Beschreibung
Titelbild : Hildegard Möller
Mit Musik geht alles besser !
Das Festival war im vollen Gange. Seit 15 Uhr waren kurz nacheinander die Shuttle-Hubschrauber auf dem Tempelhofer Feld gelandet und jetzt waren fast alle Stars des Abends eingetroffen. Momentan rockten die zum wiederholten Male wiedervereinigten THE THEY auf der Hauptbühne und brachten die Menge langsam auf Touren.
Aus Irland waren BOB DE BACH und SKINHEAD O'HARA erschienen, U4ALL und ihr Sänger Homo, die VERY HOT TOMATOES und COLL PHILLIS waren zusammen mit den FRONTDOOR KIDS und WILLIAM ROBBINS aus Amerika gekommen und auch aus Deutschland und dem sonstigen Europa waren einige TOPACTS erschienen.
In den Umbaupausen auf der Hauptbühne waren auf den Nebenbühnen sehr gute Bands und Künstler aus Afrika, Südamerika und Asien zu erleben. Zahllose Imbissbuden und Verkaufsstände sorgen für die Erfüllung jeden erdenklichen Konsumwunsches und überall sah man die FLOW-Aktivisten aus aller Welt, die an den hellblauen Shirts deutlich zu erkennen waren. Sie warben an Infoständen für die jeweiligen lokalen Projekte, verkauften Handarbeiten, verteilten Broschüren und diskutierten mit den Festivalbesuchern über die schändlichen Versuche des SAINTOTEC-Konzerns, die Trinkwasserreserven der Welt zu privatisieren. Das, so waren sich alle einig, wäre eine Riesenschweinerei, die auf gar keinen Fall hingenommen werden dürfe.
Insgesamt herrschte eine Bombenstimmung auf dem Tempelhofer Feld, und der Abend lies hier noch eine deutliche Steigerung erwarten.
"Okay.", sagte Sarah,"Aber vorher muss ich noch tanken."
"Und ich",sagte Charly auf englisch zu Nabil,"würde mir gerne den Detektor ansehen. Treffen wir uns in zehn Minuten auf dem Parkplatz ?"
Nabil und Andy wechselten einen schnellen Blick.
"In einer Viertelstunde reicht auch.", sagte Sarah.
Sie standen auf und räumten den Tisch ab. Die beiden Frauen suchten die Toiletten auf und Andy und Nabil fanden ein gemütliches Plätzchen hinter dem Gebäude, wo sie schnell noch eine Tüte drehten und rauchten; Nabil nahm nur einen symbolischen Zug und überliess Andy den gesamten Rest.
Etwas später trafen sich alle vier wieder auf dem Parkplatz. Sarah hatte den Wagen quer über drei Parkplätze geparkt und öffnete nun die Heckklappe.
Während Nabil die Funktionsweise des Gerätes erklärte, übersetzte sie seine Erklärungen und Charlys Nachfragen, was nicht ganz einfach war.
Schliesslich fragte Charly:"Können wir den Detektor jetzt einschalten ?"
"Im Prinzip ja", sagte Nabil," er funktioniert auch mit 12 Volt." Er drehte sich kurz nach Andy um, der bislang eher unbeteiligt neben den drei anderen gestanden hatte und wechselte wieder in seine Version der deutschen Sprache."Andy please du kannst connect diese Kabel mit Auto?"
Andy öffnete die Fahrertür und liess sich über die Rückbank ein zweiadriges Kupferkabel reichen. Er zog das Kabel bis zum Armaturenbrett und sah sich dann nach dem Zigarettenanzünder um. Offensichtlich hatte dieses Modell so etwas nicht, denn neben dem Aschenbecher war nur eine Plastikkappe auf der entsprechenden Aussparung zu sehen.
Andy drehte sich kurz um, sah aber , dass Nabil und Charly bereits wieder ins Gespräch vertieft waren und suchte nach anderen Stromquellen. Er klappte das Handschuhfach auf, aus dem zwei Zettel herausfielen. Leise fluchend hob er sie auf und entdeckte ein recht gut gelungenes Schwarzweissfoto von Andy Baumert beim Isolierbandeinkauf an der Tankstelle.
Reflexartig drehte er sich nochmal um, zog die Fahrertür leise zu, trat die Kupplung durch, legte den ersten Gang ein, drehte den Zündschlüssel, gab Gas und lies die Kupplung springen.
