Von Musikinstrumenten und dem Riesengebirgslied
oder:
Das Kaffeekränzchen von Uroma Hedwig
Im letzten Beitrag habe ich euch ja das Lied von der Puffbahn vorgestellt, welches ich als kleiner Knirps während meiner Kur gelernt und eigenartigerweise bis heute nicht vergessen hatte. Zumindest die Melodie, denn Teile des Textes sind dann doch im Laufe der Zeit verlorengegangen. Wurden aber dank Google auch schnell wieder gefunden. Und gelernt. Warum auch immer...
Auch wenn ich musikalisch nicht wirklich begabt bin, spielte Musik und das Singen in meiner jüngsten Kindheit immer eine Rolle. Mein Papa spielte hin
und wieder Mandoline. Manchmal sang er auch dazu. Und das fand ich immer toll. Nicht nur das Singen und Spielen an sich, sondern wahrscheinlich auch die Atmosphäre. Und weil mein Papa ja dann immer Zeit für uns hatte. Da er ja viel arbeiten war, waren diese Momente immer etwas Besonderes.
Wenn die Mandoline nicht gespielt wurde, dann hing sie im Wohnzimmer an der Wand. Wir wohnten ja damals in dem zweistöckigem Einfamilienhaus meiner Uroma mit Namen Hedwig, einer recht brubbeligen spindeldürren krummen Oma, die immer in einem bunten Kittel herumlief, schlecht gelaunt war (sobald
das Thema auf meinen Papa fiel, den sie nicht leiden konnte) und die sich nie fotografieren ließ.
Sie wohnte in einem Zimmer, welches ebenerdig lag. Damit sie nicht so viele Stufen steigen musste. Nur die 6 Stück vor unserer Eingangstür, die in den Garten und zur Straße führten. Aber da sie selten draußen war, spielte das Treppensteigen keine große Rolle mehr in ihrem Leben.
Ihr Zimmer war vollgestellt mit Möbeln, die genauso alt wie sie zu sein schienen. Dadurch wirkte der Raum sehr überladen. Überall auf den Schränken, Kommoden
und Fensterbrettern waren meist winzige und immer kitschige Porzellan-Deko-Dinger verteilt. Und auf allen auch noch so kleinen freien Plätzen lagen weiß gehäkelte Deckchen in unterschiedlichen Größen und Formen herum. Staub wischen musste man in dem Zimmer wahrscheinlich nie, weil der Staub erst gar keine Chance hatte, sich irgendwo niederzulassen.
Auch wenn ich mich nicht so oft in dem Zimmer von meiner Uroma aufhielt, so hatte ich, wenn ich denn mal da war, einen ganz bestimmten Lieblingsplatz. Unter dem großen Klavier, welches einen Großteil des Zimmers einnahm. Und
natürlich auch mit allerlei Häkeldeckchen und Krimskrams in Beschlag genommen wurde. Aber darunter war viel Platz. Und der gehörte ganz alleine mir. Dorthin konnte ich mich jederzeit zurückziehen.
Einmal in der Woche bekam meine Uroma Hedwig Besuch von zwei oder drei genauso alten Omis. So schien es mir jedenfalls. Dann wurden die guten Sammeltassen inklusive farblich passender Unterteller und kleiner Teller für den Kuchen aus der Vitrine geholt. Jede Dame bekam dabei ein anderes Design, denn die Sammeltassen waren alles Einzelstücke. Zumindest in unserer
Vitrine. Der Kaffee wurde in einer ebenso farbenfrohen und verschnörkelten Kanne aufgebrüht. Damals gab es nicht so ne langweilige Glaskanne von der Maschine. Da wurde der Kaffee noch per Hand und mit viel Liebe aufgebrüht. Und damit die weiße Tischdecke keine Flecken bekam, wurde unter die immer nachtropfende Tülle der Kaffeekanne mit einem Gummi, der mit einem Plasikschmetterling zusammengehalten wurde, ein Stück Schwämmchen geklemmt. Ja, ja, die gute alte Zeit.
Wenn Oma sich mit ihrem Kaffeekränzchen-Damen unterhielt, saß ich häufig unter dem Klavier und spielte
mit Bauklötzern aus Holz oder malte mit meinen bunten Stiften.
