Beim letzten Mal hatte ich euch ja von meinem Überflug inklusive unglücklicher Landung auf meinem Schlüsselbein erzählt. Ich bin aber auch schon einmal richtig geflogen, in einem Flugzeug. Doch auch dieses Mal verlief nicht alles, wie geplant. Gespannt? Dann lest weiter.
Also. Es war in meinem zweiten Lehrjahr als Melkerin in dem Ausbildungsbetrieb Hertefeld. Das liegt bei Nauen. Unsere Brigade hatte das Ziel der Planwirtschaft übererfüllt, also sogar noch besser als gefordert abgeschlossen. Daher spendierte uns die Genossenschaft einen
Tagesausflug nach Budapest, der Hauptstadt von Ungarn. Das war für uns natürlich etwas ganz Besonderes, denn, wie ihr ja bestimmt noch wisst, waren Reisen ins Ausland eher rar. Und wenn es auch nur einen Tag lang war.
Damit wir auch was von dem Ausflug hatten, wurden die Hin- und Rückreise natürlich mittels Flug zurückgelegt. Für die meisten von uns eine ganz neue Erfahrung. Und das galt nicht nur für uns Lehrlinge. Nein, auch viele von den Facharbeitern, die uns begleiteten, kamen von kleinen Dörfern und waren noch nie so weit gereist. Geschweige denn in einem Flugzeug gesessen. Wir
waren alle mächtig aufgeregt.
Und dann war es endlich soweit. Der langersehnte Tag war angebrochen. Die Abreise mit einem Reisebus zum Flughafen Schönefeld, damals noch ganz ohne Schlagzeilen, startete zwar schon um 3 Uhr morgens, aber das war für uns kein Problem. Erstens mussten wir als Tierpfleger/Melker sowieso um 4 Uhr mit der Arbeit beginnen und zweitens waren die meisten von uns so aufgeregt, dass wir, aus Angst, zu verschlafen, jede Stunde aus dem Schlaf hochschreckten und auf den Wecker schielten. Endlich war es dann soweit und ich sprang aus dem Bett und schnappte mir den
gepackten Rucksack. Wir versammelten uns auf dem Dorfplatz.
Nach ungefähr eineinhalb Stunden Busfahrt kamen wir am Flughafen an und wurden auch bald daraufhin abgefertigt. Endlich ging es raus zum Flugfeld, damals noch zu Fuß, da das Flugzeug in direkter Nähe zu den Gebäuden geparkt stand. Ich weiß noch, wie neugierig ich war und es gar nicht erwarten konnte, die Treppe hochzuklettern und das kleine Flugzeug zu besteigen. Es handelte sich um eine russische zwei(?)motorige Propellermaschine. Ähnlich einem sogenannten Rosinenbomber oder der Douglas DC-3. (Falls ihr einmal
nachschlagen wollt) Die Propeller saßen jeweils vorn an den Tragflächen und sahen ganz schön furchteinflößend aus. So für mich als völlig unerfahrene Flugneuling.
Ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr ganz genau, ob das Flugzeug zwei oder vier Propeller hatte, also vielleicht auch jeweils zwei links und zwei rechts. Ich weiß nur noch, dass es eine russische Maschine und Anfang der 80er Jahre war. Und Propeller besaß. Keine Triebwerke. Aber das spielt eigentlich für diese Geschichte keine große Rolle. Also weiter im Text.
Wir bestiegen alle das Flugzeug und stellten erfreut fest, dass wir die einzigen Passagiere waren. Aber die Maschine war auch nicht so groß wie die Modelle heute und nur für eine kleinere Anzahl von Passagieren ausgelegt. Nun ja, wie gesagt, so groß war der Andrang an Passagierenden ja nicht für Flüge ins Ausland. Der Wunsch war schon da, aber so eine Reise musste ja von höherer Stelle abgesegnet werden.
Zum Glück galt ich damals noch nicht als fragwürdiges Subjekt, welches von dem Ministerium für Staatssicherheit beziehungsweise einem IM aus meinem
engen Umfeld überwacht werden musste. Denn dann hätte ich die kurzzeitige Ausreise aus der DDR auf keinen Fall genehmigt bekommen.
Aber so war alles gut und dem Flug stand auch für mich nichts im Wege. Da die Sitzplätze alle belegt waren von unserem Betriebsangehörigen, musste ich mich auf einen Platz setzen, der sich in der ersten Reihe befand und umgekehrt ausgerichtet war, also mit Blickrichtung in das Flugzeug hinein. Nicht in Flugrichtung. Fand ich aber auch nicht schlimm. Jedenfalls nicht, solange wir noch still am Boden standen. Erst mit zunehmender Fahrt und dem Abheben
vom Rollfeld änderte sich meine Einstellung schlagartig. Könnt ihr euch vorstellen, was das für ein Gefühl ist, wenn ihr ziemlich schnell rückwärts rollt und plötzlich nach hinten weg und gleichzeitig schräg nach oben gezogen werdet?
