen kleinen Staaten sich zu einer großen Nation erheben könnten. Gerade letzterer Gedanke war es, der meine Zeit als junger Erwachsener so stark prägte. Überall dort, wo ich fortan meinen Dienst verrichtet hatte, war dieser Gedanke präsent, die Hoffnung eines geeinten Volkes in einem großen Staat. Noch heute, viele Jahre später, da ich diese

Erinnerungen zu Papier bringe, sehe ich diese Hoffnung in den unterschiedlichen Territorien unserer Länder keimen. Doch macht er mir heutzutage mehr Angst, als zu der Zeit, als ich diese Hoffnung selbst aufsog, wie die Luft, die ich atmete. Ich komme jetzt aber zurück zum Begriff des Volkes. Alle Leser mögen mir die folgenden sehr akademischen Ausführungen verzeihen, aber sie sind essenziell für alles Weitere. Volk war für Professor von Schüssler der alles überragende Begriff seiner Lehre. Für ihn war der Staat, wie er es gerne ausdrückte, wie ein lebender Organismus. Dieser konnte aber nur vital sein, wenn das Volk, welches diesen Körper bildete, auch gesund war. Diese Gesundheit konnte aber nur in einem homogenen Volkskörper vorhanden sein. Nur wenn alles zusammen passte, konnte ein überlebensfähiger Staat gebildet werden.

Homogenität bedeutete für ihn eine Gleichheit des Denkens, was auch die Religion einschloss. Für ihn konnte in unseren Breiten nur ein Staat, in dem die Menschen an unseren Heiland Jesus Christus glaubten, ein wahrer Staat sein. Er legte breit dar, dass die Lehren des Neuen Testaments vollständig mit den Gesetzen der Vernunft korrespondierten. Religion müsse sich der Vernunft unterordnen und wenn Sie mit dieser Hand in Hand ging, so konnte es keine Frage geben, dass man sich dem Staate zum Untertan mache, den man als Volk aus der Taufe gehoben habe. Eine solche Problematik entstünde erst dann, wenn man einer Religion anhänge, die den staatsbürgerlichen Pflichten widerspräche, denn dann würde man den Herrscher, den das Volk sich gegeben habe anzweifeln. Und hier waren wir bei dem entscheidenden Punkt seiner Beweisführung angekommen. Es war die jüdische Religion, diejenigen, die Jesus nicht als ihren Heiland

anerkannten und ihn getötet hätten, diese wären die Teile des Körpers, die alles infizierten. Man müsse sie entfernen, entweder durch Vertreibung oder dadurch, dass die Gebildeten unter den Feinden der messianischen Religion zum Christentum konvertierten und durch die Taufe sich von allem jüdischen reinwaschen würden. Zur Bestätigung seiner Gedanken verwies er oft auf Spanien, aus dem man die Juden auch verbannt hatte um so die Reinheit des Blutes zu gewährleisten. Selbst konvertierte Juden, sogenannte Conversos galten gemäß entsprechender Erlasse nicht als Christen. Ich darf hinzufügen, dass er in den Jahren, da ich bei ihm studierte, die Konversion noch als einen möglichen Weg sah, das Jüdische auszutreiben. In späteren Jahren, als die Töne schärfer wurden, war er aber, wie seinerzeit in Spanien, auch dieser Möglichkeit abgeneigt. Für ihn war

nun jeder Tropfen jüdischen Blutes im Volkskörper schädlich und er wünschte, diese hinauszuwerfen, da so schändliche Subjekte niemals wahrlich den Geist des Volkes innehaben könnten, in dem sie lebten. Ein Einschub sei mir noch erlaubt: Es war Fichte, der sich mit seinen Reden an unser Volk wandte, ging ebenfalls davon aus, dass man den Juden schon andere Köpfe aufsetzen müsse, in denen nicht eine jüdische Idee sei, damit diese gleiche Rechte als Bürger haben können, denn die Menschenfeindschaft ihrer Religion würde das gedeihliche Miteinander in allen Staaten der Welt unmöglich machen. War dieser Mann denn der Einzige, der solche Gedanken frei äußerte, wird man sich nun fragen. Keinesfalls! Im Rahmen meines Studiums begann ich mich mit der rechtlichen Stellung von Juden in der Geschichte zu

beschäftigen. Sie galten oft als Fremde und nicht als Gleichgestellte. Sie hatten nicht die gleichen Rechte wie die christlichen Mitmenschen. Doch weit in die Vergangenheit musste ich nicht blicken, denn auch in meiner Zeit fand ich, dass eine rechtliche Gleichstellung keinesfalls gegeben war. Vielmehr gab es begrenzte Rechte sowie Schutz für ein paar herausragende Familien, die wirtschaftlich besonders wichtig waren für den Landesfürsten. Es war die Zeit als man sich darum stritt, ob Juden die gleichen Bürgerrechte haben sollten, wie Christen. In unserem großen Nachbarland hatte man dies bereits vor einigen Jahren bestimmt. Citoyen waren hier auch die Juden. Doch was dachte ich damals, wird man mich bestimmt fragen. Ich muss gestehen, dass ich mich nicht entschied. Ich verhielt mich neutral. Ich verstehe, wenn ich nunmehr Zorn auf beiden

Seiten erwecke. Wie man da einfach kalt wie ein Fisch bleiben kann? Nun, dies liegt wohl in meiner Erziehung begründet. Auch wenn meine Eltern nicht studiert hatten, so waren sie doch herzensgute Menschen gewesen. Und eines hatten sie mich gelehrt: Man sollte nicht vorschnell Partei ergreifen. Lieber sollte man sich zurückhalten und mehr über die Sache lernen. Niemand sollte sich über das erheben, was er bei Kräften leisten konnte. Wenn man sich aber zu früh auf eine Seite schlug konnte es schnell vorkommen, dass man die Zügel aus der Hand geben musste. Woher diese Lebensweisheit herstammte? Aus der Geschichte unserer Familie. Ich will den Leser ja nicht langweilen, deshalb nur der entscheidende Punkt. Immer wieder hatte es Vorfahren gegeben, die sich auf ein ihnen ungewohntes Geschäftsgebiet begaben. Manchmal mit Erfolg, doch zumeist scheiterten die ambitionierten Pläne und richteten wirtschaftlich mehr Schaden

an, als sie Nutzen brachten. Aus den vorgenannten Gründen ließ ich mich nicht vom Hass wider den Juden anstecken, den manche meiner Kommilitonen erfasste oder bereits erfasst hatte. Da war manch hoffnungsvoller Spross, dessen Vater eine Rolle in der Verwaltung des Staates einnahm, der geradezu panisch war von der Angst, dass die Juden, würden sie erst einmal volle Bürgerrechte genießen, alle Christen bei Nacht töten. Die roten Juden, die von ihrem teuflischen Messias dereinst befreit würden, warteten nur auf ebendiesen Moment.

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RogerWright
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