Nach ungefähr achzig Metern fuhr er vom Parkplatz quer über den Wirtschaftshof der Raststätte und schrammte haarscharf an einem Lieferwagen vorbei, der gerade die Zufahrt zum Wirtschaftshof heraufkam. Der VW kam ein wenig ins Schleudern, aber er konnte den Wagen abfangen. An der Bundesstrasse hielt er kurz an, um die Heckklappe zu schliessen und fuhr dann in Richtung Irxleben weiter.
Die drei anderen waren wie vom Donner gerührt. Charly erfasste die Lage als erste und fing an zu schreien: "Dieses verdammte Schwein ! Ich hätte ihn gleich fertig machen sollen ! "
Sie wandte sich zu Nabil.
"Dein dreckiger Freund ist ein Hundsgemeiner Dieb ! Eine verdammte Ratte !"
Nabil war leichenblass geworden, was seiner dunklen Haut einen zarten Grünstich verlieh. Er brachte kein Wort heraus.
"Vielleicht", sagte Sarah,"hätte ich den Schlüssel abziehen sollen."
"Ach Scheisse !",brüllte Charly,"Dieser blöde Arsch hätte ihn Dir bestimmt auch geklaut."
"Warum he done that ?",fragte Nabil.
"Das kann ich Dir sagen.", rief Charly. "Er hat wohl gecheckt, das wir ihn suchen."
Nabil sah sie ungläubig an. "Warum ?", fragte er auf arabisch.
Die beiden Frauen sahen sich kurz an. "Sags ihm.", sagte Charly.
Im Kontrollraum war die Spannung mit den Händen zu greifen. Die fünf Männer sprachen nur die nötigsten Worte. Bislang lief alles genau nach Plan. Der "Hahn" war tot, das "EI" war gelegt, die Operation "Fast Food" versprach ein voller Erfolg zu werden. Mittlerweile waren fast alle Personen auf dem Tempelhofer Feld eingetroffen, die dort hinkommen sollten. Ein Teil der Multimediawand zeigte die Direktübertragungen der weltweiten Networks, darunter waren einige Bilder der Überwachungskameras zu sehen. Jetzt galt es, die zuverlässigen und loyalen Leute der Tagschicht vom Gelände abzuziehen und in die Hotels am Stadtrand zu bringen. Die ablösenden Crews waren in monatelanger Vorbereitung aus der gesamten Konzernbelegschaft ausgewählt worden. Bei ihnen handelte es sich entweder um Personal, das von White Water als bedenklich eingestuft worden war, oder um langjährige Mitarbeiter mit hohen Pensionsansprüchen, die seit einiger Zeit nicht mehr die volle Leistung brachten. Lee hatte in der Planungsphase allen eingeschäft, wie wichtig es sei, diese einmalige Gelegenheit so effektiv wie möglich zu nutzen. Kurz vor siebzehn Uhr berliner Zeit war der Personalwechsel abgeschlossen.
Nabil hatte sich Sarahs Erzählung aufmerksam angehört und nur hin und wieder genickt.
Währenddessen hatte sich Charly ein wenig beruhigt. Als Sarah mit ihrer Schilderung fertig war, schwiegen alle drei einen kurzen Moment.
Dann sagte Nabil :" Er muß hierher zurück kommen."
"Und wie", fragte Sarah, "soll das funktionieren ?"
"Eigentlich", sagte Nabil zögernd, "kann hier nur einer helfen."
Charly schaute ihn unverwandt an. "Du meinst ... ?"
Nabil nickte langsam.
Andy war bereits einige Kilometer auf der Bundesstrasse in Richtung Westen gefahren, als das Handy im Handschuhfach klingelte. Aus irgendeinem ihm unverständlichen Grund hielt er an, öffnete die Klappe und nahm das Telefon in die Hand. Er kannte die Nummer auf dem Display nicht, wusste aber trotzdem ganz genau, wer ihn da anrief. Anschlüssig, was er tun sollte, wartete er aber, bis das Klingeln verstummte. Er legte Sarahs Handy zurück in das Handschuhfach,nahm seinen ganzen Mut zusammen, startete den Wagen und fuhr wieder zurück zur Raststätte.
In seinem kleinen Haus am See legte der Autor den Hörer wieder auf den altmodischen Wählscheibenapparat. "Wenn die Jesuiten recht haben", dachte er, "und Gott wirklich nicht eingreift, dann habe ich es aber besser."