Mir wurde richtig übel, und das sah man mir wohl auch an. Denn sobald das Zeichen zum Abschnallen aufleuchtete, kam Pelle, ein älterer Melker aus Ebereschenhof zu mir und fragte, ob wir für den Rest des Fluges die Plätze tauschen wollten. Ich sähe irgendwie grün aus im Gesicht. Und ich hatte nichts dagegen und nahm das Angebot freudig
an.
Aber nicht nur mir wurde übel bei dem Flug. Denn es rumpelte hin und wieder und Rudi, ein Lehrling aus meinem Jahrgang und mein damaliger Freund, weigerte sich gleich nach der Landung schon mal lautstark, dass er auf keinen Fall zurück fliegen werde. Und wenn er den Weg zurück laufen müsse, in ein Flugzeug bekäme ihn keiner mehr.
In Budapest bekamen wir natürlich erst einmal die obligatorische Stadtrundfahrt. Das Einzige, das ich noch weiß: Budapest liegt rechts und links der Donau und es handelte sich dabei
eigentlich einst um zwei eigenständige Städte mit Namen Buda und Pest, die im Laufe der Zeit irgendwann zusammengelegt wurden. Die Hauptstadt Budapest entstand. Mehr ist leider nicht hängengeblieben.
Ab mittags hatten wir frei und konnten uns selbstständig in der Stadt umsehen. Ich weiß nicht, ob wir in der Zeit observiert wurden. Aufgefallen ist mir damals nichts, aber es hätte mich auch nicht gewundert. Schließlich waren wir DDR Bürger im Ausland. Und da war die Stasi immer ganz nervös.
Ich bummelte mit ein paar anderen
Lehrlingen meines Jahrgangs durch die schönen Gassen der Altstadt und bewunderten nebenbei auch die verschnörkelten Brücken über den breiten Fluss. Wir kauften einige Souvenirs für die Lieben zu Hause und ein paar T-Shirts, um uns später von der großen Masse in der DDR abzugrenzen. Und schauten immer wieder auf die Uhr, damit wir ja nicht die Zeit verpassten, an der wir uns an einem bestimmten Standort wieder treffen wollten.
Es war noch genug Zeit für ein Eis in einem der vielen Eisdielen und so genossen wir aus unseren großen Bechern löffelnd das Treiben auf der Straße, das
an unseren Tischen vorbei rauschte. Plötzlich stand ein weiterer Lehrling vor unserem Tisch und fragte, ob wir noch Geld hätten. Damals konnten wir ja für einen Tagesausflug nur eine bestimmte kleine Summe an DDR Mark umtauschen. Wir mussten also genau rechnen, was wir wofür ausgeben wollten. Und da wir nach diesem Tag mit dem Restgeld nichts mehr anfangen konnten, hatte fast jeder von uns seinen Betrag so gut wie möglich verbraucht.
Gut für uns, denn so hatten wir das Meiste in der Kürze der Zeit für uns herausgeholt. Schlecht jedoch für einige andere Lehrlinge aus dem ersten
Lehrjahr, die nicht richtig gerechnet hatten und nun in einem anderen Restaurant mit ihren Bieren festsaßen, die sie nicht mehr bezahlen konnten. Und der Kellner wollte sie natürlich nicht gehen lassen.
Da wir alle damals natürlich auch noch brav waren, kam niemand auf die Idee, die Zeche zu prellen. (Würde ich mich auch heute noch nicht trauen, aber es ist ja unumstritten, dass sich die Zeiten für manche seit damals diesbezüglich verändert haben). Also schickte man einen der Jungs los, um alle aus unserer Brigade zu suchen und die letzten Forints zusammenzukratzen. Und um unsere
Lehrlinge auszulösen.
Das war für alle noch einmal eine aufregende halbe Stunde, ehe wir dann endlich vollzählig und wohlbehalten am vereinbarten Treffpunkt eintrudelten. Irgendwie schafften wir es dann auch, Rudi wieder in das Flugzeug zu bekommen. Ich glaube, eine Wanderung zurück war dann doch nicht mehr so verlockend. Und die paar Bier machten ihn wohl auch mutiger. Mitten in der Nacht kamen wir dann wieder in unserem Lehrlingsheim an und fielen todmüde in die Betten.
Zum Schluss möchte ich noch anmerken,
dass ich vier Tage nach dem Betriebsausflug auch ahnte, warum mir im Flugzeug so schlecht geworden war. Es war ein Samstag und ich ging am Mittag mit meinem Einkaufsnetz in die einzige Kneipe des kleinen Ortes, um ein paar Flaschen Brause zu kaufen. Am Tresen stehend wurde mir plötzlich schwarz vor Augen und ich kippte um. Ich war aber sofort wieder voll klar im Kopf, als mein Hintern unsanft auf dem Boden landete. Der Wirt kam um den Tresen herum und meinte lachend, das würde schon einmal passieren, wenn man schwanger ist. Was ich vehement bestritt. Aber er meinte nur, er sehe so was und ich solle mich nur ein paar Minuten
hinsetzen. Dann würde es schon wieder gehen. Und er sollte Recht behalten. Aber davon ein anderes Mal mehr.