Kurzgeschichte
Des Vaters Schwur (4) - Mit einem Gedicht von Rainer

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"Des Vaters Schwur (4) - Mit einem Gedicht von Rainer"
Veröffentlicht am 07. März 2022, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Unter dem Pseudonym MerleSchreiber veröffentliche ich seit dem Jahre 2012 Gedichte und kleine Kurzgeschichten. Neben Alltagsthemen möchte ich auch tabuisierte Lebenswelten so aufbereiten, dass sie das Interesse und den Zugang zu den Herzen der Leser finden.
Des Vaters Schwur (4) - Mit einem Gedicht von Rainer

Des Vaters Schwur (4) - Mit einem Gedicht von Rainer

Des Vaters Schwur Teil 4

Die Ankunft in Los Angeles war überwältigend. Nach dreizehn Stunden Flugzeit fühlte ich mich zwar etwas derangiert, als ich - eingehakt an Ramons Arm - das "Tom Bradley Terminal" des Flughafens in Richtung Ausgang durchschritt. Aber die Zweifel an Ramons Absichten und an seiner Charakterfestigkeit, die mich vor dem Abflug in München beschlichen hatten, waren verflogen. Ich wollte genießen. In vollen Zügen - alles, was sich mir bot. Ich war ausgehungert nach... Ja, nach was eigentlich? Nach Leben, nach Weite, nach Großzügigkeit. Raus aus der Enge, der Begrenztheit des Alltags in München. Das Alleinsein nach meiner Trennung. Das alles wollte ich hinter mir lassen. Die erste Nacht im "Bel Air" Hotel, nahe des berühmten Sunset Boulevards, war so, wie ich es mir erträumt hatte. Ramon fuhr in dieser exklusiven Umgebung zur Höchstform auf.

Seine Küsse waren fordernd und sein Verlangen duldete keinen Aufschub. Wir liebten uns mehrmals in dieser Nacht. Ich möchte nicht verschweigen, dass ich mir dabei ein Quäntchen mehr Zärtlichkeit gewünscht hätte. Aber sicher lag das an mir. Vielleicht an meinem Alter? An meiner Erziehung? Wie dem auch sei, ich hütete mich davor, Ramon an diesen Gedanken teilhaben zu lassen. Warum? Vielleicht, weil ich unsicher war, weil ich nicht als emotionales Seelchen dastehen wollte. Ich spürte intuitiv, dass Ramon dafür nichts übrig hatte. Umso mehr interessierte er sich für meine Arbeit. Während ich, noch völlig atemlos auf seinem nackten Oberkörper lag, lenkte er das Gespräch immer wieder in diese Richtung. Fragte nach meinen derzeitigen Recherchen, nach dem Beginn des NSU-Prozesses und dass er es toll fände, dass ich von meinem Chef für diese Berichterstattung ausgewählt worden war. Ich fühlte mich geschmeichelt. Endlich ein Mann,

der meine beruflichen Qualitäten anerkannte. Nach einem ausgiebigen Frühstück versuchte ich am nächsten Morgen meinen Vater zu erreichen. In München war jetzt durch die Zeitenverschiebung später Nachmittag. Da saß er sicher vor dem Fernseher oder er schmökerte sich durch mein umfangreiches Bücherregal. Ich versuchte es mehrmals, bekam aber immer nur das Freizeichen zu hören. Ramon bemerkte meine sorgenvolle Miene und meinte spöttisch: "Mensch, Hannah, bist du sein Kindermädchen? Der sitzt höchstwahrscheinlich mit deiner Tante in irgendeinem Cafe oder lungert in der Stadt herum und füttert die gottverdammten Tauben am Marienplatz." Wieder gaben mir seine rauen Worte einen Stich. Und sie waren nicht dazu angetan, mich zu beruhigen. Als ich erneut zum Telefonhörer griff, wurde er ungeduldig. "Ich fahre jetzt hinaus zu den Hügeln. Kommst du mit oder willst du deine Zeit weiter hier sinnlos

vergeuden?" fuhr er mich unbeherrscht an. Natürlich wollte ich mit! Mit einem Leihwagen fuhren wir hinaus nach Beverley Hills, auf dem von Palmen gesäumten Rodeo Drive, vorbei an den Luxusgeschäften dieser exklusiven Einkaufs- und Flaniermeile. Wir gelangten weiter zum Griffith Park und hatten von hier aus einen phantastischen Blick auf den weltberühmten Schriftzug HOLLYWOOD. An einem wunderschönen, windgeschützten Platz hielten wir an, um dieses beeindruckende Motiv festzuhalten. Als sich Ramon mit seiner Kamera etwas entfernt hatte, nutzte ich die Gelegenheit, holte mein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer meiner Münchener Wohnung. Doch Vater hob nicht ab. Auch am Abend, nach einem erlebnisreichen Tag völlig erschöpft zurück im Hotel, blieb ich erfolglos in meinem Bemühen. Ich begann, mir ernsthaft Sorgen zu machen und malte mir in dieser Nacht - unter

