Sie kam in die Boddenklause, bestellte sich gleich am Tresen einen Espresso und setzte sich dann in die kleine Fensternische, wie um dort jemanden treffen zu wollen. Ich weiß nicht, ob sie mich gesehen hat. Ich sie schon. Und ich habe sie sofort wiedererkannt, nach so langer Zeit. Nach bald fünfzig Jahren. Die Frau dort am Tisch, das ist Fabi! Ganz sicher. Sehr sicher jedenfalls. So gut wie. – Oder vielleicht doch nicht? Schlank ist sie immer noch, wenn auch, sagen wir mal, fraulicher. Na ja, wer die Sechzig hinter sich hat … Die früher üppige schwarze
Lockenpracht ist jetzt grau gesträhnt und kürzer, gebändigter, angemessen. Das Gesicht schmal, braungebrannt. Der kleine Leberfleck links unterhalb des Mundwinkels, unverkennbar. Wenn sie zu mir herübersieht, kann ich ihre hellgrauen Augen erkennen. Sie trägt jetzt eine randlose Brille. Steht ihr gut. Doch, das ist Fabi. Fabiella. Fabiella Krajewski. Mich scheint sie aber nicht wiederzuerkennen. Na gut, kein Wunder. Die Haare auf meinem Kopf sind dahin, schon seit Langem. Die Haare im Gesicht dafür umso üppiger. Ob mich das kleidet ist mir wurscht, bequemer als tägliches
Rasieren ist der Vollbart allemal. Brille hatte ich früher auch nicht. Na und inzwischen wiege ich locker das Doppelte wie damals. Ich sitze auf meinem Stammplatz am Tresen und träume versonnen vor mich hin. Ob ich mich ihr zu erkennen gebe? Oder lieber doch nicht? In der Schule gingen wir ja kurz miteinander. Aber wer kann wissen, ob und wie sie mich in Erinnerung hat? Und wenn sie es nun doch nicht ist? Wir haben uns seit der zehnten Klasse nie mehr wiedergesehen. Oder doch, ich sie jedenfalls, damals im Fernsehen, als sie ein paar Jahre ein Rockmusikstar war.
Gott, das ist ja auch schon so lange her. Und damals, in ihrer großen Zeit, hatte ich noch mal eine Art Rückfall des Verliebtseins – aber sie war völlig unerreichbar geworden. Ein Weltstar. Ich dagegen kam damals nicht raus in die Welt. Und in ihre Welt schon mal gar nicht. Ich winke nun Georg, dem Kneiper, dass er mir noch ein Bierchen hinstellt, und einen Kurzen. Georg, auch er ein Urgestein hier im Ort. Müsste er sie nicht auch noch kennen? War doch ebenso mit uns an der Schule damals. Na gut, er war zwei Klassen unter mir, aber Fabi müsste ihm wenigstens vom Sehen bekannt sein,
oder? Ich frage ihn. »Nee«, sagt er. Kann sich nicht erinnern. »Und später? Fernsehen? Rocky Fasziella?«, frage ich »Rocky Fasziella? Wie jetzt? Du meinst DIE Rocky Fasziella? Dings hier … ›Da-da-dappn-da-diejuuuh‹?«, er brummt den damals größten Nummer-Eins-Hit. »Was? Das soll die sein? Hier in unserem Kaff? Du spinnst!« »Die war ja von hier, ursprünglich, kannst du glauben. Ich hatte was mit ihr, nur kurz. Lange her. In der Schulzeit noch.« »Du spinnst!« Georg schnaubt verächtlich. Guckt noch mal hin,
schüttelt den Kopf. »Was du dir alles einbildest. – Aber bitte, geh hin, frag sie!« Soll ich? Mit dem Bier und dem Klaren versuche ich, mir Entschlossenheit anzutrinken. Bin nicht mehr so der draufgängerische Typ. Und überhaupt. Wenn ich nun da rüber gehe, mich zu erkennen gebe, was dann? Meine Alte wird mir schön einheizen, wenn ich mich hier an andere Frauen ranmache. Ich rutsche unruhig auf meinem Barhocker hin und her und zweifle vor mich hin. Fabi hat sich in ihrer Nische derweil einen Cognac bestellt, den ihr Georg bringt. Dann kommt er wieder zu mir und raunt: »Ich hab sie mir eben noch mal
