Kapitel 1
Jetzt sitze ich doch an meinem kleinen Schreibtisch und schreibe meine Confessiones, wie es schon vor mir andere große Köpfe getan haben. Aber zu welchem Zwecke, wird sich der Leser fragen. Habt Ihr jemals von Markus von Bühlow, dem Geheimen Rat in einem kleinen Territorium in der Mitte Europas, gehört? Wohl kaum, nehme ich an. Wenn ich aber kein bedeutender Kopf der Geschichte bin, wieso dann überhaupt dieses unbedeutende Leben aufschreiben? Ich verrate es euch, werter Leser. Es geht hier nicht um mich – nein, es geht um ein paar wenigen Menschen, die ich in meinem Leben einst antraf und denen ich verdanke, was ich bin. Diese Menschen zeigen die Zeit, in der ich lebte und die Länder, in denen ich verkehrte. Das will ich darlegen für zukünftige Generationen da heute und wohl auch morgen ein Geist unsere Länder beseelt hat, von dem
ich ausgehe, dass er weiterhin sein böses Gift wird in die Köpfe der Menschen tropfen lassen. Welcher Geist dies ist? Es ist der des Antisemitismus, den sich einige Zeitgenossen stolz auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Zu mir gibt es wenig zu sagen. Zunächst bin ich geboren in einer kleinen Stadt irgendwo im östlichen Zipfel unseres Reiches. Meine Eltern waren Grundbesitzer. Juden war der Erwerb von Grundbesitz zu Zeiten meiner Jugend verboten. Von diesem unseligen Zustand wusste ich freilich nichts. Ebenso wenig wussten wohl einige Besitzer von Grund und Boden, dass das Land, welches sie stolz ihr Eigen nannten, vor vielen hundert Jahren einst jüdischen Eigentümern gehörte, die man vertrieben oder gar niedergeschlachtet hat, und sich so deren Vorfahren das Eigentum erworben hatten. Solcherlei Entdeckungen machte ich erst in späteren Jahren.
In unserer kleinen Stadt gab es ein paar wenige jüdische Familien, die in der Judengasse lebten. Ihre Synagoge, die sich in einem unscheinbaren Wohnhaus befand war äußerlich nicht zu erkennen. Reich waren diese Leute keinesfalls. Einen Kaufmann aus der Judengasse kannte man, jedoch war dieser nicht über die Maßen erfolgreich im Pelzhandel. Es reichte wohl um das Geschäft am Laufen zu halten und die Familie zu ernähren. Es gab keine Handwerker unter ihnen, denn die notwendige Zugehörigkeit zu einer Gilde war ihnen verwehrt. Die anderen Familien schlugen sich so durch. Mit anderen Worten führte nicht eine Person, soweit ich das in der Rückschau erkennen kann, ein Leben in Tadel. Und doch erinnere ich mich, dass ich in der Schenke manchmal Männer an Stammtischen sagen hörte, dass die Juden am Ort ein Ungeziefer seien, das es zu entfernen galt und
dass diese ihr Unglück seien.
Da meine Eltern über bescheidene finanzielle Mittel verfügten, schickten sie mich von der Provinz in die Großstadt, die zugleich die Hauptstadt unseres Landes bildete. Es hatte sich eine neue Universität just in dem Moment gegründet, als man mich gedachte an eine Hochschule zu verschicken. Die Aussicht, dass viele große Köpfe dieser Epoche dieser Institution zuströmten, schien insbesondere für meinen Vater eine reizvolle Sache zu sein. Auch waren er und meine Mutter sich einig darin, dass ein Studium der Rechtswissenschaften im Herzen des politischen Betriebes es mir wohl ermöglichen würde, auch bald Karriere zu machen. Unser Adelstitel derer von Bühlow, der noch aus Zeiten des 30-jährigen Krieges herrührte, konnte dabei ebenfalls nicht hinderlich sein, bei der Fixierung auch heutiger Zeitgenossen hierzulande auf
Titel.