Teuflisch-göttliche Missverständnisse
Er stand vor dem Spiegel und blähte sich auf, schob die Schultern zurück, straffte den Rücken. Sein dämonisches Lachen dröhnte durch den Saal. Gut sah er aus in dem schwarz-gold-gestreiften Umhang und der engen Lederhose. Den seit Wochen lästigen FUßPILZ konnte er in den hohen Stiefeln verbergen, die mit goldenen Sporen verziert waren. Sogar seine BRILLE hatte er dem Design der Kleidung und dem Motto der geplanten Fete angepasst, goldene Fassung, schwarze Bügel. Auf den Kopf noch die Kappe mit den schwarzen Federn, es war perfekt.
Sein diabolisches Lachen klang sogar in seinen Ohren gruselig. Er wollte sie vernichten, sie, die ihm übel mitgespielt hatte, indem sie ihn seit Neuestem verschmähte und ignorierte. Keinen Blick hatte sie in letzter Zeit auf seine infernalischen Schriften im Netz geworfen, die
er so sorgfältig konstruiert hatte. Dabei war sie eine seiner treuesten Anhängerinnen gewesen. Ihr Verhalten verdiente Strafe. Eine Lichtgestalt wie Luzifer ignoriert man nicht! Sie würde ihm heute zu Füßen liegen.
Nachdem er sicher war, dass sein Äußeres den gleichermaßen distanzierten wie auch verführerischen Touch ausstrahlte, trommelte er seine Hexenschar zusammen, indem er eine Rundmail durchs ganze Höllenarsenal schickte. Nun gut, beinahe durchs ganze, denn wohlweislich ließ er sie, die er auserkoren hatte, aus. In die Mail streute er hochexplosive Flammenkerne, die nichts anderes besagten, als dass sie einfach nur dumm und hinterhältig sei. Keineswegs drückte er das so aus. Er schrieb etwas von Vorsicht und Entlarvung, er habe vernommen …, es sei ihm zu Ohren gekommen ..., und man müsse solchen Machenschaften schließlich Einhalt gebieten.
Nun erwartete er seine Reinigungskolonne, auf
dass die sich dem HAUSPUTZ widmete. Der Festsaal musste glänzen, der GARTEN eine Atmosphäre von lockender Intimität ausstrahlen. Nach drei Stunden waren sie fertig und er zufrieden. Anschließend schickte er ihr eine Einladung. Auf die Idee, dass sie den Braten, den er so gespickt in die Röhre gepackt hatte, riechen könne, kam er nicht. Wie auch, sämtliche Eitelkeiten hinderten ihn, einen Blick auf das zu werfen, was in anderen Seelen brodeln könnte.
Während er noch überlegte, ob er seinen Darm entleeren solle, um gewissen Peinlichkeiten vorzubeugen - zuweilen entfuhr es ihm unkontrolliert, besonders dann, wenn er zu viele von den köstlichen BRATKLOPSen gegessen hatte - traf seine herbeigerufene Schar plappernd und aufgeregt hin und her tänzelnd ein und füllte den Saal mit bizarren Gerüchen unterschiedlichster Giftparfüme. Er hatte zwar um dem Anlass angemessene Kleidung gebeten,
aber das schienen sie mal wieder nicht verstanden zu haben. Nie würde er das wahre Sprachverständnis der Weiblichkeit begreifen. Angewidert hielt er die Luft an. Immer mussten sie übertreiben, Subtiles schien ihnen nicht eigen zu sein. Er hob die Hand und Stille trat ein. Mit glühenden Augen hingen sie an seinen Lippen, warteten auf die Worte.
Währenddessen stand sie in ihrem bescheidenen Heim am Herd und füllte den sorgsam gebrauten Trank, den sie als Gastgeschenk für ihn kreiert hatte, in eine schwarz-goldene Flasche, passend zur Einladung, in der er ein rauschendes Fest in der schwärzesten aller Nächte anpries, nur erhellt durch goldene Sterne. Endlich hatte sie es geschafft und sich verwandelt. Von der Hexe zu einem göttlichen Wesen. Diese Verwandlung war von innen heraus gekommen. Lang gesammelte Erkenntnisse hatten endlich das nötige Gewicht erhalten und sie handeln lassen.
Wie konnte sie Luzifers Gesülze nur so lange missverstehen? Auf ihn reinfallen. Wie seine Hexenschar. Es hatte nicht gereicht, dass sie ihn nach der Erkenntnis ignorierte. Er hatte es geschafft, Gerüchte über sie zu streuen. Verdammt, sie war das perfekte Mobbingopfer geworden. Doch damit war jetzt Schluss. Sie schmiedete einen Plan. Es waren keine großen Aktionen vonnöten, es hatte sich in ihrem Kopf abgespielt. Mit äußerster Willenskraft hatte sie ihre Gehirnzellen aktiviert und letztlich gefüllt mit dem Mantra: Ich will und ich kann! Jetzt war sie eine Göttin, die Tochter eines wahren Teufels, geboren im heißesten Höllenfeuer. Sie war stark, böse und bissig, konnte jede Gestalt annehmen und sie würde vernichten. Mit ihrer Hexenkunst wäre das kaum ein Problem, falls er sich täuschen ließ.