dem Eindruck von Vaters Granaten-Eskapade Horrorszenarien aus. Mein Gemütszustand wirkte sich zwangsläufig auf mein Zusammensein mit Ramon aus. Mir fehlte der Nerv für eine Neuauflage der ausschweifenden Liebesnacht vom Vortag und Ramon drehte sich bald auf die andere Seite, als er merkte, dass der Funke heute nicht überspringen wollte. Irgendwann stand ich auf und ging ins Bad, um erneut zu telefonieren. Nach einigen vergeblichen Versuchen versuchte ich mein Glück bei Tante Marie. "Gut, dass du dich meldest, Hannah. Ich war gestern zweimal und heute wieder zweimal dort, aber dein Vater macht mir nicht auf. Entweder er ist nicht da oder er will seine Ruhe haben." Tante Marie machte keinen Hehl daraus, dass sie enttäuscht war, weil ihre gutgemeinte Unterstützung anscheinend doch nicht gefragt war. "Ich hätte Dir ja gerne geholfen... ", hob sie an,

doch ich unterbrach sie und bat, doch nicht so schnell aufzugeben und es erneut zu versuchen. Dann fiel mir Susanne ein. Ja, Susanne sollte bei Vater nachschauen. Aber bei ihr hörte ich nur das Besetztzeichen. Immer und immer wieder nur das Besetztzeichen. Ich war aufgewühlt, fühlte mich komplett hilflos. Zurück im Zimmer setzte ich mich im Licht einer kleinen Stehlampe an den Schreibtisch, auf dem Ramon unzählige Reiseprospekte und Broschüren ausgebreitet hatte. Beim achtlosen Durchblättern hatte ich plötzlich einen Notizzettel in der Hand. Ich wollte ihn schon zur Seite legen, als mir mein Name in die Augen stach. An vierter Stelle von insgesamt fünf Frauennamen, vor denen jeweils verschiedene Namen von Zeitungen standen, dahinter Alter und Familienstand und... Ich schluckte und las immer wieder: MAZ - Münchner Aktuelle Zeitung - Hannah Leuderer, 48 Jahre, geschieden, Äußeres akzeptabel.

Die anderen vier Frauennamen waren rot durchgestrichen. Hinter meinem Namen war ein grüner Haken gesetzt. Der Boden unter meinen Füßen schwankte, ich spürte den Puls an meiner Schläfe. Doch gleichzeitig mahnte ich mich zur Ruhe. Ich bemühte mich, meine Gedanken zu ordnen und ließ die vergangenen Tage und Wochen mit Ramon Revue passieren. Warum? Warum nur?

Nach einiger Zeit fiel mir der NSU Prozess ein. Sein Interesse, seine Fragen bezüglich der Recherchen. Für den Prozess wurden ja nur wenige ständige Pressesitze vergeben. Wer weiß, vielleicht hatte er schon längst eine Reportage, eine Serie zu diesem Prozess verkauft. Als freier Journalist hatte er aber nicht die Möglichkeit, so nahe an die Informationen zu kommen. Und dann hatte er Jemanden gesucht, der ihm diese Infos beschaffen konnte. Ein Dummchen hatte er gesucht, ein naives Schaf, so blauäugig, wie ich

es aufgrund meiner Sehnsucht nach einer neuen Beziehung war! Wie nach einem Drehbuch war er dann letztendlich vorgegangen, Szene für Szene geplant und umgesetzt. Ja, so musste es gewesen sein. Die Buchstaben auf dem Zettel verschwammen, weil mir Tränen in die Augen gestiegen waren. Aber mit den Tränen verschwand nach und nach die Stockstarre, die mir in den Körper gefahren war. Ich nahm das Papier, faltete es zusammen und schob es in meine Handtasche. Ramon atmete ruhig und tief, während ich meine Sachen einpackte. Dann zog ich leise von außen die Zimmertür ins Schloss, fuhr mit dem Lift hinunter zur Hotelrezeption und ließ mich mit dem Flughafen verbinden. Ich hatte Glück und bekam einen Last-Minute-Flug, den ich gerade noch erreichen konnte. In München war es früher Vormittag, als meine Maschine landete. Ich fühlte mich ausgebrannt,

leer, missbraucht. Für diesen Heuchler hatte ich meinen Vater allein gelassen. Meinen Vater, der mich ausgerechnet jetzt gebraucht hätte. Der nie etwas von mir eingefordert hatte, der immer nur der war, der gab. Der Taxifahrer musterte mich spöttisch lächelnd im Rückspiegel, bildete ich mir ein. So, als ob er wüsste, dass ich eine war, die sich schämen sollte. Er trug mir das Gepäck hoch und ich sperrte die Wohnungstür auf. Ich erschrak, alle Räume waren noch genau so aufgeräumt, wie ich sie vor ein paar Tagen verlassen hatte. Vater war nicht da. Ich geriet in Panik. Er war nicht da!!! Mit klopfendem Herzen läutete ich bei Susanne. Da die Türe nur angelehnt war, ging ich hinein. Vom Flur aus sah ich Susanne und meinen Vater gemeinsam vor dem Computerbildschirm sitzen. Wie gebannt blieb ich stehen, denn ich hörte Papa mit getragener Stimme ein Gedicht rezitieren:

"Ach, wäre es doch vorbei, ich bin des Kämpfen müd`. Warum mein Kaiser, warum immer Krieg? Ich war Dir treu ergeben, zog für Dich in den Kampf. Meine Kameraden ließen ihr Leben mit der Fahne in der Hand. Sie wurden zerrissen, ein Teil liegt hier bei mir. Mein Kaiser, warum? Warum das alles hier? Der Jüngste war siebzehn und voller Tatendrang er rannte auf den Hügel, mit der Fahne in der Hand. Gar viele ließen ihr Leben, warum denn nicht ich? Ich bete zu der Kugel, dass sie mich doch trifft. Ein Brief an meine Liebste in meiner Jacke steckt. Ich gehe jetzt mit der Fahne in das Gefecht." "Bravo" und "Lass` es raus", rief Susanne voller Begeisterung und applaudierte, als er zu Ende war. Und mein Vater strahlte sie mit glücklichen Augen an und wirkte auch sonst total entspannt. "Hallo, hier bin ich wieder", sagte ich und sah in die überraschten Gesichter der Beiden.



Fortsetzung folgt!

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Über den Autor

MerleSchreiber
Unter dem Pseudonym MerleSchreiber veröffentliche ich seit dem Jahre 2012 Gedichte und kleine Kurzgeschichten. Neben Alltagsthemen möchte ich auch tabuisierte Lebenswelten so aufbereiten, dass sie das Interesse und den Zugang zu den Herzen der Leser finden.

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PuckPucks Ach, Merle, was habe ich für ein Glück, dass ich gleich weiterlesen kann. Dieser Ramon wird hoffentlich nochmal vorkommen. Was der nur vorhatte.....?
Da es um das NSU-Netzwerk geht, hab ich so meinen Verdacht.
Gespannte Grüße
Judith
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Haha*, ich sage nur soviel: Ramon bekommt genau das, was ihm zusteht. Und das ist nun mal der höchst ehrenwerte Titel einer Randfigur!
DANKE und liebe Grüße zu Dir, Merle
* bei Untertiteln würde jetzt stehen: Hämisches Lachen ;-)
Vor langer Zeit - Antworten
derrainer Liebe merle ,
Es wird immer heller, was mich desen n.her brachte war anfang Seite 10
Schauen wir mal, was noch kommt , möglich , dass es immer heller wird

Lieben Gruß zu dir Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Lieber Rainer, hattest du dein Gedicht nicht mehr auf dem Schirm? Ich finde, es hat hier so gut gepasst. DANKE noch einmal an Dich, dass du
mir das für dieses Buch "geliehen" hast!
Liebe Grüße zu Dir, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
derrainer Liebe merle ,
Nicht geliehen , geschenkt
Wobei ich dir danke, dass ich mich in deinem Buch verewigen durfte,
Lieben Gruß zu dir Rainer
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Liebe Merle, an diesen Teil konnte ich mich kaum noch erinnern, um so mehr stieg die Spannung! Wie beruhigend, dass es dem Vater gut geht!
Und nun freue ich mich auf die nächste Folge.

Ganz liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Na ja, so richtig gut geht es ihm nicht, dem Vater. Hat er doch Hannah noch so einiges zu offenbaren.... Rainers Gedicht hat hier so gut gepasst, finde ich. Danke, dass du dabei bleibst, Fleur!
Liebe Grüße, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Manchmal trifft man Entscheidungen und weiß eigentlich von Anfang an, dass sie falsch sind.
Ich glaube, Hannah hätte die Reise auch abgebrochen, wenn sie den Zettel nicht gefunden hätte.
Es gibt schon miese Menschen. Gut, dass sie nun weiß, woran sie ist.
Liebe Grüße zu dir
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
MerleSchreiber Ich befürchte, sie wäre ohne den Zettel noch in einen richtigen Zwiespalt gekommen. Es gibt doch die Menschen, die meinen, dass sie immer zu kurz kommen. Das macht sie dann sehr anfällig für solche Reinfälle. Und sie haben nicht die Sensibilität für ihr Umfeld, weil sich alles nur um sie selber dreht. Ja, ich weiß, da habe ich jetzt die gute Hannah nicht besonders freundlich charakterisiert. Übrigens habe ich Ramons Part zusammengestutzt. Ich konnte nämlich deinen Kommi bei der Erstveröffentlichung sehr gut nachempfinden ;-)
DANKE für alles und liebe Grüße, Merle
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Nee du, ich finde Hannah toll. Mit dem miesen Menschen meinte ich natürlich Ramon, der sich da was erschleichen will.
Und mein Kommi damals hatte wohl einen bleibenden Eindruck :)))))
Lieben Gruß noch einmal
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
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