Das Abendmahl
Wir trafen uns bei La Perla, dem angesagtesten italienischen Restaurant der Gegend. Eigentlich war es merkwürdig, weil Moni kaum aus dem Hause ging. Und irgendwie war es auch schön, dass wir zusammen mal etwas unternehmen konnten.
In den letzten 20 Jahren war nur ich immer einkaufen gegangen und sie hütete das Heim und widmete sich ihrer Leidenschaft, nämlich dem Kochen. Kein Wunder, dass mein Gewicht etwas Bauchlastig zu bezeichnen war.
Jedenfalls saß ich am Tisch und wartete. Schließlich tauchte sie auf. Der Nadelstreifenanzug an, der seit Jahren im
Schrank verkümmert war, stand ihre außerordentlich gut. Sie hatte sich nach allen Regeln der Kunst hergerichtet. Der aufgeräumte Eindruck und ihre Feingliedrigkeit waren betörend und ich machte ihr gerne entsprechende Komplimente. Sie grinste, wie ich es kannte, wenn wir zusammen lachten. Das war öfters der Fall. Sei es, dass mir ein Fauxpas unterlaufen war, oder eine ihrer unnachahmlichen Bemerkungen über die schlagfertige Zunge kam.
Der Ober stellte sich ein. Wir bestellten. Mich wunderte nicht, dass sie Ossobuco bestellte und wunderte mich doch, dass sie nicht bei mir nachfragte, was das Gericht tatsächlich zu bieten hatte. Ich schob es auf eine Information aus ihren unzähligen Rezeptbüchern. Ich
nahm Spagetti Vongole und dazu gab es Wein. Mir war bewusst, dass der Wein bei ihr nicht süß genug sein konnte. Selbst wenn ich einen lieblichen Wein aus dem Supermarkt ergattert hatte, wurde das Glas noch mit einer Süßstoffpille verfeinert. Oft hatte ich zu ihr gesagt, dass für sie eigentlich nur Eiswein infrage käme. Deren Süße würde ausreichen. Sie hatte ihn noch nie in ihrem Leben probiert. Jetzt war die Gelegenheit da und ich freute mich ihr diesen Gefallen tun zu können, Obwohl, der Preis war ncht unerheblich. Wir unterhielten uns wie üblich. Mit Smal talk könnte es man umschreiben.
Netter, liebevoller Umgang war es, mit ein paar Neckereien gewürzt, das unsere Konversation begleitete. Und doch fühlte ich
eine gewisse Distanz, die ich von ihr sonst nicht kannte. Gewisssermaßen fehlte mir ein Spiegelbild.
Wir verstanden uns nämlich als eingespieltes Team, blind. Ohne Worte dachten wir oft dasselbe und ahnten im Voraus, was der andere sagen würde. Oft lachten wir, wer es denn zuerst formuliert haben mag. Wem denn die Pointe zuzuschreiben war. Gleicher Gedanke, gleiche Wortwahl.
Schließlich war das Dessert an der Reihe. Ich empfahl Tiramisu. Das hatte sie auch noch nie probieren können. Ich war gewiss, dass es ihr munden würde. Süß und doch voller Inhalt. Sie war begeistert und vernichtete die Delikatesse völlig und ich war glückselig.
Plötzlich stand sie auf.
„Ich muss gehen“, sagte sie.
Ich wunderte mich.
„Fahren wir nicht gemeinsam?“
„Wir sehen uns später“, zwinkerte sie mit den Augen. „Es war ein wundervoller Abend, Günter.“
Na gut, sie war ja in unserer Gegend sehr bekannt, zumindest bei den Einwohnern ihres Alters. Vielleicht wollte sie eine alte Bekannte aus der Jugendzeit treffen. Mit diesem Personenkreis konnte sie herrlich über die alten Zeiten schwadronieren. Eifersucht kenne ich nicht, sie aber schon. Über jede Minute, die ich zu lange unterwegs war, musste ich mich rechtfertigen.
Die Rechnung kam.
Sie war ungewöhnlich günstig ausgefallen. Nur ein Menü wurde berechnet, nicht zwei. Na, da wird sie wohl jemanden von früher aus der Küche gekannt haben und daher der Rabatt.
Ich fuhr also alleine nach Hause.
Es war beklemmend. Ohne meiner Hilfe am Arm hatte sie sich doch schon lange nicht mehr aus dem Hause gewagt und nun so selbstständig? So unabhängig?
Ich schloss die Tür zur Wohnung auf und es begegnete mir ein kalter Hauch. Das schien mir ngewöhnlich Dabei hatten wir wie verrückt heizen müssen, weil ihr immer so kalt gewesen war. Nur Gerrippe, da hat man eben keine Fettreserven mehr.
Eine gewisse Leere umhüllte mich, obwohl sonst alles beim alten war. Irgendwie klang es hohl. Es waren die Kleinigkeiten, die ins Auge stachen, genauso drapiert, wie sie es immer haben wollte. Nichts hatte sich geändert und trotzdem wirkte es fremd. Ich hatte die Plüsch-Tiere immer als Spittel abgwunken. Nun blickten sie mich vorwurfsvoll an.
Im Wohnzimmer setzte ich mich dann auf die Couch und begann zu weinen.
Ich hatte sie nämlich nach langer Krankheit schon vor drei Tagen beerdigen müssen.