Gestern Abend kam ein Bericht im Fernsehen: Foodsharing feiert 10 jähriges Jubiläum.
Eigentlich eine tolle Idee, Freiwillige sammeln kurz vor Verkaufsschluss in Geschäften, Restaurants und auf Märkten Lebensmittel ein, die nicht mehr gewinnbringend an den Mann oder die Frau gebracht werden können. Die Lebensmittel werden kostenfrei eingesammelt und mit nach Hause genommen oder an Freunde beziehungsweise bedürftige Menschen verteilt. Ebenfalls umsonst.
Da ich das Konzept gut fand, meldete ich mich bei Foodsharing an wurde aktives Mitglied. Doch wie in vielen Organisationen gibt es auch hier eine Hierarchie. Das erste halbe/dreiviertel Jahr konnte ich mir als Neuling die Geschäfte nicht aussuchen, bei denen ich das Essen abholen konnte. Also schickte man mich nur zu den (hier in Berlin zur damaligen Zeit jedenfalls) eher unbeliebten Bäckereien, um Unmengen an Brot, Brötchen und wenn es gut lief auch mal ein süßes Teilchen abzuholen.
Um als Bäcker überleben zu können,
muss er das gesamte Sortiment bis zum Feierabend vorrätig haben. Denn wenn man sich als Kunde einmal eine viertel Stunde vor Ladenschluss entschließt, noch schnell sein Lieblings-Dinkel-Vollkorn-Brötchen mit Mohnstreusel zu besorgen und das ist ausverkauft, dann akzeptiert man das vielleicht noch. Passiert das ein zweites Mal, dann geht der Kunde woanders einkaufen. Dauerhaft, wenn es blöd läuft. Also, sieht man als Bäcker zu, dass es noch in der Auslage liegt. Und zwar frisch, so wie es der Kunde mag. Dementsprechend viel Essen bleibt bei den Bäckereien übrig. Und wer Berlin ein wenig kennt, weiß, dass in jeder dritten Straße
mindestens eine Bäckerei zu finden ist.
Da Brot und Brötchen nun aber nicht so mein Ding sind, schleppte ich die Reste, die nicht gerade wenig waren, nach Hause und verteilte sie in der Umgebung. Zur Freude meiner Nachbarschaft. Für mich selber war das nicht so wirklich was. Ergatterte ich beim Einsammeln wider Erwarten mal ein belegtes Brötchen oder ein süßes Teilchen, so hatte sich der Weg für mich dann auch mal gelohnt.
Da ich aber genügend Zeit hatte und sowieso eine Monatskarte für den Bus besaß, fielen durch die ehrenamtliche
Tätigkeit keine Kosten für mich an. Daher waren die zwei Abende pro Woche für mich ok.
Irgendwann ergatterte ich einen der begehrteren Plätze in einer LP12 Mall of Berlin am Leipziger Platz, dem großen Einkaufszentrum in der Mitte von Berlin. Dort gibt es in der zweiten Etage eine Reihe von Lebensmittelständen, die ihr zubereitetes Essen anbieten. Von italienisch über vietnamesisch, typisch bayerisch oder griechisch bis hin zu speziellen kleinen Shops für Eis, Cookies, Sandwiches, Sushi und Smoothies etc.
Da das Angebot so mannigfaltig war, fielen natürlich auch hier entsprechend viele „Reste“ an Essen an, das bis zum Schluss noch verkauft wurde, also weder abgelaufen war, noch irgendwelche Makel vorwies. Trotzdem wäre alles Übriggebliebene in den Müll gewandert. Anders als bei Bäckereien gab es hier doch einiges, das auch mir mundete. Und nicht nur mir. Deshalb waren diese Abholplätze auch so begehrt.
Die Abholung erfolgte jeden Tag, an denen auch die Mall geöffnet war. Auch wenn an jedem Stand nur 2 oder 3
„Reste“ bereitlagen, so war es für einen Foodsharer zu viel. In der Regel trafen sich 4 Freiwillige mit ihren Taschen und Tupperdosen vor dem Einkaufszentrum, sammelten alles ein, was nicht mehr gebraucht wurde und trafen sich im Anschluss wieder etwas abseits von Fußgängerverkehr in einer Seitengasse, um das gespendete Essen gerecht aufzuteilen. Ich war damals meist am Freitag dran, da viele zum Start des Wochenendes etwas anderes vorhatten. Diese Zeit fand ich cool, hatte ich doch so für die nächsten Tage immer genügend fertig gekochtes Essen.
