Die neuen Musketierinnen
Eine fiktive Filmkritik
Alexandre Dumas’ »Drei Musketiere«
gehören ganz sicher zu den meistverfilmten Büchern, die es gibt. Es existieren wenigstens fünfundzwanzig verschiedene Versionen von ernstgemeinten filmischen Wiedergaben des Buches über sehr freie Interpretationen bis hin zu reinen Verballhornungen. Und so könnte man durchaus berechtigt der Ansicht sein, dass eine jetzt vorgestellte weitere Verfilmung des Stoffes durch Lucretia Donner (www.donnerwetterfilm.de) mehr als überflüssig wäre, da inzwischen alle Facetten der Darstellung abgearbeitet sein sollten. Aber weit gefehlt. Was uns in diesem Film geboten wird, ist insofern absolut originell, da hier die
Geschlechterrollen ganz und gar umgekehrt werden. Ja, richtig gelesen. Hier geht es um die drei Musketierinnen und ihre Abenteuer.
Die Handlung des Films scheint wie im Buch im frühen siebzehnten Jahrhundert angesiedelt zu sein, jedenfalls sprechen die Ausstattung und das Szenenbild dafür. Bei den Kostümen jedoch haben sich die Macher für ganz eigene Interpretationen entschieden. So präsentieren sich die Frauen gern in weiten Hosenröcken und spitzenbesetzten Blusen mit mehr oder weniger Dekolleté, also eben nicht in reine Hosenrollen zurechtgestutzt, die Männer hingegen pastellfarben zart und für meine Begriffe
auch ein wenig tuntig. Was ihnen und der Handlung des Films durchaus entgegenkommt, präsentieren die (wenigen) männlichen Darsteller doch hier das »schwache« Geschlecht.
Es ist sicher müßig, im Einzelnen auf die Handlung des verfilmten Stoffes einzugehen, der sich in diesem Falle recht eng an die literarische Vorlage hält, dennoch sollen einzelne Teile hier zum besseren Verständnis kurz umrissen werden.
Die junge Landadelige D’Artagnan aus der Gascogne (sehr dynamisch gespielt von Caroline Peters) schickt sich an, nach Paris zu gehen und in den Dienst der Musketierinnen der Königin zu
treten. Schon unterwegs gerät sie, rauflustig und deutlich vorlaut, in Konflikte, sprich: es gibt eine kurze kämpferische Auseinandersetzung mit einer recht wehrhaften Edelfrau (Ulrike Folkerts), die sich im späteren Verlauf der Handlung als Erzgegnerin der Protagonistin, nämlich als Madame Rochefort, entpuppt. Bezeichnend für den weiteren Fortgang des Films ist die Tatsache, dass Regisseurin Lucretia Donner auf punktgenauen Einsatz von Musik Wert zu legen scheint. Die eigentlichen und für Mantel-und-Degen-Filme typischen Kampfszenen werden hier nicht nur geschickt durchchoreographiert sondern regelrecht
zu Tänzen ausgestaltet. Das verwirrt zu Anfang etwas, hat aber bei genauer Überlegung durchaus sympathische Züge. Man gelangt als Zuschauer zu der Überzeugung, dass Frauen weniger aggressiv, dafür aber viel eleganter »kämpfen«. Filmfreunde, die auf richtige Action setzen, werden eventuell von dem Streifen enttäuscht sein; blutige Verletzungen gibt es so gut wie gar nicht zu sehen, Tote erst recht nicht.
In dieser ersten Episode macht der Zuschauer auch schon Bekanntschaft mit dem Edelmann Lord de Winter (sehr graziös: Jan Josef Liefers), dem unentwegten Ränkeschmied und Komplizen von Frau Rochefort.
Die weitere Handlung folgt recht genau der literarischen Vorlage, Frau D’Artagnan stellt sich bei Madame de Treville (Hannelore Hoger) vor und macht nacheinander Bekanntschaft mit den drei Titelheld(inn)en Athos (Barbara Wussow), Aramis (Anja Kling) und Porthos (köstlich: Christine Neubauer, die hier voll ihr ganzes komödiantisches Talent ausspielen darf). Es kommt durch D’Artagnans Übereifer und Tollpatschigkeit zu den bekannten Duellverabredungen mit gleich allen drei Musketierinnen im Karmeliterkloster (in dem freilich in diesem Film nur eingeschüchterte Mönche zu Gange sind, allen voran Axel Prahl als Prior). Die
Garde des Kardinals tritt auf, angeführt von Hauptmännin Jussac (Andrea Sawatzki), D’Artagnan verbündet sich mit den drei Musketierinnen (Alle für Eine!) und die Garde wird in die Flucht »getanzt« und humpelt und schleppt sich schließlich von der Bildfläche. Was anfangs noch eventuell verwirrend gewirkt haben könnte, tritt hier vollendet zu Tage. Statt wie raubeinige Kämpferinnen agieren die Damen hier wie im Volkstanz zu fesselnder Musik. Geschickte Kameraführung und ausgeklügelte Schnitte sorgen für besten Filmgenuss, wobei viele Szenenschnitte in Nahaufnahme die Gesichter der Akteurinnen im Duell der Mienenspiele
zeigen, was den Film schon für sich sehenswert macht.
Es geht weiter wie im Buch, de Treville wird vor die Königin (Louise XIII: Veronika Ferres) zitiert, wo die Kardinälin Richelieux (ganz herausragend: Katharina Thalbach) ihrer Majestät Vorwürfe wegen der Sache im Karmeliterkloster macht. In einer wunderbaren Nebenrolle sehen wir hier Karin Gregorek als sich stets einmischende Mutter Josepha, die Beichtmutter der Kardinälin.