genau angesehen. Ähnlichkeit ist da ja, aber meinst du wirklich? Ja, wenn sie ihre Bassgitarre dabei hätte … Nee, ein ehemaliger Rockstar in meiner Kneipe? Aber die Band war doch im Westen, wie kann sie dann von hier gewesen sein?« »Abgehauen? Ehrlich, ich weiß es nicht. Seit der Schule hab ich sie nicht mehr gesehen.« »Na dann würde ich mich an deiner Stelle doch mal zu erkennen geben, meinst du nicht?« Georg boxt mir freundschaftlich an den Oberarm. »Dieses Lied, ›Da-da-dappn-da-diejuuuh‹, wie hieß das noch – ›Mit The Hitch On The Witch‹?« »Me And The Bitch And The Naked
Witch«, verbessere ich. »Ja, das. Kannst du das noch auf der Gitarre? So wie früher? Das hattest du doch früher drauf. Hör zu, ich hab immer noch Gerris Klampfe im Lager hinten, die hol ich und dann baust du dich vor ihr auf und bringst ihr ein Ständchen. Und dann seh’n wir mal, was passiert.« »Sie wird mich auslachen.« »Na und?« »Ach, ich weiß nicht …« Gäste kommen ins Lokal, Georg muss sich denen erst mal widmen. Ich hatte Fabi damals ein kleines Liebeslied geschrieben, getextet und komponiert. Das war noch bevor wir kurz miteinander gingen. Das war vielleicht auch der
Grund, warum wir überhaupt miteinander gingen. Kurz nur. Warum kurz? Es fällt mir nicht ein. Sie hatte plötzlich Schluss gemacht, ja, aber warum? Das kleine Liebeslied kann ich natürlich noch. Das könnte ich ihr vielleicht vorspielen. Sie wird sich sicher daran erinnern. Als sie damals berühmt wurde, so sechs, acht Jahre später wird das gewesen sein, und ich hatte sie längst aus den Augen verloren, wenn auch nicht ganz aus dem Sinn – ich war damals schon längst mit Karin zusammen, bin ich ja heute noch – kurz und bündig, damals als Fasziella hatte sie das Lied mit ihrer Band gespielt, wenn auch deutlich verändert. War aber ein Flop,
wenn ich mich recht erinnere, anders als die großen Hits damals. Ich überlege kurz, ob mir nicht sogar Tantiemen zugestanden hätten – aber wie hätte ich das durchsetzen können, damals, die Band war im Westen! Georg hat die Bestellungen seiner Gäste aufgenommen und macht Getränke fertig. Dann stellt er sich wieder zu mir, sieht mich immer noch unverwandt zu der Nische glotzen. Auch Fabi hat schon ein paarmal zu mir rüber gesehen, sich aber kein Anzeichen eines Erkennens anmerken lassen. Cognac. Ebenso typisch. Alle Welt trank Bier und Klaren, damals schon. Sie wollte Cognac. Aber nicht so ’nen billigen braunen Fusel wie
›Goldbrand‹ oder ›Weinbrand Verschnitt‹. Cognac. Und weil der, wenn überhaupt beschaffbar, rumänischen oder sowjetischen gab es manchmal, teuer war, trank sie so gut wie nichts. Außer Juice. So nannten wir den O-Saft damals. Georg stößt mich an. »Was ist, soll ich die Klampfe holen?« Er zwinkert mir zu, boxt mich wieder an den Oberarm. Er sollte das lassen! »Nein!«, sage ich barsch. »Das Ding ist vermutlich sowieso inzwischen dermaßen verstimmt.« Mein »Nein!« hat Fabi wieder zu mir herübersehen lassen. Ihr Blick ruht auf meinem Gesicht, meinen Augen, meinem Mund, den Stellen jedenfalls, die der
Bart einigermaßen freilässt. Sie zieht ihre Augenbrauen ein bisschen zusammen … »Ja«, tönt Georg ungefragt, »das ist Matti Wenzlow.« Dabei legt er mir eine Hand auf die Schulter. »The one and only Matthias Wenzlow«, setzt er nach. Peinlich. Fabis Minenspiel hellt sich auf, sie lächelt. Sie deutet auf den freien Platz an ihrem Tisch, ihr gegenüber. Ich zögere noch einen Augenblick, dann wuchte ich mich von meinem Hocker, greife mir mein halbvolles – mein halbleeres Bierglas, nehme in der Nische Platz. »Hallo Fabi.« Wir mustern uns gegenseitig, erkennen
