Vorneweg...
Sept. 2013:
Dies ist eine erfundene Geschichte mit einem wahren Kern. Hannah ist eine Frau, die mitten im Leben steht. Als Redakteurin einer kleinen Münchner Zeitung hat sie nach ihrer Scheidung ihr Leben wieder im Griff. Zudem interessiert sich der viel umschwärmte Journalist Ramon für sie. Alles könnte so schön sein, doch dann macht Hannahs Vater Probleme. Sein seltsames Verhalten gibt (ihr) Rätsel auf. Was steckt dahinter und was hat es mit dem geheimnisvollen Jupp auf sich?
Nov. 2015: Warum ein Update dieser Geschichte zum jetzigen Zeitpunkt? Weil ich finde, dass der Inhalt in diese unsere Zeit passt. Nein - nicht vordergründig, man muss schon ein wenig hineinspüren. Das Aufeinandertreffen der scheinbar heilen Jetzt-Zeit mit Geschehnissen,
die Viele von uns nicht mehr erlebt haben - ich auch nicht - ist nur ein Aspekt. Vielleicht kann die Geschichte dazu beitragen, unser Vorstellungsvermögen zu sensibilisieren, um die Menschen, die vor einem Krieg flüchten, ein bisschen besser verstehen zu können.
Nov. 2016: Warum dreht sich immer alles nur im Kreis? Warum gelingt es uns nicht, aus dem einmal geprägten Schema auszubrechen?
Feb. 2022: Wieder Krieg in Europa. Putin hat die Ukraine überfallen. Mein Vater, der mich mit seinen Erzählungen aus dem 2. Weltkrieg zu dieser Geschichte inspirierte, ist im Sommer 2021 mit 95 Jahren verstorben. Wie gut, dass er das nicht mehr erleben musste.
Titelbild und Text:
Copyright by MerleSchreiber (Sept2013)
********************************
DER EIDSCHWUR
Beim Eidschwur muss man nicht darauf schauen, welche Furcht er verursacht, sondern welche Bedeutung er hat. Es ist ja der Eid eine mit Hinblick der Gottheit gegebene Versicherung, und was man unter Beteuerung der Wahrheit vor dem Antlitz Gottes versprochen hat, muss man halten. Demnach bezieht sich der Eid auf Gerechtigkeit und Treue.
*******************************
Zitat von Marcus Tullius Cicero
(106 - 43 v. Chr.), römischer Redner und Staatsmann
Des Vaters schwur - 1. Teil
Um die Mittagszeit auf dem Mittleren Ring stadteinwärts fahren zu müssen ist eine Strafe Gottes. München ist wie aufgewirbelt um diese Zeit. Aber ich hatte Vater versprochen, noch einmal bei ihm vorbeizuschauen, bevor ich mit Ramon für ein paar Urlaubstage nach Los Angeles fliegen würde.
Während ich bemüht war, mich auf den Verkehr zu konzentrieren, ging ich in Gedanken noch einmal meine ToDo-Liste durch. In der Redaktion hatte ich mich bereits abgemeldet. Kollege Heiner Blum hatte es freundlicherweise übernommen, sich um die Pressekarten für den NSU-Prozess zu kümmern. Ich würde noch genug mit der Berichterstattung gefordert sein.
Meinen Kater musste ich noch in die Tierpension bringen und dann den Wohnungsschlüssel bei meiner Nachbarin Susanne abgeben. Puh, da konnte es spät
werden. Susanne war süße einundzwanzig Jahre alt, Philosophiestudentin an der LMU und sie ließ mich in der Regel nicht wieder gehen, bevor sie mich in ihre neuesten Schwärmereien mit den verschiedensten Kommilitonen und Professoren eingeweiht hatte! In jeder freien Minute - und dieses Mädel nahm sich unverschämt viele freie Minuten - saß sie vor ihrem PC. Sie trieb sich in irgendeinem Autorenforum herum und gab dort ihre amourösen Erlebnisse zum Besten statt sich ihrem Studium zu widmen.
Ich fuhr gerade am Friedensengel vorbei, als das Radioprogramm für eine wichtige Durchsage unterbrochen wurde. Hektisch stellte ich den Ton lauter und hörte etwas vom „Fund einer Granate aus dem zweiten Weltkrieg im Stadtteil Schwabing.“
Verdammt, in Schwabing? Da wollte ich hin. „Mehrere Straßen gesperrt - kontrollierte Sprengung - Sprengkommando unterwegs.“
Ich überlegte einen Moment, umzudrehen. Aber
dann wäre der ganze Aufwand umsonst gewesen. Und die Zeit. Sie rannte. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass mich mein Empfinden nicht betrog. Es war bereits vierzehn Uhr! Unser Flieger sollte um einundzwanzig Uhr dreißig starten, um neunzehn Uhr wollten Ramon und ich uns im Flughafen-Cafè treffen. Wie sollte ich das bloß alles auf die Reihe bringen, wenn hier nichts vorwärts ging. Als wenig später die betroffenen Straßennamen durchgegeben wurden, atmete ich auf. Die Straße, in der mein Vater wohnte, war nicht dabei. Ich könnte bis zur Absperrung fahren und dann links in den kleinen Seitenweg...
Der Ort des Geschehens konnte nicht mehr weit sein, denn ein paar hundert Meter weiter wimmelte es nur so von Polizisten und Feuerwehrleuten. Auf einem überdimensional großen Abschleppwagen wurde ein Bagger in Richtung Fundstelle transportiert.
Und dann sah ich ihn.
Inmitten dieses Szenarios sah ich Papa. Ich erkannte ihn schon von weitem an seinem auffallenden bordeauxroten Jogginganzug. Er saß auf einem Gartenstuhl mitten auf dem Gehweg, zwischen einem Bistro mit heruntergelassenen Jalousien und einem Erotikladen. Eine junge Polizistin mit einem lustigen blonden Pferdeschwanz hielt ihm die Hand, tätschelte sie und redete auf ihn ein.
Was, zum Teufel, hatte er hier verloren?
Was war los mit ihm?
Ohne mich um den wild gestikulierenden Feuerwehrmann, der mich mit seiner Kelle zum Weiterfahren animieren wollte, zu kümmern, parkte ich mein Auto am Straßenrand und lief quer über die Fahrbahn. Vater sah mich erst, als ich schon fast bei ihm war. Er sprang wie von einer Tarantel gestochen auf und schrie mit hochrotem Kopf: "Hannah! Hannah, geh` weg, geh` weg! Verschwinde hier, Hannah!"
Fortsetzung folgt!