Alter Mann und Rosenjüngling
Die ungute Szene spielt in Halle-Neustadt, nahe dem Südpark. Der gut Informierte weiß das richtig einzuschätzen.
Ich soll also dem alten Mann beim Einkaufen helfen. Wir verlassen das Haus und draußen zeigt er auf den Eisenzaun, der die Müllcontainer umgibt: „Dagegen hat der Junge mit einem Stock geschlagen … und als er die Ratte gesehen hat, hat er seinen Pulli hochgezogen, um Hals und Nacken zu schützen, falls sie angreifen würde. Sie ist aber weggelaufen.“
Wir betreten den viel zu großen
Supermarkt und suchen und suchen … Wo finden wir die Margarine, wo die Flüssigseife? Endlich ist die Einkaufsliste abgearbeitet und wir stellen uns am Ende einer Kassenschlange an. Das wird lange dauern …
Mein Blick geht zu der SB-Kasse neben uns, auch dort muss man anstehen. Eine Clique von Oberschülern hält den Betrieb auf, sie haben in der Pause wenige Artikel für sich ausgesucht, jeder zieht Seines über den Scanner und dabei flachsen sie ständig miteinander. Ein Großer, Kräftiger fällt mir auf, er ist außergewöhnlich hübsch, wie eine frisch aufgeblühte Rose. Sein Haarschnitt ist
von der Schädeldecke zum Nacken hin stufenförmig abgetreppt; der Kopf sieht aus wie eine umgestülpte Zikkurat, denke ich – hat er das nötig? Wirkt aber interessant. Und wie harmonisch, friedfertig Gesicht und Mimik erscheinen ...
Jetzt ereilt den Rosenjüngling ein Hustenanfall, er scheint sich beim Palavern verschluckt zu haben und erleichtert sich, indem er ein Quantum Spucke auf die Kassenablage drüben würgt. Ich kann nun unsere Waren aufs Laufband legen und den alten Mann bezahlen lassen.
Draußen auf dem Gehweg neben dem Kaufpalast eine lebende Barrikade: Zwei
Frauen ratschen miteinander, jede hat einen angeleinten Hund dabei. Die Tiere mögen sich nicht, streben auseinander, so weit es geht. Die Einkaufstaschen tragend weiche ich auf die Fahrbahn aus. Der alte Mann humpelt an seinem Stock dicht an einem Hund vorbei, der sich dadurch bedroht fühlt und sofort aggressiv wird. Er kläfft, reißt das Maul auf, versucht zuzuschnappen – es ist gerade noch mal gutgegangen. Der alte Mann schimpft, die zwei Frauen haben kein Einsehen, entschuldigen sich nicht.
Jetzt kommen die Oberschüler des Wegs und mischen sich ein. Sie nehmen Partei für Hunde und Frauen. Ich bin schon weitergegangen, drehe mich um
und muss wartend die Tirade des alten Mannes mit anhören. Das Wort Gesocks fällt. Der Rosenjüngling drängt sich aus der Gruppe heraus und ruft: „Du, pass auf – ich stech dich!“ Dabei macht er eine nicht mißzuverstehende Gebärde, seine Hand langt am Körper entlang, nähert sich, schon im Weitergehen mit der Gruppe, der Hosentasche. Er wird doch nicht im Ernst ---
Da kommt eine Abzweigung und die Schüler – uns überholend und nahe ihr Pausenende - gehen in die andere Richtung. Wir haben zum zweiten Mal Glück gehabt. Zurück bleibt in mir das Bild einer allzu früh entblätterten Rose.