Vampir ohne Zähne
Alter Vampir
Ich bin ein Vampir. Ein alter Vampir! Schon weit über fünfzig! Sogar weit über sechzig. Ja, ich habe schon das siebzigste Alterjahr hinter mir.
Meine Gesundheit ist auch nicht mehr, was sie einmal war. Ich bin tatterig. Ich mag nicht mehr so zügig durch die Gegend schweifen. Mein Jagdinstinkt ist mir auch ziemlich abhanden gekommen.
Das ginge ja noch: Aber meine Zähne! Du meine Güte, meine Zähne! Das
wichtigste Arbeitswerkzeug eines Vampirs funktioniert nicht mehr.
Sie sind leider stumpf, die blutsaugenden Eckzähne abgebrochen. Das bringt bei meinen Kunden grosse Schmerzen und bei mir kaum mehr einen mundvoll Blut. Es ist schon sehr mühsam, ein alter Vampir zu sein.
Ich habe eine Idee
Neulich ist mir eine blendende Idee gekommen: Warum nicht zum Zahnarzt oder zum Zahntechniker? Andere lassen sich Herzbypässe einsetzen, um weiterzuleben. Oder Hüftgelenke, um wieder laufen zu können. Oder lassen
sich Fett absaugen, Botox spritzen, Haut operativ straffen. Warum lasse ich mirnicht ein neues Vampirgebiss anpassen?
Ich rufe also meinen Zahnarzt an und schildere ihm mein Problem. Er hat Verständnis dafür, weiss selber aber nicht so recht, wie machen. Also empfiehlt er mir einen Zahntechniker. Ich soll ihn mal anfragen, vielleicht ist er für einen solch aussergewöhnlichen Wunsch zu haben.
Zahntechniker Müller hört mich an und rät mir, mal zu einem Gespräch vorbei zu kommen. Wenn er meine Wünsche kenne
und die technischen Fragen gelöst seien, stünde einem Umbau meines Vampirgebisses nichts im Wege.
Beim Zahnklempner
Vierzehn Uhr: Ich stehe vor der Tür von Dr. Müller und läute. Die Praxisgehilfin lässt mich herein und scheint etwas skeptisch anzuschauen. Ich nehme es ihr nicht übel, schliesslich ist mein Beruf nicht alltäglich.
Dr. Müller bittet mich zu sich herein. Wir gehen das Problem an. Er empfiehlt eine Brücke mit zwei neuen, scharfen Schneidezähnen, die Anderen würde er nachschleifen. Ich bin einverstanden.
Wenn nur meine Arbeit wieder Spass macht!
So finde ich mich auf der Liege wieder. Dr. Müller misst, meisselt, schruppt, poliert. Er nimmt am Schluss einen Abdruck für die Brücke. Dann bin ich für heute entlassen. „Ich gebe ihnen Bescheid, wenn sie ihr neues Vampir-Gebiss abholen können.“ Sagt Dr. Müller.
Meine neuen Beisserchen
Eine Woche später: Wieder sitze ich im Behandlungsstuhl von Dr. Müller. Gut gelaunt öffnet er eine Schublade und zieht eine Brücke mit den neuen
Beisserchen vor. Wie die spitz und scharf sind und neu und prächtig glänzen!
Eine Viertelstunde, und die Dinger sind in meinem Kiefer fixiert. Prächtig. Ich denke, ich sollte sie gleich mal versuchen können. „Nicht mit meiner Sprechstundenhilfe“ sagt Dr. Müller entschieden. Da soll ich mir mal keine Hoffnungen machen. Dann halt nach Hause und einen Testlauf an einem blutigen Steak.
Der erste Einsatz
Viel lieber aber hätte ich frisches Blut. Also mache ich gleich ein Telefon bei meinen liebsten Kundinnen, Linda und
Marta. Die Zwillinge haben das beste Blut weit und breit.
Linda ist bereit, sofort zu kommen. Sie hat schon lange nicht mehr den Hals für mich hingehalten, also freut sie sich sehr auf den heutigen Einsatz.
Bei mir angekommen, docke ich bei ihr gleich an. Nach der Adersuche und dem Einspeicheln setze ich sorgfältig die Stiche. Wunderbar, das Blut strömt wieder wie früher, es ist ein Hochgenuss. Höchstens noch etwas wackelig ist die Brücke. Aber das kann ich ja in den nächsten Tagen noch korrigieren lassen.
Nach einer Viertelstunde wird Linda bleich, ich muss Schluss machen. Ich möchte ihr Blut ja noch manche Jahre geniessen können. Kein Problem: Morgen kommt Marta, die Schwester.
Mahlzeit!