viel Vertrautes, erkennen auch gravierende Veränderungen. Tasten einander wortlos mit Blicken ab und erinnern uns. Vergangene Zeiten. »Bist fett geworden«, sagt sie. »Und alt.« Ja, denke ich, stimmt wohl so. Und sage: »Du natürlich nicht, meine Schöne. Aufregend schön. Wie eh und je.« Sie war absolut das tollste Mädchen in unserer Klasse. In der ganzen Schule. Schlank, tolle Figur, noch tolleres Aussehen. Ihr Vater war Italiener, glaube ich, daher das bisschen Südländische, das dunkle Haar, der dunkle Teint, das Temperament. Na und natürlich auch der exotische Vorname. Der Vater war ein
Zirkusmensch gewesen, hieß es. Hat es nie an einem Ort lange ausgehalten. Verschwand schließlich ganz. Fabi aber war der Schwarm der meisten Jungs. Nur, keiner hatte sie zu mehr als einem flüchtigen Küsschen rumgekriegt. »Du bist nach all den Jahren wieder hier an deinen Wurzeln angekommen?«, frage ich. »Präsenile Rückschau.« Sie seufzt. »Ich wollte nicht warten, bis es fünfzig Jahre sind, seit ich hier weg bin.« »Fünfzig Jahre. Viel Zeit, Fabi.« »Fabi hat mich schon sehr lange niemand genannt«, sinniert sie. »Was machst du denn so? Bist hier nie weggekommen, stimmt’s? Und schon Ewigkeiten
verheiratet, hab ich Recht?« »Mit Karin.« »Karin? Karin Schulz etwa? Die blonde? Ist nicht wahr!« Sie kippt sich amüsiert den Rest vom Cognac hinter. Karin war damals in der Parallelklasse. Direkte Schönheitskonkurrentin für Fabi vielleicht sogar. Karin hatte vor mir etliche Jungs gehabt, aber dann hatte irgendwann – ich hatte meine Armeezeit gerade hinter mir – doch noch die große Liebe zugeschlagen. Auch schon über vierzig Jahre her. »Ja, Karin Schulz«, sage ich. »Sie kocht gut«, setze ich kurz darauf nach und betätschele meinen voluminösen Bauch. »Hast mich nicht gleich wiedererkannt,
was?« Sie will eben bei Georg was bestellen, da drängle ich mich vor und stelle sie ihm als Fabiella Krajewski vor und ordere für mich ein frisches Bier und für Fabi Cognac und Juice. »Juice?« »Na, Orangensaft.« »›Juice‹ hat bei mir auch schon ewig keiner geordert …« Er grient und setzt sich in Bewegung. »›Krajewski‹ ist auch schon sehr lange her«, sagt sie. »Ja, klar, verheiratet.« »Geschieden. Ebenfalls schon sehr lange.« »Kinder?«, frage ich, aber bereue es
sofort, das klingt mir plötzlich so eifersüchtig. Und sowieso auch. Als ob ich irgendwie Grund dazu hätte? Sie lächelt ein bisschen spöttisch, als hätte sie meine Gedanken verfolgen können. Nickt. Sagt: »Eine Tochter, Einundvierzig schon inzwischen, hat selber zwei erwachsene Söhne.« Einundvierzig, rechne ich automatisch, nein, zu jung – und Fabi sieht mir meine Rechnerei quasi an der Nase an. Sie schüttelt, halb verächtlich ihren Kopf und wendet den Blick kurz nach oben. »Männer!«, scheint sie zu denken. Männer! Ja doch. »Aber Urgroßmutter bist du wohl noch nicht?«, frage ich und klinge vielleicht
ein bisschen beleidigt, bereue das aber auf der Stelle, denn was geht es mich schließlich an? »Nein, die jungen Herren sind noch nicht recht bindungsfest.« Sie nippt an dem Cognacschwenker, den Georg ihr inzwischen gebracht hat. Ich versuche abzulenken vom Thema, will nicht erzählen müssen, dass meine Ehe mit Karin kinderlos geblieben ist und – nein, an mir lag’s nicht – als ob das was ändern würde an dem etwas zweifelhaften Bild, das ich hier abgebe. Nee, da frage ich sie lieber nach ihren glorreichen Zeiten als »Rocky Fasziella« früher. Also frage ich: »Wieso eigentlich der Name ›Fasziella‹ damals? Hatte das
eine besondere Bedeutung? Ich meine außer der Herleitung von deinem Vornamen.« »Ach«, sagt sie nur und lächelt. »Hatte der Ruhm der ›Rocky‹ es sogar einstmals in den Osten, hier an die Ostsee geschafft? Hinter den bösen ›eisernen Vorhang‹?«. »Ja doch«, sage ich. »Natürlich. Und jede Wette, dass du davon wusstest.« Sie gibt es zu. Sagt: »›Fasziella‹ – wie ›Faszination‹, wie ›wer b sagt muss auch sz sagen‹, von mir aus auch so wie ›Faszie‹, das ›bindende Gewebe‹. Die Band wollte das so.« »Weltberühmt – und dann auf einmal, nach ein paar Jahren – plötzlich nichts
