Beim letzten Mal hab ich euch ja von meinen Begegnungen mit Pferden in meiner Kindheit berichtet. Von dieser Tierart war ich schon immer begeistert und hatte lange den Wunsch, selbst eines dieser schönen Exemplare zu besitzen. Und da ich nach der Schulzeit auf´s Land zog und dort auch arbeitete, standen die Chancen auch nicht so schlecht, dass ich mir irgendwann auch diesen Wunsch erfüllen könne.
Auf der LPG, die uns beschäftigte, bekam jeder Arbeiter eine Wohnung gestellt, zu der auch ein kleiner Stall
gehörte. Die meisten meiner Kollegen hielten darin zwei bis drei Ferkel zur Aufzucht und dem späteren eigenen Hausschlachten.
Ich hatte mir aus alten Möbelstücken einen Kaninchenstall mit mehreren Einzelabteilungen gezimmert und züchtete mir hier meine Festtagsbraten. Oder tauschte sie im Dorf beziehungsweise verkaufte die großen Kaninchen, die ich nicht selbst brauchte an den Viehhändler, der alle paar Monate mit einem Kleintransporter zu einem vorher vereinbarten Termin kam. Der kaufte alles an, was an Kleinvieh nicht mehr benötigt oder gewollt war. Der
Preis richtete sich nach der Tierart (Geflügel, Kaninchen) und dem Gewicht des Tieres. Ein Fehler, wie ich fand. Denn einmal gab ich meinen uralten Rammler der Rasse „Riesen“ ab. Der hatte mit den Jahren mächtig Fett angesetzt, nahm die gesamte Transportkiste ein und wog natürlich auch entsprechend viel. Ich erzielte eine Rekordsumme für ihn. Schön für mich. Aber da er so alt war, war der bestimmt unsagbar zäh und nicht mehr genießbar. Pech für den späteren Käufer.
Da mein kleiner Stall frei war, suchte ich in Zeitungen nach Inseraten. Nach einem Pferd. Für ein richtig großes Tier war
meine Buchte zwar etwas zu klein, aber so ein Pony passte da problemlos rein. Und schließlich gab es hier auch noch genügend Wiese, die der Gemeinde beziehungsweise der LPG gehörte und wo ich es den Tag über grasen lassen konnte. Für genügend Bewegung war also gesorgt.
Ein Pony fand ich zwar nicht, aber ein Baby-Kleinpferd. Ein Fohlen, welches nun die Mutterstute nicht mehr benötigte wurde als junger Hengst jetzt verkauft werden musste. Nach einigem schriftlichen hin und her (ohne Telefon dauerten Geschäftsverhandlungen nun mal immer etwas länger) waren die
Einzelheiten des Kaufes geklärt und mir wurde das Tier auch noch bis nach Hause und an die Bordsteinkante geliefert. Aber nicht in einem gewöhnlichen Viehhänger.
Den ganzen Tag wartete ich gespannt und auch während der Arbeit im Stall schaute ich immer wieder gespannt nach draußen. Am Nachmittag war es dann so weit und am Ende der Straße tauchte ein fremdes Auto auf. Doch zu meinem Verwundern zog er nur einen ganz normalen Autoanhänger hinter sich her. Ohne Aufsatz. Das konnte also nicht der sehnsüchtig erwartete Verkäufer sein.
Doch das Auto hielt vor dem Haus, in
dem ich meine Wohnung hatte. Ich trat vor das Gebäude. Der Mann stellte sich vor und meinte, er hätte den jungen Hengst dabei. Mit diesen Worten schlug er die Plane des Anhängers zurück. Zwischen dem Boden des Hängers und der gespannten Plane waren nur ungefähr 50 cm Platz. Und tatsächlich lag dort das das arme Minipferd mit gefesselten Vorderhufen und eingezogenem Kopf. Ich bezahlte die vereinbarten 400 Mark (eine Menge Geld für mich, wenn man bedenkt, dass ich damals im Monat 11 Mark an Miete für meine frisch renovierte 2,5 Zimmer Wohnung blechen musste). Danach wurde mir das leicht verwirrt wirkende Tier inklusive
Geschirr übergeben. Bevor sich der frühere Halter wieder verabschiedete und in seinem tuckernden und stinkenden Trabi verschwand.
Auch wenn es nicht für ein ganzes Pferd gereicht hatte, ich war nun Besitzerin einer Miniausgabe. Ich betrachtete den Kleinen erst einmal. War ja das erste Mal, dass ich ihn sah. Ich hatte sozusagen die Katze im Sack gekauft, nur dass es in meinem Fall ein Fohlen im Autoanhänger war.
