Der Angelhaken
Es klingelte. Wer konnte das sein? Meine bessere Hälfte öffnete. Eine Dame stand draußen. Sie hätte mein Buch „Mein Museum – Die Sesterze“ gelesen und würde sich gerne das Museum ansehen. Ich spurtete an die Tür. „Ich bin der Autor und der Museumsdirektor“, machte ich mich wichtig. Meine Frau verschwand in der Küche und ich brach mit meiner Kundin auf. Schnell waren wir an der Garage angekommen, während ich die Lobhudeleien über meine schriftstellerischen Tätigkeiten in mich auf sog.
Sie blickte etwas fassungslos in die Garage. „Ist das vielleicht die falsche Adresse“, fragte sie etwas blass, aber höflich.
„Gehen sie nur hinein.“ Unter mannigfachen Ausstellungsstücken, direkt über den zwei ineinander gestapelten Gartenstühlen aus etwas angegriffenem Plastik, stand auf einem Holzdielenbord die kleine Vitrine mit der Silbermünze. Ich musste selbst vor Ehrfurcht etwas durchatmen.
Sie stand auch ziemlich starr da und vermied es, dass ihre Kleidung mit irgendeinem der Kleinodien in Berührung kam. Ich war auch erfreut, dass die Staub-Patina erhalten blieb. „Und der Kronkorken?“
„Der wäre da hinten.“ Ich zeigte tief in den Hintergrund der Garage. Ihre positive Begeisterung flachte stark ab. Wahrscheinlich hatte sie eine stille Ehrfurcht ergriffen. Sie war wohl einfach sprachlos. Linker Hand entdeckte
sie einen silbrigen spitzen Haken mit Öse. „Vorsicht“, mahnte ich. „Die Spitze ist wirklich spitz!“ „Gehört so etwas nicht auf den Mü..“ Sie hielt inne und ich konnte mir nicht denken, was sie sagen wollte.
„Sie haben einfach ein Gespür. Das gehört ebenfalls zu den wertvollsten Exponaten“, deklarierte ich.
Es geschah vor 40 Jahren.
Damals flog ich von Caracas, Venezuela, nach Puerto Ayagucucho. Vom Flughafen Cacique Aramare ging es mit einem Gefährt, das vielleicht im Jahr 1923 einmal ein Auto gewesen sein könnte, hinunter zum Orinoco. Das dortige Schiff hatte irgendwann einmal einen Anstrich von Blau gehabt. An Deck
spannte sich über die Gesamtlänge eine Decke, wie man sie als Überdachung von alten Bahnsteigen kennt. Erhöht war das Ruderhaus angepappt. Große Kühlklappen und ein verlängerter Biergartentisch wurden von einfachen Sitzbänken flankiert. Unterhalb des Decks befand sich ein großer Raum mit 14 Hängematten, die auch über Moskitonetze verfügten. Am Heck stampfte ein Motor, der sich mehr schlecht als recht um die Schiffsschraube kümmerte. Wir legten erstaunlicher Weise erfolgreich ab.
Die Besatzung war ausgesucht. Fernando war mit einem Cowboyhut aus fettigem Leder bewaffnet. Er nahm ihn nie ab. Die eine Seite der Hutkrempe war hochgeschlagen. Er hielt das Ruder-Rad angestrengt. Es kann auch
sein, dass das Ruder ihn hielt, denn er war allenfalls 1,50 Meter groß. Der Kapitän hatte keinen Namen. Er hieß einfach capitano. Auch er verfügte über 1,50 Meter, aber das war sein Bauchumfang. Ab und an tauchte auch ein schlaksiger, dünner Mann aus dem Maschinenkabuff auf mit samt seinem schwarz verölten Lappen. Einmal sah ich mir seinen Arbeitsplatz an. Der Herr und Gebieter über einen Diesel der Marke Klöckner-Humboldt-Deutz, 1930, grinste mich mit blendend weißen Zähnen an, die aus seinem Schwarz verölten Gesicht hervor sprangen. Munter patschte er in der schmutzigen Bilge, denn das ca. 20 Meter lange Gefährt hatte einen relativ geringen Tiefgang.
Mit von der Partie war auch ein ganz nettes
Fräulein aus New York, meine Freundin und ein Dolmetscher, ein Indio, der radebrechend englisch beherrschte.
Absoluter Kommandant war allerdings die Frau des capitano. Auch sie füllig. Sie war agil, sorgte fürs Essen, den Warenumschlag, vor allem aber war sie geschäftstüchtig. Bei kleinen Bretterhäuschen am Fluss tauschte sie Fisch gegen Cola ein (war eigentlich für uns, die Kunden gedacht). Überhaupt war die Getränkeauswahl auf drei Komponenten begrenzt. Rum, Cola, Wasser.