mehr. Wäre da nicht noch mehr drin gewesen? ›Rocky Fasziella‹ traten auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes ab, wenn ich mich recht erinnere.« »Na und?«, sagt sie, hebt nur kurz die Schultern. »Ich hatte andere Pläne.« »Aber der Erfolg? Du warst ein Superstar! Millionen Fans! Und das Geld natürlich!« »Och, das Geld hatte mich nie interessiert …« »… sagt eine, die es vermutlich richtig dicke gehabt hat«, ätze ich, denke an meine magere Vorruhestandsrente. »Schön«, sagt sie. »Kein Geld ist sicherlich belastender. Willst du Anteile für dein kleines Liebeslied damals? Kein
Problem. Die ›Rocky‹ spielt mir noch heute Tantiemen ein. Aber das interessiert mich eben schon mal deswegen nicht, weil ich auch später immer recht erfolgreiche Projekte zustande gebracht habe.« »Du erinnerst dich noch an das Lied ›Ein Steinwurf nur‹? Bei dir, bei euch hieß es ja dann ›Breakoff‹, oder?« »Natürlich erinnere ich mich.« Sie dreht ihr Saftglas zwischen den Fingern und sinnt vor sich hin. »Die Band wollte das Lied eigentlich nicht. War zu … melancholisch. Aber ich hatte mich durchgesetzt. Vielleicht um dir eine Art Signal zu senden. War aber ein Flop, das hatte die Band vorhergesagt und es war
so gekommen. Wir hatten dann in einer Pressemitteilung verkündet, dass ich damals in Trennung gewesen wäre – deswegen das Lied. Hatte zwar nicht gestimmt, brachte aber Punkte bei den Fans. Ja, lange her.« »Wie kamst du seinerzeit eigentlich in den Westen? War ja wohl nicht ganz so einfach.« »Ein Trick«, lacht sie. »Eine Septiade vorher.« »Eine Septiade? Was soll das sein?« »Vergiss es, nur ein Wortspiel von mir. Ich hatte vor der Zeit bei der Band etwas anderes gemacht. Auch aufregend. Auch Kunst, wenn du so willst. Zirkus. Wir waren Artisten und durften damals für
ein Festival ins Ausland. Na, und da bin ich dann geblieben. Böse Republikflucht. Ist das nicht jetzt verjährt?« »Zirkusartistin?«, frage ich verblüfft. »Ja, Artistin, Sängerin, Schriftstellerin und manches andere noch. Vielleicht schreibe ich ja eine Biografie, dachte ich mir. Wenn die fertig ist und erschienen, kriegst du gleich als erster ein signiertes Exemplar.« Sie trinkt aus und will Georg wegen der Rechnung winken. »Warte«, sage ich, »warte noch, du kannst jetzt nicht so einfach wieder verschwinden.« »Doch, kann ich. War schön, dich wiederzutreffen. Ich muss weiter.« »Weiter? Wohin? Bleib bitte noch. Ich –
ich habe dich doch geliebt, damals. Bevor du mich verlassen hast. Ich liebe dich immer noch! Jeden einzelnen Tag.« »Das lass mal nicht deine Frau hören«, spottet sie. »Herrgott, es ist wahr, ich habe dich geliebt. Ich habe dir dieses Lied geschrieben. Gedichte auch noch.« »Gedichte?« »Ja, kann sein, dass ich mich nicht getraut hatte, dir die vorzulesen. Mindestens ein halbes Jahr war ich nur auf dich versessen gewesen, bin dir auf Schritt und Tritt gefolgt.« »Was man heute ›Stalking‹ nennen würde.« »Ach, Quatsch, Stalking – Liebe! Tiefe,
leidenschaftliche Liebe! Wir haben uns geküsst. Mehr noch.« »Und als du mich ins Bett gekriegt hast, hattest du dein Ziel erreicht und mich fallenlassen. Hast du diese Kleinigkeit vergessen?« »Ich … nein, ich hätte dich doch auf der Stelle geheiratet, glaub mir.« »Weil du Angst hattest, mich nicht nur defloriert sondern auch noch geschwängert zu haben? Außerdem durften wir mit Sechzehn noch gar nicht heiraten.« »Dann eben verloben, was weiß ich? Ich wollte dich, nur dich. Heilige Scheiße, es war doch auch mein erster