Sein Fell war so dunkelbraun und glänzend, dass es fast schwarz aussah. Nur wenn das Sonnenlicht aus einem
bestimmten Winkel auf das Fell schien, sah man, dass es eigentlich eine dunkelbraune Färbung besaß. Mein Kleinpferd ging mir nur bis zur Brust und wurde in den folgenden Jahren auch nicht mehr viel höher. Letztendlich ergab eine Messung, dass es eine Widerristhöhe von 1.15 m besaß. Es war also nur unwesentlich größer als ein Pony, hatte jedoch die Figur und das Aussehen eines großen Pferdes. Ein Kleinpferd eben.
Was von Beginn aus gleich auffiel, war die Form von Kopfes und Maul, die irgendwie nicht ganz zum Aussehen eines edlen Fohlens passte. Eher zu einem Esel. Auch meine Arbeitskollegen und
Nachbarn bemängelten dies und belächelten mich, da sie der Meinung waren, dass ich beim Kauf über den Tisch gezogen worden sei. Ich hätte bestimmt eine Kreuzung zwischen Pferd und Esel gekauft. Ein Maultier oder Muli eben. Das würde man ja sehen.
Dafür sprach auch, dass der Verkäufer keine Papiere für das Tier mitgebracht hatte, die seine Abstammung belegten. Er wolle sie nachreichen beziehungsweise sie später irgendwann einmal an mich schicken. Alles nur eine Ausrede, so war die offizielle Meinung im Dorf.
Aber mir war das egal. Ich mochte den kleinen Kerl gleich von dem Augenblick
an, an dem der Verkäufer die Plane des Hängers zurückgezogen hatte und mich das Fohlen neugierig und ein wenig ängstlich angeblinzelt hatte. Mir war es egal, welches Blut durch seine Adern floss. Ich würde den kleinen Kerl immer lieb haben. Ich nannte ihn Prinz, denn das war er für mich. Ein kleiner Prinz.
Ich kümmerte mich gut um das Tier und verwöhnte es nach Strich und Faden. Schließlich hatte ich immer dieses kleine Stück Elend vor meinem geistigen Auge, wie er da so unter der Plane lag. Eigentlich dachte ich, Prinz müsse mir ewig dankbar sein und mich genauso lieben, wie ich ihn. Aber Pustekuchen.
Nach einer Woche etwa fing er an, auszureißen und sich regelmäßig auf immer größere Wanderungen zu machen. Selbst, nachdem ich ihn neben andere Pferde auf die Koppel stellte und er somit Gesellschaft hatte, riss er immer wieder aus und ich musste mich auf die Suche machen. Zum Glück lag unser kleines Dorf inmitten weiter Felder und die Gefahr, dass Prinz auf eine Straße rennen und angefahren werden könne, war eher unwahrscheinlich.
Dennoch war es ziemlich nervig auf Dauer und natürlich auch zeitraubend. Im Durchschnitt verbrachte ich jeden zweiten Tag mehrere Stunden damit, ihn
in der Umgebung zu suchen. Und jedes Mal fand ich ihn weiter weg von Zuhause. Ihn zu finden war anfangs nicht so schwer, da die Wege aus dem Dorf hinaus und durch die Felder aus zwei nebeneinander verlaufenden Reihen aus Steinplatten bestanden, die in etwa so breit wie die Spur von einem Wagen oder Traktor waren. Die Steine waren von losem Sand umgeben. Und da Prinz meist den einfachsten Weg, also nicht durch das Gebüsch sondern auf den angelegten Wegen lief und immer wieder neben die Steinplatten und somit in den Sand trat, konnte ich seine Spur ziemlich leicht verfolgen. Dennoch fühlte ich mich damals wie ein Trapper im wilden
Westen, der die Spuren von Tieren oder Feinden folgte. Erfolgreich folgte. Denn hatte ich mein wanderfreudiges Kleinpferd endlich gefunden, dann ließ er sich ohne Widerstand einfangen.
Da er noch so jung war, nahm ich an, dass er einfach zurück zu seiner Mama wollte und sich deshalb auf die Suche nach ihr machte. Deshalb verzieh ich ihm seine regelmäßigen Wanderungen und sammelte ihn jedes Mal geduldig wieder ein. Selbst Zäune aus stabilen Holzbalken oder Elektrozäune hielten ihn nicht auf der Koppel, die ich für ihn ausgesucht hatte. Und an die Kette legen oder nur im Stall einsperren wollte ich
ihn nicht. Also blieb mir auch nichts anderes übrig. Die langen Spaziergänge nach der Arbeit wurden so für mich zur Routine.