Derweil sucht sich D’Artagnan mit Hilfe ihrer neuen Freundinnen ein Quartier bei Madame Bonacieux (Carmen Maja Antoni), sucht sich die Dienerin Planchet
aus (ganz groß: Petra Kleinert) und verliebt sich prompt in Mme Bonacieuxs bezaubernden Ehemann Konstantin (von Bjarne Mädel in Vollendung gespielt). Und während sich unsere Heldinnen mit ihren Dienerinnen (Grimaud: Katharina Wackernagel, Bazin: Friederike Kempter, Musqueton: Claudia Schmutzler) ihrem Alltag mit seinen Vergnügungen widmen, was in einer absolut köstlichen Gasthausgelageszene gipfelt (wiederum ein wunderbarer Tanz um die geprellte Wirtin, gespielt von Mechthild Großmann), spinnt sich im Palast eine Intrige um den treulosen Prinzgemahl der Königin (sehr überzeugend von Devid Striesow dargestellt) und seiner
Verehrerin, der Herzogin von Buckingham (Maria Furtwängler) zusammen. Die Sache fliegt auf, die Herzogin muss fliehen, was ihr mit Hilfe der Musketierinnen auch gelingt und der Prinzgemahl überlässt ihr als Andenken seine – was auch sonst? – brillantenbesetzten Manschettenknöpfe. Es kommt, was kommen muss und soll: turbulente Kampf(tanz)szenen allererster Güte, die aufhaltsame Reise der Musketierinnen nach England, zur Herzogin, um die Manschettenknöpfe flugs zurückzuholen, wobei alle außer D’Atragnan und Planchet von den Beauftragten der Kardinälin vorübergehend außer Gefecht gesetzt
werden. Die Regisseurin räumt hier der Figur der Hauptmännin der Garde des Kardinals, Jussac, in einzelnen Auseinandersetzungen mit D’Artagnan deutlich mehr Raum als im Buch ein, den Caroline Peters und vor allem Andrea Sawatzki hervorragend zu auszufüllen wissen. Man freut sich als Zuschauer schon jedes Mal auf eine neuerliche Begegnung der beiden, die freilich auch stets weitgehend unblutig beendet wird. Hier wird in überaus amüsanter Weise auf Slapstik vom Feinsten gesetzt.
Und schließlich erleben wir mit dem turbulente Finale, in dem D’Artagnan den Schmuck seiner königlichen Hoheit gerade noch rechtzeitig zurück bringen
kann, das Ende des ersten Teils und alles ist gerettet.
Im zweiten Teil des Films, der zwar zu großen Teilen schon abgedreht wurde, aber erst im Herbst in die Kinos kommen soll, geht es, zunächst genau nach der Vorlage mit der Belagerung der Festung La Rochelle weiter, so viel sei hier schon einmal verraten. Besonders die Szene um die Frühstückswette auf der Bastion knüpft an die schon im ersten Teil so tollen getanzten Kampfszenen an und wird wieder sehr unterhaltsam umgesetzt.
Danach allerdings weicht das dargestellte Geschehen etwas von der literarischen Vorlage ab. Die Handlung gerät deutlich klamaukiger, es wird mehr auf Slapstick und Running Gags gesetzt. Zum Beispiel taucht in einzelnen Szenen im Feldlager der La Rochelle belagernden Truppen und auch im weiteren Verlauf des Films wiederholt ein sichtlich trunkenes Söldnerinnenduo auf (mit viel Spaß an der Sache gespielt von Anna Thalbach und – überraschend, aber nicht weniger toll – Sarah Kuttner), das die augenblickliche Handlung mitunter im Grunde stört, aber zugegebenermaßen in den von mir vorab betrachteten Szenen überaus amüsant wirkt.
Auch die im Buch verschwörerischen Mord- und Meuchelhandlungen (wir erinnern uns: Der Herzog wird von Felton ermordet, Mylady erwürgt Constance Bonacieux und wird später von den Musketieren gerichtet) geraten hier ein bisschen ins Abstruse.
Felton (Anna Maria Mühe) trachtet zwar der Herzogin nach dem Leben, diese kann sich aber auf einem Schiff verstecken, dass dann zufällig mit ihr nach Amerika fährt.
Konstantin Bonacieux hält sich im Kloster versteckt, entdeckt dort aber seine bis dahin wohl unterdrückte Homosexualität, verliebt sich unsterblich in den Abt des Klosters (super: Heinz
Hoenig) und gibt D’Artagnan den Laufpass.
Und Mylord de Winter schließlich wird auf eine Galeere verbannt.
Der Film leistet sich zum Ende noch einen etwas langstielig geratenen aber durchaus ideenreichen Abspann, der die zu erwartende Zukunft der Protagonisten aufzeigt. So wird zum Beispiel die ehemalige Herzogin in Amerika von gleich zwei Indianerhäuptlingen umworben (Axel Milberg und Otto Waalkes), de Winter gerät im Mittelmeer nach einem Piratenüberfall in die Sklaverei und schließlich an eine sehr resolute neue Besitzerin (wurde mir noch nicht verraten) und die Musketierinnen –
aber nein, mehr soll und will ich hier nicht vorwegnehmen. Na eins noch, ich kann nicht anders: die Schlussszene, die war einfach zu schön. Als nämlich D’Artagnan und die Gardehauptmännin Jussac nach all den Fechtereien Freundschaft geschlossen haben und nun gemeinsam mit den zuvor immer wieder auftauchenden beiden Söldnerinnen trunken und einander umarmend durch die Straßen von Paris ziehen und aus einer kleinen Seitenstraße – hastdunichtgesehen – überaus verwundert am heutigen Camps Elysses auftauchen.
Schade eigentlich, dass es die Filme nicht wirklich gibt. Aber was nicht ist …