Teil 2 Sehnsucht
Sie zieht ihre rosa Hausschuhe an, die mit dem Silberstern, öffnet ihre Schlafzimmertür und geht die etwas ausgetretene Holztreppe hinunter
Leise um niemand zu wecken geht sie in ihres Vaters Zimmer.
Sie will eine Briefmarke holen, als sie den Lichtschein unter der Tür sieht. Schon möchte sie wieder hoch gehen, als ihr einfiel, weswegen sie da war. Beherzt drückte sie die Klinke nieder und trat ein. Still stand sie nun an der Tür und getraute sich nicht zu rühren. Ihr Vater saß hinter seinem Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt und schluchzte.
Ganz zart rief in Julia an, „Papa“, verstört hob er den Kopf und wischte sich hastig über das Gesicht. Aber Julia hatte genug gesehen. Er hatte geweint. Müde fragte er,
„was willst Du, warum bist Du nicht in Deinem Bett?“ Schüchtern sagte sie: „Ich brauche einen Umschlag und eine Briefmarke“. -
"Wozu“? –
„ Ich habe meiner Mama einen Brief geschrieben und da ich doch morgen Geburtstag habe, will ich, dass sie kommt.“-
„ Zeig mal her.“ Zögernd ging sie ein paar Schritte auf ihn zu. „Na komm schon her.“ Sie sah ihn gespannt an, als er den Brief las. Dann zog er Julia auf seinen Schoss. Lange Zeit war es still zwischen ihnen.“-
„ Mäuschen“, oh, wie lange hatte er es nicht mehr zu ihr gesagt, „Mäuschen, Deine Mama kann nicht kommen, sie ist beim lieben Gott.“-
„Dann ist sie also mein Engel, der jede Nacht kommt?“-
„Ja Liebling.“ Er verbarg sein Gesicht in den Haaren seines Kindes und seine Tränen liefen über ihr Gesicht.
Nun weinte Julia auch, doch weniger aus Trauer sondern weil es ihr Papa auch tat.
„Warum ist sie fortgegangen, konnte sie uns nicht mitnehmen. Wollte sie uns nicht mehr?“
Qualvolles Stöhnen zeigte ihr, dass sie ihm mit ihrer Fragerei weh tat.
Konnte er ihr alles sagen,
konnte er sagen, dass er sich die Schuld gab an dem Autounfall, obwohl alle sagten dass er es nicht war, dass der LKW die Schuld trug und auch deswegen bestraft wurde?
Konnte er ihr sagen, dass sie drei Monate in einem Gipsbett lag, dass er auch einen Schädelbasisbruch hatte?
Konnte er ihr sagen, dass ihre Mutter so schwer verletzt war, dass sie, wäre sie davon gekommen ewig ein Pflegefall gewesen wäre und ihr Kind nicht mehr erkannt hätte?
Er war froh, dass sie keine Erinnerung zurück behalten hatte. Sie war damals drei Jahre alt.
Vor lauter eigenem Schmerz lebte er nur für sich und gewahrte gar nicht, dass noch jemand da war, um den er sich kümmern musste.
Hätte er den Brief nicht gelesen, hätte er ihren Geburtstag vergessen. „Komm wir gehen schlafen. Wird Dein Schutzengel heute Nacht noch einmal kommen?“ –
„Ganz bestimmt, er hat es mir versprochen, immer wenn es Vollmond ist schaut er bei mir vorbei. Im Stillen dachte er sich:
„Diesen Glauben muss man haben. Und er nahm sich vor, mit ihr morgen zum Grab ihrer Mutter zu gehen und anschließend ein Fahrrad zu kaufen.