Eines schönen Tages jedoch verlor ich seine Spur. Es war inzwischen Herbst und auf vielen Feldern rund um das Dorf wuchs der Mais oder das Getreide schon ganz schön hoch. Keine Chance, mein Kleinpferd darin zu finden, sobald er doch einmal die „Straße“ verlassen hatte.
Nun war guter Rat teuer. Es sollte bald dunkel werden und es war das erste Mal, dass ich Prinz nirgendwo finden konnte. Was sollte ich
tun?
Da fiel mir über mir ein kleines Sportflugzeug auf, welches immer wieder seine Kreise am blauen Himmel zog. In meiner Verzweiflung winkte ich ihm hektisch zu und war echt verwundert, dass der Pilot seinen Flug tatsächlich auch unterbrach und in der Nähe auf einem schon abgeernteten Feld landete. Ich lief zu ihm hinüber und fragte, ob er denn von oben mein Pferd gesehen hätte. Sein fast schwarzes Fell musste ja in dieser Umgebung gut zu sehen sein.
Der Pilot verneinte, schlug mir aber vor, dass wir zusammen ein paar Runden
drehen könnten. Denn schließlich sähen ja vier Augen auch mehr als zwei. Nach kurzem Zögern willigte ich ein und kurze Zeit später hoben wir ab. Ich war noch nie geflogen und obwohl ich Höhenangst auf einer Leiter verspüre, konnte ich die Aussicht in dem kleinen Flugzeug doch genießen. Aber leider erbrachte auch dieses kleine Abenteuer nicht das gewünschte Ergebnis. Prinz war und blieb verschwunden.
In den nächsten Tagen suchte ich in jeder freien Minute nach ihm. Etwas beruhigend war, dass die Temperaturen auch in der Nacht nicht stark abkühlten und ja überall genügend Futter für Pferde
wuchs. In akuter Lebensgefahr schien Prinz sich also nicht zu befinden.
Nach ungefähr einer halben Woche erzählte jemand in der Kneipe, dass man in einem Nachbarort ein Pferde eingefangen hatte. Das würde jetzt bei einem Bauern im Stall stehen. Ich brauch euch sicher nicht zu erzählen, dass ich mich noch am gleichen Tag auf mein Moped setzte und dorthin fuhr.
Doch so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte, war es letztendlich gar nicht, Prinz wieder zu bekommen. Der Bauer erzählte mir, dass er ihn in dem hohen Weizenfeld erst für ein
Wildschwein gehalten und beinahe erschossen hätte. Schließlich würden die ständig einen Teil der Ernte vernichten und als Jäger durfte er sich wohl um dieses Problem kümmern. Da er sich jedoch wunderte, dass das vermeidliche Wildschwein allein unterwegs zu sein schien, zögerte er. Und das rettete Prinz wohl das Leben. Wie gewohnt ließ er sich friedlich einfangen und abführen. Nun stand er bei dem Bauern in dem Stall und der hatte keine Lust, ihn wieder herzugeben. Da könne ja jeder kommen, so sein Argument. Und da ich immer noch keine Papiere für Prinz zugesandt bekommen hatte, konnte ich eigentlich nur die Kaufquittung vorweisen. Und die
hätte ja jeder auch im Nachhinein schreiben können.
Letztendlich konnte ich den Bauern dann doch noch überzeugen, sodass er mir, leicht widerwillig, mein Pferd an mich rausrückte. Ich band ihn an den Gepäckträger meines Mopeds und schob dieses anschließend nach Hause. An diesem Abend bekam Prinz eine extra Portion Heu und ein paar Rüben.
Mit der Zeit ließ das Fernweh und die Wanderlust von Prinz nach. Seine Ausbruchversuche wurden seltener und er blieb meist am Dorfrand, wo er dann von einem der Bewohner eingesammelt
und wieder zurückgebracht wurde.
Prinz blieb noch viele Jahre bei mir. Erst, als ich aus dem Dorf wegzog und wieder mit inzwischen zwei Kindern nach Kleinmachnow zurückkehrte, ließ ich ihn dort auf dem Land. Bei meiner Freundin, die ihn genauso liebte wie ich und die sich anschließend gut um ihn kümmerte. Ich erhielt immer wieder Fotos von ihm und seiner gescheckten Ponyfreundin, bis er in einem für Pferde hohem Alter verstarb.
Ich hab den Kauf nie bereut, auch wenn Prinz zeitweise für viel Aufregung sorgte. Die schönen Momente überwogen
um ein Vielfaches. Er war halt ein Teil der Familie. In guten und in schlechten Zeiten.