Heute werde ich eine kleine Samstags-Serie starten, in der ich meine liebe Nachbarschaft liebevoll auf die Schippe nehmen werde.
Denn ehrlich gesagt, seit ich vor rund 10 Jahren hier nach Berlin umziehen musste, bin ich so einigen Menschen begegnet. Auf mehr oder weniger komische Art. Und davon möchte ich euch nun berichten.
Heute erfahrt ihr jedoch erst einmal, warum ich überhaupt gezwungen war, aus dem schönen und ländlichen Velten in die
eher staubige Großstadt Berlin umzuziehen. Ab nächsten Samstag könnt ihr hier dann mehr über meine lieben Mitmenschen lesen. Und ihre kleinen, meist liebenswerten Machen.
Also dann. Nach meinem kleinen 3-jährigem Ausrutscher nach Bayern und der eher unerfreulichen Begegnung mit dem Einsiedler-Bauern dort, wollte ich wieder zurück in die Nähe meiner Kinder, die ja alle in und um Berlin herum wohnten. Meine Mittlere erklärte sich auch gleich bereit, mich aufzunehmen, bis ich eine eigene Wohnung gefunden hatte. Nicht ganz uneigennützig, denn so hatte sie immer
jemanden im Haus, der sich um mein Enkelkind kümmerte, welches damals gerade drei Jahre alt war. Schließlich hatte meine Tochter zu dieser Zeit mehrere Arbeitsstellen, um über die Runden zu kommen. Und die Schulden ihres Ex-Freundes abzuzahlen, die er gemacht hatte, ehe er sich verdrückte. Da meine Tochter mit ihren 18 Jahren schwer verliebt, sprich leicht beeinflussbar war, unterzeichnete sie sämtliche Verträge mit. Ihr Typ hingegen war doppelt so alt, intelligent und konnte seine Umwelt sehr gut manipulieren. Nun, nachdem sich genügend Schulden angehäuft hatten und die Gläubiger verständlicherweise aufdringlicher,
machte er sich aus dem Staub und ließ meine Tochter mit einem Säugling und 9000 Euro Schulden im Stich. Doch innerhalb mehrerer Jahre harter Arbeit brachte meine Tochter nicht nur sich und das Baby durch, sondern arbeitete auch noch die gesamten Schulden ab. Hut ab.
Der Preis dafür jedoch war hoch. Arbeit rund um die Uhr. Und der Ableger verbrachte die ersten Jahre hauptsächlich bei Omi, Opi beziehungsweise einer Tagesmutter.
In dieser Situation kehrte ich reumütig aus Bayern zurück. Und übernahm die häuslichen Pflichten und die
Zwergenerziehung außerhalb der Kitazeiten. Schnell bekam ich eine Putzstelle in Teilzeit, bei der ich mir nachts etwas Geld dazu verdienen konnte. So war immer einer von uns Erwachsenen für den Ableger da.
Als es dann Zeit wurde, wieder einen eigenen Haushalt zu führen, absolvierte ich eine Umschulung als Tagesmutter und bezog eine 2 Zimmer Wohnung in Velten. Nur wenige Straßen von Kind und Enkelin entfernt. Da das Arbeitsamt in Oranienburg mir keine große Hoffnung machte, dass ich in meinem Alter und bei meinem Gesundheitszustand noch einen Job in Vollzeit finde, von dem ich auch
noch ohne Aufstockung leben könne, schien mir die selbstständige Arbeit als Tagesmutti eine gute Idee. Schließlich suchten viele verzweifelte Mütter im Landkreis eine Betreuung. Kitaplätze waren rar. Die nächsten 4 Jahre hatte ich daher gut zu tun. Alles lief bombig. Die Verträge über die Genehmigung zur Ausübung einer Tagesmutter Tätigkeit liefen über das zuständige Jugendamt sowie die Gemeinde und hatte eine Dauer von 5 Jahren. In dieser Zeit erfolgen in unregelmäßigen Abständen kurze Kontrollbesuche durch das Jugendamt. Bei mir gab es nie etwas zu beanstanden.