Der Name der Gebieterin über das Schiffreich war einfach Mama. Ihre Autorität scheute sich auch nicht die Touristen zu belehren. Ich sah mich schon zum Deck Schruppen eingeteilt, während capitano immer eines der zwei
aufgespannten Hängematten, die eigentlich für die Kunden gedacht waren, an Deck belegte.
Aber eine von Mamas Verhandlungen bot etwas Besonderes. Meine Freundin und ich wurden eingeladen einen Einbaum zu besteigen. Zwei Indios schwangen die Ruderblätter. Quer eingelegte Bretter dienten als Sitzgelegenheit. Es ginge auf Fischfang, Piranhas! Die New Yorkerin hatte verständlicher Weise keine Lust. Meine Freundin hatte sich sowieso schon mit ihr liiert und unser Dolmetscher winkte trotz Mulatten-Haut kreidebleich ab.
Ich fuhr mit. Es ging in einen Seitenarm. Der eine Indio zeigte mit den Fingern auf einen überhängenden Ast in ungefähr 20 Meter
Entfernung. Ein Leguan sonnte sich dort, den ich erst im letzten Moment wegen seiner Tarnung erkannte. Schließlich öffnete sich der schmale Wasserweg und jeder bekam eine Schnur. Daran hing ein Stahlhaken, der spitz zulief. Der Eine filetierte kleine Fische. Ich spießte tapfer einen Fischkopf auf und wartete, um mich in die Geheimnisse des Fischfangs einweisen zu lassen.
Zum Glück verstand ich ein wenig spanisch und konnte sogar ein paar spanische Brocken auswerfen. Beide amüsierten sich über meine Unwissenheit und lachten, während immer noch der rohe Fischkopf samt Haken in meiner Hand lag. Sie erklärten: „Einfach ins Wasser halten. Mit Gefühl warten, aber nicht allzu lange.“ Dann rupfen und Zack hätte man
einen Pianha am Haken. Sie ermunterten mich. Ich hielt den bestückten Haken keine 20 Zentimeter in das Orinoko-Schwarzwasser und rupfte plötzlich. Der Haken war noch dran, glänzend,blank, mehr nicht. Sie lachten herzlich. Neuer Fischköder wurde aufgespießt und neuer Versuch gestartet. Allerdings war das wieder von demselben, deprimierenden Ergebnis gekrönt. „Nicht so lange“, rieten die Indios. „Gleich wieder rausreißen!“ Inzwischen brodelte es an der Bordseite, als ob das Wasser kochen würde. Irgendwie leuchtete es gelblich, da die Sedimentteilchen des Schwarzwassers aufgewühlt wurden. Nun probierte es einer der beiden Indios. Offensichtlich der Erfahrenere. Er hatte einen kleinen Finger amputiert. Eine erbärmliche
chirurgische Leistung. Er erzählte mir, dass er an einer falschen Stelle Wasser mit der Hand geschöpft und ein Piranha sich in seinen kleinen Finger verliebt hätte. Es ist unmöglich einen Piranha von seiner Beute zu lösen, so dass er sich schließlich den Finger absäbeln musste. Er erzählte es mit stolz in den Augen. Jedenfalls: Sein Haken wurde kurz versenkt. Das Wasser bäumte sich kochend auf und dann riss der Mann auch schon heftig. Klasse! Ein Piranha zappelte wie wild an dem Haken, der sich durch seinen Oberkiefer gebohrt hatte. Der Racker schillerte farbig, stellte aber nicht unbedingt eine Holzfäller-Mahlzeit dar. Ganze 15 Zentimeter mag er gewesen sein. Er sprühte vor lauter Leben.
Schließlich nagelte der zweite Indio den Fisch
auf einem Querbrett fest, als er ihn mittig mit einem Speer durchbohrte. Ich solle näher kommen, meinte der Eine. Ich schob mich vorsichtig nach vorne, damit der Einbaum nicht so sehr wackelte. Da schob der grinsende Begleiter sein Bowiemesser zwischen die Nadel spitzen Zähne. Der Fisch, der eigentlich schon tot gewesen sein müsste, biss im Stakkato-Takt zu. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er das blitzende Messer perforiert hätte. Die Beiden grinsten. Ich war trotz Sonnenbrand blass geworden. Der Fisch wurde mit Hilfe einer Machete von dem Speer getrennt, so dass er wieder in die Fluten plumpste. Wieder benahm sich das Wasser, wie ein Geysir. Die Beiden beschlossen weiter zu fahren. Diese Art der Piranhas würde sich
nicht rentieren. "Klein, aber oho", meinte der Andere. "Die Kleinen sind die aggressivsten."