Doch während der Zubereitung des Tranks kam ihr der Gedanke, dass Vernichten wohl nicht das Richtige sei. Sie wollte ihn demaskieren, ihn
„nackt“ sehen bis auf seine Seele. Ob die schwarz war oder grau oder einfach leer?
Statt der todbringenden Kräuter mixte sie Tropfen in den Trank, die den Kostenden von allem Talmi befreien und seine Hülle zerstören und nur das nackte Wesen übriglassen würde. Sie wollte, dass sein Hofstaat endlich erkannte, was ihn ausmachte, wollte, dass all jenen die Augen geöffnet wurden, die ihm so blind und gedankenlos folgten. Sie trachtete danach, alles Missverstehen auszuräumen.
Es war an der Zeit. Sie verkorkte die Flasche und machte sich auf den Weg. Von Weitem hörte sie das Geschnatter seiner Schar, die Tür zu seinen Gemächern öffnete sich und ein bestialischer Gestank, vermischt mit den unterschiedlichsten Düften strömte heraus.
Sie, die Göttliche, trat vor ihn hin, reichte ihm das Begrüßungsgebräu. Er neigte den Kopf, bot ihr seinen Arm und führte sie zum Pavillon am Gartenteich. Zahlreiche Sterne erhellten die
Dunkelheit und warfen goldene Lichtpunkte auf das Gewässer. Ein HAUBENTAUCHERpärchen zog Kreise in der Mitte des Teichs. Sie musste sich das Lachen verbeißen. Er sah mit seinem gefiederten Kopfschmuck den Vögeln sehr ähnlich.
Kurz blendete sie das Licht, das von seinem Mantel abstrahlte. Sie zwang sich standzuhalten, wendete ihren Blick nicht von ihm.
Er war irritiert, das war sie? Die Sanfte, Stille, Kriechende, die immer Wachs unter seinen Worten gewesen war? Konnte es sein, dass sie ihn verführen wollte? Alle Signale, die sie aussendete, sprachen dafür. Das verführerische Outfit, das ihren Körper nur wenig verhüllte genauso wie die blitzenden Augen. Sie streckte das Kinn vor, blinzelte und hob einen Mundwinkel. Was für eine verruchte Verheißung. Nein, er würde sie nicht vernichten oder bloßstellen, er würde sie nehmen. Alles an
ihm blähte sich auf, er nahm nichts anderes mehr wahr als diese göttliche Gestalt vor ihm.
Das anfangs aufgeregte Geplapper seiner Folgeschar, die sich genähert hatte, verstummte nach und nach. Manche schauten ihn an, hechelnd nach einer Anweisung, wie man sich zu verhalten habe.
Doch nicht seine, sondern die Stimme der Göttlichen hallte durch die Nacht, als sie zu sprechen begann.
„Ich bin erfreut, euch zu sehen! Warum so zögernd?“ Sie lachte, fuhr mit der Zunge über ihre Lippe, was ihm den letzten Zweifel nahm. Er brauchte einen Drink. Sollte er von ihrem Gastgeschenk kosten? Sie selbst füllte aus der mitgebrachten Flasche zwei gläserne Becher, die er sich reichen ließ.
„Was ist, mein Lieber?“, fragte sie, als er keine Anstalten machte zu trinken. „Fehlt dir der Mut? Keine Angst, der Trank wird uns unvergesslich bleiben.“ Sie hauchte die Worte
mit sanftem Atem in sein Ohr. Dann lachte sie und sämtliche Hexen scharten sich um sie und fielen ein. Ohne seinen gierigen Blick von ihr zu lassen, nahm er den Becher, und noch ehe sie den ihren zum Mund geführt hatte, schüttete er alles in sich hinein. Beinahe im selben Moment schrumpfte seine Gestalt, glich mehr und mehr einer knorrigen Wurzel mit einem verschrumpelten Gesicht. Alles, was ihn ausgemacht hatte, entwich, und das war kaum mehr als heiße Luft. „Ich hätte doch meinen Darm entleeren sollen“, war sein Gedanke, denn es breitete sich ein abartiger fauliger Geruch um ihn herum aus. Mit der Gewissheit, dass er ihre sämtlichen Signale falsch verstanden und sie ihn gelinkt hatte, verließ er kriechend, doch sichtbar fluchtartig den Ort.
Seine ehemals treuen Gespielinnen waren erstarrt in Entsetzen. „Was hast du getan?“, fragte eine, als sie die Sprache wiedergefunden
hatte.
„Nichts Besonderes, meine Liebe“, antwortete die Göttliche freundlich. „Ich habe nur das gezeigt, was er wirklich ist. Und nun verschwinde ich, ehe ihr anfangt, an mir zu kleben wie an diesem Teufelsbraten. Nicht immer ist das bekömmlich, was lecker anmutet. Manchmal ist es angebracht, mit einer Nadel die Garprobe zu machen und den inneren Kern zu begutachten.“ Sie kippte den Inhalt ihres Bechers in den Teich, die Haubentaucher waren wohl abgetaucht. Sie winkte der jetzt verstummten Schar und ließ sie mit einer Wolke aus Nachdenklichkeit zurück.
Zuhause legte sie ihre Verkleidung ab, schlüpfte in ihre wahre Gestalt, bewahrte aber ein Stück des göttlichen Feuers in sich auf und wusste: In Zukunft würde sie allen Luzifers der Welt begegnen können.
Text: Enya Kummer
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