Später am Nachmittag stand Uroma Hedwig dann auf und setzte sich an das Klavier. Sie konnte ganz passabel spielen, sofern ich mich erinnere. Das Ding war also nicht nur zur Deko da. So, wie alles andere in diesem Zimmer. Und irgendwann kam einer der Damen auf den Trichter, dass ich doch dazu singen könne. Und so studierte meine Uroma mit mir im zarten Alter von 5 Jahren das Riesengebirgslied ein. Also ich mit zarten 5 Jahren, nicht meine Uroma... :-)
Mit allen Strophen. Von da an stand ich
einmal in der Woche neben dem Klavier und brüllte aus voller Kehle das Lied zur Belustigung des betagten Damenkränzchens, während meine Uroma versuchte, mit ihrem Spiel den gleichen Takt zu finden. Besonders den Teil des Refrains:
...
Riesengebirge
DEUT-SCHES GE-BIR-GE
…
brüllte ich dann mit voller Hingabe quer durch den Raum. Bei meinem dünnen Stimmchen hörte sich das bestimmt voll lustig an. Aber ich war eben mit ganzem
Herzen dabei. Mir machte es Spaß und den Damen schien es zu gefallen. Und das war die Hauptsache.
Deutschlands Superstar wäre ich mit den Auftritten aber nicht geworden. Hätte wahrscheinlich nur wegen dem Niedlichkeitsfaktor eines Kleinkindes die ersten Runden überstanden. Und wegen dem Unterhaltungswert, denn ein Freak kommt ja immer weiter...
Falls ihr mal reinhören wollt, das Lied gibt es in all seiner Länge und Schönheit auf YouTube:
Einige Jahre später begann meine
Schwester, Klavierunterricht zu nehmen und übte fleißig in Uroma Hedwigs Zimmer. Leider hörte sich das Spiel nicht so gekonnt an. Und irgendwann verlor meine Schwester das Interesse und ließ es wieder.
Ich wollte auch ein Instrument spielen lernen. Aber nicht Klavier. Einerseits hatte ich viel zu kurze Finger für das Klavierspielen (hab ich auch jetzt noch) und andererseits wollte ich es meiner Schwester nicht nachmachen.
Ich wollte lieber Gitarre Spielen lernen. Wie mein Papa mit der Mandoline umging, fand ich ja so toll. Und alle
Cowboys spielten ja auch Gitarre, abends an den Lagerfeuern. Jedenfalls in all den Kinofilmen.
Also bettelte und nervte ich meine Eltern so lange, bis eines schönen Tages mein Papa irgendwo eine alte Gitarre auftrieb und mit nach Hause brachte. Keine Ahnung, wo er die her hatte, aber das Ding schien schon lange seine besten Tage hinter sich gelassen zu haben. Doch das war mir egal. Ich hatte nun eine eigene Gitarre und wenn ich einmal spielen können würde, dann konnte ich sie überall hin mitnehmen. Im Gegensatz zu meiner doofen Schwester mit Uroma Hedwigs Klavier. Das konnte man nicht
mal so schnell unter den Arm klemmen und mitnehmen. Ätsch.
Eine Musiklehrerin ward auch bald gefunden. Und so stand dem Unterricht nichts mehr im Wege. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich mich auch gar nicht so doof anstellte und die ersten Fingergriffe recht zügig erlernte. Doch bereits nach der zweiten Stunde passierte dann das Unglück. Meine Gitarre, der man ihr Alter ja schon ansah, machte schlapp. Der Steg, mit dem die Saiten am Rumpf der Gitarre unterhalb des Stimmlochs angebracht waren, löste sich mit einem leisen, aber dennoch gut hörbar berstenden Geräusch ab. Meine gute alte
Gitarre war zersplittert und unwiderruflich kaputt. Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Wahrscheinlich gab es eine Materialermüdung infolge des Alters. Oder Holzwürmer hatten es sich in dem Instrument gemütlich gemacht und hatten es zum Fressen gern gehabt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wer weiß.
Eine neuere und vor allem stabilere Gitarre war nicht aufzutreiben. Mitte der 60er Jahre konnte man in der DDR nicht einfach so in ein Geschäft gehen oder das Gewünschte online bestellen. Und so ging meine Musikkarriere als am Lagerfeuer bewunderte Gitarristin in
Cowboyklamotten zu Ende, bevor ich überhaupt angefangen hatte, das Instrument spielen zu lernen. Leider. Aber ehrlich gesagt, das ist wahrscheinlich kein großer Verlust für die Menschheit. Denn, wie schon anfangs erwähnt, war und bin ich nicht besonders musikalisch und treffe nie den richtigen Ton. Also war es mit ziemlicher Sicherheit sogar ganz gut so.