… Und dann kam die neue EU Reform
mit vielen neuen Regelungen für Tagesmütter. Es begann damit, dass eine neue Umschulung benötigt wurde, die ein halbes Jahr dauerte, richtig ins Geld ging und nicht vom Amt übernommen wurde. Hinzu kamen bauliche Veränderungen, die nun gesetzlich vorgeschrieben waren, ich aber für absolut überflüssig hielt. Wer als Tagesmutter in Zukunft eine Genehmigung und somit Kinder vermittelt bekommen wollte, brauchte auf einmal neben der normalen Toilette auch ein Kinderklo sowie ein entsprechendes Waschbecken in entsprechender Höhe. Fand ich überflüssig, da ja auch die Eltern zu Hause nicht über diese kindgerechten
baulichen Veränderungen verfügten. Und schließlich hatte es ja auch in den letzten Jahren ohne Probleme funktioniert. Ab auf den Topf oder einfach einen kleinen Tritt vor Toilette sowie das Waschbecken und gut ist es. Keines meiner 2 Jährigen ist je ins Klo gefallen oder hat sonst einen körperlichen beziehungsweise seelischen Schaden davon getragen, nur weil kein Kleinkinderklo vorhanden war. Hätte ich auch gar nicht in meine kleines Badezimmer einbauen können. Kam also für mich nicht in Frage.
Hinzu kam, dass ab einem bestimmten Stichtag von jeder Mahlzeit eine Probe zwei Wochen lang aufbewahrt werden
musste. Da die Zwerge bei mir Vollverpflegung bekamen, das heißt: Frühstück, Obstpause, Mittag und Kakao mit Kuchen am Nachmittag (und das wie gesagt lückenlos für zwei Wochen!), hätte ich mindestens eine weitere große Kühl-Gefrier-Kombi verwenden müssen. Wenn das mal reicht. Auch wenn ich diesen Sinn verstand, da man so bei einer Erkrankung des Kindes als Tagesmutter belegen konnte, dass es nicht am Essen lag, so sträubte ich mich bei dem Gedanken, solch ein Ungetüm zu kaufen und zusätzlich in meine Wohnung zu stellen. Noch dazu, da in Zukunft eine schriftliche Dokumentation aller Tätigkeiten und Verhaltensweisen jedes
einzelnen Kindes vom Jugendamt erwünscht war. Natürlich täglich dokumentiert und lückenlos. Ein schriftlicher Mehraufwand von mindestens zwei Stunden jeden Tag, der natürlich nicht honoriert wurde. Aber auch nicht während der eigentlicher Arbeitszeit erfolgen konnte.
Da die Neuerungen für mich so nicht nachvollziehbar und zu stemmen waren, entschloss ich mich schweren Herzens, von einer Verlängerung des Arbeitsvertrages mit dem Jugendamt abzusehen. Nebenbei konnte ich auch nicht abschätzen, wie lange ich diese Tätigkeit noch ausüben konnte. Das
Heben der Kinder aus und in die Reisebetten zum Beispiel fiel mir von Tag zu Tag schwerer. Nicht umsonst war ich schon vor Jahren für das Arbeitsamt nicht mehr vermittelbar. Herz- und Niereninsuffizienz, erhöhte Thrombosegefahr mit bereits einer dreifachen Lungenembolie und dadurch stark eingeschränkter Lungenfunktion. Den Job als Tagesmutter hatte ich mir selbst auf dem Arbeitsmarkt gesucht, auch selbst finanziert. Nun, da auch diese Möglichkeit wegen der verschärften und für mich sinnlosen neuen Bestimmungen nicht mehr infrage kamen, blieb mir nichts anderes übrig, als mich beim Arbeitsamt anzumelden.
Und damit begann der ganze Ärger, der letztendlich zu meinem Umzug nach Berlin und somit weg von Kind und Enkeltochter führte.