…« »Fick?« Ich stutze, das Wort mit »F«, aus ihrem Mund! Sie lächelt, hat wie damals Grübchen in den Wangen. Sagt nichts. Lange. Ich sehe mich im Geiste vor ihr knien, würde Karin augenblicklich und ohne zu zögern verlassen für sie, denke ich. Mit allen Konsequenzen. Und ich meine es in diesem Moment tatsächlich ernst. Georg fragt, ob er uns noch was bringen soll, aber das kriege ich nur am Rande mit, als ginge es mich nichts an. Fabi ignoriert den Wirt auch und sagt zu mir: »Du erinnerst dich tatsächlich nicht mehr,
oder?« Ich weiß nicht, was sie meint. Wirklich nicht. Sehe sie ratlos an. »Damals«, sagt sie, »nach unserem … Abend. Am Tag danach. Du hast mit deinen Freunden zusammen gestanden am Gertrudenplatz. Ich konnte sehen, wie du mit deiner Eroberung angegeben hast, wie ihr gelacht habt, wie ihr alle zu mir gesehen habt. Was hattest du denen erzählt? Ziel erreicht? Wette gewonnen? Festung erobert? Jungfrau geknackt? Ihr seid dann einfach gegangen, ins Bierlokal. Und mich hast du da stehen lassen. Nicht schön.« Ich kann mich nicht erinnern, nicht so jedenfalls. Könnte vielleicht so oder so
ähnlich gewesen sein. Mein Gott, junge Männer eben, großmäulig und testosterongesteuert. Wäre das der Grund gewesen? »War das wirklich so? Glaube ich nicht. Ich vermute du hast da was missverstanden«, versuche ich zu erklären. Mich halbwegs zu entschuldigen. Ich hatte mich damals gewundert, aber keine Erklärung gefunden. Sie hatte mich nach dem Abend einfach abblitzen lassen, und zwar gründlich. Nicht mal mehr reden wollte sie mit mir. Ich dachte, sie hätte den Sex als solchen bereut. Aber das war es dann doch nicht, sie hatte sich kurz nach mir mit Lössner
eingelassen. Ausgerechnet mit Lössner, dem Brillenfrosch, dem Gruselkuckuck. Komisch, dass die Weiber auf einmal auf den flogen; der war dann jahrelang der Orts-Casanova, musste wohl ganz spezielle Qualitäten gehabt haben. Mit meiner Karin soll er damals ja auch mal … »Lössner!« Der Name rutscht mir plötzlich raus und Fabi lacht hell auf und kräht: »Das war ein Ding, was?« Sie und Lössner hatten es miteinander getrieben. In der Hofpause, im Klassenzimmer, auf dem Lehrertisch. Eine Woche nach unserem … Abend. Und sie sind erwischt worden, von Erika. »Erika hat euch erwischt«, setze ich
nach. »Ja«, sie lacht. »Erika, ›the Bitch‹. Und ich stand da als ›nackte Hexe‹. So war’s gedacht.« »Was? So war’s – das war geplant? Um mich zu strafen? Ich glaub’ es nicht!« Und so bekommt der Titel ›Me And The Bitch …‹ noch mal eine zusätzliche Bedeutung für mich. Ich schüttele nur abweisend den Kopf. Grandioser Hass wegen eines Missverständnisses. Ich stehe auf und will jetzt zurück zu meinem Stammplatz. Sie hält mich kurz am Handgelenk fest, sieht mir in die Augen. Fragt: »Erinnerst du dich noch, was ich dir nach der Schulabschlussfete gesagt hatte? Kurz bevor ich dann
wegging von hier?«
Ich denke, denke, denke – nichts.
Gar nichts.
Sie lächelt jetzt.
Dann lässt sie meine Hand los und sagt nur: »Na – dann geh!«
Die Geschichte ist Bestandteil des Kurzgeschichtenbandes "Siebeneinhalb Windstärken" von Jurek P, erschienen im Haffnitzverlag (www.haffnitz-verlag.net)
Brubeckfan O weh, wenn zwei dasselbe erleben, ist es doch völlig verschieden. Daß sie sich noch genau erinnert und er nicht, sagt alles. Gute Geschichte! Viele Grüße. Gerd |
welpenweste Toll! Toll! Ein Kleinod. Eine ganz tolle Geschichte. Ich ziehe den Hut! Chapeu! Günter |