Nach kurzer Paddelei hatte der Erfahrene offensichtlich eine gute Stelle ausgemacht. Hier gab es keine Strömung. Etwas weiter entfernt sah man die Reste einer verlassenen Holzbehausung. Die Indianer wechseln je nach Monsun und Trockenzeit ihre Unterkunft. Sie kehren nie an denselben Ort zurück, so dass der Urwald schnell wieder das kleine Schrebergartenareal zurückgewann.
Hier sei es gut. Haken, Fischfleisch, reinhängen, rupfen. Ich probierte es wieder. Ich hielt die Schnur länger im Wasser, als ich einen leichten Zug verspürte und blitzschnell zog. Hurra! Ich hatte einen Riesen gefangen. Er war gut und gerne doppelt so groß, wie der
Vorhergehende. Grau sah er aus mit leichter Farbschattierung. Auch die Indios waren zufrieden. Ich hievte den Fang in den Einbaum. Der Erfahrene nahm mir die Schnur ab. Dann wurde die Beute wieder angenagelt und der Haken wurde mit aller Vorsicht aus dem Maul entfernt. Da aber geschah das Malheur.
Der Piranha hatte es geschafft sich von der Speerspitze zu lösen und hüpfte im Einbaum zu Boden. Der Raubfisch hüpfte und schlug um sich, wie verrückt. Auch die Indios tanzten nicht schlecht, um ihre nackten Füße in Sicherheit zu bringen. Der stark schlingernde Einbaum schlug schwappende Wellen. Ein angsterstarrter Tourist hielt sich krampfhaft an dem Sitz, dem Querholz fest. Besser wäre es
gewesen sich an den Bootsseiten festzukrallen, aber das hätte auch bedeutet, dass die Finger an der Außenwand gewesen wären, natürlich durch das Schlingern viel zu nah an der Wasseroberfläche. Ich hatte kein Bedürfnis mit ein paar Fingern weniger nach Hause zu kommen. Die Angst vor dem Kentern lähmte. Schließlich gelang es den Beiden doch das Biest wieder zu fixieren. Das Bowiemesser hatte ihn durchstoßen. Man hielt das Ungeheuer fest, bis es sich tatsächlich nicht mehr rührte. Das dauerte aber gut fünf bis zehn Minuten, bis sich die Fischer sicher fühlten. Da nun an diesem Tag der göttliche Beistand fehlte, von welchem Gott auch immer, wurde die Jagd abgebrochen. Ich war heilfroh. Niemals vorher oder später hatte ich
solche Angst gehabt. Ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dass hunderte von Fischen einen zerreißen würden.
Die Beiden paddelten wieder zurück zu der Flussverengung des Seitenarms. Dort war die Strömung wieder ein wenig spürbar. Wir befanden uns keine 300 Meter vom Ort des Schreckens entfernt. Da sprang der Eine doch tatsächlich ins Wasser und bedeutete mir auch nachzukommen, um mich abzukühlen. Ich wartete ein Weilchen, bis der arme Kerl zum Schreien anfangen würde. Nichts geschah. Da sprang ich auch ins Wasser. Ziemlich schnell, es reichte gerade für eine Abkühlung, hievte ich mich wieder an Bord. Man sollte es ja nicht auf Teufel komm raus herausfordern.
Schließlich legten wir wieder am Mutterschiff
an. Der Fang war erbärmlich. Mama gestikulierte und palaverte. Was war ich froh wieder an Deck zu sein. Ich winkte den Beiden Spezialisten noch zu, während sie zehn Cola entgegen nahmen. Cola ist wertvoll. Cola hat viel Zucker, ist nahrhaft in der kargen Urwaldverpflegung. Schließlich eroberte sich Mama einen blinkenden Angelhaken, den der Indio nur ungern hergab. Solch Stahlhaken waren viel wert für sie, doch Mama kannte keine Gnade. Die Indios schienen mehr Angst vor ihr zu haben, als vor den Piranhas. Vielleicht deshalb, weil Mama größer als ein Piranha war. Jedenfalls kam Mama auf mich zu. Capitano grabschte nach dem Haken und fing sich einen Schlag auf den Handrücken ein, der fast einem Axthieb glich.
Mama lächelte durch Ihre Zahnlücken und übergab mir diesen Haken. Ich bedankte mich bei ihr mit einem Kuss auf die Backe. Capitano runzelte die Stirn und Mama kicherte wie ein Teenie-Küken.
Ich drehte mich zur Seite.
„Hallo, wo sind sie denn?“
Meine Museumsbesucherin war verschwunden. Ich nahm das Kleinod auf und polierte es mit meinem Taschentuch.
Dann mache ich mein Museum eben wieder zu.