Doch als es dann das Jahr langsam dem
ende zuneigte, es schon bald dunkel und auch unangenehm kalt wurde, dann war mir der Fahrweg von insgesamt 2 Stunden einfach zu nervig. Außerdem langweilte mich das immer wieder gleiche Essen dann doch irgendwann und ich tauschte meinen Platz mit einer Mitstreiterin, die Sonntag morgens die Reste in einem Hotel abholte. Vom Buffet, denn alles, was (wie hier zum Frühstück) die Küche verlässt, darf nicht mehr aus hygienischen Gründen zurück in die Küche. So lange es nicht original verpackt war, wie zum Beispiel Mini Portionen an Butter, Marmelade etc.
Ich freute mich, war ich so nicht immer
mitten in der Nacht unterwegs, sondern immer am Sonntag Vormittag. Und es gab immer Wurst und Käse Aufschnitt, lecker Rührei, Würstchen oder Mini Bouletten und viel Fruchtquark. Und dazu ein paar Brötchen. Aber in vernünftigen Portionen, nicht mehrere Ikea Taschen Massen.
Die Regel bei Foodsharing war damals, dass alles mitgenommen werden musste. Also sich nur das Beste raus picken und den Rest liegenlassen war nicht. Doch was so bei einem Buffet im Hotel übrig blieb, war immer lecker und konnte auch gut verteilt werden. Also das Essen zumindest. Was ich nicht wusste, war,
dass auch der Kaffee in den großen Thermoskannen als Lebensmittel zählte.
Was bedeutet, dass ich locker mal 20 Liter heißen Kaffee einpacken musste. Zum Glück hatte ich immer mehrere 5 Liter Eimer mit Deckel dabei. Aber habt ihr schon einmal heißen Kaffee in Eimer gekippt und den Deckel drauf gemacht? Spätestens, wenn ihr die bewegt (in meinem Falle in einem Fahrradanhänger für 2 Kinder, den ich dann zur nächsten S-Bahn schob), fliegt euch das heiße Zeug mit einem Knall um die Ohren. Ist mir nur einmal passiert. Danach waren die Eimer nur noch halb voll und nicht fest verschlossen.
Doch diese Mengen an Kaffee konnte ich gar nicht verwerten. Nachdem ich also die nächstliegende Brücke aufgesucht hatte und die darunter hausenden Obdachlosen mit frischem Kaffee, Brötchen und Aufschnitt versorgt hatte, suchte ich mir eine stille Ecke und kippte den Rest der braunen Brühe in den Gulli. Schade drum, aber durch halb Berlin kutschieren und dann doch zu Hause kalt wegkippen wollte ich das Zeug auch nicht.
Bei einem meiner Besuche unter der Brücke schaute ich aber nicht schlecht.
Da verteilte ich auch Rührei, da ich an diesem Tag so viel davon hatte. Die Stammbesatzung freute sich schon immer auf meine Stippvisite am Sonntag. Aber einer war dabei, der immer wieder was zu meckern hatte. Entweder war der Scheibenkäse zu trocken, die Wurst zu fettig oder (und da reichte es mir) an dem Rührei kein Schnittlauch dran. Mit ordentlich Schnittlauch würde das viel besser schmecken.
Ehm, ja, kann sein. Aber ich werde das bestimmt im Hotel nicht bemängeln, dachte ich so bei mir. :-) Tja, die Obdachlosen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren! Um mir weitere
Kritik zu ersparen, änderte ich meine Route und verteilte meine Lebensmittel ausschließlich lieber unter meiner Nachbarschaft. Die Omis und Opis waren viel dankbarer.
Aber was ich eigentlich sagen wollte, Foodsharing ist eine gute Idee, für mich aber mit den strengen Regeln eher nicht geeignet. Da muss man halt auch zu viel mitnehmen Lebensmitteln, die man selbst nicht verbrauchen oder verteilen kann. Und wegschmeißen will man die ja nicht. Ist ja nicht Sinn der Sache. Doch verteile erst mal 20 Brote und 35 Brötchen täglich! Zum Beispiel.