Denn die erste Forderung des Amtes war der Umzug in eine kleinere Wohnung. Zwei Zimmer, Flur, Küche und Bad waren einfach zu groß für einen Arbeitssuchenden, der vorübergehend vom Amt bezahlt werden möchte. Man legte mir eine Liste vor, in der genau aufgelistet war, wie teuer die Wohnung für eine Person sein oder wie viele Quadratmeter sie haben dürfe, um vom Amt akzeptiert zu werden. Das Problem:
Im gesamten Landkreis gab es keine entsprechend preiswerten beziehungsweise kleinen Wohnungen. Nicht einmal in den Nachbarorten. Als ich das beim Amt bemängelte, wurde mir wie erklärt, dass man das wisse. Schließlich sei der Mitspiegel in den letzten Jahren stetig erhöht worden, eine Angleichung der Liste erfolgte jedoch seit 8 Jahren nicht mehr. Daher sei es selbstverständlich unmöglich, einen subventionierten Wohnraum zu finden. Nicht in diesem Landkreis.
Als ich fragte, ob ich denn in der Wohnung bleiben könne, wenn ich die 60 Euro zu viel Miete aus eigener Tasche
zahlen würde, meinte man nur, dass das nicht ginge, da das Geld ausschließlich für den Lebenserhalt gedacht und verwendet werden dürfe. Nicht, auch nicht teilweise, für die Miete. Die einzige Möglichkeit, um an akzeptierten Wohnraum zu kommen, wäre, sich einen anderen Landkreis zu suchen.
Daher entschloss ich mich, nach Berlin zu ziehen. Denn meine beiden anderen Kinder wohnten damals in Spandau. So konnte ich wenigstens in ihrer Nähe sein.
OK, letztendlich fand ich mein jetziges Zuhause nicht wirklich in der Nähe, denn bezahlbarer Wohnraum war auch damals schon in Berlin knapp. Alle sozial
schwachen und/oder älteren Semester wurden in den Randgebieten angesiedelt. Vorzugsweise in den alten Plattenbauten der früheren DDR Stadtbezirke. Wie zum Beispiel in Marzahn und Umgebung.
Im Bezirk Biesdorf, direkt neben Marzahn und Hellersdorf wurde ich dann auch fündig. Auch, wenn meine Tochter entsetzt war, dass ich in dieses „Armenviertel“ ziehe, fand ich den Standort gar nicht so schlecht. Klar, für die Jugend war die Gegend hier nichts, keine Möglichkeiten zum Ausgehen, keine tollen Shoppingmeilen, Kinos, Theater oder ähnliches.
Aber ich stelle inzwischen andere Ansprüche an meinen Lebensraum: Es gab in unmittelbarer Umgebung drei Supermärkte und zwei Apotheke. Krankenhaus und Gesundheitszentrum liegen nur eine Haltestelle weit entfernt. Und zwischen den Altbauten gibt es überall Grünanlagen. Mit Sitzbänken. Was braucht man mehr. Hinzu kam, dass die Nachbarn zum überwiegenden Teil allein lebende Senioren sind, die nachmittags mit ihren Rollatoren die umliegenden Bänke belagern. Die wenigen Bewohner aus dem „Mittelalter“ sind entweder arbeiten oder auch mal
arbeitslose Alkoholiker. Aber allesamt friedlich und still, sobald sie in ihren winzigen Zimmern verschwinden. Die Einraumwohnungen sind ja so klein, dass es auch am Wochenende keine lauten Partys gibt. Passen ja nur 5 Leute stehend rein... :-)
Aber der Wohnraum ist bezahlbar und die Miete wird vom Amt übernommen. Nach dem erzwungenen Auszug aus meiner schönen Wohnung in Velten und einem einwöchigen Zwischenaufenthalt in meinem alten Kinderzimmer bei meiner Mutter, fand ich dann endlich eine Miniwohnung, mit der das Amt und ich zufrieden waren. Und da wohne ich auch
heute noch. In kunterbunter Runde von Nachbarn unterschiedlicher Charaktere, wie ihr in den nächsten Wochen jeden Samstag hier nachlesen könnt. Wenn ihr denn Lust dazu habt.
Und beginnen werde ich mit Walter, einem eher... nun ja, ich will nicht zu viel verraten. Nur so viel: Ihr könnt gespannt sein. Also dann, bis zum nächsten Samstag.