Normalerweise gibt es sogenannte Fairteiler, die in den Städten an ausgesuchten Plätzen stehen. Meist sind das so Kühlschränke, die öffentlich zugänglich sind und von den Mitgliedern befüllt und sauber gehalten werden. Und jeder kann sich da bedienen.
Doch in Berlin wurden fast alle Stellen geschlossen. Weil wohl die Kontrolle nicht sichergestellt werden kann. Und wenn da jemand sich vergiftet, weil dort abgelaufene Sachen drin stehen, dann könne man keinen dafür verantwortlich machen. Daher wurden alle Fairteiler, die
auf Hinterhöfen etc. stehen, von der Gesundheitsbehörde gesperrt. Komisch, in anderen Städten funktioniert das auch. Nur einzelne Kühlschränke, die in Gebäuden stehen und für den Publikumsverkehr zugänglich sind, dürfen weiter betrieben werden. Zum Beispiel im Freizeitzentrum Berlin, welches nachts verschlossen ist.
Da hätte ich zum Schluss noch eine kleine Geschichte zum Schmunzeln. Bevor diese unverständliche Regelung des Gesundheitsamtes unter viel Protest durchgesetzt wurde, gab es einen Fairteiler in Form eines Kühlschrankes in einem Hinterhof eines besetzen und
toll bunt angemalten Hauses. Dort brachte ich immer zu viel Backwaren hin. Eines Tages im Sommer traf ich dort einen anderen Foodsharer, der ebenfalls den Kühlschrank belud. Außerdem stellte er eine Palette kleiner Pflänzchen auf den Tisch mit den Reinigungsmitteln.
Aus den kleinen Blumentöpfchen schaute nur ein sehr kurzer Stiel mit den zwei typischen Keimblättern hervor, die ja bei allen Pflanzen gleich aussehen. Als ich ihn fragte, was das sei, meinte er: „So verschiedene Ableger von Nutzpflanzen, die so bei ihm übrig geblieben sind. Gut für die Gesundheit. Jetzt kann sich jeder welche mitnehmen.“ Sprachs und
verschwand.
Oh, prima, dachte ich so bei mir. Mal schauen, was ich erwische. Tomate, Paprika, vielleicht ein Zitronenbäumchen... Also packte ich mir ein Töpfchen ein. Als plötzlich hinter mir von irgendwo her eine erboste Stimme erklang. Ich schaute mich suchend um und sah einen ziemlich herunter gekommenen stark tätowierten Typen aus dem Fenster im 2 Stock des besetzten Hauses zu mir herunter brüllen. Dabei schaute er mich wütend an und wäre wohl am liebsten aus dem Fenster gesprungen. Da ich seine lallende Stimme nicht verstand, zuckte ich nur
mit den Achseln, winkte ihm freundlich zu und verschwand vorsichtshalber schnelleren Schrittes aus dem Hof. In Berlin hatte ich gelernt, laut pöbelnden Menschen einfach aus dem Weg zu gehen. Nicht drauf reagieren, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken oder die Pöbler noch wütender zu machen.
Erst nach einigen Wochen wurde mir langsam klar, warum der Typ sich aufgeregt hatte. Denn meine kleines „Zitronenbäumchen“ entwickelte sich nach und nach zu einer stattlichen schlanken Pflanze mit handförmigen gezackten Blättern. Ich war also, ohne es
geplant zu haben, stolzer Besitzer einer Cannabispflanze. Kein Wunder, dass der Typ da sauer gewesen war, dass ich mir eines der Töpfchen geklaut hatte. Aber der Lieferant hatte mich ja im Glauben gelassen, dass es sich um gesunde Nutzpflanzen handle und gemeint, dass sich jeder was nehmen kann.
Also, ich bin mir keiner Schuld bewusst.
Und ich kann euch beruhigen. Da bei mir sehr ungünstige Bedingungen herrschten und ich die Pflanze nicht unbedingt direkt an das Fenster stellen wollte, blühte der Hanf bei mir nie. Irgendwann war die Zeit der einjährigen Pflanze abgelaufen und sie landete im Müll.
Vorsichtshalber unbeobachtet im Dunkeln in der Biotonne, unter meinen Kartoffelschalen, die ich breitflächig darauf verteilte.
Mein Kapitel als verbrecherische Cannabispflanzenbesitzerin war abgeschlossen.